Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, J. Neukirch, C. Dinkel, I. Karle

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Buß- und Bettag - 22.11.2006
Predigt zur Offenbarung des Johannes 3, 14-22, verfaßt von Rudolf Rengstorf
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Dem Engel der Gemeinde in Laodizea schreibe:
Das sagt, der Amen heißt, der treue und wahrhaftige Zeuge, der Anfang der Schöpfung Gottes: Ich kenne deine Werke, dass du weder kalt noch warm bist. Ach, dass du kalt oder warm wärest! Weil du aber lau bist und weder warm noch kalt, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde.
Du sprichst: Ich bin reich und habe genug und brauche nichts! und weisst nicht, dass du elend und jämmerlich bist, arm, blind und bloß.
Ich dir, dass du Gold von mir kaufst, das im Feuer geläutert ist, damit reich werdest, und weiße Kleider, damit du sie anziehst und die Schande deiner Blöße nicht offenbar werde, und Augensalbe, deine Augen zu salben, damit du sehen mögest. ‘
Welche ich lieb habe, die weise ich zurecht und züchtige ich. So sei nun eifrig und tue Buße! Siehe, ichs vor der Tür und klopfe an. Wenn jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde ich hineingehen und das Abendmahl ihm halten und er mit mir.
Wer überwindet, dem will ich geben mit mir auf meinem Thron zu sitzen, wie auch ich überwunden habe und mich gesetzt habe mit meinem Vater auf seinen Thron.
Wer 0hren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!

Liebe Gemeinde!

„Heiß oder kalt, ja oder nein - lauwarm dürfen wir niemals sein!“ - so haben wir als Pfadfinder gesungen. Und auch wenn ich nach Jahrzehnten gelernt habe, dass das nicht geht mit dem Kopf durch die Wand, dass ich nicht darum herumkomme, Kompromisse zu suchen zwischen dem, was ich mit heißem Herzen will, und den kalten Fakten und Gegebenheiten - bis dahin, dass ich in meinem jetzigen Amt geradezu verpflichtet bin, zu vermitteln, zu beschwichtigen, zu temperieren und die Kunst der vorsichtigen und behutsamen Rede zu üben und damit so manchen Heißsporn zu enttäuschen: lau und lasch, Softie oder Weichei möchte ich dennoch nicht sein. Und ich bin sicher, Ihnen geht es nicht anders.

Und eine solche Kirche wollen wir natürlich auch nicht. Genau so wenig übrigens wie die Gemeinde im kleinasiatischen Laodicea im ausgehenden ersten Jahrhundert nach Christus. An die ist dieses Schreiben aus der Offenbarung des Johannes ja gerichtet. Das einzige, was bei uns lauwarm ist, hätten die damals gesagt, sind die Heilquellen, die in der uns gegenüberliegenden Stadt Hierapolis heiß aus dem Boden schießen und bei uns nur noch lauwarm ankommen. Wer die hier trinkt, dem wird in der Tat speiübel. Aber sonst sind wir eine Stadt und eine Kirche zum Vorzeigen. Es geht uns nicht nur gut, wir wissen auch, dass Wohlstand verpflichtet. So haben wir uns, als wir vor einigen Jahren von einem verheerenden Erdbeben getroffen wurden, nicht in Selbstmitleid geübt, haben nicht nach allen Seiten hin die Hände aufgehalten. Tatkräftig haben wir angefasst, haben statt Zuschüsse in Anspruch zu nehmen, unsere stillen Reserven investiert und aus eigener Kraft alles wieder aufgebaut - schöner als je zuvor. Unsere Textilindustrie boomt, und unsere pharmazeutischen Erzeugnisse, besonders unsere Augensalbe, ist in der ganzen Welt bekannt.

Und uns, der christlichen Gemeinde, ist es binnen weniger Jahrzehnte gelungen, nicht nur Fuß zu fassen, sondern ein geachteter Bestandteil dieser Stadt zu werden. Und wenn wir die Leute fragen, was sie von uns halten und von uns erwarten, bekommen wir zu hören: Gut macht ihr eure Sache. Ihr passt hierher. Ihr kommt an bei den Leuten. Der Glaube an den lebendigen Gott ist doch ganz etwas anderes als die peinliche Selbstvergötzung des Kaisers. In euern Gottesdiensten ist was los. Die Atmosphäre unter euch ist einladend und befreiend. Und dass ihr auch für die Armen und die Kranken was übrig habt, bringt euch viele Sympathien auch bei den Leuten, die keine religiöse Antenne haben.

