Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

15. Sonntag nach Trinitatis, 4. September 2005
Predigt über Lukas 18, 28-30, verfasst von Andreas Pawlas
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Da sprach Petrus: Siehe, wir haben, was wir hatten, verlassen und sind dir nachgefolgt. Jesus aber sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Es ist niemand, der Haus oder Frau oder Brüder oder Eltern oder Kinder verlässt um des Reiches Gottes willen, der es nicht vielfach wieder empfange in dieser Zeit und in der zukünftigen Welt das ewige Leben.

Liebe Gemeinde!

Zu diesem biblischen Bericht gehört eine entscheidende Vorgeschichte, die wir aber erst später bedenken werden. Lassen Sie uns zunächst einmal nur auf diesen Bibelabschnitt schauen. Und eigentlich müsste es jetzt hierzu eine Art Dialogpredigt geben, nämlich zwischen einem mittelalterlichen Mönch einerseits und einem evangelischen Christen unserer Tage andererseits. Und was da den heutigen Evangelischen angeht, so würde der sicherlich schnell fragen, was uns denn heute morgen hier in Sparrieshoop diese Frage des Hl. Apostels Petrus wohl interessieren sollte? Denn die scheint doch vollkommen überholt und aus einer versunkenen Welt zu sein. Natürlich mag es damals im alten Palästina, üblich gewesen zu sein, ab und zu einmal mit einem Wanderrabbi mitzugehen. Denn was sollte man anderes machen in Zeiten, wo es doch noch kein Schulsystem gab? Da wanderte man einfach für eine Weile mit einem weisen Mann mit, um Gutes und Lebenswichtiges zu hören und zu lernen.

Allerdings, wenn unser Bibelwort nur mit solchen damals ganz üblichen Lernverfahren zu tun hätte, was sollte das für uns heute bedeuten können? Und außerdem müsste doch dann die Frage des Apostels völlig überzogen erscheinen. Und die Antwort, die er dann bekommt, ebenso. Denn dann wäre es doch völlig normal, für eine Weile alles zu verlassen, um lernend unterwegs zu sein. Und natürlich lohnt es sich auch zu lernen. Denn irgendwie zahlt sich das immer aus. Aber warum sollte man da „vielfach wieder empfangen in dieser Zeit und in der zukünftigen Welt das ewige Leben“?

Oder geht es vielleicht in unserem Bibelwort doch um etwas völlig Anderes? Und jetzt muss unser mittelalterlicher Mönch mit seiner ganz anderen Meinung zu diesem Bibelwort zu Wort kommen. Und da würde er dieses Bibelwort uns gar nicht gern überlassen wollen, sondern es völlig für sich beanspruchen und sagen: „Das ist genau mein Bibelwort. Denn Ich bin es doch, der Haus oder Frau oder Brüder oder Eltern oder Kinder verlassen hat und ins Kloster gegangen ist. Ich bin es doch, der alles hinter sich gelassen hat um des Reiches Gottes willen. Ich bin es doch, der alle diese Opfer gebracht hat. Und nun darf ich doch wirklich damit rechnen, dass ich dafür vielfach wieder empfange in dieser Zeit und in der zukünftigen Welt das ewige Leben.“

Aber klingt das nicht wie eine Art Kuhhandel? Hier bringe ich Opfer und da entschädigt mich Gott dafür reichlich. Und das nicht nur zeitlich sondern sogar ewiglich, was jedoch nach mittelalterlicher Logik völlig plausibel war. Aber bestimmt würde man heutigen Mönchen Unrecht tun, wenn man ihnen gegenwärtig noch ein solches Denken unterstellte. Jedoch genau das ist sicherlich mit ein Ergebnis der Reformbemühungen Martin Luthers, dass nämlich dadurch die ganze Kirche und damit auch das Mönchtum in Denken und Leben verändert wurde. Denn ganz massiv wandte sich damals Luther gegen solch ein Kuhhandel-Denken mit Gott. Nein, wer so mit Gott handeln will, der nimmt einerseits Gott in seiner grenzenlosen Liebe, Macht und Herrlichkeit nicht ernst. Andererseits aber hat er nichts wirklich begriffen vom Menschen und von seiner Sünde. Und Sünde heißt ja konkret, diese schlimme und schmerzhafte Entfernung von Gott. Und aus dieser realistischen Perspektive ist es ein katastrophaler Irrtum zu meinen, Mensch und Gott seien wirklich so etwas wie zwei gleichberechtigte Handelspartner, die miteinander um gegenseitige Vorteile feilschen könnten: „Ich bringe dir ein Opfer und du gibst mir Gutes in Zeit und Ewigkeit.“ Denn wie sollten denn Du und ich wirklich gleichberechtigter Handelspartner Gottes sein, wenn wir immer wieder schmerzhaft erfahren müssen, wie unvollkommen wir als Menschen sind, wie wir unserem Geschick einfach ausgeliefert sind, oder wie belastet mit Schuld wir sind, so dass man manchmal nur noch aufschreien kann. Was für eine meilenweite Entfernung zu Gott! Und was sollten da alle Selbstquälereien des Menschen und selbst gewählte Trennungen helfen können, um diese Trennung zwischen begrenztem, leidvollen Menschlichem und unbegrenztem, erfüllten Göttlichen zu überbrücken?

