Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Jahresanfang 2005
Predigt über Lukas 22,32, (Jahreslosung)
anlässlich der Flutkatastrophe im Indischen Ozean
verfasst von Wolfgang Wallrich
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Anmerkung: Die Predigt wurde in einem Gottesdienst zum Jahreswechsel in St.Gertrud in Stockholm gehalten.

"Pray for us" -"Betet für uns",
schreibt uns am 30.Dezember
Robinson Butarbar,
Mitarbeiter der VEM,
der Evang. Vereinigten Mission,
aus Sri Lanka

Dringlichste Aufgabe sei es,
die obdachlos gewordenen Menschen
unterzubringen und sie mit Medizin
und sauberem Trinkwasser zu versorgen
bei ihnen zu sein.
Die Kirchen in Sri Lanka begehen den 31.12.2004
und 1.1.2005 als
nationalen Trauer- und Gebetstag.
Zehntausende von Menschen werden betrauert.

"Pray for us" "Betet für uns",
schreiben sie uns.
Wenn ich den Fernseher oder das Radio einschalte,
habe ich Angst vor neuen Zahlen.
Die Opfer der Flutwelle in Südasien
steigen und steigen -
die Obdachlosigkeit ist so groß
als wenn alle Berliner, Hamburger,
Münchener und Stockholmer obdachlos
wären - ja fast alle Schweden.
"Terroranschlag der Natur" sagen Journalisten.
Die Bilder zeigen bisher Unvorstellbares.

Ach Gott...beten
Wut und Verzweiflung höre ich fragen:
Warum bauten die Hoteliers so dicht am Meer..
um gut zu verdienen
Sicherungen wurden ausgespart..
um Kunden zu locken..um gut zu verdienen.
Es geht immer um den momentanen Gewinn.
Billig fliegen und weit reisen..
der Dollar steht tief...
Reisen bis ans Ende der Welt.
Sharehoulder - Value - Fans sehen
nur auf ihr Konto und nicht auf den Markt,
obwohl ihr Geld vom Markt kommt.
Der Markt ..das sind Menschen unsrer einen Welt.
Die Ärmsten der Armen hat es getroffen.

Ach Gott..beten
Wut und Verzweiflung höre ich fragen:
"Und wo ist Gott ?"
"Wie kann Gott das zulassen ?"
Vom Glockenturm spielt es automatisch:
"Nun danket alle Gott" -
das Glockenspiel hat starke Sprünge bekommen.
Gott, von dem wir doch gerade Weihnachten
gehört haben,
wie gut er den Menschen will.
"Dem Schöpfer aller Ding" so sangen wir
und erleben zugleich Zerstörungen ganzer Regionen,
Tod und Elend in einem unvorstellbaren Ausmass.
Nach 2 Weltkriegen hatte eine ganze Generation das naive Vertrauen in
Gott als den Vater, den Schöpfer, den Regenten und Erhalter verloren.
Unschuldiges Gottvertrauen war unmöglich geworden.

"Pray for us" "Betet für uns",
bitten sie aus Sri Lanka.
Zu diesen Tagen zwischen den Jahren gehört
für viele Christen ein Gedicht
von Dietrich Bonhoeffer, dem evang.Pfarrer und
Märtyrer des Widerstandes im Dritten Reich.
Der hatte zur Jahreswende 1944 geschrieben:
"Von guten Mächten wunderbar geborgen".
Selbst in der Todeszelle und im Angesicht
des schrecklichen Sterbens in Europa,
fühlte sich Bonhoeffer vom guten Gott geborgen.
Seine Welt war damals nicht weniger erschüttert
als die Welt in dieser Tage..
Nur - damals war das Morden von Menschen
gemacht, die bösen Mächte ließen
sich beim Namen nennen.
Aber jetzt diese Katastrophe ? -
Das Beben ist nicht von Menschen gemacht.

