Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Kantate (4. Sonntag nach Ostern), 18. Mai 2003
Predigt über Matthäus 11, 25-30, verfaßt von Erik Høegh-Andersen (Dänemark)
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"Mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht", sagt Jesus. Wie ist das eigentlich möglich? Wie kann eine Last leicht sein und ein Joch sanft? Für die, die es nicht wissen, z.B. für Konfirmanden, sei gesagt, daß ein Joch ein Querbalken ist, den man über die Schultern legt. Dann ist es z.B. möglich, zwei schwere Eimer zu tragen, die an den beiden Seiten des Jochs hängen. Aber wie kann das sanft sein, und wie kann eine Last, die doch gerade durch ihre Schwere gekennzeichnet ist, leicht sein?

Im Innersten wissen wir das sehr wohl. Wir wissen aus Erfahrung: Das Leben, das wirklich etwas von uns will und das uns mit Aufgaben und Herausforderungen begegnet, die wir nur schwer erfüllen können, so daß wir alle unsere Kräfte mobilisieren, ein solches Leben ist oft lebendiger, intensiver und sinnvoller als das leichte und sorglose Leben, wo es eigentlich keine Rolle spielt, ob wir da sind oder nicht. Das Dasein kann unerträglich leicht sein.

Einige werden sicher das Buch des tschechischen Schriftstellers Milan Kundera kennen, das eben den Titel trägt: "Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins". Hier sagt er: "Die schwerste Last ist oft ein Bild für die intensivste Lebensfülle. Je schwerer die Last ist, desto erdnäher ist unser Leben, desto wirklicher und wahrer ist es. Im Gegensatz dazu bewirkt die absolute Abwesenheit von Last, daß der Mensch leichter wird als Luft, aufsteigt, sich von der Erde und dem irdischen Dasein entfernt, das nur halb wirklich wird, und seine Bewegungen werden so frei wie bedeutungslos."

Das Buch schildert u.a. einen Menschen, Thomas, der durch das Leben segelt wie ein Abenteurer. Er begegnet einer Frau nach der anderen, aber er wagt es nicht, eine Verpflichtung einzugehen. Er wagt es nicht, seinem Leben Gewicht zu verleihen. Sobald eine Beziehung beginnt, Bedeutung zu gewinnen, zieht er sich zurück, um genauso oberflächlich und spielend und leicht einer neuen Frau zu begegnen. Aber die Leichtigkeit wird schließlich unerträglich, und aus dem Buch spricht eine Sehnsucht nach Schwere, Ernst, nach der Freude, die sich einstellt, wenn das Leben schwer von Bedeutung ist.

Auch wenn wir uns oft ein sorgloses Leben ohne Lasten wünschen, wissen wir wohl, daß die tiefste Freude, die eine wunderbare Leichtigkeit gibt, nur dort ist, wo wir auch den Schmerz und den Ernst und die Lasten mitnehmen.

Einer trage des andern Last, heißt es im dänischen Trauungsritual. Das ist nicht nur eine saure Pflicht, daß man das soll. Das schenkt Leben. Die gute Last, wo wir für einander tragen, gibt uns neue Kräfte und läßt uns wachsen. Aber wenn wir nichts zu tragen haben, dann verdorren wir, dann versinken wir, und das Leben wird furchtbar schwer.

Aber natürlich, es gibt Lasten, die sind so schwer und so massiv, daß sie den Boden unter uns wegreißen und wir den Mut verlieren. Natürlich gibt es Lasten, die wir niemandem wünschen.

Oft aber geht es also darum, sich in eine rechte Beziehung zu der Last zu bringen.

Wenn ich z.B. den Nachbarn sehe oder all die anderen, die vielleicht nicht mit denselben Problemen zu kämpfen haben wie ich, und wenn ich dann denke: Warum mußte dieses Schicksal mir zuteil werden, wenn es die anderen so leicht haben? Wenn ich also immer mein Leben mit dem der anderen vergleiche - ja dann wird die Last nicht leicht, sondern so schwer, daß sie fast nicht zu ertragen ist.

Und wenn ich alle meine Kräfte darauf verwende, mich von der Last zu befreien oder die Schuld abzulegen oder den Schwierigkeiten mit all denen in der Familie zu entgehen, die sich nicht allein versorgen können, ja dann zeigt sich in der Regel, daß die Last, die Trauer, die Schuld mich dennoch einholen und noch schwerer zu tragen sind als zuvor.

Nur wenn wir die Last auf uns nehmen, kann sie sich mit der Zeit verändern, Frucht tragen, uns stärken und sich als Leichtigkeit und Freude in uns erweisen.

