Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Letzter Sonntag des Kirchenjahres, Ewigkeitssonntag, 20. November 2005
Predigt über Lukas 12, 42-48, verfasst von Wolfgang Petrak
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde,
heute, ein Tag in der Zeit: Ewigkeitssonntag. Es ist der Tag, der uns vor Augen führt, dass die Lebenszeit geschenkt ist. Zugleich lässt er erkennen, dass sie uns genommen wird.
Dieser Tag kann und will nicht den Schmerz betäuben, den die Trauer hinterlässt. Wir haben erfahren- und es wird sich wiederholen-, dass wir loslassen müssen. Wir sollen aber wissen, dass zugleich unsere Zeit in den Horizont Gottes hineingestellt wird. Er umgreift uns und unsere Vergangenheit. Er allein eröffnet eine neue Zukunft. So wird es kommen.

Und so sind viele heute gekommen, um zu hören, was Gott mit uns vor hat. Vielleicht werden sie nachher noch einmal über den Friedhof gehen, an den Gräbern ihrer Toten verweilen und mit Blumen und Gestecken einen Gruß hinterlassen. Denn mitten in der Zeit der Trauer soll das Schöne, das Wachsen seinen Ausdruck finden können. Zugleich können auch die Tränen dabei ihren Platz haben. Denn es gibt etwas, was nicht mit Worten gesagt werden kann. Die Gedanken, die wie Bilder auftauchen und sich zusammenstellen wie in den Fotoalben hinten im Glasschrank: Damals, als Weende noch ein Dorf war und der Weg in die Stadt mit dem Fahrrad an Feldern und Gärten vorbei führte; und im Sommer im Freibad, und wie die Mutter durch den Zaun mittags immer die Brote steckte; und wie man sonntags mit der Familie zu Plesse wandern musste; und wie bis in den frühen Morgen hinein bei Waldmanns auf dem Saal getanzt wurde, na klar; und wie man im VW-Käfer über die Alpen gefahren war; und wie man später dann zu Besuch gekommen war; und wie es dann soweit war und der Notarzt geholt werden musste, wie dann alles zusammenkam: Hin- und her gehen die Gedanken, entwerfen sich die Bilder. Sie lassen den Wechsel der Zeiten nicht aus. Sie zögern, halten aber den dunklen Tiefen stand und können dann wieder im Licht der hellen Tage verweilen. Klar, man ist nicht über die Stränge geschlagen oder jedenfalls nicht allzu oft.

Aber: Können wir bei unseren Bildern dieses Tages und unserer Zeit-, können wir in all den Gedanken, die die Mosaiksteinchen des Lebens zusammenzufügen suchen, traurig gestimmt und zugleich mit einem leisen Lächeln dabei- können wir da noch hören, wie der Herr kommt? Dieses Bild, wie er die Rute über dem Rücken dessen schwingt, der sich als unzuverlässiger Haushalter erwiesen hat; wie seine ganze Strenge dem gilt, der offensichtlich über die Stränge geschlagen war? Können wir in dem gedämpften Licht unserer Gedanken noch hören und es ertragen, wie da vom Herren gesagt wird, dass er zwar den einen erhebt, den anderen aber zerschlägt? Bang müsste man sich fragen: „Herr, bin ich’s“? Oder man müsste auflehnend das Wort des Propheten Hosea dagegenhalten: „Kommt, wir wollen wieder zum Herren, er hat uns geschlagen, er wird uns auch verbinden“ (Hos 6,1). Weil niemand zwei Herren dienen kann, muss man sich fragen: wer ist denn dieser Herr?

Wenn alles durcheinander zugehen scheint, muss man genau hinsehen und den Wust der sich zerteilenden Gedanken ordnen. Ja, es ist unser Herr, der ein Gleichnis sagt und uns ein Bild entwirft. In dieses Bild stellt er einen anderen Herrn hinein. Also: Das ist nicht er selbst, sondern eben ein Herr, wie es sie gegeben hat in diesen Zeiten der Herren und Knechte, der Freien und Sklaven, der Agrarökonomen und der Lohnabhängigen. Klar, dass so ein Herr von seinem Verwalter erwartet, dass in der Zeit seiner Abwesenheit der gegebene Auftrag durchgeführt wird muss . Sonst wäre er nicht der Herr. Klar ist auch, dass die Menschen schon seit den Zeiten Noahs und den Zeiten Lots so sind, wie sie sind: es wird gearbeitet und gesorgt, gebaut und gepflanzt, geheiratet, gegessen und getrunken: die einen so, die anderen so. Ebenso klar ist, dass Verantwortliche Konsequenzen zu tragen haben, auch wenn sie hart sind. Entsetzlich aber diese Strafe: bei Missachtung der abgesprochenen Arbeitsfelder gleich in Stücke gehauen zu werden – eine solche Strafe kann doch selbst der Herr in BILD nicht fordern...

