Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Weihnachten, 24. Dezember 2003
Predigt übe
r Titus 2, 11-15, verfaßt von Friedrich Weber
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


(Predigt zum Gottesdienst am 24.12.2003 um 23.00 Uhr im Dom St. Blasii zu Braunschweig)

Die heilsame Gnade

11 Denn es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen 12 und nimmt uns in Zucht, dass wir absagen dem ungöttlichen Wesen und den weltlichen Begierden und besonnen, gerecht und fromm in dieser Welt leben 13 und warten auf die selige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unseres Heilands Jesus Christus, 14 der sich selbst für uns gegeben hat, damit er uns erlöste von aller Ungerechtigkeit und reinigte sich selbst ein Volk zum Eigentum, das eifrig wäre zu guten Werken. 15 Das sage und ermahne und weise zurecht mit ganzem Ernst. Niemand soll dich verachten.

Liebe Gemeinde!

Ich feiere gerne Weihnachten und vorbereitet bin ich auch: Die Weihnachtsbotschaft vom Kind geboren in Bethlehem, aber auch Äußeres hat dazu beigetragen, auch mancher Weihnachtsmarkt, der Schmuck in den Fenstern und an den Häusern. Musik, Lieder anders als sonst – bekannt, vertraut, an Dimensionen meines Lebens rührend, sie weckend, die sonst eher brach liegen, schwingen durch diese Tage und in mir. Es ist etwas anderes als sonst und, weil ich das erlebte, deswegen habe ich auch die Beschleunigung dieser Zeit ausgehalten. Ich wusste zwar, dass noch so viel zu erledigen blieb. Und fragte mich im Stillen: Schaffe ich das? Erreiche ich nur erschöpft das Ziel, die Heilige Nacht?

Ja, sie ist und war das Ziel meines adventlichen Weges und nun bin ich da mit Ihnen, mit Ihnen, Alten und Jungen, Männer und Frauen, Belasteten und Fröhlichen, Trauernden und Glücklichen. Nun bin ich angekommen in der Heiligen Nacht. Der Weg war noch nicht das Ziel. Das Ziel ist jetzt erreicht mit Ihnen hier im Dom. Wir sind angekommen. So, wie die Hirten damals von ihrer Arbeit, aus der Nacht, vielleicht aus der Verwirrung ihres Lebens sich aufmachten und stolpernd über die von Steinen belasteten Felder dem Licht entgegen zum Kind in der Krippe kamen. So sind auch wir gekommen.

Ich feiere gerne Weihnachten, und ich feiere gerne Weihnachen mit Ihnen. Menschen aus ganz unterschiedlichen Lebenslagen, auf ganz unterschiedlichen Wegen hier hergekommen. Menschen, denen dieser Raum vertraut ist und anderen, die sich ihm nur behutsam nähern. So war das immer zur Heiligen Nacht von Anfang an. Die Heilige Nacht bringt Menschen auf den Weg, unterschiedliche, sie führt sie zusammen. Und Manche und Mancher fragt sich, wieso eigentlich, wieso ich, wieso ich hier? So wird es auch den Hirten gegangen sein und später den Königen. Wieso ich, wieso ich hier?

Ist es dieser Raum, der Dom? Ist es die Musik? Ja, das ist es auch alles, aber eines kommt hinzu, das eine, das den Dom, das die Musik, das unser Empfinden bestimmt: Es ist Heilige Nacht, ein Kind ist geboren.

Seltsam eigentlich, dass dieses Geschehen solche Wirkung hatte und hat. Mit dem Kind hat es zu tun. Mit dem Kind, schwach und hilflos wie alle Kinder, angewiesen auf Fürsorge und Begleitung, auf Eltern, auf Menschen.

Das Ungewöhnliche, das Neue, das, was dieser Nacht noch einmal Glanz gibt: Gott ist im Kind erschienen, im Kind!

Und damit beginnt die Umkehrung des Üblichen: Der Allmächtige selbst übernimmt die Rolle des Schwächsten und dann geht es weiter so mit diesem Gott und seiner Menschlichkeit. Er sieht die Traurigen und Fröhlichen. Er steht an ihrer Seite und lebt mit beiden. Armen und Reichen, Gesunden und Kranken, Menschen wie Sie und ich, und er wirkt so, dass ein verschlossenes Leben sich neu öffnet, dass vermeintlich unheilbare Krankheit überwunden wird, dass Menschen Schuld, die sie quält, abgeben können, und dass sie neu beginnen können mit sich, mit anderen. Er macht klar: ausgegrenzt wird niemand und keiner und keine wird zurückgelassen. Das ist neu, das ist anders, als wir es sonst so kennen und praktizieren. Kein Selektionsprinzip, nicht, der Stärkste wird es machen. Ein Kontrastprogramm des guten Lebens ist das. Alleine aus ihm lässt sich begründen und herleiten, was unser Leben möglich werden lässt. Gegen das Selektionsprinzip steht das Barmherzigkeitsprinzip.

