Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

20. Sonntag nach Trinitatis, 9. Oktober 2005
Predigt über 1. Mose 8, 18-22, verfasst von Thomas Meurer
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Gottes Herzensumsturz

„Mach das nie wieder!“ – Vom Zorn geschüttelt steht Sebastian vor Kai und brüllt ihn aus Leibeskräften an. Mit seinen sieben Jahren ist er ganz und gar Empörung. Kai hat eine Grenze bei ihm überschritten und er fühlt sich ohnmächtig. Und je mehr er seine Ohnmacht spürt, desto wütender wird er. Und weil er sich ärgert, dass ihm das geschehen ist, beginnt er zu drohen: „Wenn du das noch einmal machst, dann…“

Eine andere Szene: „Ich will es auch nie wieder tun!“, beteuert Lars. Seine Mutter hat ihn dabei erwischt, wie er einen Pralinenkasten, der eigentlich als Geschenk für seine Oma gedacht war, geöffnet und sich daraus bedient hat. Lars fühlt sich ziemlich mies. Er sieht ein, dass das mit dem Pralinenkasten falsch war. Alles an ihm ist Entschlossenheit. Nie wieder soll ihm so etwas passieren. Was heißt „soll“? Es wird ihm nicht wieder passieren.

Zwei Szenen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, die mehr sind als „Kinderszenen“. Und auch zwei Äußerungen, die nicht nur aus Kindermund zu hören sind: „Mach das nie wieder!“ und „Ich will es auch nie wieder tun!“ Beiden Sätzen gemeinsam ist ja die Vorstellung, dass es ab heute und hier ganz anders wird. Nichts ist mehr so, wie es war. Alles auf Anfang. Jetzt wird alles ganz anders. Das, was schief lief, passiert kein zweites Mal.

Ein veränderungsbereiter Gott

Die heutige Schriftlesung aus dem 1. Buch Mose erzählt vom Verhalten Gottes nach der Sintflut. Gott setzt nach der Flut buchstäblich ein Zeichen. Der Regenbogen ist das für alle Zeiten sprechende Zeichen dafür, dass Gott nie wieder tun will, was er da getan hat. Er plant nicht mehr, den Menschen noch einmal von der Erde zu vernichten. Gott verspricht mit diesem Zeichen, dass ab jetzt alles seinen geregelten Gang gehen wird. Nicht mehr aufhören sollen Aussaat und Ernte. Darauf ist Verlass: Gott wird den Rhythmus der Welt nicht mehr aus dem Takt bringen.

„Mach das nie wieder!“ – Würde ich einer der beteiligten Figuren in der Geschichte der Sintfluterzählung Sprache und Stimme geben können, dann wäre das der erste Satz, der mir in den Sinn käme. Die Fernsehbilder aus New Orleans noch vor Augen, möchte ich einem Überlebenden der Sintflut in der biblischen Erzählung am liebsten den Satz in den Mund legen: Mach das nie wieder, Gott!

Seit biblischen Zeiten steht die Frage im Raum, wie Gott all das Zerstörerische zulassen kann, das die Menschheit heimsucht. Oder ist es am Ende sogar Gott selber, der dieses Übel über den Menschen verhängt, der Katastrophen nicht nur zulässt sondern schickt? Solange wir Gott als Gott denken, können wir nicht anders, als ihn uns so allmächtig vorzustellen, dass er auch die Kräfte der Natur entfesseln und ihren Verlauf beherrschen kann. Gott, so weiß die Bibel zu erzählen, schafft nicht nur Licht und Leben, sondern auch Finsternis und Unheil. Würden wir Gott anders denken, wäre er nicht mehr der allmächtige Schöpfer des Himmels und der Erde, als den die Bibel ihn beschreibt. Und dennoch zeigt der Abschnitt aus dem 1. Buch Mose auch eine ganz andere Seite dieses Gottes. Gott gibt das Versprechen „Ich will es nie wieder tun!“ – so, als hätte er sich wie ein Kind in der Wahl seiner Mittel vergriffen, hätte nicht geahnt, was er da angerichtet hat. Ein Bibelwissenschaftler hat in diesem Zusammenhang einmal vom „Herzensumsturz“ Gottes gesprochen, der in vielen prophetischen Texten des Alten Testaments zum Ausdruck kommt. Gott reut das Böse, das er seinem Volk oder der Menschheit insgesamt angedroht oder sogar bereits angetan hat, und er tut es nicht.

Vielleicht ist es schwierig für uns, dies zu begreifen: der allmächtige Gott, dessen Ratschlüsse als ewig gelten, wird in manchen biblischen Texten als ein Gott beschrieben, der durchaus seine Meinung und sein Empfinden ändern kann. Ist Gott ein wankelmütiger Schöpfer, ein „Wendehals“, ein unzuverlässiges Gegenüber für den Menschen? Ist der Mensch der Willkür Gottes ausgeliefert, seiner Tageslaune gleichsam, die niemand voraussehen kann?

Gott als Partner des Menschen

Der biblische Text der Sintfluterzählung zeigt vor allem eines: Gott ist ein Partner des Menschen, der einsieht, dass er eine Grenze überschritten hat. Das ist für mich die eigentliche frohe Botschaft dieses biblischen Textes: nicht, dass die Wasser zurückgehen und die Erde gerettet ist, nicht dass das Böse von der Erde getilgt und die ganze Schöpfung gleichsam zurück auf Anfang geschaltet worden ist, sondern die frohe Botschaft dieses Textes liegt darin, dass Gott kein selbstverliebter Despot, kein selbstherrlicher Diktator ist, sondern einer, der sein Handeln in Frage zu stellen und sich dem Menschen gegenüber selbst verpflichtet. Das ist für mich das entscheidend Neue dieses biblischen Gottes im Vergleich zu den Göttern der anderen Völker und Kulturen alttestamentlicher Zeit: Gott kehrt um, er verpflichtet sich gegenüber dem Menschen zu einem schützenden Handeln. Gott selber schränkt sich in seiner Allmacht ein, bindet sich an sein Versprechen, die Welt nicht mehr aus dem Takt geraten zu lassen.

„Mach das nie wieder!“ – Dieser Satz kann leicht zum empörten Gebet eines Menschen werden, dessen Grenzen von Gott überschritten wurde. Der Abschluss der Sintfluterzählung ermutigt uns dazu, dieses kurze Gebet unserem Gott zuzumuten: Mach das nie wieder! Das gilt für Naturkatastrophen und globale Unfälle ebenso wie für das kleine private Unglück, die individuelle Not, die nur mich betrifft und mein Leben beschwert. Seit jenem Bogen, den Gott in die Wolken gesetzt hat, ist klar, dass Gott sich nicht als absolutistischer Herrscher aufspielt. Gott ist lernfähig, veränderungsbereit. Auf einen solchen Gott kann ich mich einlassen. Auf einen Gott, der auf mein „Mach das nie wieder!“ reagiert und mir gegenüber eingesteht: „Ich will es nie wieder tun!“

Dr. Thomas Meurer
Amelsbürener Str. 20
48165 Münster
c/o Philosophisch-Theologische Hochschule Sektion Praktische
Theologie Hohenzollernring 60
48145 Münster
www.pth-muenster.de
thomasmeurer@t-online.de


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