Es ist ja auch nur eine Übertreibung, denn auch damals erzählte man sich aus fernen Landen, in diesem Fall aus Persien, Schauergeschichten. Vom Hörensagen her kann auch im Gleichnis übertrieben werden, um das vermeintlich ferne Ereignis umso deutlicher anzukündigen: der Herr, unser Herr kommt. Wann und wie: das bleibt offen. Und was dann sein wird, auch. Ja, es kann sogar sein, dass es umgekehrt kommt: Die, die eigentlich die Strafe verdienen, bekommen keine, während andere, die viel und Richtiges getan haben....Was also kommt nach den Worten unseres Herren auf uns zu?

Vieles kommt zusammen, wenn wir an diesem Tag das Gedenken und das Verdanken zusammen fügen und gleichsam die Bilder unseres und gleichsam die Bilder unseres gemeinsamen Lebens aus den Alben herausnehmen und wie auf einem Tisch ausbreiten: welch eine Vielfalt, unüberschaubar die einzelnen Momente, unüberschaubar auch die Verbindungen und Verknüpfungen. Was da alles zusammenkommt: Das meint das dankbare Erkennen eines übergeordneten Zusammenhanges. Es meint aber auch das Zusammenkommen von Abgründen und Schuld. Vor Jahrhunderten hatten Theologen dazu dieses Bild entworfen: Da kommt am Ende der Zeit der Mensch mit seinem Richter zusammen. Gott sitzt am Ende des anderen Tisches, der mensa rationalis. Unser Herr zählt die Taten auf, sie werden in die Waagschalen des Guten und des Bösen geworfen. Unaufhaltsam neigt sich die Waage zu der Seite des Unterganges, bis im letzten Augenblick Christus selbst in die andere Waagschale hinspringt, sodass sich alles umkehrt, auch das Urteil. Denn er ist es, der zusammenhält.

Wahrscheinlich haben wir uns sehr weit von diesem Bild entfernt. Stattdessen pflegen wir zu sagen: „ Es musste ja so kommen“. Um uns selbst und anderen eine Erklärung abzugeben, werden Beispiele verfehlter Ausgangsbedingungen genannt. Und schnell kann auch noch unter allseitigem beifälligen Kopfnicken die eine Ausschweifung ausgeführt, die andere aber nicht vergessen und überhaupt. Schließlich werden dann noch Stressfaktoren erklärend genannt: So erfolgt die Lebensbeschreibung als selbstverschuldetes und selbstgewähltes Gericht. Nichts lässt erkennen, dass die Zukunft offen ist.

Oder man sagt: „Es kommt, wie es kommt“ ( auf Kölsch hört es sich etwas gemütlicher an). Was aber nach Karneval klingen mag, ist der bittere Ernst eines Lebens ohne Zukunft. Denn das, was kommt, würde im Prinzip des Zufalls oder des Schicksals ohnehin schon fest liegen und jede Gestaltungsmöglichkeit rauben, damit aber auch jede Verantwortung. Da wäre es egal, die Aggression oder die Lust oder beides auszuleben, weil man sich wie jener Haushalter dann nur der Gegenwart verschreiben würde. „Mir doch egal “- das wäre seine Lebensäußerung, die sich dem Kommenden, der Zukunft, verschließt.

Er aber kommt. Von dannen. Weil alles offen sein soll. Er kommt von einem Ort, der nicht unseren Erfahrungen entspricht und deshalb uns nicht gehört. Er kommt, denn wir sind ihm nicht gleichgültig. Er kommt, damit wir eine Zukunft haben. In einem Sein, in dem alles zusammen kommt und nichts und niemand getrennt ist. Bei Gott. Amen.


P. Wolfgang Petrak
Schlagenweg 8a
37077 Göttingen
w.petrak@gmx.de


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