Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Okuli, 19. März 2006
Predigt zu 1. Petrus 1, 13-21, verfasst von Michael Nitzke
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


13 Darum umgürtet die Lenden eures Gemüts, seid nüchtern und setzt eure Hoffnung ganz auf die Gnade, die euch angeboten wird in der Offenbarung Jesu Christi.
14 Als gehorsame Kinder gebt euch nicht den Begierden hin, denen ihr früher in der Zeit eurer Unwissenheit dientet; 15 sondern wie der, der euch berufen hat, heilig ist, sollt auch ihr heilig sein in eurem ganzen Wandel.
16 Denn es steht geschrieben (3.Mose 19,2): »Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig.«
17 Und da ihr den als Vater anruft, der ohne Ansehen der Person einen jeden richtet nach seinem Werk, so führt euer Leben, solange ihr hier in der Fremde weilt, in Gottesfurcht;
18 denn ihr wisst, dass ihr nicht mit vergänglichem Silber oder Gold erlöst seid von eurem nichtigen Wandel nach der Väter Weise,
19sondern mit dem teuren Blut Christi als eines unschuldigen und unbefleckten Lammes.
20 Er ist zwar zuvor ausersehen, ehe der Welt Grund gelegt wurde, aber offenbart am Ende der Zeiten um euretwillen,
21 die ihr durch ihn glaubt an Gott, der ihn auferweckt hat von den Toten und ihm die Herrlichkeit gegeben, damit ihr Glauben und Hoffnung zu Gott habt.

Liebe Gemeinde,

„Wo Kirche drauf steht, muss auch Kirche drin sein!“, auf diesen einfachen Nenner bringt eine Pressemeldung unserer Landeskirche in Westfalen die Lage unserer Kirche heute.

Wie ist diese Lage heute zu beschreiben? Wie immer natürlich sehr diffus, wie die evangelische Kirche seit jeher war: viele verschiedene Meinungen, viele verschiedene Frömmigkeitsstrukturen, und die professionellen Vertreter versuchen den Laden zusammenzuhalten. Diese etwas saloppe Ausdrucksweise passt genau zu der kirchlichen Schlagzeile. „Wo Kirche drauf steht, muss auch Kirche drin sein.“

Wer so schreibt, lässt ja erkennen, dass er durchaus die Gefahr sieht, Kirche sei eine Mogelpackung. Sie wissen schon, das sind die Waren die im Einkaufskorb einen riesigen Raum einnehmen! Aber wenn man den Deckel aufmacht, erblickt man nur viel Luft, und das Produkt ist irgendwo hinter dem Verpackungsmaterial versteckt. Die Macher solcher Packungen kann man dafür nicht belangen, denn natürlich steht irgendwo drauf, wie viel Gramm von der kostbaren Ware denn nun in dieser voluminösen Packung sind. Aber das ändert nichts daran, dass eine Mogelpackung mehr scheinen als sein will.

Nun wie ist das mit der Kirche? Steht sie tatsächlich in der Gefahr, sich zu einer solchen Mogelpackung zu entwickeln? Außen eine imposante Erscheinung aber innen nichts drin?

Zur Zeit erleben wir, dass die Kirche sich sehr mit sich selbst beschäftigt. So sehr, dass das Eigentliche manchmal in den Hintergrund geraten könnte. Bleiben wir mal bei der Welt des Supermarktes. Wenn Sie zum Beispiel eine Fertig-Suppe kaufen, dann muss man die klein gedruckte Gewichtsangabe sehr genau studieren. Da kommt es nicht nur darauf an, dass da einfach 250 Gramm Suppe drin sind, da gibt es auch das viel sagende Wörtchen „Fleischeinwaage“. Diese Angabe beschreibt, wie viel von dem eigentlich Interessanten darin ist. Es ist ein Unterschied, ob in einem Viertel Liter Suppe 50 Gramm oder 100 Gramm Fleisch drin sind, denn sonst könnte ich mir auch einen Brühwürfel kaufen, Wasser habe ich ja zu Hause genug.

Es kommt also darauf an, was drin ist und nicht nur wie viel.
„Wo Kirche drauf steht, muss auch Kirche drin sein!“

Was denken Menschen heute, wenn sie mit etwas in Berührung kommen, wo Kirche drauf steht. Wenn ich bis vor ein paar Jahren nach meinem Beruf gefragt wurde und wahrheitsgetreu „Pfarrer“ antwortete, dann hat manchen das Gewissen geplagt, weil er so lange nicht mehr in der Kirche war, andere haben ihre positiven Erlebnisse oder ihre Probleme mit der Kirche geschildert. Oder sie haben darüber diskutiert, ob man in der heutigen Zeit noch an Gott glauben kann.

