1. Korinther 9, 16-23

1. Korinther 9, 16-23

 

Göttinger

Predigten im Internet

hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


2. Sonntag nach
Trinitatis, 9. Juni 2002
Predigt über 1. Korinther 9, 16-23, verfaßt von Johannes
Neukirch


„Dass ich das Evangelium predige, dessen darf ich mich nicht rühmen;
denn ich muss es tun. Und wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht predigte!
Täte ich’s aus eigenem Willen, so erhielte ich Lohn. Tue ich’s aber
nicht aus eigenem Willen, so ist mir doch das Amt anvertraut.
Was ist denn nun mein Lohn? Dass ich das Evangelium predige ohne Entgelt
und von meinem Recht am Evangelium nicht Gebrauch mache. Denn obwohl ich
frei bin von jedermann, habe ich doch mich selbst jedermann zum Knecht
gemacht, damit ich möglichst viele gewinne.
Den Juden bin ich wie ein Jude geworden, damit ich die Juden gewinne.
Denen, die unter dem Gesetz sind, bin ich wie einer unter dem Gesetz geworden
– obwohl ich selbst nicht unter dem Gesetz bin -, damit ich die, die unter
dem Gesetz sind, gewinne. Denen, die ohne Gesetz sind, bin ich wie einer
ohne Gesetz geworden – obwohl ich doch nicht ohne Gesetz bin vor Gott,
sondern bin in dem Gesetz Christi -, damit ich die, die ohne Gesetz sind,
gewinne. Den Schwachen bin ich ein Schwacher geworden, damit ich die Schwachen
gewinne. Ich bin allen alles geworden, damit ich auf alle Weise einige
rette. Alles aber tue ich um des Evangeliums willen, um an ihm teilzuhaben.“

Liebe Gemeinde,

vor kurzem war im Thalia-Theater in Hamburg ein Gespräch der Fernsehmoderatorin
Sandra Maischberger und dem Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt zu sehen.
Ein Teil dieses Gesprächs ging um die Frage, warum Helmut Schmidt
Bundeskanzler werden wollte und ob er es noch mal machen würde. Helmut
Schmidt sagte ganz klar, er würde es nicht noch mal machen. Und er
betonte, dass er es vor allem aus Pflichtgefühl gemacht hätte,
nicht etwa um der Karriere willen. Sandra Maischberger wollte ihm das
natürlich nicht so recht glauben und wollte hören, dass die
Frage der Karriere und der Macht und der persönlichen Eitelkeit eine
große Rolle gespielt hätten. Aber Helmut Schmidt blieb beharrlich
dabei: aus Pflichtgefühl.

Unser Predigttext erinnert mich an diese Veranstaltung im Thalia-Theater.
Denn Paulus verteidigt sich nicht nur in unserem Predigttext, sondern
auch davor und danach lang und breit. Warum verkündigt er das Evangelium?
Nein, nicht um davon zu leben. Nein, nicht um der persönlichen Eitelkeit
und um des Ruhmes willen. Nein, nicht einmal aus eigenem Willen heraus.
Er sagt zwar in dem Abschnitt vor unserem Predigttext, dass diejenigen,
die das Evangelium verkündigen, dafür auch bezahlt werden dürfen
– worüber ich sehr froh bin. Sich selbst aber sieht er noch einmal
in einem ganz anderen Licht: „Wehe mir“, so Paulus, „wenn
ich das Evangelium nicht predigte!“ Das ist also noch mal eine ganze
Stufe mehr als bei Helmut Schmidt, der ja gesagt hat, er würde es
nicht noch mal machen. Die Frage stellt sich für Paulus gar nicht.
Er ist sozusagen von der frohen Botschaft überwältigt worden,
er ist in der Gewalt des Evangeliums, um es mal drastisch auszudrücken.

Ich finde es zwar befremdlich, dass Paulus sich selbst hier so hervorhebt
und vor allem von anderen so deutlich abhebt. Auch die Betonung der Opferrolle
„ich habe mich jedermann zum Knecht gemacht, damit ich möglichst
viele gewinne“ löst bei mir Unbehagen aus. Vor allem, weil Paulus
ja gleichzeitig immer wieder betont, dass es allein Gott ist, der Glauben
schenkt und nicht das Verdienst derer, die das Evangelium verkündigen.
Trotzdem können wir davon ausgehen, dass es wohl seine Gründe
gehabt hat, dass Paulus sich in dieser Art und Weise gegenüber Angriffen
verteidigt und seine Rolle bei der Verkündigung der frohen Botschaft
von Jesus Christus so darstellt und nicht anders. Wenn wir sein Leben
betrachten, dann können wir tatsächlich sagen, dass es allein
auf das Evangelium ausgerichtet ist, nichts anderes spielt mehr für
ihn eine Rolle.

