Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

11. Sonntag nach Trinitatis, 7. August 2005
Predigt über Matthäus 21, 28-32, verfasst von Hans Theodor Goebel
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


1.
Was meint ihr? – fragt Jesus die Männer, die ihm im Tempel gegenüber sitzen. Und erzählt ihnen eine Geschichte.
Was meint ihr?

Wenn Jesus nach seiner Verheißung mitten unter ist, haben wir damit zu rechnen: Er fragt mit dieser Geschichte jetzt auch uns.
Was meint ihr?

In der Geschichte, die Jesus erzählt, scheint alles ganz einfach. Ohne Frage.

Ein Mensch hatte zwei Kinder.
Sagen wir: ein Vater mit zwei erwachsenen Söhnen.
Er kam zu dem ersten und sprach: Kind, geh hin und arbeite heute im Weinberg! Der aber antwortete und sprach: Ich will nicht. Später aber änderte er seinen Sinn und ging hin. Da kam der Vater zum anderen und sprach ebenso. Der aber antwortete und sprach: Jawohl, Herr. Und ging nicht hin. Welcher von den beiden hat des Vaters Willen getan?

So Jesu Frage zu dieser Geschichte. Was meint ihr?
Die Antwort ist ganz einfach. Ohne Frage. Sie sagen: Der erste.
Der hat doch getan, was sein Vater wollte. Auch wenn er zuerst Nein! sagte.
Eine andere Antwort ist nicht möglich.

Ein Gleichnis ist das, was Jesus hier erzählt. So wie in dieser Geschichte verhält es sich auch bei Gott.

Das wussten auch die jüdischen Schriftgelehrten vor und neben Jesus: „Die Gerechten sagen wenig und tun viel. Die Gottlosen sagen viel und tun wenig“.

Jesus hat das aufgenommen – wir hören es am Ende seiner Bergpredigt:
Es werden nicht alle, die zu mir sagen: Herr, Herr in das Himmelreich kommen, sondern die den Willen
tun meines Vaters im Himmel.

2.
Was meint ihr? – fragt Jesus.
Erkennt ihr euch auch selbst in einem der beiden Söhne? In dem, der Jawohl sagt wie ein Untergebener zu seinem Herrn und dann doch nicht des Vaters Willen tut? In dem, der aufmüpfig Ich will nicht sagt, und dann doch tut, was sein Vater will? Was meint ihr von euch selbst? Tut ihr das Gerechte? Gegenüber den Menschen, mit denen ihr am engsten zusammen lebt? Und wenn ihr urteilt über die Fremden? Und bei der Arbeit mit anderen? Tut ihr da, was diesen Menschen nach dem Willen des himmlischen Vaters gerecht wird? – Oder macht ihr nur schöne Worte?
Jesu Geschichte kann uns die Augen öffnen. Sie kann uns auch den Blick auf unsere Kirche und unsere Gemeinden schärfen. Redet unsre Kirche immer nur von der Gerechtigkeit, macht Erklärungen, die sich an andere richten, oder tut sie auch das Gerechte in Zeiten, wo das Geld knapp wird? Tun wir das Gerechte an den Menschen, die bei uns in der Kirche arbeiten? Tun wir das Gerechte an den Menschen, die uns nichts bringen, aber arm dran sind und gerade auf uns warten, von ihren Nächsten Vergessene und Liegengebliebene in unsrer Gesellschaft? Tut unsre Kirche, was ihnen gerecht wird?

3.
Jesu Gleichnis von den zwei ungleichen Söhnen hat bei dem Evangelisten Matthäus noch eine weitere Dimension. Jesus sagt noch mehr. Und trifft damit die Männer, die ihm im Tempel gegenüber sitzen, in ihrem Verhalten zu ihm selbst.
Was sind das für Männer?
Solche, die in Jerusalem das Sagen haben. Geistliche Führer und aus den ersten Familien der Stadt. Sie haben kritisch zugesehen, wie Jesus eben noch unter den Jubelrufen einer begeisterten Volksmenge in die Stadt eingezogen ist, wie er die Händler und Geldwechsler aus dem Tempel vertrieben und eben da Blinde und Lahme geheilt hat. Und hat die unmündigen Kinder verteidigt, die das Hosianna von der Straße in den Tempel getragen hatten.
Wieso tritt Jesus so im Tempel auf? Mit welchem Recht darf er das? Wer hat ihn dazu bevollmächtigt? Autorisiert?
So haben diese Kritiker Jesus gefragt. Und der hat sie zurück gefragt Was meint ihr? Wer von den ungleichen Söhnen hat des Vaters Willen getan? Da konnten sie nur antworten: Der zuerst sagte Ich will nicht, der hat des Vaters Willen getan.
Auf diese ihre Antwort hin spricht Jesus und es tönt wie ein Urteil voller Autorität:
Amen, ich sage euch: Die Zöllner und die Dirnen kommen eher als ihr in die Königsherrschaft Gottes.

