1. Korinther 14, 1-3.20-25

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1. Korinther 14, 1-3.20-25

Liebe Gemeinde:

Wer geht schon zum Gottesdienst an einem solchen Sonntag…? Wer sind
die Zuhörer? – das sind die Fragen die sich wohl alle Prediger heute
stellen.

Die Feiertage liegen hinter uns…, alle sind über- und abgefüllt
und für manchen ist das wohl auch geistlich gemeint: “…also dann,
bis zum nächsten Weihnachtsgottesdienst…”

Wer sind die Zuhörer heute?, warum sind Sie gekommen?

In meiner Gemeinde hier im Süden Argentiniens, am Rande der patagonischen
Steppen (und mit hochsommerlichen Temperaturen!), sind es die besonders
Treuen, oder einige Neugierige? Oder machen sich jene auf den weiten
Weg (bis zu 150 km) die wenige Tage zuvor nicht die “Ware Weihnachten” feierten,
sondern das “wahre Weihnachten”. Ja, ich denke so ist es: die sich heute
versammeln, haben etwas mehr von dem verstanden was eigentlich
allen schon gesagt ist: Gott ist Mensch geworden!

Seit dreizehn Jahren leben und arbeiten wir in Argentinien. Und noch
immer fällt es uns schwer, gewisse Dinge zu verstehen. Wir kommen
eben aus dem “kalten” Deutschland. Gefühle zu zeigen, sich von ihnen
leiten und bestimmen zu lassen, das ist “typisch” argentinisch. Die Menschen
hier wollen “Erfahrungen” machen, ihren Glauben “sehen” und “berühren” können
und sind zutiefst “wundergläubig”. Wer auf den Strassen des Landes
unterwegs ist, wird sich über die oft bizarren Altäre wundern
die an den Strassenrändern aufgebaut sind: Volksheilige und Madonnen,
ob amtskirchlich anerkannt, oder nicht, das interessiert niemanden. Einer
der beliebtesten Fernsehnachrichtenkanäle berichtet fast täglich über
milagröse Erscheinungen, Hunderttausende die unglaubliche Strapazen
auf sich nehmen, um endlich die Figur irgendeines Heiligen berühren
zu können…, er soll ihnen Arbeit beschaffen, Gesundheit, sie vom
Elend befreien. Und wenn es nicht der katholische Volksglaube ist, dann
lockt mich an der nächsten Strassenecke bestimmt ein selbsternannter
Pfingstprediger der mir die Lösung aller meiner Probleme verspricht…,
vorausgesetzt ich lasse mich bekehren….

Ist es das, was uns das Wort für heute sagen will?, lädt es
uns ein an einen Gott zu glauben der spontan eingreift und mir das heisse
Eisen aus dem Feuer holt? Das wäre doch ein Gottesbild das uns zur
absoluten Passivität verdammt, eine Lebenshaltung die alles von “oben” erwartet.
Das wäre dann auch ein Glaube der ausschliesslich von meinem Gefühl
abhängt…Dabei lehrte mich mein Grossvater, dass der christliche
Glaube zwar immer persönlich ist (“ich glaube”), jedoch niemals
privat.

Also, Bewegung!-, der Glaube der in Bewegung versetzt, der sich mitteilen
will; ein Glaube der vom Urquell des Lebens trinkt – und deshalb Leben
spenden will…

Textlesung

…vom Kinde kommend…

Als ich den Text zum ersten Mal las, musste ich an die Hirten aus der
Weihnachtsgeschichte denken…, wie sie vom Kinde kommend durch die Strassen
der Dörfer und Städte zogen, um das zu verkünden, was
sie sehen und berühren durften: das fleischgewordene Wort: “Als
sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, das zu ihnen
von dem Kinde gesagt war…”, lesen wir im Weihnachtsevangelium.

In diesen Tagen, es fehlt noch etwas bis zum Fest, haben
wir ein Kinderzeltlager hier bei uns auf dem Kirchgelände. Es sind
Kinder aus sehr armen Familien, die meisten kennen ihre Väter nicht,
teilen ein kleines Zimmer mit bis zu acht Geschwistern, einige führen
ein Strassenkinderdasein… Mit diesen Kindern sprechen wir über Weihnachten.
Sie vergleichen die Geburt Jesu mit der Ankunft eines neuen Geschwisterchens
in ihrer Familie. Diese Kinder spüren, dass das neue Leben auch
mit ihrer eigenen Situation zu tun hat: sie erfahren die Geburt des Brüder,-
oder Schwesterchens als die Ankunft eines Lichts das ihre triste Dunkelheit
erhellt…, aber sie wissen auch, dass die Freude darüber nur von
kurzer Dauer ist. Bald wird das Licht von den täglichen Sorgen und
dem Kampf ums überleben erstickt.

Als die Kinder ihre Erfahrungen erzählten, malten
und spielten, habe ich plötzlich erkannt: wirkliches Leben, Leben
das mit Hoffnung, Freude und Glückseligkeit zu tun hat, das existiert
für diese Kinder nur wenn (mal wieder) ein Geschwisterchen zur Welt
kommt…, ein kurzes Aufleuchten einer anderen Wirklichkeit…; die Geburt
die sich alsbald in noch mehr Elend und noch mehr Dunkelheit verwandelt.