Gott im Kind begehrt auf gegen die Selektionen der Schwachen und Unangepassten. Und wir haben es schon immer geahnt: Das Selektionsprinzip, das „Einer frisst den Anderen-Prinzip“ gibt aus sich selbst heraus keine Argumente dafür, den Alten ein gutes Leben zu ermöglichen, Behinderten einen Platz in unserer Gesellschaft zu öffnen und sich um Kranke zu kümmern. Das aber ist Kultur des Lebens. Dort begann sie, mit diesem Gott als Kind, als Liebender. Seine Ankunft in dieser Welt ist Zeichen dafür, dass Terror und Gewalt nicht das letzte Wort haben, sondern, dass die Liebe nur die Herzen zum Frieden und zum guten Leben wenden kann. Ob es das ist, was uns hierher führt? Die Ahnung, dass wir für unser Leben mehr brauchen, als das, was wir uns selber geben können?

Ja, das ist es, das ist das Geheimnis dieser Nacht. Für alle Menschen ist etwas in die Welt gekommen. Für alle ist etwas da, was gut ist, was die Verhältnisse ändert. Für alle ist etwas in die Welt gekommen zum Heil. Gnade ist in die Welt gekommen , damals in der Heiligen Nacht. Gnade und Barmherzigkeit für alle und sei ihr Leben noch so hart, noch so mühsam, noch so verschieden, noch so verloren. Gnade ist erschienen! Daran ist nichts mehr zu ändern.

Ohne uns zu fragen, ohne unsere Zustimmung abzuwarten, hat Gott gehandelt, das glauben wir Christen und Christinnen. Gnade ist nicht ein ewiges Gerücht, wie Max Frisch in seinem Theaterstück „Andorra“ sagt. Gnade ist kein ewiges Gerücht. Sie ist eine historische Tatsache. Sie ist erschienen im Kind, sie ist uns geschenkt damals in Bethlehem, bleibend geschenkt in der Liebe Jesu, ein Lebensangebot.

Martin Luther beschreibt dies einmal so (WA 12, 557, 15-18): „Man kann Gott nicht höher loben noch preisen, Ehre geben und nachsagen, als wenn wir bekennen, dass er aus lauter Gnade und Barmherzigkeit von uns Sünde, Tod und Hölle nimmt und für unseren lieben Sohn gibt und uns seine Güte alle miteinander schenket.“

Und damit habe ich den so theoretisch klingenden ersten Vers unseres Predigttextes aus Titus 2, 11-14 abgeschritten. Das ist gemeint mit dem altertümlichen Satz:: „Denn es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen.“

Darum also feiern wir - eigentlich gegen alle Vernunft, denn auch unser adventliche Weg bis hierher war von den üblichen Gewaltakten, den Anschlägen, den Katastrophenmeldungen bestimmt und das nicht nur im Großen. Auch in unseren persönlichen Lebenszusammenhängen gab es das oft genug, eher Leben ohne Gnade, als, „die Gnade ist erschienen“.

Und dennoch, gerade darum feiern wir. Gnade ist da und sie wirkt. Im Text wird sie wie eine Pädagogin beschrieben: „Und nimmt uns in Zucht, dass wir absagen dem ungöttlichen Wesen und den weltlichen Begierden und besonnen und gerecht und fromm in dieser Welt leben.“ Sie hilft uns, uns gegen den Missbrauch unseres Lebens zu wehren. Sie hilft uns, „Nein“ zu sagen. Sie macht uns frei, weil wir – mit ihr beschenkt - durchschauen lernen, was uns unfrei macht. Unser Leben kann neu werden, so wie damals Leben neu wurde. Die Gnade wirkt und sie öffnet den Horizont des Lebens, denn, es heißt weiter im Text: „Und warten auf die selige Hoffnung und Erscheinen der Herrlichkeit des großen Gottes unseres Heilands, Jesus Christus, der sich selbst für uns hingegeben hat, damit er uns erlöste von aller Ungerechtigkeit und reinigte sich selbst ein Volk zum Eigentum, das eifrig wäre zu guten Werken.“

Die Zukunft ist nicht mehr verschlossen. Ich glaube, das hilft uns auch die gegenwärtigen Probleme unseres Landes recht zu sehen: Probleme in Familien, Wirtschaft, Arbeitsmarkt, Gesundheit. Da will uns mitunter die Zukunft verschlossen erscheinen. Aber sie ist es nicht und alleine, dass wir hier sind in dieser Kirche, in der seit mehr als 800 Jahre Weihnachten, die Ankunft, das Geschenk der Gnade für unsere Welt gefeiert wird, ist eine kräftige Demonstration für die Kraft und die Zuversicht, die vom Kind in der Krippe und vom Barmherzigkeitsprinzip Gottes ausgeht. Er ist gekommen und die Zukunft dieser Welt ist auf ihn hin geöffnet. Und damit kommt das, was von Gott an Güte und an Liebe für diese Welt freigesetzt ist auch in unser Leben hinein.

Ich feiere gerne die Heilige Nacht, weil diese Feier meinen Horizont öffnet, weil sie mich mit Menschen so unterschiedlichen Herkommens zusammenbringt und weil sie eine kräftige Demonstration der Gnade Gottes ist und die können wir gebrauchen.

Amen

Landesbischof Dr. Friedrich Weber
Braunschweig
http://www.landeskirche-braunschweig.de


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