Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Letzter Sonntag nach Epiphanias, 1. Februar 2004
Predigt übe
r 2. Korinther 4, 6-10, verfaßt von Gerhard Prell
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Gott, der sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsere Herzen gegeben, daß durch uns entstünde die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi.
Wir haben aber diesen Schatz in irdenen Gefäßen, damit die überschwengliche Kraft von Gott sei und nicht von uns.
Wir sind von allen Seiten bedrängt, aber wir ängstigen uns nicht.
Uns ist bange, aber wir verzagen nicht.
Wir leiden Verfolgung, aber wir werden nicht verlassen.
Wir werden unterdrückt, aber wir kommen nicht um.
Wir tragen allezeit das Sterben Jesu an unserem Leibe, damit auch das Leben Jesu an unserem Leibe offenbar werde.

Liebe Gemeinde,

in seinem letzten großen Roman lässt Thomas Mann den Titelhelden, den späteren Hochstapler Felix Crull, ein Kindheitserlebnis schildern, dass für sein ganzes späteres Leben von entscheidender Bedeutung sein sollte.
Es handelt vom ersten Theaterbesuch.
Dem zwölfjährigen erscheint das Theater wie eine „Kirche des Vergnügens“, in der die Menschen voller Entzücken „mit offenen Mündern zu den Idealen ihres Herzens“ emporblicken dürfen.
Im hellen Licht der Scheinwerfer tritt ein begnadeter Schauspieler auf, der Inbegriff eines strahlenden Helden, der alle Schwierigkeiten des Lebens mit Bravour und Leichtigkeit meistert. Alle Herrlichkeit der Welt scheint in ihm personifiziert zu sein.
Als der Junge dann freilich nach der Vorstellung in die Garderobe des Schauspielers geführt wird, zeigt sich ihm ein ganz anderes Bild. Die Scheinwerfer sind verloschen, die Perücke abgenommen und die Schminke entfernt. Und was nun vor dem Spiegel sitzt, ist ein ältlicher Mann mit Glatze, der billige Witze reißt..

Da wird dem Heranwachsenden deutlich, was für uns Heutige im Zeitalter von Film und Fernsehen ja noch in weit stärkerem Maße gilt: Wir Menschen verehren den schönen Schein und verdrängen gerne das oft so armselige Sein. Wir haben eine große Sehnsucht nach Herrlichkeit und Glanz, gerade dann, wenn die Wirklichkeit uns so wenig Glanzvolles bietet.
Und nicht anders als die Jünger Petrus, Jakobus und Johannes im Evangelium des heutigen Sonntags wünschen auch wir uns oft eine „Kirche des Vergnügens“, in der wir mit offenen Mündern zu den Idealen unseres Herzens emporblicken können. Denn selten genug bietet sich uns die Gelegenheit, dass wir von unserer Kirche und Gemeinde sagen könnten: Hier ist gut sein, hier lass uns Hütten bauen.

Dabei sehnen wir uns ganz zu Recht, wenn schon nicht nach dem schönen, so doch nach dem hellen Schein. Mehr noch: Paulus nennt diese Sehnsucht eine gottgewollte Sehnsucht.
Gott selbst, der im Anfang das Licht aus der Finsternis hervorleuchten ließ , schreibt der Apostel, der hat einen hellen Schein in unsere Herzen gegeben, dass durch uns entstünde die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes im Angesicht Jesu Christi.
Dieser helle Schein in unseren Herzen ist also eine Wirklichkeit und ein Schatz, ein Kleinod, ebenso wie die Auferstehung Jesu Christi eine Wirklichkeit ist für unseren Glauben und der einzige Schatz der uns bleibt, wenn wir von dieser Welt müssen.
Und wo unser Sein diesem Schein nicht entspricht – noch nicht entspricht – da sehnen wir uns ganz zurecht nach der Hütte Gottes bei den Menschen , wie es die Offenbarung des Johannes sagt. Und also danach, dass die Wirklichkeit der Auferstehung unsere Wirklichkeit verwandelt.

