Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Letzter Sonntag nach Epiphanias, 1. Februar 2004
Predigt übe
r 2. Korinther 4, 6-10, verfaßt von Christine Hubka
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Psalm 139 1 – 14
Leitvers: Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin.
Lesung Gen 2

"Denn Gott, der sprach: Aus Finsternis soll Licht aufleuchten!, er ist in unseren Herzen aufgeleuchtet, damit wir erleuchtet werden zur Erkenntnis des göttlichen Glanzes auf dem Antlitz Christi.
Diesen Schatz tragen wir in zerbrechlichen Gefäßen; so wird deutlich, dass das Übermaß der Kraft von Gott und nicht von uns kommt.
Von allen Seiten werden wir in die Enge getrieben und finden doch noch Raum; wir wissen weder aus noch ein und verzweifeln dennoch nicht;
wir werden gehetzt und sind doch nicht verlassen; wir werden niedergestreckt und doch nicht vernichtet.
Wohin wir auch kommen, immer tragen wir das Todesleiden Jesu an unserem Leib, damit auch das Leben Jesu an unserem Leib sichtbar wird."
2. Kor 4, 6 - 10

Der Töpfer benetzt seine Finger mit Wasser.
Er nimmt einen Klumpen Lehm.
Erde vom Acker

Unter seinen behutsam streichenden Händen
entsteht ein Gefäß.

Einzigartig ist es.
Handarbeit,
in die der Schöpfer seine Zärtlichkeit,
seine Liebe,
alles, was er zu geben hat,
hinknetet.

Das Gefäß ist fertig.

Wieder nimmt der Töpfer einen Klumpen Lehm.
Erde vom Acker.
Wieder entsteht ein irdenes Gefäß
unter seinen zärtlichen Händen
Einzigartig ist auch dieses.

So entsteht ein Gefäß nach dem anderen.
Jedes ist anders.
Jedes ist Handarbeit.
In jedes hat der Schöpfer
seine Liebe und seine Zärtlichkeit hinein geformt.

Und jedes, wirklich jedes, dieser irdenen Gefäße
ist zerbrechlich.
Und sehr verletzlich.

Mit der Zeit bekommen sie alle feine Risse in der Glasur.
Die Farben verblassen.
Dem einen fehlt ein Eck.
Beim anderen geht ein Sprung quer durch.

Da machte Gott der HERR den Menschen
aus Erde vom Acker
und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase.
Und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen.

Und jede und jeder ist zerbrechlich.
Und sehr verletzlich.

Schon die ganz frühen Jahre
hinterlassen Spuren:
Die Narbe am Knie
vom ersten Sturz mit dem Fahrrad.
Die Enttäuschung
über eine Ungerechtigkeit der Eltern.

Paulus drückt auf seine Weise aus,
was ihn verletzt und beschädigt:
Von allen Seiten werden wir in die Enge getrieben...
wir wissen weder aus noch ein...

wir werden gehetzt...

Du hast deine eigenen Erfahrungen -
und deine eigenen Worte für diese Erfahrungen.
Für manches haben wir auch keine Worte...

Ist euch bewusst,
dass diese Verletzlichkeit der Menschen,
mit denen wir es zu tun haben,
jedem von uns sehr viel Macht über andere gibt?
Unglaublich viel Macht!

Wir haben die Möglichkeit,
das, was Gott geschaffen hat,
zu beschädigen.
So, wie es mit ein irdenes Gefäß geschieht:

Ob jemand einen Moment unaufmerksam ist,
es aus Versehen es fallen lässt...

Ob es jemand nimmt
Und mit voller Wucht und Absicht
auf den Boden schmeißt...

Ob es kaputt geht,
weil jemand damit so umgeht,
wie die herumblödelnden Möbelpacker in der Werbung,
denen die Dinge, die ihnen anvertraut sind,
gleichgültig sind...

Am Ende ist da ein Sprung...
vielleicht sogar Scherben...

Aber wenn jemand fragt:
„Wie geht es dir?“,
antworte wohl nicht nur ich:
„Danke, gut!“
Ist es die Scheu vor dem mitleidigen Blick?

Und ich beobachte bei mir und bei anderen,
dass sie sich zufrieden geben mit dieser Antwort,
auch wenn sie aus einem traurigen Mund kommt.

Ich halte das nicht für ein Indiz,
wie hartherzig und kaltschnäuzig
wir miteinander umgehen.
Es ist für mich eher ein Hinweis auf das Gegenteil:

Ist es nicht so,
dass es weh tut, zumerken:
„Ich kann deine Verletzung nicht heilen.“

Und wenn da ein eigener Anteil ist an dieser Verletzung,
dann lässt die Scham verstummen.

Zu alledem kommt dann noch die Vorstellung,
so könnte es auch mir ergehen –
Das ist ein Gedanke der sprachlos machen kann.

Paulus wischt das alles mit einem Satz weg.
Er sagt:
Wohin wir auch kommen, immer tragen wir das Todesleiden Jesu an unserem Leib...
Was Menschen voreinander sorgsam verbergen,
Was Menschen aneinander übergehen,
was Menschen einander antun -
dem können wir nicht ausweichen,
wenn wir das Bild des Gekreuzigten anschauen:
Ein gebrochener,
ein zerbrochener Mensch.

Es geht aber nicht darum,
Mitleid zu empfinden,
mit dem „armen“ Menschen vor uns.
Denn der mitleidige Blick
schaut immer von oben herab.

Nicht „ach, der arme Jesus“ ist gefragt.
Denn nicht er ist arm,
Sondern:
Pilatus fällt das Urteil,
weil ihm im Grund
das Schicksal dieses Menschen gleichgültig ist.
Die Schriftgelehrten
wollen ihn mit voller Absicht zerstören.
Seinen Freunden ist nicht bewusst,
was sie anrichten
mit ihrer Feigheit und Unentschlossenheit.

Wenn wir das Bild des Gekreuzigten anschauen,
sehen wir:
Ein gebrochener,
ein zerbrochener Mensch.

Was sehen wir,
wenn wir einander ansehen?

Nehmen wir ausschließlich
Die Macken,
die Sprünge wahr,
die ja nie wirklich zu verbergen sind.
Oder sehen wir auch:
Dieser Mensch ist Handarbeit Gottes?

Paulus schreibt:
Diesen Schatz tragen wir in zerbrechlichen Gefäßen; so wird deutlich, dass das Übermaß der Kraft von Gott und nicht von uns kommt.

Der Schatz ist die Fähigkeit,
einander anzusehen und zu erkennen:
Du, ja, du mit deinen Tepschern,
bist Handarbeit Gottes.

Dich, ja dich,
wird Gott,
der dich geformt und gebildet hat im Mutterleib,
nicht aus seiner Hand fallen lassen.
Wie unansehnlich du dich auch empfindest.
Wie viele Beschädigungen du auch mit dir trägst.

Da vergeht das Mitleid –
und der Respekt stellt sich ein.
Da verwandelt sich die Verlegenheit –
in Staunen.
Und das Schuldgefühlt wird zur Bitte um Vergebung.

Paulus hält unseren Blick beim Gekreuzigten.
Damit wir sehen lernen,
dass auch das Leben Jesu,
den Gott festgehalten und auferweckt hat,
an unserem Leib sichtbar wird.

Lob sei Gott in Ewigkeit.

Christine Hubka
christine.hubka@gmx.at

 


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