Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Septuagesimae, 23. Januar 2005
Predigt über
Lukas 17, 7-10, verfasst von Günter Goldbach
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Christinnen und liebe Christen,

erlauben Sie mir, diese Predigt zu beginnen mit einer persönlichen Reminiszenz: Ich habe einmal jemandem wirklich helfen können. Der war in einer verzweifelten Lage, wirklich am Ende. Wie gesagt, ich hatte die Möglichkeit, etwas für ihn zu tun. Nicht ohne Mühe und nicht ohne echte Anstrengung konnte ich ihn herausholen aus einer verzwickten Lage; ihm durchhelfen, damit sein ganzes Leben nicht verpfuscht war. - Ich erinnere mich nicht, dass er sich dafür bedankt hätte. Ich weiß nicht, ob er das überhaupt anerkannt hat.

Das erzähle ich nicht vorwurfsvoll, nicht selbstgerecht. Ich meine nicht, besser oder anders zu sein. Durchaus ist mir ein Augenblick in Erinnerung geblieben, als ich selber einmal in einer wirklichen Klemme steckte. Ich dachte: Jahrelange Mühe war umsonst. Jetzt ist es aus. Und dann half mir jemand. Das brauchte er wirklich nicht zu tun. Der riskierte Kopf und Kragen, um mir aus der Patsche zu helfen. Aber er tat es. Natürlich war ich ihm sehr dankbar - im ersten Augenblick. Aber als die Angst und die Erleichterung des ersten Augenblicks vorbei waren, da war auch sehr bald der Überschwang der Dankbarkeit weg. Weder in Worten noch in Taten brachte ich jedenfalls etwas zustande, was auch nur einigermaßen angemessen gewesen wäre.

Gewiss werden Sie alle die gleiche Sache an ähnlichen Beispielen erzählen können. Und voller Verwunderung und Enttäuschung - durchaus auch gegenüber sich selbst - müssen wir wohl alle feststellen: So sind wir Menschen: undankbar, selbstbezogen, alles wie selbstverständlich hinnehmend; das Gute, das wir empfangen haben, schnell wieder vergessend.

Und nun: Müssen wir nicht aus unserem Predigttext erfahren: Bei Gott ist das auch nicht anders?! Das soll doch wohl dieses Gleichnis aus dem Lukas -Evangelium verdeutlichen. Das werden Sie ja gewiss verstanden haben: Der Herr in diesem Gleichnis ist natürlich niemand anderes als Gott selber. Und die Knechte, die ihm dienen: natürlich sind wir damit gemeint. Und nun: Wenn wir tun, was wir können, wenn wir uns mühen zu tun, was in unserer Macht steht: Einen Dank werden wir nicht abgestattet bekommen. Eine Belohnung gibt es nicht. Man kann nicht mit Gott rechten: “Gott müsste doch...“ Nein, Gott muss gar nichts. Es ist sinnlos zu sagen: „Ich habe aber doch...“ Nein, du hast nicht mehr getan, als was du zu tun schuldig warst. Es gibt vor Gott keinen Anspruch, keine Leistung, die ihren Lohn verlangen könnte. Gott honoriert unsere Dienste nicht, indem er es uns nun besonders gut ergehen lässt. Er bezeugt uns nicht seine Dankbarkeit. Vielmehr müssen wir uns vorhalten lassen - objektiv gesehen sogar mit Recht: Von der Vollkommenheit war das weit entfernt, was wir gebracht haben. Da waren noch eine ganze Menge Schönheitsfehler dabei; die sind gar nicht zu übersehen.

Das alles hört sich übrigens gut protestantisch an. Das beschreibt ja geradezu ein essential evangelischer Theologie, das besagt: Vor Gott kann man sich nichts verdienen mit noch so guten Werken. Man kann sein Leben vor Gott nicht rechtfertigen, was immer man tut.

So richtig das sein mag - wir alle mögen das Gefühl haben: Es befriedigt einen irgendwie nicht. So sehr das stimmen mag: Irgendwie stimmt es nicht ganz.

