Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

4. Advent, 19. Dezember 2004
Predigt über
Johannes 1,19-28, verfasst von Lars Ole Gjesing (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Die vielen merkwürdigen Fragen, die Johannes dem Täufer in diesem Verhör gestellt werden, machen zunächst einmal einige Kommentare nötig. Das Volk Israel hat nie geglaubt, dass die Dinge der Welt ununterbrochen ihren schiefen Gang gehen würden. Sie haben das Vertrauen zu Gott gehabt, dass er nicht allein der Schöpfer alles Lebendigen, sondern auch sein Beschützer und Wiederhersteller war.

Deshalb ist das Alte Testament durchwoben von Erwartungen des Tages, an dem Gott im Ernst eingreifen und den Bedrängten mit klaren und einleuchtenden Taten zu Hilfe kommen wird. Deshalb finden wir überall in ihren Schriften Erwartungen verschiedenster Art, wie Gott eingreifen könnte. Vor allem erwarteten viele Propheten, dass Gott den Frieden und die Herrschaft Israels wiederherstellen wird mit Hilfe eines neuen gesalbten Königs vom Schlage König Davids.

Der Gesalbte heißt Messias auf Hebräisch und Christus auf Griechisch. Es war diese Messiaserwartung, die in Israel zur Zeit Jesu vorherrschend war. Aber im Alten Testament gab es auch andere Formulierungen derselben Art Hoffnung. Der Prophet Maleachi hatte sich daran gehalten, dass der Prophet Elias nicht gestorben war, sondern in einem Feuerwagen direkt zu Gott aufgefahren war, Maleachi erwartete also, dass Elias als Vorbereitung auf den großen Tag des Herrn wieder auf die Erde kommen würde. Und Moses gelobt dem Volk Israel, dass Gott nach dem Tod des Moses einen neuen Propheten derselben Art wie Moses als Anführer Israels schicken wird.

Alle diese verschiedenen Ausgaben derselben Hoffnung auf ein Eingreifen waren zur Zeit Jesu sehr genau von den Schriftgelehrten studiert worden, und die Schriftgelehrten hatten die Erwartungen zu einem ganzen System ausgebaut, in dem man alle die verschiedenen erwarteten Gestalten nicht als verschiedene Versionen ein und derselben Hoffnung betrachtete, sondern als eine ganze Serie von verschiedenen Gestalten, die kommen würden.

Deshalb haben sie hier so viele Fragen an den Täufer, als er als Täufer mit besonderer Autorität aufzutreten beginnt: Bist du der Gesalbte, bist du Elias, bist du der Prophet, von dem Moses gesprochen hat? Aber Johannes sagt „nein“ zu allen Fragen. Er ist nur einer, der in der Wüste ruft: Bereitet den Weg des Herrn. Niemand soll sich für seine, des Johannes Person interessieren. Er selbst ist an sich uninteressant. Nur was er über das Kommen des Herrn sagt, ist von Interesse, wenn Johannes selbst es denn sagen soll.

Er hat wohl nicht allzu viel über Gesetze der Vermarktung gelernt. Hier geht es um Sichtbarmachung. Wer sich zur Geltung bringen will, muss vor allem sich selbst, seine Firma und sein Produkt sichtbar machen. Johannes macht systematisch das Gegenteil: er macht sich unsichtbar, lenkt alle Aufmerksamkeit von sich weg, obwohl er doch eine Stellung hat, die es ihm erlauben würde, Volksverführer zu sein und als alles Mögliche Huldigungen entgegenzunehmen. Er begnügt sich damit, von sich wegzuzeigen und zu sagen: „Siehe das Lamm Gottes“, oder „mitten unter euch steht einer, den ihr nicht kennt, er, der nach mir kommt, und ich bin nicht würdig, ihm seine Schuhriemen zu lösen“. – So sieht der Evangelist Johannes den Täufer: als einen, der nur deshalb wichtig ist, weil er auf Christus hinweist.

Auf diese Weise gleicht die Rolle Johannes des Täufers weitestgehend derjenigen der Kirche. Es gibt auch nur einen einzigen Sinn von Kirche und Gottesdienst und Verkündigung: auf Christus hinzuweisen, um es kurz zu sagen.

Trotzdem wird der Kirche unaufhörlich auferlegt, sich sichtbar zu machen, sie soll sich profilieren, soll mehr auf sich selbst aufmerksam machen. Und es sind nicht bloß kirchenfremde Experten des Marktes, die sich so vernehmen lassen, wenn ein Journalist einmal die Idee hat, danach zu fragen. Es gibt auch immer mal wieder kirchliche Vertrauensleute, die in denselben Fehler verfallen. Solche Aussagen sind natürlich gut gemeint. Man wünscht sich, dass die Organisation, in der man seinen Einsatz leistet, gedeiht und bei den Menschen im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht.

Aber die Kirche hat nur einen einzigen Sinn, nämlich Christus sichtbar zu machen. Wo die Kirche die Aufmerksamkeit auf sich selbst lenkt, da steht sie ihrer eigenen Hauptsache im Wege. Wir sollen den Platz bereiten, den Menschen zurufen, dass sie den Weg des Herrn ebnen, und dann im Übrigen zur Seite treten sollen, wie es der Täufer getan hat. Die Kirche ist nur ein notwendiges Übel – nicht etwas, was in sich selbst irgendeine Bedeutung besäße. Es gab keine Kirche im Paradies, und in den Visionen vom Reich Gottes in der Offenbarung des Johannes gibt es auch keine Kirchen oder Tempel, denn Gott selbst wohnt mitten unter ihnen als ihre Sonne und ihr Licht. Einen Patz in der Zwischenzeit freihalten, das ist der Sinn der Kirche. Die Zwischenzeit ist unsere Zeit. Die Zeit, in der der Herr nicht sichtbar ist, in der wir aber auf sein Kommen warten und hoffen. Amen.

Pfarrer Lars Ole Gjesing
Søndergade 43
DK-5970 Æreskøbing
Tel.: ++ 45 – 62 52 11 72
E-mail: logj@km.dk

Übersetzt aus dem Dänischen von Dietrich Harbsmeier

 


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