Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Rogate (5. Sonntag nach Ostern), 25. Mai 2003
Predigt über Johannes 16, 23 (29-32) 33, verfaßt von Karsten Matthis
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Liebe Gemeinde,

in einer ländlichen amerikanischen Gegend herrschte eine besonders schwere und langanhaltende Dürre. Die Wasservorräte schwanden. Die Tiere verdursteten. Die Bauern befürchteten eine schwere Missernte, denn die Pflanzen auf den Feldern vertrockneten. Weil aber die Einwohner des Landstriches gottesfürchtige Menschen waren, luden sie zu einem Fürbittengottesdienst ein. Von weither strömten die Menschen zusammen, um für Regen zu beten. Ein Junge, der ebenfalls zur Kirche ging, fiel den Gottesdienstbesuchern auf. Als einziger Gottesdienstbesucher hatte er einen Schirm dabei. „Wir beten doch um Regen.“, antwortete er den anderen Gottesdienstbesuchern auf ihre erstaunten Blicke hin. Tatsächlich setzte der Regen noch während des Gottesdienstes ein.

Liebe Gemeinde, solch einen kindlichen Glauben hätten wir auch gerne. Erfahrungen aber, die wir mit unerhörten Gebeten machen, lassen jedoch einen kindlichen Glauben nicht aufkommen. Einen Regenschirm mitzubringen, wenn wir als Gemeinde um Regen bitten, dass sähe der eine oder andere als Provokation an. Es gebietet die Ehrfurcht vor Gott, von ihm nicht die prompte Erfüllung unserer Wünsche zu erwarten.

Mit dem Erwachsensein haben wir uns Schranken auferlegt, was wir von Gott zu erbitten wagen. In unseren Gebeten versuchen wir zwischen unseren Wünschen und dem Willen Gottes zu unterscheiden.

Liebe Gemeinde, haben wir nicht unsere Erwartungen, die unsere Gebete betreffen, mächtig heruntergeschraubt? Mag es daran liegen, dass wir unseren Glauben nicht gefährden wollen? Ist es so, dass wir von Bitte und Fürbitte nur wenig erhoffen?

Diese geringe Erwartung steht im klaren Gegensatz zu den Beterinnen und Betern der Bibel. Viel Kraft und Wucht geht von den Gebeten Hiobs aus. Hiob schleudert seine Klage und seinen Fluch gegen Gott, der ihm so viel abverlangt. Aber er lobt am Ende Gottes Weisheit und Güte.

Eine Faszination geht vom „Vater unser“ aus, da es alle unsere Bitten, Wünsche und Hoffnungen zusammenfasst. Im „Vater unser“ zeigt uns Jesus Gott als den himmlischen Vater, der sich unserem Gebet nicht verschließt.

Der heutige Predigttext spricht von einem kindlichen Glauben. Vom liebenden Vater ist in den Abschiedsreden Jesu die Rede. Statt den Gott Israels als „Ewigen“ und „Allmächtigen“ anzureden, dürfen die Jünger ihn „Abba, lieber Vater“ nennen. Sie dürfen fest mit ihrem Gegenüber rechnen und ihn mit „Du“ ansprechen.

Bisher war der Gott Israels, ihnen so fern und unnahbar. Hoch in den Himmeln thronte er, ein strenger und heiliger Gott. Doch Jesus spricht von einem liebenden und nahen Gott, zu dem die Jünger frei und offen beten dürfen, weil sie geliebt werden.

Vor Gründonnerstag ermuntert Jesus seine Jünger zum Gebet: „Bittet, so werdet ihr nehmen, dass eure Freude vollkommen sei.“ Wie zu einem Vater sollen die Jünger beten und mit einem kindlichen Gottvertrauen zu ihm sprechen. Jesus will seinen Jüngern Mut machen, Gottes vollkommene Freude im Gebet zu erfahren. Wer den Vater in Jesu Namen bittet, der darf darauf vertrauen, dass sein Gebet nicht vergeblich bleibt. Gott schenkt euch vollkommene Freude, weil der Vater euch liebt, sagt Jesu seinen Jüngern zum Abschied.

Nicht nur Not lehrt beten, sondern ebenso die Erfahrungen des Glücks und des erfüllten Augenblicks. Im Gebet bricht nicht nur die Klage, Verzweiflung und die Selbstverurteilung hervor, sondern auch der Dank und Lob an Gott. Im Gebet erfahren die Jünger Trost und Orientierung.

Den Trost des Gebetes haben die Jünger bitter nötig, denn Schreckliches werden sie am Karfreitag erleben. Ihr Herr und Meister wird wie ein Verbrecher ans Kreuz genagelt. Der Kreis der Jünger wird voller Angst in alle Richtungen fliehen. Statt vollkommener Freude werden sie vollkommene Verzweiflung erleben.