Es gibt eine schöne kleine Erzählung von einem, der aus der Wüste kommt, aus der Sahara. Ich möchte etwas daraus erzählen.

Ein Mann kam aus der Wüste. Er war Tage lang umhergeirrt. Er hatte sich verirrt und alles verloren, was er mit sich hatte. Der Mann war nahe daran, an Durst und Hitze umzukommen. Und jetzt stand er vor dem Meer, vor dem endlosen Salzwasser.

Der Mann warf seinen ausgetrockneten Körper in das Wasser, aber in seinem Mund mit den zerrissenen Lippen und der dicken ausgetrockneten Zunge brannte der Durst, den das Salzwasser nicht löschen konnte. Da ergriff ihn ein unbändiger Zorn. "Ich will Wasser", schrie er, "ich will leben, darauf habe ich ein Recht". Er griff nach einem großen Stein. Seine Wut verlieh ihm Kräfte, aber nicht genug, um den Stein gegen die Sonne oder die Palmenkronen zu werfen. Er stand nur da und drohte und schrie, während ihn die Kräfte verließen.

Da erblickte er neben den großen Palmen, zwischen losen Steinen und Sand, eine kleine junge Palme, die dort stand, hellgrün und voll von Hoffnung.

"Wo lebst du?", schrie der Mann, "warum findest du Nahrung und Wasser, während ich vor Durst umkomme? Warum bist du jung und schön? Warum hast du alles und ich nichts? Du sollst nicht leben!"

So ergeht es uns wohl, wenn wir damit beginnen, uns mit anderen zu vergleichen. dann wenden wir unsere Kräfte haßerfüllt gegen die, die kleiner sind als wir, statt daß wir sie auf unser eigenes Leben anwenden.

Mit allen ihm noch zur Verfügung stehenden Kräften drückte er nun den großen roten Stein in die Krone des Baumes, um ihn zu zerdrücken. Der Mann hörte ein Knirschen und Zerbrechen der Zweige. Und dann wurde es still. Der Mann brach zusammen neben der kleinen Palme. Einige Kameltreiber fanden ihn, und man erzählt, daß er überlebte.

Aber der kleine Palamenbaum war fast erdrückt und begraben unter der Last des Steins, der Tod schien unausweichlich. Die hellgrünen Palmenblätter waren abgebrochen, und die Gluthitze der Sonne ließ sie rasch verwelken. Sein kleiner, zierlicher Stamm drohte bei dem kleinsten Windstoß zusammenzubrechen.

Aber der Mann hatte die kleine Palme nicht töten können. Er konnte sie verwunden und verletzen, aber nicht erschlagen. Denn als der Schmerz sich zusammengezogen hatte und es in der Stille in der kleinen Palme schrie, da durchfuhr sie zugleich eine erste Welle der Kraft. Und so wechselten sich Schmerz und Kraft ab, bis die Kraft größer wurde als der Schmerz. Der Baum versuchte, den Stein von sich abzuschütteln. Er bat den Wind, ihm zu helfen, aber da war keine Hilfe zu finden. Der Stein blieb in der Krone, im Herzen der kleinen Palme, und rührte sich nicht.

"Gib's auf", sagte die Palme zu sich selbst, "es ist zu schwer. Es ist dein Schicksal, so jung zu sterben".

Aber da war eine andere Stimme, die sagte: "Nein, nichts ist zu schwer. Du mußt es doch versuchen. Du mußt etwas tun!"

"Wie kann ich das tun?" fragte die Palme. "Der Wind kann mir nicht helfen, ich stehe allein in meiner Schwachheit. Ich kann den Stein nicht abwerfen".

"Aber du sollst ja nicht den Stein von dir abwerfen oder wegwerfen", sagte die andere Stimme wieder. "Du sollst die Last des Steins auf dich nehmen. Da wirst du erleben, wie deine Kräfte wachsen".

Und der junge Baum nahm in seiner Not seine Last auf sich und vergeudete seine Kräfte nicht mehr damit, weiterhin zu versuchen, den Stein abzuwerfen. Er nahm ihn auf in die Mitte seiner Krone. Zugleich streckte er seine langen Wurzeln, so daß sie nun kräftiger und stärker wurden, hinunter in die Erde, um festzuhalten.

Da geschah es eines Tages, daß die Wurzeln so tief eingedrungen waren, daß sie auf eine Wasserader stießen. Befreit schoß eine Quelle nach oben und machte die Stelle zu einem fruchtbaren Ort.

Und da der Baum nun Wurzeln hatte, die weit in den Boden hineinreichten und dort dauerhafte Nahrung fanden, begann er nach oben zu wachsen. Er setzte breite kräftige Palmenblätter um den Stein herum an. Man konnte auf den Gedanken kommen, der Baum beschütze gleichsam den Stein.

