Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

1. Sonntag nach Epiphanias, 11. Januar 2004
Predigt übe
r Psalm 8, verfaßt von Erik Høegh-Andersen (Dänemark)
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Psalm 8 (Dänische Perikopenordnung, alttestamentliche Lesung)

Zu allen Zeiten hat es Menschen gegeben, die ihren Blick zum Himmel gerichtet haben, den Mond und die Myriaden von Sternen am Himmel gesehen haben und die in Ehrfurcht, Bewunderung, Begeisterung sich selbst gesagt haben: So prächtig, so unfaßbar ist der Himmel Gottes also - sein Name ist herrlich in allen Landen.

Und zu allen Zeiten hat es Menschen gegeben, die über die Erdoberfläche gesehen haben, die redenden Konturen und Formationen der Landschaft, die Mannigfaltigkeit an Pflanzen und Tieren, die wir um uns haben, und die dazu beitragen, unsere Welt schön und lebendig zu machen, bewegend und unendlich variiert und reich.

Zu allen Zeiten hat es Menschen gegeben, die sich von der Schönheit der geschaffenen Welt haben mitreißen lassen und die dann gedacht haben: Was ist der Mensch, gemessen an deinem Himmel, Gott, gemessen an der unfaßbaren Pracht des Schöpfungswerkes? Ja, was ist ein Mensch?

Der Psalmist, dessen Worte wir heute zu Beginn gehört haben, hat dagestanden und so vor etwa dreitausend Jahren gefragt. Und die Antwort, mit der er sich versuchte, war die: Auch wenn der Mensch in gewisser Weise gemessen an der unermeßlichen Weite des Himmels ein Nichts ist, so gedenkt Gott seiner dennoch und sorgt für ihn. Ja auch wenn der Mensch klein und verletzbar ist, so ist er dennoch das Feinste und Edelste, was Gott geschaffen hat. Er ist nur wenig niedriger als Gott, sagt der Psalmist. Gott hat ihn mit Ehre und Herrlichkeit gekrönt, und er hat ihn eingesetzt als König und Herrscher über sein unermeßliches Werk.

Der Mensch ist also Vollendung und Höhepunkt der ganzen Schöpfung, das, was Gott am nächsten kommt - so wie im Schöpfungsbericht im 1. Buch Mose, wo Mann und Frau als das Höchste und Feinste zu allerletzt geschaffen werden. Dem Menschen ist deshalb auch die enorme Verantwortung übertragen, an Gottes statt für diese Welt zu sorgen. Zugleich ist er selbst verletzbar und verwundbar - und eben in dieser Verletzlichkeit erweist sich seine Macht.

"Aus dem Munde der jungen Kinder und Säuglinge hast du eine Macht zugerichtet um deiner Feinde willen", sagt der Psalmist. Kinder und Säuglinge - was zählt, ist also nicht die äußere Macht und Vollkommenheit, sondern das wehrlose, verletzliche Leben, das wie das Kind wie nichts beiseitegeschoben werden kann. Ja, die Größe und Macht Gottes setzt sich vor allem dort durch, wo das Leben am allerververwundbarsten ist. Dort ist die Wahrheit, der Sinn des Lebens, und dort müssen Rachsucht, Bosheit, Feindschaft letztlich aufgeben.

All das hat der Dichter oder Psalmist also gedacht, als der vor dreitausend Jahren dastand und den nächtlichen Sternenhimmel betrachtete.

Merkwürdig, daß wir in der Tat noch immer heute unter dem Himmel stehen können, mit derselben Verwunderung, mit demselben schwindelerregenden Gefühl und denselben Gedanken über das, was unser Leben in seinem großen Zusammenhang bedeutet.

Auch wenn wir nicht mehr mit derselben Selbstverständlichkeit Gott als den sehen, der im Jenseits ist, hinter den Sternen, und auch wenn wir heute viel mehr als früher über das Universum und die Planeten und die Sterne wissen und darüber, wie das alles entstanden ist. Wir wissen fast alle etwas über Galaxen und schwarze Löcher und Big Bang und physikalische Gesetze, die relativiert oder verändert werden, wenn wir uns in den Makrokosmos begeben, das unermeßliche Universum. Wir wissen, daß der Himmel nicht nur ein Dach oder ein Deckel über uns ist, wie es der Psalmist vor dreitausend Jahren unmittelbar meinte, sondern daß das Universum unfaßbar groß ist, unendlich. So wie wir heute auch von den mikrokosmischen Welten wissen, mit Kernkraft und Elementarpartikeln, die nie jemand mit dem bloßen Auge wird sehen können.

