Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Pfingstmontag, 16. Mai 2005
Predigt über 1 Mose 11,1-9, verfasst von Maria Widl
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Der Turmbau zu Babel

"Alle Menschen hatten die gleiche Sprache und gebrauchten die gleichen Worte. Als sie von Osten aufbrachen, fanden sie eine Ebene im Land Schinar und siedelten sich dort an. Sie sagten zueinander: Auf, formen wir Lehmziegel und brennen wir sie zu Backsteinen. So dienten ihnen gebrannte Ziegel als Steine und Erdpech als Mörtel. Dann sagten sie: Auf, bauen wir uns eine Stadt und einen Turm mit einer Spitze bis zum Himmel und machen wir uns damit einen Namen, dann werden wir uns nicht über die ganze Erde zerstreuen.

Da stieg der Herr herab, um sich Stadt und Turm anzusehen, die die Menschenkinder bauten. Er sprach: Seht nur, ein Volk sind sie und eine Sprache haben sie alle. Und das ist erst der Anfang ihres Tuns. Jetzt wird ihnen nichts mehr unerreichbar sein, was sie sich auch vornehmen. Auf, steigen wir hinab und verwirren wir dort ihre Sprache, sodass keiner mehr die Sprache des anderen versteht. Der Herr zerstreute sie von dort aus über die ganze Erde und sie hörten auf, an der Stadt zu bauen. Darum nannte man die Stadt Babel (Wirrsal), denn dort hat der Herr die Sprache aller Welt verwirrt, und von dort aus hat er die Menschen über die ganze Erde zerstreut."

Sprache ist eine sonderbare Macht. Sie kann Menschen zusammenführen und in einem gemeinsamen Verständnis verbinden. Sie kann aber Menschen auch entzweien und gegeneinander aufbringen. Sprache ist eine Macht, die Herrscher, Politiker, Prediger und Verführer immer zu nutzen verstanden. Sprache lässt ohnmächtig zurück, wer sich nicht verständigen kann oder nicht verstanden wird. Sprache kann alle Seiten des Menschen zum Klingen bringen: kühle Analyse und heiße Gefühle, fordernde Appelle und berührende Innerlichkeit. Sprache unterscheidet den Menschen von allen anderen Lebewesen.

Wenn die Sprache so entscheidend für den Menschen als soziales Wesen ist und alle Menschen im selben Gott ihren Ursprung haben: Warum gibt es dann verschiedene Sprachen, die einander nicht verstehen? Solche Überlegungen waren es wohl, die auch die antiken Menschen bewegten und sie Mythen erzählen ließen über den Ursprung der vielen Sprachen, wie jenen Mythos vom Turmbau zu Babel, den wir soeben gelesen haben.

Wir hören eine wunderliche Geschichte: Die Menschen des Anfang waren zuerst tüchtig im Hausbau und beschlossen dann, dieselbe Technik zu nützen, um aus eigener Kraft den Himmel zu erreichen und zugleich mächtig auf der Erde zu sein. Offenbar ist ihr Unternehmen durchaus erfolgversprechend. Gott beobachtet das und agiert recht sonderbar: Er blickt nicht mit amüsierter Verwunderung auf das größenwahnsinnige und zugleich hoffnungslose Unternehmen der kleinen Erdenmenschen, wie man es angesichts seine Größe und Allmacht vielleicht vermuten würde. Nein, er überlegt und agiert eher so, wie man es von den griechischen Göttern kennt, die Angst bekommen, dass ihnen die Erdenbürger über den Kopf wachsen könnten und sich daher genötigt sehen, ihnen einen Strich durch die Rechnung zu machen. Passt das zu unserem Gottesbild? Wenn ja, dann höchstens zu einem gestrengen Richtergott, der Menschen für ihre Überheblichkeit streng und nachhaltig bestraft, mit schrecklichen Langzeitfolgen für die ganze Menschheit.