Und dann, als ob Jesus sein Urteil noch einmal für sie begründete und erklärte:
Es kam nämlich Johannes zu euch auf dem Weg der Gerechtigkeit und ihr habt ihm nicht geglaubt. Die Zöllner aber und die Dirnen glaubten ihm. Ihr dagegen habt es gesehen und habt danach euern Sinn nicht geändert, ihm zu glauben.

Noch einmal können sie sich selbst in dieser Geschichte erkennen als die, die den Willen Gottes nicht taten, obwohl sie doch wie auf Befehl Jawohl, Herr sagten. Und werden beschämt, weil Jesus auf andere hinweist: Die Betrüger und Huren taten Gottes Willen.
Die führenden Männer – sie hatten den Glauben an Gott und die Gebote im Munde geführt und selbst hochgehalten. Das ist von uns nicht schlecht zu machen. Aber als es drauf ankam, als der Täufer Johannes auftrat und dann Jesus und beide predigten: Kehrt um, denn das Himmelreich ist nahe herbei gekommen! – taten sie das Entscheidende nicht. Da habt ihr nicht geglaubt – sagt Jesus.
Ihr Kirchenbesucher, wird er wohl uns fragen, und ihr Kirchenführer, Hüter der Gesellschaft, die ihr die christlichen Werte und Traditionen beschwört, die ihr die christliche Religion in der Öffentlichkeit geachtet wissen und Gott unbedingt in der Verfassung Europas genannt haben wollt, die ihr die Verweltlichung des Lebens beklagt und vor der Gottlosigkeit warnt – wie haltet ihr es mit Jesus, der wie der Täufer auf dem Weg der Gerechtigkeit Gottes gekommen ist?
Habt ihr ihm geglaubt? Wie urteilt er über euch, wenn er spricht:
Amen, ich sage euch, die Zöllner und die Dirnen werden eher ins Reich Gottes kommen als ihr. Denn sie haben wie dem Täufer so auch Jesus geglaubt.
Gewiss - die Lebensführung dieser Geldeintreiber und Huren war ein offensichtliches Nein zu Gottes Gebot. Die Frommen verachteten sie deswegen auch gründlich. Was aber taten diese Außenseiter, als Jesus kam? Sie setzten sich mit Jesus an einen Tisch, um mit ihm zu essen und zu trinken, weil er sich zu ihnen setzte. Als er einkehren wollte bei dem Oberzöllner Zachäus, nahm der ihn auf - „mit Freuden“ und versprach die Hälfte seines Besitzes den Armen und vierfache Entschädigung denen, die er betrogen hatte. Und die so genannte große Sünderin salbte Jesus als Zeichen ihrer großen Liebe mit kostbarem Salböl.

Ihr habt das gesehen – sagt Jesus in unserm Text zu den Männern im Tempel, aber ihr habt euern Sinn nicht geändert und geglaubt. Und doch nagelt Jesus seine Kritiker nicht fest auf ihren Unglauben. Noch, wo er sie so anspricht - wirbt er um sie.
Will er ihnen nicht sagen: Meine Tür steht euch offen!

Wir sehen ihn nicht. Doch glauben wir, dass der lebendige Jesus auch durch unsere Zeit geht. Und wie damals zieht es ihn zu den Menschen, die unten und die arm dran sind. Die im Schatten existieren. Es zieht ihn zu den Kleinen und Armen, zu den Vergessenen und Liegengelassenen, zu den Gottlosen und Verachteten jenseits der Grenzen von Religion und Moral. Denn Gott selbst zieht es da hin. Wo Jesus kommt, macht Gott gerade bei denen Wohnung. Jesus lässt sich dabei nicht beirren durch die Mächtigen und Weisen, durch die Hohen und Reichen, durch die, die über Gefahr und Rettung immer schon Bescheid zu wissen meinen und sich in ihrer eigenen Gerechtigkeit nicht erschüttern lassen. Jesus sagt in der ihm eigenen Souveränität: Für die Starken und für die Gerechten bin ich nicht gekommen, sondern für die Schwachen und die Sünder.

Wie halte ich es mit Jesus? Wie hältst du es mit Jesus?
Auch du und ich, wir sind bei uns selbst nicht gut aufgehoben, aufgehoben sind wir nur bei Gott, der die Verlorenen annimmt. Das ist die Gerechtigkeit, die uns in Jesus begegnet. Das ist die offene Tür ins Reich Gottes.

Was will Jesus mit unserem Leben?
Sein Zug zu den Menschen, die unten sind, will sich fortsetzen in unserem Leben. In unserm Tun. Was ihr getan habt einem unter meinen geringsten Schwestern und Brüdern - den Fremden und den Kranken, den Gefangenen, den Hungernden und Dürstenden – das habt ihr mir getan. So sagt er. Da habt ihr mich getroffen, und wusstet es gar nicht. Amen.

Hans Theodor Goebel, Köln
HTheo_Goebel@web.de

 


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