Vorige Woche bin ich auch von jemanden, der mich bisher nicht kannte, nach meinem Beruf gefragt worden, und als ich ihn nannte, kam nicht die mir bisher bekannten Reaktionen, sondern die besorgte Frage: „Werden denn bei Ihnen auch so viele Kirchen abgerissen?“
Dieses Bild vermittelt unsere kirchliche Arbeit zur Zeit: ein Bild des Abbaus, des Rückzugs, des Schrumpfens.

Als kirchlicher Vertreter antworte ich natürlich, dass dies ein gesamtgesellschaftliches Problem, sei, dass wir halt alle weniger werden und da unseren Gebäudebestand anpassen müssen. Eine korrekte Antwort, nicht umsonst sitzt man in so manchem Gremium, in dem einem die politisch korrekten Antworten in Fleisch und Blut übergehen.

Doch wenn dies die erste Reaktion ist, wenn ich meinen Beruf nenne, dann zeigt mir das zweierlei. Einerseits ist es die Frage, ob wir der Öffentlichkeit nicht ein anderes Bild vermitteln müssten als nur das von einer schrumpfenden Organisation. Andererseits, zeigt mir die Reaktion aber auch eine echte Sorge um die Kirche als Ganzes. Wer so fragt, ist nicht schadenfroh, sondern sorgt sich darum, ob die Inhalte denn noch ihre nötigen Verpackungen haben.

Auch in unserer Gemeinde wird ja diskutiert, in welchen Strukturen und mit welchen Gemeindehäusern wir in die Zukunft gehen. Keine Angst ich will jetzt nicht die Predigt für diese Diskussion missbrauchen. Ich will nur deutlich machen, dass ich mich selbst nicht hinstellen kann, und über die schlimme Lagen reden kann, als hätte ich damit nichts zu tun.

Manchmal hilft es, über den Tellerrand zu schauen, und mal zu sehen, wie es die anderen machen. Doch auch beim Blick in die katholische Kirchenzeitung erblicke ich nicht nur Erbauliches. Auch da geht es um Kirchenabrisse. Doch der entsprechende Artikel spricht von einem Hoffnungsschimmer, der auch schon anderswo publiziert wurde. Die Landesregierung will helfen und nach Lösungen suchen, damit Kirchenabrisse vermieden werden können. Denn, so heißt es, Kirchen seien ja schließlich auch über den Gottesdienstbesuch hinaus von Bedeutung, ein kulturelles Denkmal, ein Ort bürgerlichen Selbstbewusstseins, und was da noch so an politischen Schlagworten kommt. Wie gesagt ein Hoffnungsschimmer, dass uns die Politik nicht mit der Situation ganz alleine lässt. Aber irgendwas erinnert mich sofort wieder an die kirchliche Schlagzeile aus dem evangelischen Presseamt. „Wo Kirche drauf steht, muss auch Kirche drin sein!“

Ja, eine Kirche gehört zum Stadtbild, sie ist kulturell von Bedeutung, aber sie ist doch zu erst einmal Versammlungsstätte der Gemeinde des Herrn.
Wenn bürgerliches Selbstbewusstsein dafür sorgt, dass Kirchen erhalten werden, dann frage ich mich, „Wo ist das christliche Selbstbewusstsein?“

Wie schaffen wir es, dass in dem Kirchengebäude auch wirklich Kirche drin ist? Wie bekomme ich es hin, dass das historische Gebäude am besten Platz in der Stadt nicht nur noch ein Museum ist, und somit eine Mogelpackung, in der die Fleischeinwaage nicht stimmt?

Da hilft dann wieder ein Blick in die Grundlagen, damit man eben nicht nur in den Trott verfällt, über die eigenen Probleme zu reden und das Eigentliche zu vernachlässigen.
In unserem Predigttext haben wir gehört: ihr wisst, dass ihr nicht mit vergänglichem Silber oder Gold erlöst seid … sondern mit dem teuren Blut Christi. Und Paulus kann es sogar noch deutlicher ausdrücken als der erste Petrusbrief, wenn er sagt. „Ihr seid teuer erkauft.“ (1. Kor 7,23)

Es mag überraschen, dass auch in der Bibel Ausdrücke aus der Geschäftswelt gebraucht werden, wenn über das Wesen der Gemeinde gesprochen wird. Aber das macht den Vergleich mit der heutigen und der damaligen Situation leichter. Und die Bibel ist sogar noch drastischer mit ihren Worten als unser zahmes Gerede von Mogelpackungen oder korrekten Produktbeschreibungen.