"Betet für uns"
Ist es ein Wunder, dass wir uns da an Gott selbst wenden,
nach ihm fragen, an ihm zweifeln, verzweifeln.
Wir sind nicht die ersten,
die Gott die Schrecken der Flut klagen:

"Herr Gott" heißt es im 88.Psalm:
"du bedrängst mich mit allen deinen Fluten.
Ich schrei zu Dir und
du verbirgst dein Antlitz vor mir".
Damals und heute gibt es keine Antwort auf die Frage:
Warum dieses unschuldige Leiden ?
Das ist nicht auszuhalten.
Aber mit dem Beter dieses Psalm habe ich eine Ahnung:
Gott sieht nicht einfach zu.
Gott kann nicht einfach zusehen.
Das wäre nicht zu fassen,
wenn es Gott nicht das Herz zu schnüre,
wenn wir Kinder und Frauen und Männer
jeden Alters da liegen sehen -
Kleinkinder, die ohne Eltern sind -
Eltern, die um ihre Kinder weinen.
Gott müssen doch die Tränen kommen !

Eindrücklich kommt mir in Erinnerung
wie Jakob in den Fluten des Jabbok mit einem Fremden ringt,
mit einem Gespenst - mit einem der raubt und mordet -
mit einem Angreifer - mit der Gefahr.
Die rabbinischen Kommentare nennen das Fremde:
Zauberer, Bandit - andere sagen: Engel.
Jakobs Kampf ist der Kampf mit einem.
der zwischen Dämon und Gott ist.
Jakob schreit schwer verletzt:
"Ich lasse Dich nicht, du segnest mich denn".

Und ich ahne:
"jeder von uns kämpft mit Gott
lass uns dazu stehen
auch wenn wir geschlagen werden
und verrenkt
jede von uns kämpft um Gott
der darauf wartet gebraucht zu werden
auf uns wartet ein Kampf"

Es ist als würde Beten und
Kämpfen zusammengehören.
Als müssten wir mit dem dunklen Gott
um das Leben ringen.
Als wäre Beten mehr ein Ringen.
Und es spricht alles dafür,
dass wir mit Gott gegen Gott kämpfen müssen,
dass er sichtbar werde.

"Pray for us" - "Betet für uns",
schreiben sie.

Unsere St.Gertruds -Kirche wurde in
dieser Woche ein Bethaus.
Viele Menschen fanden sich täglich ein.
Zum Hoffen und Beten -
zum Stille-sein vor der Ohnmacht
unseres Menschseins.
Aller Allmachtswahn ist erschütternd
in die Schranken gewiesen.

Und ein "Neues beten" kam hinzu:
Finanzielle Gaben über die Lutherhilfe
und andere Hilfsorganisationen
wurden für die Menschen in Südasien gesammelt -
Tausende von Ehrenamtlichen in Feuerwehren,
Hilfsdiensten sind unterwegs, irgendwie zu helfen.
Einige Hundert überlebende Touristen
bleiben in den Ländern
und helfen den Einheimischen bei Aufräumarbeiten.
Durch die Strassen Deutschland und Schwedens
laufen Freiwillige und sammeln Spenden.
Friseure schneiden Haare und die Bezahlung
geht in die Sammeldose.
Bäcker backen ohne Lohn "Brot für die Welt" -
der Verkaufserlös geht in die Welt.
Auf das sinnlose Verballern von Silvesterraketen
verzichten viele und spenden Millionen.
Es wächst das Gespür:
Wir Menschen leben alle zusammen auf einer Welt !
Wir leben auf einer dünnen Erdschicht.
Wir rücken enger zusammen.
Wir gehören zusammen.

"Pray for us"
"betet für uns"
bitten sie.

Heute halten wir Abendmahl.
Jesus Christus lädt uns ein.
Jesus Christus, der uns die Macht
machtloser Liebe zeigte.
Diese Liebe in Machtlosigkeit brauchen
wir wie frisches Trinkwasser.
Am Tisch von Jesus sind wir dann
zusammen mit all den Opfern -
Wir sind dann zusammen mit all den Verletzten,
Wohnungslosen und Besitzlosen.

Wir hören dann Jesus sagen:
"Ich aber habe für dich gebeten ,
dass dein Glaube nicht aufhöre" (Lukas 22:32).
Jesus, höre Du nicht auf für die Menschen in Südasien zu beten.
Jesus, höre Du nicht auf, für uns zu beten.
"Pray for us"
"Bete für uns".


Amen


Wolfgang Wallrich
St.Gertrud Stockholm

hauptpastor@swipnet.se


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