Wir stehen wir einer schwindelerregenden Unüberschaubarkeit, im Großen wie im Kleinen, und das wissen ja auch die meisten Naturwissenschaftler. Aber mitten in all dem Schwindelerregenden und Unverständlichen ist das Merkwürdigste und Unverständlichste dennoch die Frage, wie das Leben und der Mensch entstanden sind. Handelt es sich nur um einen reinen Zufall, daß es Menschen gibt, und hat das letztlich überhaupt keinen Sinn? Oder ist es so, daß das Menschenleben in gewisser Weise von Anfang an einprogrammiert gewesen ist und daß der Mensch als eine Möglichkeit von Anfang an mitgedacht war?

Solche und andere schwindelerregende Fragen stellen heutzutage Atomphysiker, Biologen, Wissenschaftler aller Art. So kommt es mir jedenfalls vor. Einer von ihnen ist der dänische Atomphysiker Jens Martin Knudsen, der vor allem wegen seines Engagements in der Frage bekannt ist, ob es auf dem Mars Reste von Leben gibt.

Er sagt: "Ich bin jedenfalls überrascht. Überrascht über das wunderbare Leben. Einige meiner Kollegen sagen, daß ich den lieben Gott hier einschmuggele. Aber die Pastoren haben ja alle Fakten auf ihrer Seite. Das Leben ist unfaßbar und wunderbar, es ist ein Wunder .... Wir können die Sterne verstehen, wir können einen Planeten verstehen, selbst ein sogenanntes schwarzes Loch und einer supernova Explosion können wir in den Gleichungen der Physik sehen. Aber das Leben selbst ist eines der größten Rätsel des Universums ... Das Menschenleben, das mit seinen Taten und seinem Alter nur wie ein Hauch in der langen Geschichte der Erde ist. Was wird in den nächsten tausend Jahren geschehen? Gar nicht zu reden von den nächsten Millionen Jahren? Was ist wohl die Rolle des Lebens in der großartigen Entwicklung des Universums, und was ist die Rolle des Menschen unter Millionen von Sternen? ... Ja, was ist ein Mensch?". Und Jens Martin Knudsen fährt fort: "Die alltäglichen Dinge, die wir um uns sehen, ein Blatt, einen Baum, eine Rose, ein Kind - wie sind sie nur aus der Wolke von Staub hervorgegangen, der einmal vor langer Zeit die Sonne umgab? Wir ist die Grundlage für die Musik Mozarts und die Farben van Goghs und die Worte Tolstois entstanden, als die Erde vor Milliarden von Jahren entstanden ist? Wie kann man überhaupt diesen Fragen entgehen?"

Das klingt wie ein Echo auf die fragende Verwunderung, die wir in dem alttestamentlichen Psalm fanden. Wenn wir in die Sternennebel des Universums sehen, was ist da ein Mensch, ein Menschenkind, daß du dich seiner annimmst? Wozu sind wir da, so verletzlich und prächtig das Leben ist, so ohnmächtig und mächtig zugleich?

Es ist, als würde einem noch schwindeliger, je mehr man vom Universum und dem Leben in seiner Mannigfaltigkeit und seinem Reichtum weiß. Es war ansonsten viele Jahre so, als ob man glaubte, die Naturwissenschaft mache unsere Welt kalt und gottlos. Als würde eine Entzauberung der gottgeschaffenen Welt stattfinden. Das alles könnte ja auf physikalische Gesetze und Gleichungen reduziert werden. Religion oder Christentum war nur ein menschliches oder existenzielles Anliegen, sagte man, und hatte in sich nichts mit der Natur oder dem Kosmos zu tun.

Aber so braucht es nicht zu sein. Im Gegenteil! Die religiösen Fragen stellen sich gerade in all dem, was wir wissen, und sie stellen sich unerhört unabweisbar, aufdringlich, schwindelerregend und offen. Wir bekommen natürlich keine sicheren Erklärungen, aber in dem enormen Universum wird also auf das Menschenleben als den Ort des Wunders und der Wahrheit verwiesen.

Es geht also darum, Mensch zu sein, und dies ganz und gar, und nichts anderes als das. Zum Menschsein gehört, daß man neugierig ist und sich wundern kann und sich überraschen läßt. Zum Menschsein gehört, nach dem Sinn und der Wahrheit in unserem Leben zu fragen. Zum Menschsein gehört, daß man Verantwortung trägt, mit all der Macht, die wir haben. Denn wir sind eingesetzt als Herrscher über das Leben der Erde zu wachen, und das ist riskant, da wir imstande sind, alles Leben auf der Erde auszulöschen. Aber zum Menschsein gehört auch, daß man demütig ist und dankbar, so verletzlich und abhängig wir auch sind. Wir sind dazu geschaffen zu geben und zu empfangen, dazu geschaffen, in der verletzlichen und dennoch wunderbar starken Macht der Liebe zu leben.