Der Petrusbrief vergleicht das Erlösungswerk Jesus Christi wirklich mit einer Zahlung von Lösegeld. Aber alles Gold und Silber kann nicht die Währung aufwiegen, die der Sohn Gottes gezahlt hat. Er hat mit seinem eigenen Blut bezahlt. Das ist wertvoller als Gold und Silber. Die beiden Edelmetalle stehen seit Jahrtausenden für beständige Werte. Und auch heutzutage steigt der Goldpreis, weil man den Wertpapieren doch nicht mehr so richtig über den Weg traut. Gold und Silber, da weiß man, was man hat. Aber die Bibel weiß oft davon zu berichten, das auch diese Symbole des Reichtums vergänglich sind. Ob Gold wirklich rostet, wie Jakobus sagt (Jak 5,3), sei dahingestellt, aber zumindest ist es insofern vergänglich, als es einem zwischen den Fingern zerrinnen kann. Man denke da nur an das Märchen vom Hans im Glück, der den Goldklumpen, den er für sieben Jahre harter Arbeit bekommen hatte so oft eintauscht, bis er am Ende nur einen Stein hatte. Und als dieser dann in den Brunnen fiel, war der Lohn für sieben Jahre Arbeit einfach vergangen, ja so ist Gold vergänglich. Doch das Märchen der Gebrüder Grimm, weist uns ja schon den richtigen Weg: Als der schwere Stein, der nach so vielen Tauschvorgängen nur noch vom Gold übrig bleib, schließlich auf dem Grund des Brunnens lag, da schließen die Erzähler mit den Worten: „Mit leichtem Herzen und frei von aller Last sprang er nun fort, bis er daheim bei seiner Mutter war.“

Ja, Gold kann belastend sein, und wenn es fort ist, kann man sich befreit fühlen. Doch die Menschen ließen sich zu allen Zeiten von seinem Glanz blenden. Aber es gibt mehr zwischen Himmel und Erde als Edelmetall, Kontostände und Betriebskostenabrechungen für kirchliche Gebäude.

Es gibt Inhalte, aber die sind zu allen Zeiten schwierig zu vermitteln gewesen. So ist der Predigttext aus dem ersten Petrusbrief eigentlich nichts anderes als der Ruf unserer Zeit, „Wo Kirche drauf steht, muss auch Kirche drin sein!“
Wenn ihr euch Christen nennt, dann müsst ihr auch Christen sein und als Christen zu erkennen sein!
Dieser Ruf schallt den Adressaten des ersten Petrusbriefes entgegen.

Ihr sollt „heilig sein in eurem ganzen Wandel“, „führt euer Leben … in Gottesfurcht“, „und setzt eure Hoffnung ganz auf die Gnade“, „denn ihr wisst, dass ihr nicht mit vergänglichem Silber oder Gold erlöst seid … sondern mit dem teuren Blut Christi.“

Wahrscheinlich muss man dies zu allen Zeiten den Christen wieder ins Bewusstsein rufen. Auch die ersten Christen damals, waren nicht alles Wunderknaben, die automatisch alles richtig machten, auch sie brauchten einen Anstoß von außen. Das mag uns trösten, darf uns aber nicht beruhigen.

Wir müssen versuchen aus ihren Erfahrungen zu lernen. Wir dürfen weder in Panik verfallen noch in Lethargie erstarren, wenn wir unsere heutige Situation verbessern wollen. Aber der genaue Blick in unsere christlichen Grundlagen hilft dabei. Welchen Ratschlag gib der erste Petrusbrief hier? Hören wir den Text am Anfang:
13 … seid nüchtern und setzt eure Hoffnung ganz auf die Gnade, die euch angeboten wird in der Offenbarung Jesu Christi.
Seid nüchtern heißt es da. Nüchtern, das ist nicht nur das Gegenteil von betrunken, sondern das heißt ganz einfach „klar, realistisch, sachlich“.
Lasst euch nicht verrückt machen, tut das Naheliegende. Benutzt euren Verstand. Für die Urchristen hieß das damals, „nehmt, was euch angeboten wird“. Und was ist dieses Angebot? Die Offenbarung Jesus Christi, die Liebe des Sohnes Gottes, der mit seinem Blut gezeigt hat, wie wertvoll ihm die Menschen sind. Sie sind mit Gold nicht aufzuwiegen, aber mit seinem Blut hat er sie freigekauft.

