Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

5. Sonntag nach Trinitatis, 20. Juli 2003
Predigt über Lukas 5, 1-11, verfaßt von Christian Jung
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Es begab sich aber, als sich die Menge zu ihm drängte, um das Wort Gottes zu hören, da stand er am See Genezareth und sah zwei Boote am Ufer liegen; die Fischer aber waren ausgestiegen und wuschen ihre Netze. Da stieg er in eines der Boote, das Simon gehörte, und bat ihn, ein wenig vom Land wegzufahren. Und er setzte sich und lehrte die Menge vom Boot aus. Und als er aufgehört hatte zu reden, sprach er zu Simon: Fahre hinaus, wo es tief ist, und werft eure Netze zum Fang aus! Und Simon antwortete und sprach: Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen; aber auf dein Wort will ich die Netze auswerfen. Und als sie das taten, fingen sie eine große Menge Fische und ihre Netze begannen zu reißen. Und sie winkten ihren Gefährten, die im andern Boot waren, sie sollten kommen und mit ihnen ziehen. Und sie kamen und füllten beide Boote voll, sodass sie fast sanken. Als das Simon Petrus sah, fiel er Jesus zu Füßen und sprach: Herr, geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch. Denn ein Schrecken hatte ihn erfasst und alle, die bei ihm waren, über diesen Fang, den sie miteinander getan hatten, ebenso auch Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, Simons Gefährten. Und Jesus sprach zu Simon: Fürchte dich nicht! Von nun an wirst du Menschen fangen. Und sie brachten die Boote ans Land und verließen alles und folgten ihm nach.

Liebe Seminargemeinde,

Fischen will gelernt sein. Ich erinnere mich noch an meinen ersten und wohlgemerkt einzigen Versuch auf diesem Gebiet. Gemeinsam in einer kleinen Gruppe von Teenagern zelteten wir in einem alten Obstgarten. Bereits am frühen Nachmittag entstand eine Idee der besonderen Art: "Wie wäre es denn, wenn wir nachts, an dem nur wenige Kilometer entfernten Weiher, auf Fischfang gehen?" Gesagt getan. Zur späten Stunde radelten zwei meiner Freunde und ich voller Anspannung in die Dunkelheit hinein. Im Kopf schon das Prachtexemplar, das wir fangen und gemeinsam am Lagerfeuer verspeisen würden. Groß musste er sein, ein richtiger Brocken! Unsere Ausrüstung war im Gegensatz zu unsrer Phantasie weniger umfangreich. In dem Knauf eines billigen Jahrmarktmessers, damals auch Überlebensmesser genannt, hatten wir eine Angelschnur mit drei dazugehörigen Angelhaken entdeckt. Einen Köder hatte der Hersteller nicht mitgeliefert - doch das sollte uns Angelprofis nicht hindern. Am See angekommen wurden die Räder im Gebüsch verstaut. Unheimlich schimmerte die Oberfläche des Weihers im nächtlichen Mondschein. Doch die erste allgemeine Verunsicherung ließ nicht lange auf sich warten. Drei Personen aber nur eine Angelschnur! Sollte nicht jeder von uns die Chance bekommen den großen Fang zu machen? Also teilten wir, ohne lange nachzudenken, den dünnen Nylonfaden in drei gleich große Teile. Nachdem jeder seinen Teil der Schnur an einem kleinen Ast festgezurrt und den Angelhacken angebracht hatte, konnte es losgehen. Doch schon beim Auswerfen unserer Fangwerkzeuge kam es zur großen Ernüchterung. Unsere gekürzten Angelschnüre, oder sollte man besser Angelschnürchen sagen, reichten nicht einmal wenige Meter ins Wasser hinein. Der ersehnte Fang war in unerreichbare Ferne gerückt. Stumm und ein wenig beschämt packten wir unsere Ausrüstung wieder ein. Wie sollten wir diese Blamage den Andern erklären, die bereits am Lagerfeuer auf uns warteten? Ja, Fischen will gelernt sein.

Petrus der Hauptdarsteller unseres Predigttextes hätte wohl nicht mehr als ein müdes Lächeln für uns übrig gehabt. Er war ein Profi. Kein Möchtegern-Fischer. Mit der Fischerei verdiente er, wie viele andere Männer in Judäa, seinen Lebensunterhalt. Und sein alltägliches Geschäft war harte Knochenarbeit: Die nächtlichen Ausfahrten, das Auswerfen der Netze, das Warten und Hoffen auf einen guten Fang. Zudem die schweißtreibenden Reparaturarbeiten am Ende eines langen Arbeitstages. Ja, dieser Petrus war ein Profi, er verstand sein Handwerk. Umso erstaunlicher muss der im Predigttext geschilderte Tag auf ihn gewirkt haben. Er beginnt mit einem enttäuschenden Fang und endet mit dem kompletten Ausstieg aus dem Fischereigeschäft. Wir erwischen Petrus in einer Umbruchsphase seines Lebens. Er fängt noch einmal neu an, bricht auf in eine neue Zeit. Eine Umschulung in seinem Alter? Ja, Petrus erschließt einen neuen Markt, eine Nische für Hartgesottene: Er wird Menschenfischer.