Womit in aller Welt - so haben die Christen in Laodicea damals gewiss gefragt - womit haben wir das verdient, dass uns vorgeworfen wird, wir seien lauwarm und Christus werde im Blick auf uns genauso übel wie uns, wenn wir das lauwarme Wasser aus Hierapolis trinken. Der Grund für diesen Vorwurf springt nicht ins Auge, wird erst beim zweiten Hinsehen deutlich. Denn es geht nicht darum, dass die Gemeinde nicht genug getan, zu wenig Engagement gezeigt hätte, die Amtsträger zu träge und einfallslos und die Gemeindeglieder zu passiv, zu sehr der Erwartungshaltung verhaftet gewesen wären. Im Gegenteil, es geht darum, dass die Gemeinde in Laodicea prächtig zurechtkommt - so prächtig, dass sie ihren Herrn dabei draußen vor gelassen hat. Es geht darum, dass die Gemeinde drinnen ist, drinnen in der Stadt, etabliert und profiliert, drinnen in ihren gut besuchten Gottesdiensten und vielbeachteten Aktionen und Projekten - und Christus draußen ist. Das widert ihn an, dass sie ihn im Munde führen, ihn aber nicht brauchen und im Ernst auch nicht mit ihm rechnen. Denn ihre Rechen- und Wertmaßstäbe nehmen sie von dem, was sie selbst für richtig halten und womit sie bei den Leuten ankommen. Eine christliche Gemeinde ohne Christus, - das - so steht es hier in aller Deutlichkeit - findet Christus zum Kotzen.

Nun, von Selbstgefälligkeit sind wir heute aber doch weit entfernt. Wir sagen ja nicht wie die Gemeinde in Laodicea, die meinte, bei ihnen sei alles in Ordnung und sie brauchten nichts. Nein, uns ist bewusst, dass mit unserem Christentum kein Staat zu machen ist und wir ein eher jämmerliches Bild abgeben. Wir üben Selbstkritik, indem wir fragen: Was machen wir als Kirche falsch? Mit dieser Frage hat unser Kirchenwagen auf dem Marktplatz in Stade gestanden. Wir haben die Menschen aufgefordert: Gebt es uns, sagt, was ihr an der Kirche auszusetzen habt. Hämmert es in gut lutherischer Art an die Kirchentür, die wir euch gleich mitlieferten.

Aber haben wir vergessen, dass Luthers berühmte Thesen nicht aus dem bestanden, was die Menschen an der Kirche auszusetzen hatten. Allein darum ist es ihm gegangen, Christus in seiner Kirche wieder Herr sein zu lassen und umzukehren zu ihm. Sind wir demgegenüber mit unserer Kritikoffenheit, unserer Bußfertigkeit nicht bei uns und unseren Kritikern geblieben? Und haben Christus draußen vorgelassen? Müsste man von Christen nicht erwarten, dass sie die Frage nach dem, was sie falsch machen, zuerst an ihren Herrn selber richten. An einen Herrn, der uns nicht mit Forderungen ins Haus fällt, sondern der uns etwas zu bieten hat, nämlich:

  • das Gold der Wertschätzung Gottes für die, die nichts zu bieten haben und denen mit Geld oder guten Taten auch nicht zu helfen ist, sondern nur ein Gott, der die am Leben Verzweifelnden hört und auch im Tode da ist
  • das weiße Kleid dessen, der neu anfangen darf, auch wenn er oder sie schon alt ist, weil Gott sie und ihn haben will trotz aller Macken und Unansehnlichkeiten
  • die Augensalbe des Blickes, der die Welt im Lichte Gottes sieht und das Große auch als groß erkennt und das Kleine als klein.

Vielleicht kommt das ja doch alles bei uns vor, hüten wir uns vor vorschnellen Urteilen! Vielleicht steht das ja sogar im Zentrum unserer Gottesdienste, im Zentrum von Unterricht und Seelsorge. Dennoch sollte es uns zu denken geben, dass in einer Zeit, die noch ganz nah dran war an Jesus und den Aposteln, in einer Zeit, in der Christen unter Druck standen und mit Verfolgung rechnen mussten, wo die Sache mit dem Glauben also ungleich verbindlicher war,- dass es in einer solchen Zeit notwendig erschien, einer Gemeinde mit aller Härte zu sagen: Christus ist gar nicht unter euch, mögt ihr seinen Namen auch noch so sehr im Munde führen. Christus steht draußen vor der Tür und klopft an. Nicht um beim Eintreten seiner Wut und seiner Enttäuschung freien Lauf zu lassen, sondern um bei euch zu sein, mit euch zu reden und mit euch zu essen und zu trinken.

In Laodicea hat man mit Sicherheit die Eucharistie bzw das Abendmahl gefeiert, Und dennoch musste die Gemeinde sich von Christus sagen lassen: Bei euren Feiern stehe ich, den ihr mit eurer Liturgie und euren dogmatisch richtigen Formeln und geheiligten Ämtern fest unter euch zu haben glaubt, da stehe ich draußen vor der Tür und warte drauf, dass ihr mich hereinlasst.

Können wir heute sicher sein, dass er auf das Herrenmahl mit uns nicht auch vor der Tür wartet? Er schenke uns Ohren, die ihn hören, und Herzen, die ihn haben wollen. Amen.

Superintendent Rudolf Rengstorf
Wilhadikirchhof 11
21682 Stade
e-mail: Rudolf.Rengstorf@evlka.de

 

 

 


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