Der Stamm des Baumes wurde immer dicker. Und auch wenn die anderen Palmen am Strand höher und schöner sein mochten, so war dieser Palmenbaum doch unbestritten der mächtigste und bemerkenswerteste.

Seine Last hatte ihn verändert, und er hatte den Kampf aufgenommen gegen seine eigene Mutlosigkeit. Der Baum hatte diesen Kampf gewonnen. Er hatte eine Quelle freigelegt, die seitdem den vielen den Durst stillen und Leben spenden konnte. Und was sicher das Wichtigste war, der Baum hatte seine Last auf sich genommen und sie hoch heraufgehoben. Die Last lag noch immer im Herzen der Palme, aber in ihrer Existenz, in ihrem Dasein, war sie an eine Stelle gekommen, die es ermöglichte, sie zu tragen.

Nur die Last, die wir von uns weghalten, können wir nicht tragen. Wenn wir sie auf uns nehmen, wird sie ein Teil von uns, und wir erhalten vielleicht eine Stärke, die wir sonst niemals hätten.

Und der Mann, der im Zorn und Neid den Stein in das Herz der Palme gelegt hatte - man erzählt, daß er, als er die Geschichte hörte, verstand, daß er seine Schuld auf sich nehmen und sie tragen mußte wie die Palme den Stein. Das war ein Leben gewesen mit Haß und Wut und schwerer Schuld, aber als er das alles auf sich nahm, wurden Kräfte in ihm wach, der er vorher nicht gespürt und gekannt hatte. Er erlebte, welche Stärke die Liebe hat.

Aber zurück zum Evangelium: "Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken. Nehmt auf euch mein Joch ... denn mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht". Es geht bestimmt nicht darum, daß wir im Christentum eine Lebensmöglichkeit angewiesen bekämen, die das schwierige und mühselige Leben vermeidet. Was Jesus aber sagen will, ist dies: Wir stehen nie allein stehen mit den Lasten. Wir brauchen das alles nicht allein zu tragen. Aber wir sollen weiter kämpfen, heben, tragen - in der Gewißheit, daß Gott mit trägt, wenn uns die Kräfte ausgehen.

Gott hat uns dieses Leben gegeben mit all den Aufgaben und Herausforderungen, die uns jeden einzelnen Tag begegnen. Das ist oft ganz unüberschaubar, und wir wissen ja gar nicht, wie es gehen soll, wenn wir weiter in die Zukunft blicken. Aber das Evangelium ist also eine große Aufforderung, daß wir uns dennoch unverdrossen an das unüberschaubere Leben machen. Wir sollen uns nicht nur mit kleinen Pfützen der Freude begnügen, die wir unterwegs sicher finden. Wir sollen das Leben in seiner ganzen Schwere annehmen, mit seinem Schmerz und seiner Mühe und seinem Ernst und der Freude, die aus der Tiefe kommt. Wir sollen wie die kleine Palme Wurzeln schlagen und tragen, dann treffen wir vielleicht eines Tages auf eine Quelle, die in uns aufbricht mit Leben und Kraft uns und anderen zur Freude.

Ja, wir sollen mit diesem wunderbar bewegenden und schwierigen Leben ringen. Nicht in einem heroischen Kampf, mit dem wir auf Gedeih und Verderb allein stehen. Sondern wir sollen aneinander annehmen und bei einander mittragen. Und dann wissen, daß dort, wo wir uns selbst aufs Spiel setzen und uns selbst hingeben, da ist eine liebende Macht, größer als wir, die uns mit trägt und auffängt. Ja dort, wo wir es wagen, daran zu glauben, dort haben wir einen inneren Frieden, eine Ruhe für unsere Seele, mitten im tätigen, mühsamen Leben, in dem wir uns voll ausgeben.

"Nehmt auf euch mein Joch", sagt Jesus, "so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht".

Das Joch der Liebe ist zugleich schwer und sanft. Wenn wir uns selbst voll geben, dann erfahren wir den Schmerz und die tiefe Freude. Die gute Ruhe ist nicht ein Freiplatz außerhalb dieses Lebens, sondern sie ist dort, wo wir das Leben mit einander und mit Gott teilen. Die gute Ruhe ist dort, wo wir uns hingeben im Vertrauen auf die Liebe, die uns trägt. Amen.

Pfarrer Erik Høegh-Andersen
Prins Valdemarsvej 40
DK-2820 Gentofte
Tel. ++ 45 - 39 65 43 87
e.mail: erha@km.dk



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