Liebe Kolleginnen und Kollegen: Müssen wir nicht aufhorchen bei dieser Geschichte? Betrifft sie nicht uns konkret? Wenn es ums Menschenfischen geht sind wir doch gefragt, oder? Schließlich wollen auch wir Menschen für Gottes Liebe gewinnen. Aber Fischen will gelernt sein und das Menschenfischen erst recht. Vielleicht können wir einmal gemeinsam bei unserem Text in die Lehre gehen. Denn ich glaube, er verrät in aller Kürze was zu einem Menschenfischer gehört.

"Fahre hinaus, wo es tief ist, und werft eure Netze zum Fang aus!" Der See Genezareth: An jedem Tag eine neue Herausforderung. 170 qkm groß, mit 212 Metern unter dem Meeresspiegel, der am tiefsten gelegene Süßwassersee der Welt. Und in der Tiefe lauern Gefahren. Es ist nicht ohne Risiko weit hinaus zu rudern. Schon aus biblischen Erzählungen kennen wir die Unberechenbarkeit des großen Sees. Plötzlich aufkommende Stürme und Winde drohen Boote in das dunkle Nichts zu reißen. Umso mehr beunruhigt mich die Auf-forderung Jesu: Fahre hinaus wo es tief ist! Warum denn? Ist es nicht leichter und vor allem wesentlich ungefährlicher im Ufergebiet des Sees zu fischen? Kürzere Wege wären zurückzulegen und auch das Heraufziehen der Netze wäre doch wesentlich weniger kraft-raubend. Warum nicht lieber ganz an der Wasseroberfläche bleiben? Hier sehe ich was auf mich zukommt. Hier bin ich sicher. Die Tiefe aber bedeutet Ungewissheit, Risiko, Wagnis. Doch schon wieder höre ich Petrus lachen: "Weißt du denn nicht, dass sich in den Randbereichen des Sees kaum Fische aufhalten und außerdem: Die wenigsten Fische bewegen sich an der Wasseroberfläche. Viele, ja die meisten, sind längst abgetaucht in die Tiefen und Untiefen des Sees. Weit hinaus musst du fahren, tief hinunter musst du deine Netze lassen."

Liebe Seminargemeinde, ich glaube auch für einen Menschenfischer reicht es nicht aus an der Oberfläche zu bleiben. In die Tiefe muss er gehen. Um andere Menschen zu erreichen muss er weit hinaus fahren. Sie besuchen und abholen in den Tiefen und Untiefen ihres Lebens. "Nicht vom sicheren Ufer aus angeln, sondern selbst zu neuen Ufern aufbrechen!" heißt die Devise. Mit einem Wort: Tiefsinnigkeit ist gefragt, wenn es ums Menschenfischen geht.

Aber damit nicht genug. Werft eure Netze aus! Hier ist nicht nur von einem Netz die Rede - einem Standardnetz für den mitteleuropäischen Durchschnittsfisch. Verschiedenartige Netze müssen zum Einsatz kommen. Unterschiedliche Netze für unterschiedliche Menschen. Also auf Menschenfischer knüpfe deine Netze! Lass dein Angebot vielfältig erscheinen. Denn Vielfalt ist gefragt, wenn es ums Menschenfischen geht.

Doch unsre Lehrstunde geht weiter: "Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen; aber auf dein Wort will ich die Netze auswerfen." Ich kann mir die Szenen am Ufer des Sees bildlich vorstellen: "Mach dich doch nicht lächerlich Petrus. Jahrelang fährst du nun schon hinaus auf diesen See. Du weißt doch genau, das das Fischen am Tag aussichtsloser ist als in der Nacht. Die Fische schrecken zurück vor dem Schatten des Bootes. In der Nacht erst kriechen sie aus ihren Verstecken. Also Petrus komm zur Vernunft. Lass den Spinner doch reden." – "Ja aber habt ihr denn nicht gehört was dieser Mann gesagt hat? Hat es euch denn nicht getroffen? Nicht begeistert? Seine Worte sind es, die mich noch einmal hinaus fahren lassen. Auf sein Wort hin, werfe ich die Netze noch einmal aus."

Ich bewundere diesen Petrus. Gegen alle Vernunft vertraut er auf die Worte Jesu. Warum eigentlich? Hätte er nicht allen Grund gehabt lautstark zu protestieren. Dem predigenden Greenhorn all seine Berufserfahrung entgegenzuhalten? Aber stattdessen fährt er erneut hinaus. Warum Petrus? Warum? Die Antwort ist einfach. Petrus ist begeistert von der Rede Jesu. Sie läßt ihn nicht mehr los. Sie hat ihn eiskalt erwischt. Petrus ist begeistert und aus seiner Begeisterung wächst sein Vertrauen.

