1. Petrus 3, 8-15

1. Petrus 3, 8-15

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


4. Sonntag nach
Trinitatis

16.7.2000
1. Petrus 3, 8-15

Ulrich Braun


Predigttext: 1. Petr 3, 8-15:
Endlich aber seid allesamt
gleichgesinnt, mitleidig, brüderlich, barmherzig, demütig. Vergeltet
nicht Böses mit Bösem oder Scheltwort mit Scheltwort, sondern segnet
vielmehr, weil ihr dazu berufen seid, dass ihr den Segen ererbt.
Denn wer
das Leben lieben und gute Tage sehen will, der hüte seine Zunge, dass sie
nichts Böses rede, und seine Lippen, dass sie nicht betrügen. Er
wende sich ab vom Bösen und tue Gutes; er suche Frieden und jage ihm nach.

Denn die Augen des Herrn sehen auf die Gerechten, und seine Ohren
hören auf ihr Gebet; das Angesicht des Herrn aber steht wider die, die
Böses tun.
Und wer ist’s, der euch schaden könnte, wenn ihr
dem Guten nacheifert?
Und wenn ihr auch leidet um der Gerechtigkeit willen,
so seid ihr doch selig. Fürchtet euch nicht vor ihrem Drohen und
erschreckt nicht; heiligt aber den Herrn Christus in euren Herzen. seid
allezeit bereit zur Verantwortung vor jedermann, der von euch Rechenschaft
fordert über die Hoffnung, die in euch ist.

Liebe Gemeinde!

Einer, der es wissen muss, hat es schon vor Jahren festgestellt:
Der Ehrliche ist der Dumme. Ulrich Wickert hat diese Volksweisheit zu einem
Buchtitel gemacht. So kredenzt er uns spätabendlich alles Wissenswerte vom
Tage und er liefert die Deutung all dessen in seinem Buch gleich mit.

Im Übrigen ergeht es dem Buch – von den vermutlich
ansehnlichen Tantiemen einmal abgesehen – nicht viel besser als vielen
Sonntagspredigten. Man weiß am Ende noch, dass der Pfarrer von der
Sünde geredet hat und dass er dagegen war. In Ulrich Wickerts Buch
führen die Appelle zu mehr Solidarität in den hinteren Kapiteln ein
ebenso kümmerliches Dasein wie die Mahnungen zu Nächstenliebe und
Demut in einer Sonntagspredigt. Wenn also die Verse aus dem ersten Petrusbrief
dazu aufrufen, gleichgesinnt, mitleidig, brüderlich, barmherzig und
demütig zu sein, wenn sie überdies dazu mahnen, Böses nicht mit
Bösem und Scheltwort nicht mit Scheltwort zu vergelten, so sind ihre
Aussichten, die Welt zu verändern, entsprechend gering. Wie gesehen,
befinden sie sich mit Ulrich Wickert in respektabler Gesellschaft. Da man sich
seine Gesellschaft jedoch nicht vollends aussuchen kann, gesellen sich auch
weniger seriöse Stimmen dazu. So bemerkt der Blödel-Barde Helge
Schneider gelegentlich: „Das ist eine falsche und verkehrte Welt, und das
prangere ich an!“

Die Falschheit und Verkehrtheit der Welt ließe sich nun
prachtvoll illustrieren. Das zu tun, ist eine nicht geringe Verlockung, der es
hier aber zu widerstehen gilt. Denn die geradezu barocke Ausgestaltung dessen
hilft nicht zur Beantwortung der eigentlichen Grundfrage, ob die Welt
unabänderlich so falsch und verkehrt ist. Widerstand dagegen wäre
dann zwecklos und damit nicht besonders klug, und am Ende käme heraus,
dass Ehrlichkeit zwar gut gemeint sein kann, aber eben doch nur die als Tugend
getarnte Dummheit wäre.

Letzteres steht ja nicht wirklich ernsthaft zur Debatte. Dennoch
will es gut überlegt sein, wie man den Misanthropen und moralischen
Pessimisten den Triumph entreißen kann. Im Grunde geht es um die Frage,
warum man moralisch handeln soll, ob es am Ende einen Sinn hat, dem Frieden
nachzujagen.