Und Gott sei Dank dürfen wir es zu Zeiten erfahren, dass dieser helle Schein mehr ist als nur eine Sehnsucht in unseren Herzen. Gott sei Dank erleben wir Glanzpunkte im Leben der Kirche und unserer Gemeinde, wo wir etwas spüren von der Freude und von dem Vergnügen unseres Glaubens. Wo wir mit offenem Mund staunen dürfen. Und wo wir mitgerissen werden von der Begeisterung der frohen Botschaft.
Da ist etwa der Kirchentag, der mitreißende Gottesdienst am Schluss, den über 100.000 vor allem junge Menschen feiern. Junge Menschen, die wir an einem Sonntag wie heute im Gottesdienst so schmerzlich vermissen.
Da ist die mitreißende Predigt eines begnadeten Predigers. Oder das Gemeinschaftserlebnis beim Feierabendmahl. Oder die Band mit ihren zeitgemäßen Musikstücken.
Da können wir sie spüren, die „ Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes“ , und ein frisches Wehen geht durch die Gemeinschaft der Versammelten.
Wer hat sich da nicht schon einmal gefragt, warum es denn nicht immer so sein könnte in unseren Gottesdiensten?

Eine Kirche, die so reich begnadet ist, die in sich solche Schätze birgt, warum ist die nicht immer eine Kirche des Vergnügens, sondern so oft eine Kirche der Langeweile und des Ärgernisses? Ein Schatz ist doch kein totes Kapital. Er will investiert sein in die Gemeinde.
Aber nun macht dieser Schatz, dieser helle Schein, den Begnadeten so reich, dass, wer ihn hat, leicht übermütig werden kann. Wir erleben es ja noch heute, wie allein schon der schnöde irdische Mammon Menschen stolz und hochmütig macht.

Wir erleben es, wie Menschen mehr und mehr verlangen, dass die „Highlights“ des Lebens zum Alltag werden sollen und jederzeit abrufbar. Vom „Luxus, den man sich täglich leistet“ spricht die Werbung. Und von „fun and action non stop“ manches Angebot im Internet. Wir hören von jungen Menschen, die nur noch „Spaß haben“ wollen. Und die alles einzig nach dem Lustgewinn bemessen, den es bringt.
Und nicht selten sehen wir uns mit der Erwartungshaltung gegen uns selbst und an andere Menschen konfrontiert, dass wir mehr darstellen müssen, als wir eigentlich sind. Nur der – so scheint es – hat im Leben Erfolg, der nach dem Leitspruch lebt: „Ein bisschen Schein, ein bisschen Schwein, wenig Sein und viel Design.“

Wie sollte also nicht erst dieser himmlische Schatz den, der ihn zu haben glaubt, stolz und hochmütig machen? Wie sollte dann nicht leicht der helle Schein zum bloß noch schönen Schein werden, der uns vergessen lässt, zu sein, was wir sein sollen: „Kirche für die Anderen“, wie es Dietrich Bonhoeffer formulierte. Läuft eine Kirche, die nur noch Kirche des Vergnügens wäre, nicht Gefahr, eine Kirche der Vergnügungssüchtigen zu werden? Eine Kirche, in der dann kein Platz mehr wäre für die Niedergeschlagenen und Leidtragenden, für die Verfolgten und Unterdrückten, für die Schwachen und Angefochtenen, die keine Freude am Leben mehr finden?

Gott kennt diese Gefahr und steuert ihr, indem er uns diesen Schatz vorsorglich in irdene Gefäße gab.
Wir haben diesen Schatz in irdenen Gefäßen . Paulus nennt die Trägerinnen und Träger, Besitzerinnen und Besitzer dieses Schatzes irdene Gefäße.
Er denkt dabei an eine Gepflogenheit der damaligen Zeit, der wir noch in unserem Jahrhundert die überaus wertvollen Schriftrollen - Funde von Qumran am Toten Meer verdanken. Vor allem in unsicheren Kriegszeiten wurden damals Gold, Schmuck, Schriftrollen und allerlei Wertgegenstände in großen Tonkrügen vergraben. Da sind sie dann dem Zugriff der Räuber und Plünderer entzogen, mottensicher und für Jahrhunderte vor Feuchtigkeit geschützt.
Aber diese Tonkrüge haben auch den Nachteil, dass sie zerbrechlich sind.
Man kannte damals metallene, hölzerne und irdene Gefäße. Und die irdenen waren die schwächsten. Ein kleiner Stoß, schon gab es Scherben.
Und nun vergleicht Paulus uns Christinnen und Christen mit solchem Geschirr.
Wir sind also für den hellen Schein ein recht trüber Schirm, und für den himmlischen Schatz alles andere als eine Luxus – Verpackung.
Begnadete Menschen haben es, sagt Paulus, unabdingbar nötig, solch fragwürdiges Geschirr zu sein, damit sie nicht eines Tages dem Wahn verfallen und der Versuchung erliegen, selber kräftig und große Lichter sein zu wollen, damit die überschwängliche Kraft von Gott sei und nicht von uns.