Lassen Sie mich das, was daran nicht ganz stimmt, zunächst zu verdeutlichen versuchen an einem simplen physikalischen Vorgang. Ich bin kein Physiker, weiß Gott nicht, aber ein bisschen habe ich behalten aus der Schule. Also: Wenn negativ geladene Teilchen mit einer Überzahl positiv geladener Teilchen eine Verbindung eingehen, dann wird am Ende das ganze Corpus positiv. Die negativen Teilchen werden durch die positiven sozusagen neutralisiert und spielen überhaupt keine Rolle mehr. Etwas durchaus Negatives kann also positiv werden, wenn man es mit einer positiven Verbindung in Beziehung bringt. - Auf unser Problem angewandt ergibt sich also: Die harte Arbeit im Dienst Gottes, die von uns erwartet werden kann, die unbelohnt und unbedankt bleibt, erhält eine ganz andere, positive Bedeutung, wenn sie unter dem Vorzeichen der Liebe geschieht.

Das wissen wir doch aus unserem menschlichen Miteinander. Wenn man jemanden liebt, „dient“ man ihm auch. Man ist ganz für ihn da. Man riskiert alles, setzt alles ein, gibt alles hin. Aber natürlich doch nicht auf Gegenleistung. Was man von sich gibt, rechnet man doch nicht nach. Das ist - wenn es Liebe ist - doch überhaupt nicht verrechenbar. Liebe, die nicht selbstlos ist, ist überhaupt keine Liebe. Liebe, die meint, einen Anspruch auf Gegenliebe zu haben, ist nicht wirklich Liebe.

So könnte das mit einem Leben im Dienst Gottes auch sein: Dienen wir ihm aus Liebe, dann können wir uns unmöglich zu irgendwelchen Dienstleistungen erpresst fühlen. Vielmehr: Wir können - ohne das als etwas Negatives anzusehen - vollbringen, was von uns erwartet wird. Wir können wie selbstverständlich tun, was von uns gefordert ist - wenn wir es aus Liebe tun.

Die entscheidende Frage ist jetzt natürlich: Wo soll diese Liebe zu Gott herkommen?! Wie sollten wir zu dieser Liebe fähig werden?! - Nun, es war gesagt worden: Der Dienst für Gott zieht keine Belohnung nach sich. Richtig. Aber die Liebe zu Gott muss andererseits gewiss einen Grund haben. Doch wohl diesen: Wir können darauf vertrauen, dass der, dem wir dienen, der ist, der unser Leben erhält; aus dem und von dem wir leben. Um es im aktuellen Sprachgebrauch weiter zu verdeutlichen: Bei demjenigen, in dessen Dienst wir stehen, kann man nicht arbeitslos werden. Er entlässt uns nicht. Er schickt uns nicht weg. Wir können bei ihm bleiben - was immer aus uns wird und wie immer wir werden.

Das ist wichtig zu wissen für jeden, der das Leben und sich selbst nüchtern genug sieht. Wir allesamt sind ja sozusagen ständige Verlierer: Wir verlieren an Kraft, an Gesundheit, an Jugend, an Liebenswürdigkeit... Wir verlieren Menschen, die uns etwas bedeuten; sei es, dass sie uns für immer verlassen; sei es, dass wir sie enttäuschen oder sie uns.

Das alles ist oft genug schmerzlich und bitter. Da ist es gut zu wissen: Einer ist wenigstens da, der uns nicht verlässt. Einer ist da, in dessen Augen hat unser Leben einen unvergänglichen Wert. Für den behält unser Leben eine unvergängliche Qualität.

Gewiss, das andere sei auch noch einmal wiederholt: Wir können natürlich nicht die Augen zumachen und die Hände in den Schoß legen und uns mit dieser Gewissheit einen guten Tag machen. Wir müssen uns schon einsetzen lassen im Dienst unseres Herrn.