Nun, gar so schwarz, wie manche meinen, müssen wir vielleicht
nicht sehen. Es fällt ja auf, dass Bücher wie das von Ulrich Wickert
eine recht große Leserschaft finden. Und die Reihen derer, die ihm
betrübt zustimmen und die den Zustand der Gesellschaft und der Welt
beklagenswert finden, sind noch viel zahlreicher als seine Leserschaft. Selbst
in der Blödelei von der falschen und verkehrten Welt lebt das Gefühl
einer Differenz zwischen dem, was ist, und dem, was sein soll.

Weitgehend scheint das Gefühl zu herrschen, ein Einzelner
könne eben doch nichts tun, und die Bedingungen in unserer Gesellschaft
erforderten nun einmal Ellenbogen. Wer Schwäche zeigt – und
Ehrlichkeit ist eine solche Schwäche – wird an den Rand
gedrängt. Die Frage muss also anders formuliert so lauten: Lohnt es sich
eigentlich noch, moralisch zu handeln?

Die Verse aus dem ersten Petrusbrief bieten die Gelegenheit, diese
Kosten-Nutzen-Rechnung noch einmal etwas zurück zu stellen und
überhaupt noch einmal einen Schritt zurück zu treten. So kann sich
ein neuer Blickwinkel ergeben, jenseits von Resignation über die falsche
und verkehrte Welt und aufdringlichen Ermahnungen.

Das Gute zu suchen, fragt durchaus auch danach, was dabei für
mich herausspringt. Vor allem aber geht es darum, woraus es lebt und woher es
kommt. Der Psalmist sagt: „Wer das Leben lieben und gute Tage sehen will, der
hüte seine Zunge, dass sie nichts Böses rede, und seine Lippen, dass
sie nicht betrügen. Er wende sich vom Bösen ab und tue Gutes; er
suche Frieden und jage ihm nach.“ So soll es sein, wenn man selbst ein gutes
Leben führen will.

Noch ist freilich offen, ob das auch geht. Die Suche nach dem
Frieden ist schwer durchzuhalten, wenn in meiner Umwelt doch andere
Qualitäten gefordert sind. Durchsetzungsfähigkeit, taktisches
Geschick und ein Schuss Skrupellosigkeit.

Das mag in einer modernen Welt, die unter den Bedingungen von
Globalisierung und Flexibilisierung, von Wettbewerb und Verdrängung
besteht, so sein. Und es ist dort vor allem deshalb so, weil der oder die
Einzelne darin wenig Wirkungsmöglichkeiten zu haben scheint. Wettbewerb
heißt eben auch Ersetzbarkeit. Da fragt man nicht nur, ob man sich eine
Schwäche überhaupt leisten kann, sondern auch, ob es denn einen Zweck
hat, mit der eigenen kleinen Kraft als ein Tropfen im Ozean dem Frieden
nachzujagen, wenn die allgemeine Strömung auch eine andere Richtung weist.

Um die Strömung machen sich die Verse des Petrusbriefes nicht
so viele Gedanken. Aber sie betten die Jagd nach dem Frieden in eine Klammer
ein. „Weil ihr dazu berufen seid, dass ihr den Segen ererbt“, deshalb soll das
gehen. Weil du eben nicht irgendwer bist, sondern einer, der für den Segen
einsteht. Weil du einen Schatz hast, der in jedem Menschen lebt, deshalb lass
dich nicht dazu hinreißen zu meinen, du seist nichts Besonderes. Gerade
auf dich kommt es an, denn andere werden auf dich sehen. Du kannst für sie
die Hoffnung sein, die in jeder guten Tat lebt. Wenn euch an euch selbst und an
der ganzen Welt etwas liegt, dann glaubt nicht, ihr könntet nichts tun.

Die Nähe zu bloßen Ermahnungen ist groß und nicht
ungefährlich. Überdies scheint, so gewendet, geradezu
Übermenschliches von jedem Einzelnen verlangt zu sein. So ist es auch,
aber wer als der Mensch könnte dafür einstehen?

Dazu sei eine Begebenheit erzählt, die zeigt, dass es nicht
unbedingt große Heldentaten sind, die dies Übermenschliche leisten.

Jeder hat eine dieser Situationen schon einmal beobachtet oder
sogar selbst erlebt. Hier soll von einer Szene berichtet werden, die sich vor
etwa zwei Jahren auf dem Parkplatz vor einem Supermarkt in den Vereinigten
Staaten abgespielt hat. Für den Fortgang der Geschichte können wir
die Handlung vorläufig aber getrost an ein Einkaufszentrum in unserer
Nähe verlegen.