In vier schlichten Sätzen schildert Paulus die Zerbrechlichkeit der irdenen Gefäßes, die wir als Kirche, als Kirchengemeinde und als einzelner Christenmensch eben sind:
Wir werden von allen Seiten bedrängt, aber wir ängstigen uns nicht . Gerade weil wir Begnadete sind, sind uns Schranken auferlegt. Unsere Auswahl ist nicht reichhaltig. Gegen die zahllosen Showmaster, Pop – Stars, Top - Models und Sportler im Fernsehen können wir ebenso wenig anstinken wie gegen die Freizeitangebote vieler Vereine und Dienstleistungs- – Anbieter. Finanziell sind wir immer knapper dran. Aber ängstigen tun wir uns nicht. Und wir haben auch keinen Grund zur Sorge, denn zum Nötigen reicht es immer noch. Und vor dem Nichts brauchen wir nicht zu stehen. So gehören wir nicht zu denen, die mit ihrem Besitz prahlen, aber auch nicht zu denen, die gar nichts haben. Angeben nach Hochstapler – Manier und übertriebene Selbstdarstellung wären vermessen. Jammern und Klagen aber wäre undankbar. So hält Gott uns in einer Dauer – Abhängigkeit, die sich bei näherem Hinsehen als Freiheit erweist.

Uns ist bange, aber wir verzagen nicht. – im Griechischen heißt es: „weglos, ratlos“. Zur christlichen Existenz gehört es, dass wir oft den Weg nicht sehen und nicht wissen, was werden soll. Weder das Leben der Kirche noch das eines einzelnen Christenmenschen lässt sich vorausplanen. Und zukunftsfähig werden wir gewiss nicht dadurch, dass wir uns als Kirchengemeinde eine Art Unternehmenskonzept geben und Strukturen festlegen, die doch nichts weiter bewirken, als dass bestenfalls die Arbeit einzelner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein wenig übersichtlicher und leichter wird. Im ungünstigsten Fall aber schaffen sie nichts weiter als starre Machtverhältnisse und neue Hierarchien, die alles andere als motivierend sind für jemanden, der nicht an oberster Stelle steht.
Wir haben Fragen und stehen vor Rätseln. „Weiß ich den Weg auch nicht...“ – und „ich kann allein nicht gehen, nicht einen Schritt...“ Aber doch müssen wir nicht verzweifeln.
Wo zugegebenermaßen nach menschlichem Ermessen kein Weg mehr ist, da weiß der Glaube noch um einen Weg: „Weg hast du aller wegen, an Mitteln fehlt dir's nicht.“ In aller Ausweglosigkeit und Ratlosigkeit steht uns als Begnadeten noch immer das Gebet als Weg offen. Also: weder hektischer Aktionismus noch Verzweiflung und Resignation, sondern beten und flehen und dann arbeiten. Uns ist bange, aber wir verzagen nicht.

Wir leiden Verfolgung, aber wir werden nicht verlassen. – Gewiss, Verfolgung leiden wir ganz bestimmt nicht. Aber auch bei uns ist christliche Existenz alles andere als ein Garantieschein zum Schönhaben. Im Gegenteil, Paulus stellt hier den Gläubigen zu den gewöhnlichen und allgemein menschlichen Widerwärtigkeiten hinzu noch eine Extraportion in Aussicht, und das sind die Bekenntnisleiden. Das wird sich erst dann in vollem Umfang zeigen, wenn die Kirchenmitglieder tatsächlich in unserer Gesellschaft eine Minderheit werden. Wenn also erst einmal die Situation eingetreten sein wird, dass es nicht mehr als gut bürgerlich und opportun gilt, einer Kirche anzugehören. Werden wir dann noch den Glauben haben an den guten Hirten, der die Seinen kennt? Und den Mut, nicht dem Herdentrieb der anderen zu folgen, die in die Irre gehen wie Schafe? Gott verlässt die Seinen nicht. Sie stehen in seinem eigentlichen Dienst und er steht zu ihnen, mögen sie dann auch noch so klein und erbärmlich in der Gesellschaft dastehen.