Und genau dies ist bei der Ursprungssituation unseres Bibelwortes zu bedenken. Denn Jesus zog damals weder durchs Land, um das zeitgenössische Bildungssystem durch Wanderunterricht zu verbessern, noch einen göttlichen Kuhhandel anzubieten im Sinne des: „Wenn du schön fleißig opferst, dann gelingt dir alles in Zeit und Ewigkeit.“ Sondern er zog als fleischgewordene Liebe Gottes durchs Land, weil er doch das Elend der Menschen sah und ihre Orientierungslosigkeit, so dass sie ihn einfach jammerten. Und die Leute schrieen nach ihm in ihrer Not, weil da kein anderer war, der ihnen helfen konnte. Genau das ist die Situation des Menschen. Was sollte da irgendein Opfer-Kuhhandel helfen können. Und außerdem, was hätte der Mensch auch schon, was er Gott zum Handel anbieten könnte, dem Gott, dem doch alles dieser seiner eigenen Schöpfung gehört?

Natürlich gibt es Menschen, die wissen nichts von einem solchen Leiden am Leben und an sich selbst. Und wer bislang ohne Schrammen und Blessuren durchs Leben gekommen ist, und darum die Welt so in Ordnung findet, wie sie ist, der muss ja auch nicht weiter zuhören. Allerdings könnte es vielleicht für ihn doch wichtig sein, noch einmal kurz auf den eigentlichen Anfang der Geschichte zu hören.

Denn kurz bevor der Hl. Apostel Petrus mit Jesus ins Gespräch kam, da war ein sehr frommer Mann zu Jesus gekommen und hatte ihn gefragt, was er tun müsse, um das ewige Leben zu ererben. Und da hatte ihn Jesus auf die zehn Gebote verwiesen. Jedoch wollte sich der fromme Mann damit nicht abspeisen lassen und sprach: „Das habe ich alles gehalten von Jugend auf.“ Als Jesus das hörte, da sah er ihn an und gewann ihn lieb (Mk 10,21) und sprach er zu ihm: „Es fehlt dir noch eines. Verkaufe alles, was du hast, und gib's den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir nach!“ Als aber der fromme Mann das hörte, da wurde er traurig, denn er war sehr reich. Und er ging davon. Und genau diese Szene hatte die Menschen damals gewaltig erschreckt. Denn genauso wie heute besaßen sie alle irgendwie und irgendwo etwas und mussten das auch zum Leben haben. Aber nun merkten sie wohl mit einem Male, wie sehr sie alle an dem hingen, was sie besaßen oder was ihnen lieb war. Und darum fragten sie sich verwirrt und erschreckt: Wie sollte da bloß einer selig werden können?

Und erst darauf hin sprach dann Petrus: „Siehe, wir haben, was wir hatten, verlassen und sind dir nachgefolgt.“ Und vielleicht klingt da sogar noch etwas nach wie: „Wir haben doch darum nichts mehr, was wir den Armen geben könnten, um so einen Schatz im Himmel zu haben.“ Wie den auch sei, auf keinen Fall hatte Petrus mit seinem Wort vor, mit Christus irgendeinen Opfer-Kuhhandel zu beginnen im Sinne des „Guck ´mal, wie viel Opfer ich gebracht habe. Mit was darf ich nun rechnen?“ Und wir wissen ja auch, dass jeder, der so berechnend auf die erste Christenheit schauen wollte, merken musste, dass da die Rechnung nicht aufging. Denn was ernteten die ersten Christen so bald? Verfolgung, Gefängnis, Folter und gar nicht so selten den Tod - eben in der Nachfolge Christi, der ja aus weltlichen Augen auch nur im Kreuzestod gescheitert schien.