Aus diesem Einkaufszentrum also kommt eine junge Frau heraus. Im
rechten Arm schleppt sie eine dieser enormen Einkaufstüten ohne Henkel.
Mit der Linken zieht sie ein quengelndes Kind hinter sich her. Sie hat ihren
Kleinen offenbar gerade aus dem Düsenjäger gezerrt, der für 25
Cent eine Minute lang ruckelt, blinkt und quäkende Geräusche macht.
Der Junge will zurück. Die Mutter schleift den kleinen Kerl zwischen den
parkenden Autos hindurch. Die Stimmung ist gereizt.

Eine sehr unglückliche Szene, aber eben nicht untypisch. Es
steht uns im Grunde frei, sie sich an einem beliebigen Wochentag auf irgend
einem Parkplatz ereignen zu lassen, sehen dort die junge Mutter mit den
Elementen in Gestalt eines quengelnden Kindes und einer großen Tüte
kämpfen und genervt und wortlos ihrem Auto entgegen streben. Wortlos muss
sie dies übrigens schon deshalb tun, weil sie, bevor sie ihren
Bomberpiloten aus dem Cockpit zog, den Autoschlüssel zwischen die Lippen
geklemmt hatte.

Das Dilemma ist klar: Das Kind los zu lassen wäre
gefährlich. Es würde sofort zwischen den Autos hindurch zu seinem
Düsenjäger flitzen. Aber die übervolle Tüte verträgt
kein Abstellen mehr. Besser, man könnte sie gleich in den Kofferraum
absetzen und nicht erst auf das Autodach. So sehen wir die Frau mit Kind und
Tüte und Schlüssel balancieren und überlegen, wie sie den
Kofferraum auf und Kind und Tüte heil ins Auto bekommt.

Auch die Frau in mittleren Jahren, könnten wir nun an jedem
beliebigen Ort der Erde ins Geschehen eingreifen lassen. Sie tritt auf die
junge Mutter zu, zieht den Wagenschlüssel zwischen den verkniffenen Lippen
hervor und schließt das Auto auf.

So, und nun kommt der Moment, dessentwegen wir doch an den
amerikanischen Originalschauplatz gebunden bleiben, nämlich die Antwort
der jungen Mutter. „You made my day!“, lächelt sie ihre Helferin an,
während sie die Tüte in den Kofferraum plumpsen lässt. Und indem
sie dies sagt, nimmt sie ihr Kind auf den Arm. Der Junge scheint augenblicklich
seinen Düsenjäger zu vergessen und hört auf zu quengeln.

Für das amerikanische „You made my day“ gibt es
wahrscheinlich gar keine zutreffende wörtliche Übersetzung. Aber in
unserer Szene will es wohl soviel sagen wie: Du hast meinem Tag eine
unverhoffte Wende zum Guten gegeben. Du hast aus ihm etwas gemacht, das gerade
noch gar nicht darinnen zu sein schien. Oder etwas bildlicher: Du hast für
mich die Sonne aufgehen lassen, du hast gemacht, das es für mich
überhaupt erst einmal Tag wurde. Oder nun doch wörtlich: Du hast
meinen Tag gemacht.

Die auffallende Nähe zu Aussagen, die sonst dem Schöpfer
vorbehalten sind, ist wohl kein Zufall. Denn tatsächlich ist diese
Nähe erhellend. Sie zeigt an, dass das Tun und Lassen von Menschen eine
Qualität hat, die aus der Schöpfung hervorgeht und selbst
Schöpfung ist.

Aus dem, was wir tun und lassen entsteht die Welt die uns umgibt –
jedenfalls große Teile von ihr. Und es ist nicht ausgeschlossen, das
einer mit einer kleinen Geste oder Handreichung einem anderen zum Vermittler
von Gottes Schöpfung wird. „You made my day“, du hast mir diesen Tag
gemacht, einfach so, aus nichts, jedenfalls aus nichts weiter, als aus
Freundlichkeit.

