Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Gründonnerstag, 13. April 2006
Predigt zu 1. Korinther 10, 16-17, verfasst von Reiner Kalmbach
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde:

Wer eine Predigt vorbereitet, hat dabei immer auch seine Gemeinde vor Augen…, wer wird kommen?, wieviele?, mit welchen Erwartungen…? An “normalen” Sonntagen begrüssen wir fast immer die selben Gottesdienstbesucher, aber es gibt Ausnahmen: da sind z.B. die hohen Feiertage, Taufen und Konfirmationen, Hochzeiten. Bei solchen Gelegenheiten finden auch Menschen den Weg in die Kirche die ihr eher gleichgültig, oder sogar ablehnend, gegenüberstehen. Ein guter Prediger wird gerade diese Menschen im Blick haben und sie einladen.

Predigen am Gründonnerstag; das ist die Ausnahme der Ausnahmen…, wer findet heute den Weg in die Kirche, an diesem Abend? Ich gehe einfach einmal davon aus, dass jeder von Ihnen heute ganz bewusst gekommen ist. Morgen, an Karfreitag und am Ostersonntag, da füllt sich unsere Kirche, da kommen “alle” (und wer sollte sich darüber mehr freuen als Jesus selbst!).

Aber heute sind wir “unter uns”, heute hören wir ein Wort das uns hineinnehmen möchte in eine ganz konkrete Situation. Wir feiern sie regelmässig, in manchen Gemeinden sogar jeden Sonntag, aber wir werden wohl noch nicht oft eine Predigt über das “Herrenmahl” gehört haben. Es gibt wohl im ganzen Kirchenjahr keinen Tag der das Herrenmahl so zum Zentrum hat wie Gründonnerstag.

Hören wir dieses Wort aus dem ersten Brief des Paulus an die Korinther, Kap. 10, die Verse 16 und 17:
“Der gesegnete Kelch, welchen wir segnen, ist der nicht die Gemeinschaft des Blutes Christi? Das Brot, das wir brechen, ist das nicht die Gemeinschaft des Leibes Christi? Denn ein Brot ist’s, so sind wir viele ein Leib, weil wir alle eines Brotes teilhaftig sind.”

Der Apostel Paulus, wie so oft und angesichts von Versuchungen, Irrwegen und der Gefahr von Rückfällen in längst vergangene Zeiten, sieht sich veranlasst den Christen in Korinth ins Gewissen zu reden…In seinen Briefen an die Gemeinde rückt er immer wieder die Dinge zurecht; ermahnt, richtet auf, lehrt und ringt um sie. So auch hier. Es geht ihm um das Wesentliche, um die Kernaussagen des Evangeliums, die immer wieder in der Gefahr stehen verwischt oder relativiert zu werden. Geht es bei den Korinthern um die Teilnahme an nichtchristlichen Kultmahlzeiten (Paulus redet von “Götzendienst”), so sollten wir fragen, was hindert uns daran das Wesentliche zu erkennen: welche Rolle spielen unsere Gewohnheiten und Traditionen, oder eine gewisse Routine die sich mit der Zeit eingeschlichen hat? Und unser Bedürfnis nach Gemeinschaft in einer immer kälter werdenden Welt; ist es falsch dieses Bedürfnis in den Mittelpunkt der Feier des Herrenmahls zu stellen…?

In unserer kleinen (Diaspora) – Gemeinde, hier im Süden Argentiniens, gibt es eine wunderschöne Sitte, auf die niemand (ich schliesse mich ein) verzichten würde. Nach dem sonntäglichen Gottesdienst bleiben die meisten Gemeindeglieder zum gemeinsamen Mittagessen. Oft gibt es “Asado”, gegrilltes Fleisch, dessen Zubereitung allein schon an eine Zeremonie erinnert. Jeder bingt etwas mit, Salate, Getränke und alles wird geteilt…Dann sitzen wir bis spät in den Nachmittag: Alleinstehende, junge Familien, Tagelöhner und Landbesitzer, intellektuelle Uniprofessoren und arbeitslose Fabrikarbeiter, alle sitzen am selben Tisch. Ja selbst ideologische oder politische Unterschiede sind wie aufgehoben. Dabei wird die “Speise” selbst zur Nebensache…, es tut einfach gut. Manchmal denke ich, hätten wir diese Nachmittage (oder Abende) nicht, das viele Stunden währende Beisammensein, unser Leben in diesem von Krisen und Armut geschüttelten Land sähe noch trauriger aus.

Ist es das was dieses Wort in des Apostels Brief an die Korinther (und an uns) meint?, geht es um das Gemeinschaftsgefühl…?, will Jesus an diesem Abend unter seinen Jüngern Gemeinschaft stiften…?, ja, was will Jesus?, was steckt “hinter” und in den Einsetzungsworten Jesu? Paulus lädt uns ein diese Worte einmal “nachzubuchstabieren”.

Erstens: Das “Herrenmahl” ist nicht “gemeinsames essen”, nicht fröhliches Beisammensein, nicht unser Essen (zumindest stehen all diese Dinge nicht im Mittelpunkt…), sondern es ist SEIN Mahl! ER, Jesus lädt ein, ER, Jesus bereitet den Tisch, ER, Jesus teilt aus, (und nun das unerhört Wesentliche), ER, Jesus teilt sich aus!, wir, die wir um den Tisch sitzen, wir empfangen IHN!