Dies alles zusammenfassend sei Wilhelm Löhe zitiert. Er sagt: „Was will ich? Dienen will ich. Wem will ich dienen? Dem Herrn... Und was ist mein Lohn? Ich diene weder um Lohn noch um Dank, sondern aus Dank und aus Liebe... Und wenn ich dabei umkomme? ‚Komme ich um, so komme ich um‘, sprach Esther, die Ihn doch nicht kannte, dem zu Liebe ich umkäme und der mich doch nicht umkommen läßt. Und wenn ich dabei alt werde? So wird mein Herz grünen wie ein Palmbaum, und der Herr wird mich sättigen mit Gnade und Erbarmen. Ich gehe mit Frieden und sorge nichts...“

Lassen Sie uns zum Schluss noch einen Augenblick darüber nachdenken: Wie soll denn eigentlich unser Dienst für Gott aussehen? Das muss jetzt noch beantwortet werden:

Die naheliegende Antwort ist die: Man dient Gott, indem man zum Gottesdienst kommt. Aber das ist falsch. Der Gottesdienst ist nicht unser Dienst für Gott. Vielmehr: Der Gottesdienst ist Gottes Dienst für uns. Insofern ist er unverzichtbar. Denn da geschieht Befähigung von an sich Unfähigen; Tauglichmachung von an sich Untauglichen; unsere Zurüstung zum Dienst für Gott. Und unser Dienst für Gott geschieht dann vor den Türen des Hauses Gottes, draussen in der Welt. Unser Gottesdienst ist unser Dienst für andere Menschen. „Denn so nahe steht der Mensch dem Herzen Gottes, daß wer Gott will, auch den Menschen wollen muß“ (Karl Adam).

Man muss das gegen zwei Missverständnisse in Schutz nehmen. Das eine ist dies: Da gibt es Theologen, die sagen: Ja, indem wir einander lieben, geschieht Gott; da ereignet sich Gott. Aber Gott auf einen mitmenschlichen Vorgang reduzieren zu wollen, ist Unsinn. Eine solche These ist durch nichts zu rechtfertigen. - Und das zweite Missverständnis ist dies: Da sagen einige: Wir gehen nie zum Gottesdienst. Aber wir sind wohl bessere Christen als die, die das tun. Denn wir üben Nächstenliebe. Auch das ist Unsinn. Denn für einen Christen führt erst die Beauftragung durch Gott, die Gemeinschaft mit Gott, zum Nächsten. Anders formuliert: Die Motivation ist bei Christen eine völlig andere als bei Humanisten oder Philantropen. Handlungen, die sich im Ergebnis und auch in ihren Äußerungen von philanthropischen, politisch kalkulierten und ideologisch geforderten Aktionen kaum unterscheiden, gewinnen für einen Christen eine erst im Glauben an Gott und in der Liebe zu Gott begründete Selbstverständlichkeit.

Also: „Lasst uns einander liebhaben; denn die Liebe ist von Gott, und wer lieb hat, der ist aus Gott und kennt Gott“ (1. Joh. 4, 7). - Dabei genügt es nicht, im allgemeinen Nächstenliebe zu üben, noch genügen Güte und der Wille, Gutes zu vollbringen. Wir müssen die tausend verschiedenen Weisen verstehen, Liebe wirklich zu üben. Wir müssen die Menschen unterscheiden lernen. Wir müssen zu verstehen versuchen, ob sie nach Wasser oder nach Liebe dürsten. Ob sie nach Güte oder nach Brot verlangen. Ob sie sich nach Alleinsein oder nach Gemeinschaft sehnen. Wir müssen den Menschen um uns her ins Herz sehen! Äusserlich sehen wir vielleicht nur ihre jugendliche Unbekümmertheit; ihre arrogante Gleichgültigkeit; ihre bornierte Oberflächlichkeit. Äusserlich sehen wir vielleicht nur ihre Enttäuschung und Verbitterung, ihre kranke und elende Gestalt, ihre schwindenden geistigen und körperlichen Kräfte - aber jeder Mensch, gleichgültig, in welcher körperlichen, seelischen oder geistigen Verfassung er sich befindet, bleibt immer ein Mensch; ein Mensch, dem man helfen muss.

Nun können Sie natürlich sagen: Ach ja, das alles haben wir schon tausendmal so oder ähnlich gehört. Das mag wohl sein. Aber hören und hören ist zweierlei. Wo sind die, die hören und tun, was sie hören?! Und warum sind unter uns so viele so oft so ohne Hoffnung?! Warum?!

Dr. Dr. Günter Goldbach
guenter.goldbach@uni-osnabrueck.de


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