Es gibt auch eine Macht, die sich als Rachsucht und Gewalt durchsetzt, eine Macht, die wir nur allzu gut kennen, aber das ist eine Pervertierung unseres Lebens.

Das Stärkste und Wahrhaftigste zeigt sich dann, wenn wir so wehrlos sind wie das Kind. "Aus dem Munde der jungen Kinder und Säuglinge hast du eine Macht zugerichtet um deiner Feinde willen", sagt der Psalmist. Oder wie Jesus es im Evangelium formuliert: Wir kommen erst dann in das Reich Gottes, wenn wir es wie ein Kind empfangen, dort, wo wir so ausgeliefert und verwundbar sind wie das Kind, das nichts anderes kann als empfangen, dort, wo wir alle Abwehrhaltungen und Hinterhalte aufgeben und uns der Liebe hingeben, dort haben wir Anteil am Entscheidenden, dem Reich Gottes, dem Leben, zu dem uns Gott von Anfang an geschaffen, oder, wenn man so will, programmiert hat.

Aber weil wir nicht mehr imstande sind, nur Menschen zu sein, sondern es voll sein sollen. Weil wir nicht mehr imstande sind, das Rätsel zu ergründen, das Geheimnis des Menschenlebens. Weil wir die Wege der Gewalt und der Macht gewählt haben, ja weil wir in derselben Weise in unserem Leben entartet und verblendet sind - ja deshalb hat uns der unsichtbare Gott, der Gott des Himmels, in der Fülle der Zeit sein Bild gezeigt. Er wurde als Mensch geboren, damit wir nicht mehr daran zweifeln sollen, wer er ist und wozu er uns geschaffen hat. Er ließ die Wahrheit, den Sinn, der von Anfang an im der Schöpfung mitbedacht war, für uns sichtbar werden. Das ist ja eben das, was uns das Evangelium im Innersten sagen will.

In Jesus können wir nun sehen, wer Gott ist und wer wir sind. Nicht einer genau festgelegten Form. Das Leben der Liebe darf und soll stets variieren, ja nach dem, wo man ist und wer man ist. Aber in Christus sehen wir klarer als irgendwo sonst die zugleich verletzliche und wunderbar starke Macht der Liebe. Wir sehen eine Liebe, die sich nicht verschanzt, sondern wehrlos wie das Kind in den Tod geht und damit dem Tode die Macht nimmt. Wir sehen eine Liebe, die das Leben für uns neu macht und die uns in das Leben zurückholt zu dem wir geschaffen sind.

Das ist nicht eine Liebe, die nur zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Geschichte entstanden ist, das ist eine Liebe, die Gott von Anfang an in sich als Gedanken gehabt hat, als einen Traum. Christus war sozusagen von Anfang an bei Gott. Davon hören wir heute in dem sehr schönen Hymnus als dem Kolosserbrief:

Christus ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes,
der Erstgeborene vor allen Kreaturen.
Denn in ihm ist alles geschaffen,
was im Himmel ist und auf Erden,
das Sichtbare und das Unsichtbare,
es seien Throne oder Herrschaften
oder Reiche oder Gewalten;
es ist alles durch ihn und zu ihm geschaffen.
Und er ist vor allem,
und es besteht alles ihn ihm.
Und er ist das Haupt des Leibes,
nämlich der Gemeinde.
(Kol. 1,15-19)

Ein phantastischer Hymnus. Er steht in gewisser Weise als eine poetische, suchende, rätselhafte Antwort auf die Fragen, die uns schwindlig machen.

Was ist das Menschenleben in bezug auf das unendliche Universum? Warum sind wir hier? Wo ist die Wahrheit? Sind wir nur ein Zufall im Chaos der Materie, oder sind wir Teil der göttli­chen Mathematik? Sind wir dabei als ein Traum oder eine Möglich­keit im Denken Gottes von Anfang an?

Die Antwort des Kolosserbriefes ist die, daß wir in Christus den Traum sehen, der die Energie, die Triebkraft in der göttlichen Schöpfung von Anfang an war. Christus ist zugleich ein Bild des unsichtbaren Gottes und des Menschen, auf den die gesamte Schöpfung und somit die Entwicklung des ganzen Universums hinweist.

Christus, dessen Macht verletzlich ist wie die des Kindes und dennoch stärker als alle andere Macht. Alles besteht durch ihn. Er soll das Haupt des Leibes sein, unseres Lebens miteinan­der. Die Seele in unserer Gemeinschaft, der Kirche.

Ein Christ sein heißt, stets zu fragen und sich zu wundern und zuzuhören - und Antwort zu finden in ihm. Amen.

Pfarrer Erik Høegh-Andersen
Prins Valdemarsvej 40
DK-2820 Gentofte
Tel. ++ 45 - 39 65 43 87
e.mail: erha@km.dk


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