In manchen Gemeinden wird wenige Stunden nach dem Gottesdienst am Gründonnerstag die Osternacht gefeiert werden, in der das Licht, an der Osterkerze entzündet, an alle weitergereicht wird, die gekommen sind. Ist in der Osternacht die Gabe das eine Licht, das alle “ansteckt”, an dem alle Anteil bekommen, so ist die Gabe des Herrenmahls der eine “Leib für euch”, der die Empfänger in das Heil einbezieht, das er bringt: Durchbrechung der Todesgrenze, Stiftung neuen Lebens, das mit der Aufhebung von Schuld andere Grundmuster setzt, der neue Bund, gesetzt mit dem Christus, der sich hingegeben hat, beim Vater lebt und die nicht lassen will, mit denen er sich verbindet. In diesem Sinne ist der heutige Gottesdienst ein Ausblick auf das ganz sicher Kommende, ein Feiern auf das Ziel hin und vom Ziel her: Ostern.

Vor ein paar Jahren lernte ich auf einer ökumenischen Veranstaltung einen älteren Mann kennen, er ist aktives Gemeindeglied einer kath. Stadtgemeinde. In einer Pause kam er auf mich zu und wollte wissen wie wir Protestanten die Frage nach Schuld und Abendmahl sehen. Zuerst verstand ich seine Frage nicht, aber dann bot er an zu einem Gespräch in mein Büro zu kommen. Da sassen wir dann viele Stunden lang: ein evangelischer Pfarrer und ein “Häufchen Elend”, das zwanzig Jahre seines Lebens vor mir ausschüttete. Er, ein gläubiger Christ, seit zwanzig Jahren geschieden und deshalb (¡) seit zwanzig Jahren ohne Zugang zum Tisch des Herrn…, am Ende heulten wir beide, ich aus Wut angesichts der Grausamkeit die wir Christen einander (noch immer) antun, er, weil ich ihn fragte, ob er denn ernstlich glaube, dass Christus, der Stifter des Mahls, ihn, der sich nichts sehnlicher wünscht, als an diesem Tisch zu sitzen, ausschliessen würde…! Schliesslich teilte sich Jesus sogar jenem der ihn wenig später verraten wird…Jesus liebt uns bedingungslos und deshalb wendet er sich uns bedingungslos zu, wie sollte er dann einen von uns ausschliessen…!?

Am folgenden Sonntag feierten wir Gottesdienst und das Herrenmahl, er, nach zwanzig Jahren zum ersten mal. Auch für viele aus der Gemeinde war diese Abendmahlfeier ganz anders, neu, und deshalb vielleicht sogar wie das erste mal. Wieder gab es Tränen, aber diesmal aus Freude und Dankbarkeit.

ER gibt sich uns! D.h. was während der Herrenmahlfeier geschieht ist nicht etwas das wir selbst untereinander herstellen, etwa das Zusammengehörigkeitsgefühl, sondern wir empfangen etwas, wir empfangen IHN, und deshalb wird sich unser Verhältnis untereinander verändern. Deshalb, weil…

Zweitens: …ER sich mit uns verbunden hat, ist Verbundenheit unter uns möglich!

Aus des Herrn eigener Hand – nur vermittelt durch die des “Verwalters” – empfangen wir ihn selbst. So sind wir dann auch untereinander verbunden. Das Sakrament schlägt dann tatsächlich Brücken, auch wo menschlicherweise nur Gräben sind.

Für den der Brot und Wein so empfängt, wird offenbar, was für ihn nun anders geworden ist: weil er “den Leib für dich” empfangen hat, ist er in ihn einbezogen und Teil dieses Leibes, nicht mehr als einer unter vielen, sondern mit Namen ansprechbar. Es ist so wie in der Osternacht, wenn das Licht weitergegeben ist, und aus der Finsternis die Gesichter aufleuchten und ganz deutlich zu sehen sind.

Jetzt verstehen wir auch die Rede vom “einen Leib” und seinen Gliedern. Für Luther hat die Teilnahme am sakramentalen Christus (der Christus der sich uns im Mahl gibt) ganz konkrete Konsequenzen: alle auf Gedeih und Verderb miteinander verbunden, alle allen verpflichtet, jeder Sieg des einen ein Sieg auch für alle anderen, jedes Versagen von weittragenden Folgen auch für die anderen, jeder Schmerz (auch im “kleinsten Zehlein”) alarmierend für das Ganze, jede Freude des einen eine Freude für alle…

Und noch ein Drittes: Die Teilnahme am Herrenmahl ist weit mehr als eine “geistige Anteilnahme”. Im Mahle teilt unser erhöhter Herr sich selbst an uns aus. Empfang des Sakraments ist Eingliederung in seinen himmlischen Leib. Der ganze Christus – leibhaft sich austeilend als Brot und Wein. Er schenkt sich uns so, wie wir ihn brauchen. So tief gibt er sich in unser Leben hinein. Es ist ein konkretes, wirkliches Geschehen, persönlich, ganz auf uns, euch, mich bezogen, wie wir nun einmal beschaffen sind, nie an unserer kreatürlichen Wirklichkeit vorbei, sondern in, mit und unter ihr. Haben zwei Menschen einander lieb und es fasst eine Hand die andere, dann ist dieses Ergreifen, dieses Zufassen und der Druck der Hände nicht blosses Hilfsmittel der Sprache, sondern selbst ein Stück wirkliche Gemeinsachaft. Jeder weiss, dass eine Liebesbeziehung die sich, aus Gründen der geografischen Distanz, auf Telefon, Brief oder Mailkontakt reduziert, auf Dauer schwerlich funktionieren kann.

Christus gibt sich im Mahle so, dass wir ihn fassen, greifen, in uns aufnehmen können. Nicht weniger real, als er in seinen Erdentagen inmitten der Seinen stand. Nur jetzt noch näher. Wir bekommen an ihm selbst teil. Er wollte es so – gerade in der Abschiedsstunde des Gründonnerstag. Wir sollen nicht ohne ihn sein.

Amen.

Reiner Kalmbach (Patagonien / Argentinien)
reikal@neunet.com.ar


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