Er, Jesus Christus, der sich mit keiner Sünde befleckt hat, der weder vor Gott noch den Menschen schuldig geworden ist, der hat sein Leben gegeben, damit die Menschen leben können, frei von Angst, frei von Schuld, frei von der Sucht nach mehr. Sie haben alles, was brauchen sie mehr?

Sie brauchen den Mut, von diesen Gaben auch Gebrauch zu machen. Sie brauchen den Antrieb, aus ihren Verstecken zu kommen und sich offen zu ihrem Glauben zu bekennen. Sie brauchen die Phantasie, davon immer wieder zu reden.
Wenn ihr euch Christen nennt, dann müsst ihr auch Christen sein.
„Wo Kirche drauf steht, muss auch Kirche drin sein!“ Machen wir also wieder den Sprung zurück von der biblischen Zeit in die unsrige. Wir brauchen heute den selben Mut wie die Christen damals, wir müssen wieder mehr vom Glauben reden, dann lernen wir auch mit der Tatsache zu leben, dass Gold und Silber vergänglich sind.

„Wo Kirche drauf steht, muss auch Kirche drin sein!“ dies ist eben doch nicht nur irgendeine Schlagzeile, sondern der Satz stammt von Axel Noak, dem evangelischen Bischof aus Magdeburg. Er war Anfang des Monats eingeladen zu einem Aktionstag der westfälischen Kirche in Soest. „ProViele“ hieß die Aktion. Und dieses Wort muss man eigentlich geschrieben sehen. Es ist ein Wortspiel, da geht es nicht nur um das Profil, die Seitenansichten von Gesichtern, oder die besondere Prägung von Organisationen, nein „ProViele“ wird mit „v“ und „ie“ geschrieben, das heißt also „für Viele“, für zahlreiche. (*)

Aber die Leute vom westfälischen Amt für missionarische Dienste, wussten natürlich, was sie mit diesem Wort aussagen wollen. Nur wenn ich Profil zeige, kann ich viele ansprechen. Nur wenn wir nicht gesichtslos sind, wird man uns als Christen erkennen. Und nur wenn wir als Christen erkennbar sind, dann werden sich auch andere für unseren Glauben interessieren.
Und nur dann wenn wir wirklich vom Glauben geprägt sind, dann ist auch in dem Gebäude, wo außen Kirche dran steht, auch innen wirklich Kirche drin.

„Schöne Worte!“, mag nun mancher sagen, „Aber die Betriebskostenabrechnung wird davon allein nicht bezahlt!“
Das stimmt, die Kirche wird sich sicherlich in ihren Strukturen verändern müssen. Manche bezeichnen diesen Prozess gerne mit dem Wort „gesundschrumpfen“.
Wichtig ist, dass wir erkennen, dass das Wort zwei Komponenten hat. Das Schrumpfen ist nicht allein Sinn und Zweck dieses Prozesses, es kommt auf die Gesundung an.

Zur Gesundung gehört eine wissenschaftlich fundierte Therapie und ein gutes Stück Hoffnung. Wichtig ist, dass wir die nicht vergessen, wichtig dass wir nicht auf Gold und Silber vertrauen, sondern auf Christus, der uns diese Hoffnung geschenkt hat. So wollen wir nüchtern sein wie die ersten Christen, wollen auf die Hoffnung des Glaubens vertrauen und diesen Glauben leben mit all unseren Sinnen, dann werden wir manches loslassen können und dafür vieles gewinnen können.

So gehen wir denn nüchtern und mit offenen Augen durchs Leben, wie es der Name des heutigen Sonntag verheißt: „ Okuli mei semper ad Dominum,...“ - „Meine Augen sehen stets auf den Herrn, denn der Herr wird meine Füße aus dem Netz ziehen.“ (Ps 25, 15)

Amen.

Pfarrer Michael Nitzke
Ev. Kirchengemeinde Kirchhörde
Dahmsfeldstr. 44
44229 Dortmund
Tel.: 0231 / 737157
www.kirchhoer.de
www.nitzke.de/pfarrer

Der genannte Bericht findet sich im Internet unter: http://www.ekvw.de/Nachrichten.153+M5fbeec6f456.0.html


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