Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Quasimodogeniti, 3. April 2005
Predigt über Johannes 21, 1-14, verfasst von Paul Kluge
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Liebe Geschwister,

irgendwer hat irgendwann an das fertige Johannes-Evangelium noch eine Geschichte angehängt - vielleicht, wie der Autor betont, um die Dreizahl nachösterlicher Erscheinungen zu erreichen. Denn was drei Zeugen aussagen, gilt als glaubwürdig. Vielleicht auch, weil er es für nötig hielt, Petrus noch einmal besonders herauszustellen. Oder aus noch anderen Gründen, wir wissen es nicht und es bleibt ein Geheimnis. Jedenfalls lesen wir Joh 21, 1 - 14: ...

Demnach sind die Jünger also wieder da, wo sie herkommen, am See Tiberias - bekannter als See Genezareth. Die Zeit mit Jesus war vorbei, und sie bekamen manch hämische Bemerkung zu hören wie "Na, wieder da? Ich dachte, ihr hattet Großes vor?" oder "War wohl nichts mit diesem Jesus, was?" Natürlich gab es auch welche, die hatten es gleich gewußt, dass Jesus scheitern würde. "Bleibe im Lande und nähre dich redlich," sagten sie in rechthaberischem Stolz, und die Jünger fühlten sich gelegentlich wie Trottel. Immerhin hatten ihre Familien sie wieder aufgenommen; auch die Frau des Petrus hatte ihren Mann wieder ins Haus gelassen, gegen den erklärten Willen ihrer Mutter.

Doch die gemeinsame Zeit hatte die Jünger eng miteinander verbunden, und so trafen sie sich häufig, um über die Vergangenheit zu reden und über die Zukunft nachzudenken. "Ich geh wieder fischen," stellte Petrus fest. "Das habe ich gelernt, und damit kann ich mein Brot verdienen." Für Thomas war diese Bemerkung wie ein Stich ins Herz. Denn damit knüpfte Petrus da an, wo er vor der Zeit mit Jesus gewesen war, damit klammerte er diese Zeit aus seinem Leben aus. Machte damit die Hoffnung anderer zunichte, eine kleine Glaubens- und Lebensgemeinschaft von Jüngerinnen und Jüngern zu gründen.

"Du gehst wieder fischen?" fragte Thomas zweifelnd, Nathanael bot sich dem Petrus sofort als Partner an. "Und ihr, was macht ihr?" fragte Thomas die Brüder Jakobus und Johannes. Die wollten wieder zu ihrem Vater Zebedäus ins Boot. Thomas musste schlucken. Er konnte, er wollte es nicht wahr haben, dass alle so taten, als wäre nichts gewesen. Gewiß, der Schock der Hinrichtung Jesu saß auch bei ihm tief, hatte auch bei ihm Zweifel geweckt und das Gefühl, gescheitert und um seine Hoffnung betrogen zu sein. Doch als ihm - wie auch allen anderen! - Jesus erschienen war, da hatten seine Zweifel sich in Mut verkehrt, da war ihm klar geworden: Die Zeit mit Jesus war erst ein Anfang. Jetzt sind wir dran, jetzt müssen wir weiterleben, was Jesus vorgelebt hat. Und sie hatten genug von Jesus gelernt, um das auch zu können, waren von Schülern zu Lehrern geworden.

Das alles hielt Thomas den anderen vor, redete sich dabei richtig in Fahrt. Als er gesagt hatte, was er sagen wollte, sagen musste, stand Petrus auf, sah Thomas etwas mitleidig, die übrigen prüfend an. "Ich geh fischen," knurrte er und stapfte davon, Nathanael kam sofort mit. Jakobus und Johannes erhoben sich, zuckten entschuldigend die Schultern und schlossen sich an, ebenso die beiden übrigen.

Thomas sah seine einzige Chance darin, den anderen zu folgen. Wenn sie jetzt auseinanderliefen, wäre alles verloren, was so hoffnungsvoll begonnen hatte. Was aber mit der Kreuzigung keineswegs zu Ende war, sondern am dritten Tag danach einen unvorstellbaren Aufschwung erhalten hatte.