Und wir angehenden Menschenfischer? Sind wir begeisterungsfähig? Trifft uns Gottes Wort immer wieder neu? Oder haben wir die Ohren schon zugemacht bzw. auf Durchzug gestellt? Ich glaube ein Menschenfischer, der nicht begeisterungsfähig ist und bleibt, kann andere Menschen nicht begeistern. Denn Begeisterung ist gefragt, wenn es ums Menschenfischen geht.

Aber unser Kurz-Lehrgang in Sachen Menschenfischerei ist immer noch nicht abgeschlossen. Es steht noch eine Lektion aus. "Als das Simon Petrus sah, fiel er Jesus zu Füßen und sprach: Herr, geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch." Einmal mehr nimmt unsere Geschichte einen ungewöhnlichen Verlauf. Ist nach einem solchen Fang denn keine Feier angesagt? Der Fischbedarf ist für mehrere Tage, wenn nicht Wochen gedeckt. Die Familien sind versorgt. Das ist doch ein Grund um anzustoßen. Stattdessen jagt der Text uns in eine seltsame Sprachlosigkeit. Petrus geht in die Knie. Der sonst so enthusiastische Mann wird still. Still vor der Größe und Macht Gottes.

Stille ist heutzutage selten angesagt. Eine Welt, die so laut ist wie nie zuvor, lächelt über denjenigen, der die Stille sucht. Ein Event jagt das Andere! Umso schwieriger fällt vielen Menschen der Rückzug in Ruhezonen des Lebens. - Ein Menschenfischer braucht diese Oasen der Stille. Zeiten, in denen er leise, sprachlos vor Gottes Größe steht. Oft werden in diesen Momenten Verhältnisse wieder ins rechte Maß gerückt. Wer bin ich im Gegenüber zu meinem Auftraggeber? Steht nicht seiner Fülle zwangsläufig mein Mangel entgegen? Oder um im Bild zu bleiben: Wir sind vielleicht diejenigen, die auf Fischfang gehen, mit all dem was wir gelernt haben, lernen und noch lernen werden, aber ist es nicht letztendlich Gott und seine frohe Botschaft, die den Menschen gewinnt? Ja, Zeiten der Stille sind gefragt, wenn es ums Menschenfischen geht.

Aber nun mal ehrlich. Tiefsinnigkeit, Vielfalt, Begeisterungsfähigkeit, Zeiten der Stille. Das ist doch alles leichter gesagt als getan. Ist es nicht vielmehr so, dass wir trotz unseres Bemühens oft enttäuscht am Ufer zurückbleiben? Unsere Tiefsinnigkeit hat uns in Stürme und Winde getrieben. In unserem Verlangen nach Vielfalt haben wir uns selbst verloren. In unsrer Begeisterung haben wir uns selbst gefeiert und unsre Stille hat uns still gemacht. Dort sitzen wir, enttäuscht vom schlechten Fang und müssen feststellen, dass uns die Kraft fehlt, Men-schen wirklich festzuhalten. Tiefsinnigkeit, Vielfalt, Begeisterungsfähigkeit, Zeiten der Stille. Muss man nicht zusammenbrechen unter dieser Wucht von Verantwortung? Und überhaupt: Sind wir es nicht, die selbst noch einmal herausgezogen werden müssten aus den Tiefen und Untiefen des eigenen Lebens? Also lasst uns die Netze einpacken. Das Menschenfischen ist nun eindeutig eine Nummer zu groß für uns.

Ja, man könnte resignieren vor dieser Aufgabe des Menschenfischens. Pannen und Miss-erfolge gehören scheinbar dazu. Doch müssen wir deshalb unsere Netze vorzeitig einpacken? Stattdessen sollten wir einen letzten Blick in unseren Predigttext werfen. Wie reagiert Jesus eigentlich auf den Kniefall des Petrus? Nimmt er ihn ins Kreuzfeuer der Vorwürfe? "Petrus, wenn du nicht wieder alleine auf die Beine kommst kann ich dich nicht gebrauchen. Im Fischereigeschäft sind Steh-auf-Männchen gefragt!" Ganz im Gegenteil, Jesus spricht die Worte, die bis heute Grundlage für jeden Menschenfischer sind: „Fürchte dich nicht.“ Diese tröstende Zusage ist es, die Petrus neuen Mut fassen läßt. Und auch uns gilt dieser Trost: Fürchte dich nicht, trotz aller Ängste und Sorgen, die mit dem Menschenfischen verbunden sind! Wirf mutig deine Netze aus, denn er ist bei dir. Er lässt dich nicht allein.

Liebe Seminargemeinde, Fischen will gelernt sein und das Menschenfischen erst recht. Es ist wohl eine lebenslange und immer wieder neue Herausforderung Menschen zu erreichen, ihre Sprache zu sprechen, ihnen entgegen zu gehen und sie dort abzuholen wo sie in ihrem Leben stehen. Zum Glück steht all unser Tun unter der Überschrift „Fürchte dich nicht.“ Und Kopf hoch, es ist nicht irgendjemand, der uns diesen Trost zuspricht. Es ist Gottes Sohn selbst und in ihm ist schließlich der Meister aller Menschenfischer vom Himmel gefallen.

Christian Jung
chrischi.jung@t-online

 

 


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