Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Meditationen über Texte von Dietrich Bonhoeffer - 2006
Meditation über Dietrich Bonhoeffers Neujahrsgedicht: „Von guten Mächten“ (WE 275-76)
Marianne Østergård Pedersen und Anette Schultz (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Von guten Mächten

Von April 1943 bis September 1944 saß Dietrich Bonhoeffer im Gefängnis in Berlin-Tegel wegen seines offenen Widerstandes gegen den Nationalsozialismus.


Eingesperrt zu sein
in einem geschlossenen Raum
mit grauen Wänden
– Wänden, die trennen von der Begegnung
mit den Menschen, denen du verbunden bist.

Mit Gittern
– durch die du den Himmel sehen kannst,
der an das Leben erinnert,
an die Freiheit,
die Freude,
die Liebe.
An all das, was du vielleicht nie wieder an deinem eigenen Leibe fühlen darfst.

Gefangen zu sein.
Ausgeschlossen
– und eingeschlossen.
Das Ohr durchdringen Schreie,
in der Nase beißt der Gestank von Grauen,
den Hals schnürt Angst zu.

Angst isst die Seele auf.
Errichtet unsichtbare Mauern,
verdreht Worte,
so dass sie Lügen flüstern,
verdreht das Wort von Gott,
so dass wir uns blind starren am Bösen.

Wir kennen keine physischen Gefängnisse,
gebaut aus Backsteinen mit Gittern aus Eisen.
Aber wir kennen Gefängnisse, die wir für uns selbst und füreinander schaffen.

Gefängnisse mit Gittern, geschaffen aus Minderwertigkeit,
Verurteilung, Verachtung,
Selbstverachtung.

Alte Wunden springen auf
und zapfen aus dem Herzen
Glaube,
Hoffnung,
Liebe.
Gefängnisse
mit Fundamenten, geschaffen aus Misstrauen,
Gefängnisse, geschaffen aus Angst.

Angst isst die Seele auf.
Errichtet unsichtbare Mauern,
verdreht Worte,
so dass sie Lügen flüstern,
verdreht das Wort von Gott,
so dass wir uns blind starren am Bösen.

Wer ist Gott?

”Ich bin, der ich bin.”
Eine namenlose Stimme,
eine kosmische Fernheit,
eine Unendlichkeit,
in der wir
nicht zu Grunde gehen,
weil Gott fortfuhr und sagte:
Ich bin, der ich bin.
Ich bin das Kind in der Krippe,
Ich bin der Mann am Kreuz,
ich bin in deinem Geliebten,
in deinem Freund
und in deinem Feind
als ein Geschenk und als eine Forderung.
Ich bin der Weg und die Wahrheit.
Ich bin die Macht der Liebe, die das Leben schenkt.
Gott gab uns seinen Namen – Jesus Christus.

Und seine Taten entsprechen seinen Worten,
und wir sehen, dass sein Reich nicht irgendwo im Himmelblau ist.
Es ist eine Weise, zusammen zu sein.
Jetzt und in Ewigkeit.

Gottes Macht können wir erfahren,
die Macht erfuhr Dietrich Bonhoeffer im Gefängnis in Tegel.
Die letzten Worte, die wir von seiner Hand kennen,
wollen wir mit uns nehmen auf unserem Weg hinaus von hier heute.
Worte, die zeugen von der Wirklichkeit Gottes,
die all unsere Angst und Leid und Tod
durchstrahlt
mit seinem Geist:

Von guten Mächten
[dt. Text: WE 275-76]


Pastorin Marianne Østergård Pedersen (E-mail: moep@km.dk)
und Pastorin Anette Schultz (E-mail: afs@km.dk)

 


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