Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Palmsonntag, 4. April 2004
Predigt über Philipper 2, 5-11, verfasst von Irene Mildenberger
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


5 Seid so unter euch gesinnt, wie es auch der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht:
6 Er, der in göttlicher Gestalt war,
hielt es nicht für einen Raub,
Gott gleich zu sein,
7 sondern entäußerte sich selbst
und nahm Knechtsgestalt an,
ward den Menschen gleich
und der Erscheinung nach als Mensch erkannt.
8 Er erniedrigte sich selbst
und ward gehorsam bis zum Tode,
ja zum Tode am Kreuz.
9 Darum hat ihn auch Gott erhöht
und hat ihm den Namen gegeben,
der über alle Namen ist,
10 dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie,
die im Himmel und auf Erden
und unter der Erde sind,
11 und alle Zungen bekennen sollen,
dass Jesus Christus der Herr ist,
zur Ehre Gottes, des Vaters.

Liebe Gemeinde!
Ein Lied singt Paulus uns vor.
Ein Lied von unserem Herrn, Jesus Christus.
Ein Lied, das uns einen Weg führt. Und der endet im gemeinsamen Bekenntnis und mit dem Lob Gottes: Jesus Christus ist der Herr, zur Ehre Gottes des Vaters.

Ein Lied, jeden Tag zu singen. Aber ganz besonders klingt es in diesen Tagen, ganz besonders heute, am Palmsonntag, am Beginn der Heiligen Woche.
Ein Lied für diese Tage, in denen wir den Weg Jesu bedenken, betrachten. Diesen Weg in unseren Gottesdiensten mitgehen, soweit wir das können.
Jesu Weg nach Jerusalem. Der Einzug voller Jubel in die Heilige Stadt.
Der Weg vom Abendmahlssaal über den Garten Gethsemane in die Gefangenschaft.
Vor die Richter und schließlich ans Kreuz und in den Tod.
– Und dann, nach der Nacht des Todes, nach der Grabesruhe, der Ostermorgen.

Am Palmsonntag beginnt er, dieser Weg des Leidens und Sterbens und der Auferstehung unseres Herrn. Und hat doch längst vorher schon begonnen.
Davon singt das Christuslied. Geht zurück zum ersten Anfang.
In der Schöpfungsgeschichte wird erzählt: Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. ... Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn.
Ein Bild Gottes also ist der Mensch, aber er ist doch nicht Gott gleich, wird es auch durch die Frucht des Baumes nicht. Die Schlange hat nur vorgegaukelt: Ihr werdet sein wie Gott.
Aber von diesem einen, von Christus, da singt unser Lied: Er, der in göttlicher Gestalt war .
Er war Gott gleich, war wie Gott.

Und was fängt er an mit seiner Gottgleichheit, was macht er daraus? – Nichts!
Er hält sie nicht fest, hält sich nicht an dieser Gottgleichheit fest. Er hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein . Er versteht das nicht als sein Privateigentum, das bei ihm bleiben und bei dem er bleiben will. So kann man diesen schwierigen Satz verstehen und übersetzen.
Er hält nicht fest an seiner besonderen Stellung, sondern lässt los. Lässt seine Gottgleichheit los. Und damit zugleich auch seine Freiheit.
Er wird ein Sklave. Einer, der nicht über sich selbst bestimmen kann, der seinen Weg geführt wird.

Er entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an,
ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt
.
Da hält das Lied uns einen Spiegel vor: Der, der nun nicht mehr göttlicher Gestalt ist, sondern Sklavengestalt hat, der ist nun ein Mensch, genau wie wir.
Nicht einfach, hier in das Lied einzustimmen, weil ich damit sage: Auch ich bin Sklavin, wenn Christus, in menschlicher Gestalt, mir gleich, ein Sklavendasein führt.
Aber wir können das Lied hier auch noch anders hören: Er ward den Menschen gleich, das heißt ja nicht nur, sein Weg führt nach unten, in die Unfreiheit, es bedeutet auch, er kommt zu uns, sein Weg führt ihn zu uns.

Und nicht immer sieht dieser Weg Jesu aus wie ein Abstieg. Gerade heute, am Palmsonntag, sehen wir eher das Gegenteil: Hosianna! Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn, der König von Israel!
Und dieser Jubel hat eine Vorgeschichte, eine Vorgeschichte, in der es um Tod und Leben geht: Das Volk aber, das bei ihm war, als er Lazarus aus dem Grabe rief und von den Toten erweckte, rühmte die Tat. Ein Vorgeschmack auf Tod und Auferstehung ist die Lazarusgeschichte. Martha, die Schwester des Lazarus, hört als erste das Jesuswort: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Die Orthodoxen Kirchen widmen diesem Vorgeschmack, dieser Vorausschau und Vorfreude einen eigenen Tag, den Lazarus-Samstag vor Palmsonntag.
Auch Jubel gehört also zu diesem Weg, den Jesus geht und den das Christuslied besingt, gerade am Lazarus-Samstag und am Palmsonntag. Aber zugleich die Feindschaft, die dieses Zeichen, dieser Hinweis auf Ostern hervorruft. Gerade wegen der Auferweckung des Lazarus wollen die Feinde Jesu ihn töten. Und nur die jubelnde Menge hält sie noch zurück: Ihr seht, dass ihr nichts ausrichtet; siehe, alle Welt läuft ihm nach.