Nein, unter den Jüngern hatte alle Berechnung und aller Opfer-Kuhhandel aufgehört. Denn sie konnten doch gar nicht anders, als bei Christus zu sein. Weil ihnen doch Gott in Christus nahe kam, deshalb mussten sie ihm einfach nachfolgen und alles stehen lassen. Der Petrus sein Fischerboot und seine Fischernetze. Der Matthäus seine einträgliche Stelle an der Zollstation. Und das war kein Opfer, sondern ein Perspektivenwechsel in der Gegenwart Gottes.

Und genau einen solchen Perspektivenwechsel erlebten doch auch so viele andere, die sehnsuchtsvoll endlich auf ein Zeichen von Gott warteten, sei es zur Heilung ihrer Schmerzen oder zur Vergebung ihrer Schuld. Sie hatten zunächst bitter erfahren müssen, dass letztlich Gut und Geld oder Freundschaft und Verwandtschaft nicht helfen können, um ein heiles, erfülltes und befreites Leben zu führen. Aber nun durch den Perspektivenwechsel in der Gegenwart Jesu Christi, da waren sie froh und dankbar, Gottes heilsame Nähe verspüren zu können. Und damit wurde doch alles anders und gut. Wie sollten sie darum noch von Gut und Geld oder Freundschaft und Verwandtschaft Heil und Heilung erwarten können? Nein, sie ließen alles hinter sich. Denn sie brauchten es nicht mehr.

So oder so ähnlich muss das damals gewesen sein. Aber wie ist das nun für uns moderne Menschen? Oder sind wir gar nicht so modern, und versuchen doch immer wieder, mit Gott einen Opfer-Kuhhandel zu machen, etwa in dem Sinne: „Lieber Gott, jetzt verzichte ich auf den täglichen Nachtisch, aber dann musst Du mich auch wieder gesund machen.“ oder „Lieber Gott, jetzt habe ich so viel gespendet, jetzt musst Du doch machen, dass mein weggelaufener Sohn mir wieder ein Lebenszeichen gibt.“ Aber ist das dann sehr viel anders als das, was mittelalterliche Mönche gemacht haben und wodurch Gott sich in seiner Freiheit und Unendlichkeit niemals zwingen lässt? Fühlen wir dagegen nicht viel mehr diese Sehnsucht, endlich ein Zeichen von Gott zu erhalten, und endlich Heil und Heilung und Vergebung von Schuld zu erfahren? Und haben wir da nicht zu mindest eine Ahnung, von diesem Perspektivenwechsel, nämlich wie in der Nähe Gottes und im Vertrauen auf Gottes Wirken einfach alles anders und besser wird?

Aber soll das nun für uns heißen, wenn wir Gottes Nähe in Jesus suchen, auch alles zu verlassen, um mit ihm auf Wanderschaft zu gehen? Nein, denn nach Tod und Auferstehung wandert Jesus nicht mehr derart leiblich durch unsere irdische Gegend, so dass wir uns ihm anschließen könnten. Aber seit Himmelfahrt können wir uns sicher sein, dass wir in Andacht und Gebet Jesus überall begegnen können und deshalb überall ein erfülltes und befreites Leben führen können, von Gott geführt und bewahrt.

Muss sich nicht darum nicht ganz von selbst jeder, der froh und dankbar durch Jesus Christus diesen Perspektivenwechsel erlebt und so endlich Gottes Nähe verspüren kann, auch ein neues Verhältnis zu Gut und Geld oder Freundschaft und Verwandtschaft gewinnen? Denn um das Heil für sein Leben zu erlangen, da braucht man das alles nicht mehr. Man darf die Dinge dieser Welt benutzen, ja, sich sogar an ihnen als gute Gottesgaben freuen, aber man hängt sein Herz nicht mehr daran und wird damit frei. Und damit wird gleichzeitig auch der Blick frei, um die Not des Nächsten zu sehen – und um gern und nicht knickerig zu helfen. Denn einem selbst ist ja in der Nähe Gottes geholfen worden und schon so viel geschenkt worden, dass es nicht zu bemessen ist. Wer so vom Glauben an das Reich Gottes erfüllt ist, der hat schon in dieser Zeit mehr empfangen, als diese Welt zu geben vermag und hat gleichzeitig durch den Glauben bereits Anteil an der zukünftigen ewigen Welt. Gott schenke uns diesen Glauben, damit wir ihn loben und preisen hier und in Ewigkeit.

Amen.

Pastor Dr. Andreas Pawlas
Ev.-luth. Kirchengemeinde Barmstedt
Erlenweg 2
25365 Kl. Offenseth-Sparrieshoop
Andreas.Pawlas@web.de

 


(zurück zum Seitenanfang)