Darum folgte er den anderen ans Ufer, half beim Klarmachen des Bootes. Dann liefen sie aus. Schwiegen, bis sie weit genug draußen waren, um die Netze auszuwerfen. Danach hatten sie Zeit, und Thomas nutzte die Zeit, mit ihnen über ihre Zukunft zu sprechen, über das, was werden sollte aus ihnen, vor allem aber aus dem, was mit Jesus angefangen hatte. "Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch, hat er uns gesagt," erinnerte sich Jakobus, und Thomas ergänzte: "Da können wir nicht einfach nur fischen gehen." Petrus wollte auffahren, doch eine plötzliche Windböe lenkte seine ganze Konzentration auf das Segel. "Wir müssen Fische fangen, um zu leben," meinte Nathanael, denn keiner von ihnen sei ein so guter Prediger oder gar Heiler, dass er die ganze Mannschaft von Spenden ernähren könne. Doch er gäbe Thomas Recht, dass sie, die Jünger, da weitermachen müssten, wo Jesus aufgehört habe. "Er hat nicht aufgehört," protestierte Jakobus, "er hat uns als seine Nachfolger eingesetzt. Und er ist bei uns, das spüre ich. Wird uns Kraft geben, wenn wir mal nicht weiterwissen, und uns dann an sich erinnern." - "Was hast du vor?" fragte Johannes und gab selbst Antwort: "Wir sollten einige Zeit hier in Galliläa bleiben, uns erholen und abwarten, bis Jerusalem sich beruhigt hat. Das dauert nicht lange; je größer die Stadt, um so kürzer ihr Gedächtnis. Dann gehen wir zurück, sammeln die anderen Männer und Frauen und leben so, wie Jesus uns gelehrt hat."

Petrus, der am Ruder saß, spürte eine Veränderung der Stimmung bei den anderen, ein leichter, freudiger Mut machte sich breit. "Ihr seid verrückt," donnerte er, "nie gehe ich nach Jerusalem zurück, das ist mir viel zu gefährlich. Glaubt ihr denn, wir alle, die wir hier in einem Boot sitzen, auch die anderen Männer und Frauen aus unserem Kreis, glaubt ihr denn, wir alle stünden nicht mehr auf den Fahndungslisten der Römer? Jerusalem, das ist der sichere Tod für uns alle. Lieber bleibe ich im Haus meiner Schwiegermutter, als dass ich nach Jerusalem zurückgehe."

Die übrigen schwiegen betroffen. Was war los mit Petrus? War er nicht immer besonders stark gewesen - oder hatte er nur starke Worte gebraucht? War er nicht oft wie ein Haudegen aufgetreten - oder hatte er darunter vielleicht jämmerliche Angst verborgen? War auf ihn kein Verlass mehr - oder etwa nie gewesen? Dass er Jesus verleugnet habe, drei mal sogar, wurde erzählt. Alle hatten das für Verleumdung gehalten. Nun erschien es ihnen möglich und Petrus ihnen in neuem Licht. Petrus hatte seine Maske fallen lassen, zeigte sich den anderen nackt, und sie sahen ihn, wie er war, sahen ihn alt, klein, fett, sahen ihn feige und verzagt.

Keiner der Männer an Bord sprach mehr, jeder hing seinen Gedanken nach. Dachte an die Zeit mit Jesus, an die Zeit mit den anderen, die Gott weiß wo waren, dachte über die nach, mit denen er im gleichen Boot saß. Als es kalt und langsam ein wenig hell wurde, holten sie die Netze ein; die Zusammenarbeit klappte auch ohne Worte. Die Netze, alle Netze waren leer, kein noch so kleiner Fisch war ihnen hineingegangen. Hatten sie etwas falsch gemacht, waren sie aus der Übung gekommen und konnten es nicht mehr? Hatte der Umgang mit dem Rabbi Jesus, mit Schriftgelehrten und gebildeten Pharisäern sie vielleicht von der Natur entfernt und sie waren wie jene geworden, über die sie als Fischer oft gelacht hatten?