Irgendwie haben die Kinder verstanden, dass die Hirten
in der Weihnachtsgeschichte die gleiche Freude erlebten und noch mehr:
die Hirten spürten: das ist mehr als ein kurzes aufleuchten…, diese s Licht, dieses Leben
will bleiben, es will verändern…

Das Licht erhellt die Welt der Hirten und unserer Kinder,
es erhellt die Welt, die immer die gleiche sein wird, aber eben erleuchtet,
nicht mehr so dunkel.

Diese Freude geht vom Kinde aus, diese Freude setzt in
Bewegung…die Hirten, vom Kinde kommend…

…in die Welt hinaustragen…

und dann ist mir beim lesen dieser Verse noch etwas aufgefallen:
immer wieder heisst es “wir”; “…was wir gesehen und was wir gehört
haben…”. Es sind Zeugen und Zeugen soll man (aus)reden lassen, man soll
sie nicht unterbrechen.

Wieder denke ich an die Kinder und die Hirten: sie, die
selten lachen, deren Gesichter unglaubliches Leid widerspiegeln und die
das Leben nur als Kampf kennen, sie wollen, nein, sie müssen (¡)
erzählen was sie gesehen und gehört haben, sie wollen es der
ganzen Welt mitteilen…Ich sah den Glanz in ihren grossen und dunklen
Augen, die strengen, traurigen Gesichter die so plötzlich die ganze
Freude der Welt zeigen: “…ich durfte mein kleines Schwesterchen auf dem
Arm halten…!!!”… Vergessen das ganze Elend, vergessen der Hunger, das
einzige warme Essen am Tag in der Schulspeissung, vergessen der Hass
und die Gewalt im Elendsviertel, Konsequenz einer Politik die ganz bewusst
Reichtum für eine Elite und Elend für Massen produziert …,
vergessen auch die Dunkelheit in diesen kleinen, so jungen Leben…, vergessen,
weil: wir gesehen und wir gehört haben: das
Leben.

In einem Lied des berühmten argentinischen Sängers
León Gieco heisst es: “…in meinem Land gibt es zu viele Kinder
die zum Himmel fliegen, ohne je richtig gelebt zu haben…”

Einige der Kinder die gerade hier im Ferienlager sind werden
wohl zu diesen “Himmelfliegern” gehören. Als Kirche können
wir diese ihre Welt nicht ändern. Wir klagen an, wir versuchen zu
helfen (im Einzelfall), wir zeigen ihnen eine andere Wirklichkeit, die
in ihrem Leben nur “ab und zu” (im Regelfall einmal im Jahr) aufleuchtet… Vielleicht
reicht aber diese Erfahrung aus, um ihnen Kraft und Durchhaltevermögen
zu geben.

Am Ende der Freizeit malen die Kinder die Weihnachtsgeschichte:
ein Licht kommt auf die Erde und erhellt den Stall und die Krippe,- und
(für unsere Kinder eine wichtige Entdeckung!) dieses Licht erhellt
auch jene die sich um das Kind herum versammeln. Da meine ich, es ist
wie eine leise Ahnung,- die Gesichter meiner Kinder zu erkennen. Ja,
sie habens begriffen: wer dieses Kind ansieht und von seinem Lichte ergriffen
wird, für den hat die Dunkelheit aufgehört das letzte Wort
zu haben!

Wer das begriffen hat, muss es der ganzen Welt
mitteilen…

Also: vom Kinde kommend, in die Welt hinaustragen…

…das Wort vom Leben.

Wieder stelle ich mir vor, wie und was sich bei den Hirten
und bei meinen Kindern geändert hat. Wir wissen aus eigener Erfahrung
und unserer Arbeit mit diesen Kindern in langen Jahren, dass das Evangelium
einen Menschen wirklich verändern kann.

Immer wieder frage ich mich, warum es uns Menschen viel
leichter fällt jemanden auszugrenzen, zu diskriminieren, als ihn
hereinzuholen, ihn zu integrieren… Unsere Kinder haben das so definiert: “weil
wir anders sind…” Ja, sie sind “anders”, sie lösen ihre Probleme
mit Gewalt, sie sind oft brutal, sie sind immer direkt und versuchen
nicht um den heissen Brei herum zu reden…, und: sie sind nicht weiss,
sie haben eine dunkle Hautfarbe und pechschwarze Haare. Deshalb ist kein
Platz für sie in der “guten” Gesellschaft…

Das Evangelium lehrt uns den umgekehrten Weg: “(gerade)
du gehörst dazu!”

“Was wir gesehen und gehört haben… das für
euch, damit auch ihr mit uns Gemeinschaft habt…”

Meine Freizeitmitarbeiter sind “Ehemalige”, die vor vielen
Jahren als kleine Kinder zum ersten Mal das Wort vom Leben gehört
haben. Sie sind dabei geblieben, fühlen sich integriert und akzeptiert.
Das war ein langer und schmerzlicher Prozess, auch für unsere Gemeinde
(¡). “Wenn das so weiter geht, haben wir in ein paar Jahren eine
andere Kirche…” Die Angst vor Veränderung, vor denen die “anders” sind.

Heute sind wir alle stolz auf unsere “morrochos” (die Dunkelheutigen),
sie sind die aktivsten unter den Gemeindegliedern…

…sie selbst haben gesehen und gehört ,
das Wort vom Leben und deshalb ist es ihr grösster
Wunsch diese Kinder in die Gemeinschaft mit IHM zu
holen.

Das ist die Freude die vollkommen ist!

Amen.

Reiner Kalmbach
reikal@neunet.com.ar

 

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