Aber der Moment kommt, an dem die jubelnde Menge ihn nicht mehr schützen kann. Der Abstieg geht weiter, nach dieser Unterbrechung am Lazarus-Samstag und am Palmsonntag.
Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode.
Ein besonderes Sklavendasein ist das. Dieser Sklave ist gehorsam. Und damit anders als wir anderen. Er tut Gottes Willen.

Dass wir anderen den nicht tun, das ist ja gerade der Grund für seinen Weg. Das Lied sagt das nicht ausdrücklich. Aber als Felix Mendelssohn Bartholdy eine Kurzfassung dieses Liedes vertonte, da war es sicher nicht sinnentstellend, wenn er hinzufügte: „Um unserer Sünden willen hat sich Christus erniedriget, und ist gehorsam geworden bis zum Tode am Kreuz.“ (1) Von uns dagegen müssten wir sagen, wir sind ungehorsam bis zum Tod.
Jesu Gehorsam wird für uns besonders anschaulich am Gründonnerstag, in seinem Ringen in Gethsemane: Dein Wille, Gott, geschehe.

Er ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz. Diesen Hinweis auf das Kreuz hat wahrscheinlich Paulus in das Lied eingefügt, das er den Philippern und uns vorsingt. Als wollte er hier noch einmal verdeutlichen: Im Kreuz, im Zentrum des Weges ist alles zusammengefasst, was über Jesus Christus zu sagen und zu singen ist. Im Kreuz ist auch der Umschwung schon angedeutet, mit dem das Lied nun fortfährt. (Wie ja auch der Evangelist Johannes das Kreuz nicht einfach als Zeichen der Erniedrigung sieht, sondern zugleich als Zeichen der Erhöhung.)

Der große Umschwung in und aus der großen Tiefe. Der Moment n dem der Weg und damit auch das Lied seine Richtung völlig ändert. Ostern in Kurzfassung:
Darum hat ihn auch Gott erhöht
und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist.

Und was ist das für ein Name? Er hat doch schon so viele. Jesus, der Erlöser und Heiland, denn er wird sein Volk erlösen von ihren Sünden. Immanuel, der Gott mit uns. Christus, der Gesalbte Gottes, der Messias. Gottes Sohn. Kyrios – Herr.
Vielleicht ist ja der Name über alle Namen der, in dem alle anderen enthalten sind. Alle Namen, die jede und jeder von uns ihm gibt, alle Namen, mit denen wir ihn anrufen.
Vielleicht ist der Name über alle Namen auch unaussprechlich, wie der Name Gottes selbst.

Jedenfalls ist er über allen, ist ganz oben. Dort, wo der Weg des erhöhten Christus wieder angekommen ist.
Und doch geht er, der zu uns abgestiegen ist, nicht von uns weg. Auch als Erhöhter verliert er nicht seine Beziehung zu uns. Oder vielleicht müssten wir, dem Lied folgend, anders sagen: Nun kommen alle in Beziehung zu ihm, selbst die, die ihn bis dahin nicht kannten, ihm nicht begegnet sind. Alle erkennen ihn an: dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind.

Damit ist das Lied mit seinem Weg am Ziel angelangt: Beim Bekenntnis zu Jesus und beim Lob Gottes: Alle Zungen sollen bekennen, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.

Paulus singt uns dieses Lied vor. Er singt es uns vor, damit wir es lernen, es ihm nachsingen, mit einstimmen.
Es ist ein großes Lied und kein leichtes, das wir da mitsingen. Aber wir müssen ja nicht schon alles verstehen, was wir singen. Wir brauchen nicht schon den ganzen Weg wirklich zu kennen, den Jesus geht, und den wir in den nächsten Tagen mitgehen und feiern. Das können wir wohl gar nicht – ich jedenfalls kann es nicht.
Aber vielleicht wird mir ja jedes mal, wenn ich das Lied mitsinge, ein Stück davon verständlich. Vielleicht klingt es anders für mich, wenn ich es als Palmsonntagslied singe, als Karfreitagslied oder an Ostern. Und an Weihnachten werde ich noch einmal ganz neue Töne wahrnehmen.

Ich muss nicht alles verstehen, was ich singe, und ich muss das Lied nicht schon vom ersten bis zum letzten Wort können. Es ist ja kein Sologesang. Alle Zungen singen mit:

Christus Jesus, der in göttlicher Gestalt war,
hielt es nicht für einen Raub,
Gott gleich zu sein,
sondern entäußerte sich selbst
und nahm Knechtsgestalt an,
ward den Menschen gleich
und der Erscheinung nach als Mensch erkannt.
Er erniedrigte sich selbst
und ward gehorsam bis zum Tode,
ja zum Tode am Kreuz.
Darum hat ihn auch Gott erhöht
und hat ihm den Namen gegeben,
der über alle Namen ist,
dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie,
die im Himmel und auf Erden
und unter der Erde sind,
und alle Zungen bekennen sollen,
dass Jesus Christus der Herr ist,
zur Ehre Gottes, des Vaters.
Amen

Irene Mildenberger
Liturgiewissenschaftliches Institut der VELKD
Otto-Schill-Straße 2
04109 Leipzig
liturgie@uni-leipzig.de

(1) Felix Mendelssohn Bartholdy: Um unserer Sünden willen, aus „Sechs Sprüche“ op. 79.

 


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