Wir wollen das Lob der kleinen Geste nicht überstrapazieren.
Schließlich haben wir mit Ulrich Wickerts Gesellschaftsanalyse begonnen,
und der würde sich gewiss nicht mit kleinen Freundlichkeiten am Rande
trösten lassen. Aber für einen anderen kann die Geste bedeuten, dass
ihm ein Tag geschenkt wird. Das ist erheblich mehr als Nichts. Und wenn das
sein kann, dann können die kleinen und großen Dinge, die ich tue
nicht sinn- und wirkungslos sein. Es entsteht daraus die Welt, für mich
und für andere.

So verändert sich die Fragerichtung im Hinblick auf die gute
Tat. Nicht mehr „Was kann ich verlieren?“, sondern „Was kann ich gewinnen?“ ist
die Frage. Und die Antwort könnte lauten: Eine ganze Welt. Freilich
können auch Nachteile entstehen. Ist einer ehrlich, kann er gegenüber
einem Schlitzohr auch einmal den Kürzeren ziehen. Aber zugleich steht er
dafür ein, dass er nicht irgendwer ist, sondern ein besonderer Mensch, der
weiß, dass niemand etwas Gutes zu tun vermag, als ein Einzelner.

Zum Schluss will noch eine andere Frage gestellt sein,
nämlich ob angestellten Überlegungen eigentlich christlich sind? Wohl
nicht so besonders und nicht auf den ersten Blick. Die Frage nach dem Sinn
moralischen Handelns ist doch ein allgemeines Problem. Aber es ist für
Christen eben von Anfang an ein Thema gewesen. Und dabei waren sie offenkundig
von der möglichen Fruchtlosigkeit dessen, was sie taten, ebenso
bedrängt, wie alle anderen. Mahnungen und Anfeuerungen sind ja nur dann
notwendig, wenn die eigenen Kräfte aufs Äußerste angestrengt
sind.

Damit ist aber zugleich der Kern des Christentums angesprochen,
nämlich dass in jedem einzelnen Menschen die eine Welt besteht. Wo einer
meint, es käme auf ihn doch gar nicht an, da ist eine ganze Welt bedroht.
Wo aber einer an seinem Ort das seine tut, da legt er Rechenschaft ab über
die Hoffnung, die in ihm ist. Daraus kann ein gelungener Tag entstehen oder
eine ganze Welt.

Wir wollen uns nicht darüber hinweg täuschen, dass sich
Ehrlichkeit und andere Tugenden nicht immer auszahlen. Manche bezahlen ihren
Weg sogar mit dem Leben. Doch wer das Leben lieben und gute Tage sehen will,
der wird das Gute suchen und dem Frieden nachjagen. Die Welt bedarf der
Rechenschaft über die Hoffnung, die sich auch durch Rückschläge
nicht entmutigen lässt. Und im Ernst: Wenn man durch einen Augenblick der
Freundlichkeit, des Mitleids, der Brüderlichkeit der Barmherzigkeit, der
Demut oder der Ehrlichkeit eine ganze Welt erschaffen und gewinnen kann, ist
der Preis, deswegen für töricht gehalten zu werden, wirklich hoch?

Amen

Lied der Woche: EG 495 O Gott, du frommer Gott
Fürbitte:
aus: F.K.Barth, G.Grenz, P.Herst, Gottesdienst menschlich, 1990, S. 264:

Gott, du setzt Hoffnung in uns, / lädst uns ein, in deinem Reich zu
leben. / Unsere Sehnsucht begegnet deiner Freiheit; / unsere Hoffnung entdecke
deine Liebe. / Erlöse uns aus unserem gebrochenen Leben, / mit dem wir uns
verstecken vor allem, / was wir eigentlich mit verantworten müssten. /
Lass uns Vertrauen finden / und Vertrauen schenken – / und uns zur Lieb
entschließen. / Gib uns das Vermögen, / mit unseren Worten andere
aufzurichten / und Hilfe zu leisten mit dem, / was wir ins Werk setzen. / Lass
uns barmherzig sein / in unseren Urteilen über andere / und ehrlich
umgehen / mit unseren eigenen Schwächen. – / Gott, deiner Einladung /
möchten wir glauben, / auf dein Reich hin leben.

Ulrich Braun, Pastor in Jühnde, Barlissen und Meensen /
Kirchenkreis Hannoversch Münden
Tie 3, 37127 Scheden OT:
Meensen
Telefon: 0551 – 999368
E-Mail:
Ulrich.F.Braun@t-online.de

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