Verstört und hilflos erleiden sie die schlimmste Trauer ihres Lebens. Doch diese tiefe Trauer wird mit dem Tag der Auferstehung überwunden. Tiefste Trauer wird in die höchste Freude verwandelt.

Trauer und Leid, Not und Verzweiflung bleiben keinem erspart, der den Namen Gottes anruft. Aber wir können nicht tiefer fallen, als die Jünger fielen. Wir beten um die Hilfe Gottes in der Gewissheit, dass seine liebenden Arme uns auffangen.

Des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich gemeint.“ heißt es im Jakobusbrief (Jak. 5, 16). Ein Gebet vermag viel, wenn es zum Innehalten führt. Den inneren Raum zu finden, wo Stille in mir ist. Im persönlichen Gespräch trete ich als einzelner Gott gegenüber. Ich lege ihm mein Innerstes vor, was mich bewegt und aufwühlt. Im Gebet gelingt es mir, Ärger abzufangen und Distanz zu meinen Problemen zu gewinnen. Ich komme zu mir. Sehe ich mich selbst ungeschönt, wie ich wirklich bin und nicht wie ich gerne vor anderen erscheinen möchte. Oft gelingt es mir, nicht bei mir selbst stehen zu bleiben und über mich nachzugrübeln, sondern mich für Gott und den Nächsten zu öffnen. Gott zu danken und ihn zu loben. Meine Mitmenschen in anderem Licht zu sehen und sie besser zu verstehen.

So wird mein Gebet zum offenen Gespräch mit Gott, nicht zu einer frommen Leistung bei der ich tiefschürfende Gedanken produziere. Ich versuche zu erschließen, was sein Wille und Weg für mich ist. Seine Gedanken fließen in meine Gedanken ein, darum bitte ich im Gebet vor ihm.

So kann ich den Satz Dietrich Bonhoeffers nachsprechen und begreifen lernen: „Gott erfüllt nicht alle unsere Wünsche aber seine Verheißungen.“ Gott wird seine Schöpfung erhalten und Jesus Christus wird für mich eintreten.

Liebe Gemeinde, nicht nur vollkommene Freude, sondern auch vollkommenen Frieden verheißt Jesus zum Abschied seinen Jüngern. Nach diesem vollkommenen Frieden sehnen wir uns. Tagtäglich erfahren wir, wie zerbrechlich menschlicher Friede ist, dass er von Kompromissen und Halbwahrheiten nur gestützt wird.

In den letzten Monaten haben viele Christen vergeblich für den Frieden gebetet, dennoch fand der Krieg im Irak statt. Sein Ausgang hat zwar eine Diktatur beseitigt, eine stabile Nachkriegsordnung ist noch in Sicht. Der Friede im Nahen Osten ist, wie an vielen anderen Orten der Welt, noch längst nicht erreicht. Anlass zur Sorge besteht in Israel weiterhin. Die Angst der Menschen vor Terror und Gegenterror ist ungebrochen. Immer dann, wenn die Konfliktparteien sich in Israel annähern, erschüttert ein Bombenanschlag den Friedensprozess. Ein militärischer Einsatz, der auch immer Unschuldige trifft, ist die Antwort.

Jesus spricht aber nicht von diesem zerbrechlichen, menschlichen Frieden. Er verkündigt einen vollkommenden Frieden, der selbst dann bestehen kann, wenn die Welt in Krieg und Terror versinkt. „Das habe ich mit euch geredet, damit ihr Frieden habt.“, sagt er seinen Jüngern.

Angst und Zweifel werden uns beim Beten nicht erspart bleiben. Denn wir leben in einer unerlösten Welt, in der Menschen alles daran setzen, ihre Ziele mit Gewalt und Terror durchzusetzen. Menschen üben Gewalt und Einschüchterung über andere aus, um ihre Macht zu festigen.

Gut, dass wir jemanden kennen, der unsere ganze Angst trägt. Der nicht auf Gewalt und Einschüchterung setzt, sondern auf bedingungslose Liebe. Jemanden, der stärker ist als die Macht des Todes und vor dem auch die kapitulieren müssen, die Gewalt und Terror betreiben.

Jesus Christus hat sich als der erwiesen, der die Wurzel des Unfriedens ausgerottet hat, als er am Kreuz starb und an Ostern den Tod überwand. Er ist es, der nicht nur die Angst vor dem Tod, sondern auch seine Macht besiegt hat.

Um seinen Frieden dürfen wir beten, wenn rings um uns Unfrieden herrscht. In seinem Frieden können wir gelassen Menschen begegnen und liebend gegenüber treten, die uns einschüchtern wollen oder gar bedrohen. Geborgen in seinem Frieden hoffen wir, dass unsere Gebete nicht vergeblich sind. Weil er unser Friede ist, dürfen wir wie Kinder vertrauen.


Amen

Karsten Matthis, Dipl. Theol., Wachtberg bei Bonn
karsten.matthis@t-online.de



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