Vielleicht erschließt sich der Text jedoch anders und ganz aktuell so: Der moderne Mensch hat Gott als den Schöpfer des Himmels und der Erde längst abgeschafft. Er glaubt an die Evolution, also an eine Höherentwicklung „von unten“. Er bemüht sich, mit technischen Mitteln die Logik der Schöpfung zum vorgeblich Besseren zu wenden: die Gentechnik manipuliert die Eigenschaften von Bakterien und Pflanzen, die Klonforschung versucht eine nichtsexuelle Lebensweitergabe (die der Pflanzenwelt eigen ist) in der Tierwelt, neuerdingst experimentiert man mit menschlich-tierischen Hybriden (kann man eine Kuh mit einem Menschen kreuzen?). Zugleich gewöhnen wir uns daran, in künstlichen Welten und von künstlichen Produkten zu leben: Kinder spielen in virtuellen Computerwelten, Holywood lässt uns den Beinahe-Weltuntergang life im Kino erleben, die Allltagsgespräche ranken sich nicht um die echten Nachbarn sondern um die Figuren aus den endlosen Fernsehserien. Wir trinken Wasser aus Flaschen, „ernten“ Obst und Gemüse im Supermarkt, atmen die künstliche Atmosphäre klimatisierter Gebäude und arbeiten bis spät in die Nacht bei künstlichem Licht. Wir bewegen uns mit der Maschine Auto und benutzen die Natur als Sportgerät, Steinbruch und Mülldeponie. Wir haben uns die Welt nach unseren eigenen Vorstellungen geschaffen und bemühen nach wie vor den Fortschrittsgedanken um glauben zu machen, wir kämen damit dem Himmel auf Erden immer näher.

Die Erfahrung von immer mehr Zeitgenossen ist dagegen eine andere: Hunger, Seuchen und Kriege lassen nach wie vor einen großen Teil der Menschheit in tiefstem Elend leben. Selbst in den Wohlstandsländern fürchten immer mehr Menschen um ihren Arbeitsplatz und ihre Zukunft, junge wie ältere Menschen, gebildete wie ungebildete. Die modernen Anstrengungen, aus eigener Kraft den Himmel auf Erden zu schaffen, haben zu beträchtlichen Vorteilen, aber auch zu himmelschreiendem Elend geführt. Sie haben in mancher Hinsicht zu einer vertieften weltweiten Völkerverständigung beigetragen, aber auch neuen Hass und neue Feindschaft geschürt. Jedenfalls kann sich die Menschheit heute dank atomarer Kräfte durch Wahnsinn oder Dummheit innerhalb kürzester Zeit selbst vernichten. Ob sie sich jemals selbst den Himmel schaffen kann, bleibt hingegen mehr als fragwürdig.

Die Pfingsterzählung stellt uns dagegen ein anderes Bild vor Augen, wie Menschen einander verstehen und in Einheit zusammenfinden können. Wo Menschen sich versammeln, um miteinander das Wort Gottes zu hören und das Gedächtnis Jesu Christi zu feiern, werden sie von Gott mit dem Sturm des Heiligen Geistes berauscht. Jeder stimmt daraufhin das Gotteslob an, jeder in seiner eigenen Sprache. Und plötzlich stellen sie fest, dass sie einander auf ganz neue Weise verstehen, über alle Verschiedenheiten hinweg – Pfingsten, der Gegenmythos zur babylonischen Sprachenverwirrung.

Angenommen, wir lassen uns von diesen Schriftstellen inspirieren. Angenommen, wir investieren unsere Kräfte und Fantasien darein, statt einer technisch-menschengemachten eine schöpfungsgemäße Kulturgestaltung voranzutreiben, wo sich der Mensch wie ein Gärtner bewundernd und zugleich klug behutsam eingreifend in der Welt bewegt. Wo des Menschen Arbeit, ganz wie in der Gründungsidee der benediktinisch-mönchischen Tradition zum Gebet wird, entsteht wie von selbst das Reich Gottes mitten unter uns, und der Himmel auf Erden wird als Geschenk des Heiligen Geistes zumindestens phasenweise zur erlebbaren Realität. Ein antiker Mythos, im modernen Alltag untauglich? Schon viele haben es versucht und sind vom Gegenteil überzeugt.

Den Alltag beten und sich dabei den Geist Gottes um die Ohren wehen lassen – und der Himmel ist uns plötzlich zum Greifen nahe; ganz ohne die größenwahnsinnigen selbstgebauten Türme. Probieren Sie es! Pfingsten kann auch in Ihrem Leben geschehen; einmal und immer wieder.

Dr.habil. Maria Widl
Färbermühlg. 13/3/21
A-1230 Wien
Tel/Fax +43/ 1/ 869 57 09
Mail: maria.widl@univie.ac.at

 


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