Frierend, hungrig, müde und enttäuscht segelten sie zurück. Ein Feuer brannte an Land, und sie hielten direkt darauf zu. "Na, nichts gefangen?" rief jemand vom Ufer, als sie sich näherten, "versucht es hier doch mal, hier steht ein großer Schwarm. Den sieht doch ein Blinder!" Nun sahen sie den Schwarm auch, und bald zogen sie prall gefüllte Netze an Bord. "Ob das Jesus ist?" fragte Johannes mit Gänsehaut auf dem Rücken und in der Stimme; auch die anderen schauderte es, als er das sagte. Petrus, der die ganze Zeit klein und in sich zusammengesunken am Ruder gesessen hatte, richtete - plusterte, wie Thomas fand - sich auf und sprang ins Wasser. Thomas fürchtete eine Prügelei wegen der Blamage, doch das Boot war eher am Ufer als Petrus, der durch das Wasser watete; er konnte nicht schwimmen.

Es war noch nicht hell genug, um den Fremden zu erkennen, der sich im Dunkeln hielt. Auf dem Feuer briet ein Fisch, daneben röstete ein Fladenbrot. Der Fremde forderte sie auf, noch ein paar Fische zu bringen - Petrus brachte sie mit der Pose des Erfolgreichen. Die Männer wärmten ihre vor Kälte steifen Glieder am Feuer, der Duft bratender Fische schürte ihren Hunger. Sie blickten in die Flammen. Bald brach der Fremde das Brot, verteilte die Fische, und alle aßen. Dann reichte der Fremde noch einen Krug mit Wein herum und verschwand im Zwielicht des dämmernden Morgens.

Thomas, der zwischen Nathanael und Jakobus stand, legte beiden einen Arm um die Schulter. Bald standen alle sieben im engen Kreis um das noch glimmende Feuer, und es war ihnen, als lodere in ihren Herzen auch ein Feuer. "Wir sind der harte Kern," sagte Petrus mit gewohnt markiger Stimme, "wir halten zusammen und halten die andren zusammen. Zum Fischen taugen wir nicht mehr. Dafür können wir Menschen fischen. Und das wollen wir tun." Die anderen bekräftigten das mit einem lauten "Amen."

Gebet: Guter Gott, was zu Ostern in Jerusalem geschah, können wir nicht verstehen. Es bleibt ein Geheimnis, das wir manchmal erahnen können und das sich uns manchmal entzieht. Darum fällt uns das Wort von der Auferstehung bisweilen schwer; mal ist es uns eine Kraft Gottes, mal eine Torheit. Da tut es gut zu hören, dass auch die Jünger zwischen Hoffnung und Resignation, zwischen Mut und Verzweiflung hin- und hergerissen waren. Das bewahrt uns davor, uns im Glauben zu überfordern. Dafür sind wir dankbar.

Wir bitten dich heute für alle, die unter ihrem Kleinmut leiden, für alle, die nicht aus ihren Zweifeln finden, für alle, die das Unbegreifliche verstehen wollen und daran scheitern: Schenke ihnen ein wenig Nachsicht mit sich selbst, dass sie ihre Grenzen ebenso erkennen und annehmen wie ihre Stärken.

Auch bitten wir dich für alle, die Stärke und Festigkeit ihres Glaubens vor sich her tragen und sich zum Maßstab rechten Glaubens machen. Schenke ihnen ein wenig Einsicht in ihre Angst, sich eine Blöße zu geben - dass sie ihre Grenzen ebenso erkennen und annehmen wie ihre Schwächen.

Denn du hast uns angenommen mit unseren Stärken und mit unseren Schwächen, deine Liebe nimmt nicht Anstoß an unseren Zweifeln und an unserer Angst und auch nicht an unserem Kleinmut oder Selbstgerechtigkeit. Weil du uns angenommen hast, können auch wir einander annehmen und in Verbundenheit der Liebe zusammenhalten.

Guter Gott, uns bewegt in diesen Tagen (Aktuelles ergänzen) und wir geben es in deine Hände. Was uns das Herz leicht macht und was es uns beschwert, bringen wir vor dich und beten gemeinsam: Unser Vater im Himmel, geheiligt werde dein Name, dein Reich komme, dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute, und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen

Gesänge: Mit Freuden zart, EG 108; Er ist erstanden, EG 116; Ich will, so lang ich lebe, EG 276; Es ist in keinem andern Heil, EG 356

Paul Kluge
Diakonie-Pfarrer i. R.
Paul.Kluge@t-online.de

 


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