Ja auch darin sind die Begnadeten nicht verlassen, wenn sie in der Verfolgung dann auch tatsächlich unterliegen. In diesem schlimmsten Fall gilt der vierte aller Sätze : Wir werden unterdrückt, aber wir kommen nicht um: wir werden „zu Boden gedrückt, aber nicht vernichtet“, wie es wörtlich heißt.
Als Stephanus, dieser besonders Begnadete, unter den Steinwürfen seiner Mörder einknickte und den Geist aufgab, da wurde er nicht vernichtet, da erfüllte sich vielmehr die Verheißung des guten Hirten: „Ich gebe ihnen das ewige Leben und sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen.“ Ja auch und sogar die Sache, für die ein Bekenner zu Boden geht und stirbt, wird durch den Tod des Bekenners weder zuschanden noch vernichtet, im Gegenteil: der Tod des Bekenners Christi ist der Sieg der Sache. Wir würden heute in Dietrich Bonhoeffer oder in Hans und Sophie Scholl keine leuchtenden Vorbilder sehen, wenn es nicht so wäre.

So schildert der Apostel das christliche Leben als einen Schatz in irdenen Gefäßen.
Was dabei herauskommt, ist sicher keine Kirche des Vergnügens. Aber eine Kirche der Wahrheit, der heiteren Gelassenheit und vor allem: eine Kirche der auch dann noch Vergnügten, wenn nichts mehr Vergnügen macht.
Was bei dieser Schilderung des Apostels auffällt, ist, dass er am christlichen Leben ein Anteilhaben an der Niederlage und am Sieg erkennt , am Leiden und Sterben, aber auch am Auferstehen Jesu Christi: „Wir tragen allezeit das Sterben Jesu an unserem Leibe, damit auch das Leben Jesu an unserem Leibe offenbar werde.“

Weiter fällt an der Schilderung des Apostels auf, dass er völlig ohne Nebenton darüber sprechen kann:
Ohne das hier so nahe liegende Selbstmitleid, ohne auch den menschlich so begreiflichen Märtyrer – Hochmut. Da ist nichts zu spüren von Wehleidigkeit und Larmoyanz, aber auch nichts von Bekenner – Pathos und Heldenbrust. Wie sollte es auch! Handelt es sich doch hier um Lebenszeichen des Auferstandenen und nicht um menschliche Leistung. Alles ist hier Gnade. Und nichts ist hier Selbstdarstellung. Weil die überschwängliche Kraft von Gott kommt und nicht aus uns selbst, ist es Gott selbst, der beides vollbringt: Die „Highlights“ im Leben einer Gemeinde – als Lebenszeichen des Auferstandenen. Und der alltäglich zu bestehende Ärger und Frust – als Zeichen, dass wir einem Gekreuzigten nachfolgen.

Liebe Gemeinde, wir feiern heute den letzten Sonntag nach Epiphanias, der zugleich der letzte Sonntag des Weihnachtsfestkreises ist. Der nächste Sonntag, „Septuagesimae“ heißt er, gehört als der erste Vorfastensonntag bereits zum Osterfestkreis. Und zwischen Weihnachten und Ostern liegt die Passion.

Auch unser menschliches Leben geschieht zwischen diesen beiden Polen: Der Niedrigkeit und dem Leiden einerseits – und der Herrlichkeit und den Freuden andererseits. So ist es.
Wir tragen in uns den hellen Schein des kommenden Lebens mit dem Auferstandenen. Und wir tragen an uns die ganze Last des Seins zum Tode. So sind wir zerbrechliche, irdene Gefäße eines Schatzes, dessen Kapitalerträge erst noch ausstehen.

Aber in diesem Leben kann nicht nur ein ältlicher Schauspieler mit Glatze die Rolle eines strahlenden Helden spielen und dennoch zu dem stehen, was er ist. Auch wir brauchen keine Hochstapler zu werden, nur weil die Welt den hellen Schein in unseren Herzen mit dem schönen Schein verwechselt und das Sein so gern verdrängt.
Wir dürfen Gott dankbar sein für die „Highlights“, in denen bei uns etwas aufleuchtet von dem hellen Schein in unseren Herzen, sodass durch uns tatsächlich andere Menschen erleuchtet werden zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes im Angesicht Jesu Christi entsteht. Aber dieses Angesicht ist auch das Angesicht eines Gekreuzigten. Und so brauchen wir uns auch unserer Schwachheit als irdene Gefäße nicht zu schämen, auch dann nicht, wenn die Welt den schönen Schein wahren will.
Weil wir das Sterben des Gekreuzigten immer an uns tragen, wird das Leben des Auferstandenen an uns offenbar werden zu der Zeit, die Gott gibt. Denn die Kraft dazu kommt von Gott und nicht aus uns selbst.

Amen.

Gerhard Prell, Pfarrer
Bad Endorf
eMail: Gary.P@gmx.de

 


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