Wir haben diesem Feuereifer des Paulus sehr viel zu verdanken. Er wird
oft der „Völkerapostel“ genannt, weil er dafür gesorgt
hat, dass das Christentum die Grenzen des vorderen Orients überwunden
hat! Er war der Dolmetscher des christlichen Glaubens. Berühmt ist
zum Beispiel seine Rede in Athen: Er einen Altar gesehen, der von den
Athenern für den „unbekannten Gott“ aufgestellt war. Das
war für ihn ein guter Anknüpfungspunkt und er sagte ganz einfach:
das ist der Gott, der Himmel und Erde gemacht hat und er erzählte
den Athenern von Gottes Sohn Jesus Christus, der von den Toten auferweckt
wurde. Manche spotteten über ihn, manche wurden an diesem Tag gläubige
Christen. Ohne Paulus jedenfalls hätte die Botschaft des Jesus von
Nazareth ihren Siegeszug rund um die Welt nicht in so kurzer Zeit geschafft

Wie hat er das hinbekommen?

„Den Juden bin ich wie ein Jude geworden, damit ich die Juden gewinne.
Denen, die unter dem Gesetz sind, bin ich wie einer unter dem Gesetz geworden
– obwohl ich selbst nicht unter dem Gesetz bin -, damit ich die, die unter
dem Gesetz sind, gewinne. Denen, die ohne Gesetz sind, bin ich wie einer
ohne Gesetz geworden – obwohl ich doch nicht ohne Gesetz bin vor Gott,
sondern bin in dem Gesetz Christi -, damit ich die, die ohne Gesetz sind,
gewinne. Den Schwachen bin ich ein Schwacher geworden, damit ich die Schwachen
gewinne. Ich bin allen alles geworden, damit ich auf alle Weise einige
rette. Alles aber tue ich um des Evangeliums willen, um an ihm teilzuhaben.“
Kurz: Den Juden wird er ein Jude, den Griechen ein Grieche, den Schwachen
ein Schwacher.

Paulus möchte die Menschen für das Evangelium gewinnen –
– nicht von oben herab, so als hätte er die absolute Wahrheit im
Gepäck und die anderen müssten sich in allen Punkten aufs i-Tüpfelchen
genau danach richten.
– nicht mit Gewalt, nicht mit einem Kreuzzug, sondern durch gewinnende
Worte
– nicht oberlehrerhaft, nicht prahlerisch, nicht wie ein Besserwisser,
nicht für den eigenen Vorteil
– nicht abgrenzend, sondern so, dass Grenzen überwunden werden.

Selbstverständlich hat Paulus ein festes Ziel – er will, dass alle
gerettet werden durch den Glauben an Jesus Christus. Aber er will sich
dabei nicht selbst im Wege stehen. Er will nicht, dass es um seine Person,
um seine Meinung und um Rechthaberei geht. Er will sich sozusagen durchsichtig
machen für die Botschaft von der Freiheit und der Erlösung durch
Jesus Christus.

Wir sind nicht Paulus, liebe Gemeinde, und haben auch nicht den Ehrgeiz,
ein Völkerapostel zu werden. Aber im kleinen Maßstab kann das
auch für uns ein Ziel unseres christlichen Lebens sein und ein Maßstab,
mit dem wir manche Reden und Debatten vielleicht besser einordnen können.
In dem was wir sagen und tun und wie wir uns verhalten, soll es um das
Evangelium, um die frohe Botschaft, um Versöhnung und Liebe gehen.
Dabei können wir uns auf alles und auf alle einlassen – ohne Ansehen
der Person, ohne Ansehen der Religion, ohne Ansehen der Hautfarbe, ohne
Ansehen der Konfession. Ohne Sprachenkenntnisse können wir Dolmetscherinnen
und Dolmetscher der befreienden Botschaft sein – nur dadurch, dass wir
sagen: wir wollen durchsichtig werden für die Liebe Gottes.

Amen

Dr. Johannes Neukirch
E-Mail: johannes.neukirch@evlka.de

 

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