Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

4. Advent, 19. Dezember 2004
Predigt über
Lukas 1, 26-38, verfasst von Alois Schifferle
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„Verheißung der Geburt Jesu“

In der Tradition und der Erwartung Israels spielt das „Haus Davids“ eine bedeutende Rolle: Der Messias ist ein „Sohn Davids“, und mit dem Geschick der Davididen sind das Volk Israel – und somit Maria und Josef besonders verbunden. „Der Engel trat bei ihr ein und sagte: Sei gegrüßt du Begnadete, der Herr ist mit dir [...]. Fürchte dich nicht Maria, denn du hast bei Gott Gnade gefunden“ (VV 28.30). Eine Aussage und nicht etwa ein Wunsch liegt im Wortspiel: „Begnadete“ und „du hast Gnade gefunden“. Sie, Maria, erfährt hier die Größe ihres Kindes: „Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden“ (V 38). „Sohn des Höchsten“ bedeutet: Auf dem Throne Davids, Herrscher über Israel – und „vom Heiligen Geist überschattet“ weist auf das Offenbarungszelt mit der Bundeslade hin (Ex 40,34f), auf die sich Gott niedergelassen hat. Maria glaubt und wird dadurch zum Vorbild des Glaubens schlechthin, uns geschenkt als Mitte und Mittlerin.

Wir hören wiederum die heiligen Texte von einer Jungfrau, die verlobt ist und einen Sohn gebärt, der groß sein und „Sohn des Höchsten“ genannt werden wird. Kein Gemälde vermag dies ganz zu fassen; keine Vertonung auszuschöpfen. Diese biblischen Erzählungen sind einfach und kunstvoll zugleich, sie reden offen und doch behutsam zugleich; sie preisen liebevoll, aber nicht aufdringlich. Gewiss gibt es von Anfang an auch das Ärgernis des Gegenteils: Nicht die Botschaft der heiligen Texte interessiert, sondern die ihnen zu Grunde liegende Wirklichkeit.

Verheißung der Geburt Jesu? Der Mensch ist in seinem Innersten auf Glück und Freundschaft angelegt. Er kann ohne Freude nicht leben. Freude setzt einen Grund voraus. Man kann sich nicht einfach hin freuen.

Der große Bischof Keppler sagte einmal: „Man darf nie vergessen, dass die Freude im Lebenshaushalt nicht Wurzel ist und nicht Stamm, sondern Blüte.“ Freude können uns menschliche Dinge und Bindungen schenken.

Aber: Wir spüren auch, dass in jedem menschlichen Zusammensein noch etwas Unerfülltes, Unausgesprochenes ist, eine letzte Einsamkeit. Nicht nur die Dinge, auch die Menschen sind zu klein, als dass sie die Sehnsucht unseres Herzens nach einem vollkommenen Einssein ganz zu erfüllen vermögen. Jede menschliche Nähe hier auf Erden ist Hinweis auf eine größere, ganz erfüllende Verbundenheit in der ewigen Vollendung.

Alle Freude in dieser Welt ist Vorfreude! Dies will uns der Advent sagen. Erst Gott ist die Erfüllung. Deshalb sind wir unser ganzes Leben lang Wartende. Aber wir wissen: „Der Herr ist nahe!“ Die Geburt des Nazareners ist uns verheißen. Seine ankommende Nähe ist Freude, und in ihm finden wir unser tiefstes Glück! Die Kraft der Erinnerung kommt nach Dietrich Bonhoeffer – aus der Dankbarkeit. In ihm werden auch alle Schranken der Fremdheit, die sich vielleicht noch zwischen Mensch und Mensch geschoben haben, fallen. Jeder wird im Herrn dem Anderen unendlich nahe sein, mit ihm eins und doch in rechter Freiheit und Ehrfurcht.

Das große Glück und die große Freude, die bereits beim Kommen des Herrn allem Volke verheißen wurde, erfüllt und vollendet sich in der Ewigkeit. Schon jetzt lässt uns die Kirche sie vorempfinden im Glauben!

Maria selbst ist aber auch Vorbild des Advents – und Urbild urchristlichen Glaubens! Sie ist Vorbild adventlicher Hoffnung, gläubige Ganzhingabe und des Dienens aus dem Geist der Liebe. Sie ist Urbild des auf Gottes Wort hörenden und zu Gott betenden Menschen. Sie bewahrt und erwägt in ihrem Herzen, was sie von Gott her gehört und gesehen hat (Vgl. Lk 2,19.51). Für Maria gilt: Sie wird als die beispielshafte Hörerin des Wortes Gottes bezeichnet. Ihr wird die Geburt verheißen. Sie wird als die „Magd des Herrn“ bezeichnet, die „Ja“ zu Gottes Willen sagt als die „Begnadete“, die aus sich selber nichts, durch Gottes Güte aber alles ist. Durch die Verheißung der Geburt Jesu wird Maria zum Urbild der Menschen, die sich von Gott öffnen und beschenken lassen! Sie ist es, die als Vorbild der Kirche bezeichnet wird. Sie geht der Kirche voran. Durch ihr „Ja“, das sie als erste und stellvertretend für alle spricht, wird sie zur „Eingangstür Gottes“ in der Welt.

Mit der Verheißung der Geburt Jesu wird also der Menschheit ein neues Dasein angekündigt und angeboten, das christliche Dasein, in dem der Mensch, unter der Weisung und in der Kraft Gottes endlich aus sich selbst herausfindet und auf eine Ebene gehoben wird, die es ihm möglich macht, von sich selber fort auf Gott und den Nächsten zuzugehen. Die große Herausforderung für uns heute bleibt und realisiert sich treu und zuverlässig in der Orientierung an der Botschaft Jesu Christi im täglichen Leben, im gewöhnlichen Alltag, in der Familie und anderen Lebensverhältnissen wie Beruf und sozialen Bindungen wie bei sonstigen Aufgaben.

Prof. Dr. Alois Schifferle
Lehrstuhl für Pastoraltheologie
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt
Alois.Schifferle@ku-eichstaett.de


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