1. Samuel 2,1-2.6-8a

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1. Samuel 2,1-2.6-8a

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Ostersonntag
23.4.2000
1. Samuel 2,1-2.6-8a

Hinrich Buß


1. Und Hanna betete und sprach: Mein Herz ist fröhlich in
dem Herrn, mein Haupt ist erhöht in dem Herrn. Mein Mund hat sich weit
aufgetan wider meine Feinde, denn ich freue mich deines Heils.
2. Es ist niemand heilig wie der Herr, außer dir ist
keiner, und ist kein Fels wie unser Gott ist.

6. Der Herr tötet und macht lebendig, führt hinab zu
den Toten und wieder herauf.

7. Der Herr macht arm und macht reich; er erniedrigt und
erhöht.

8. Er hebt auf den Dürftigen aus dem Staub und erhöht
den Armen aus der Asche, daß er ihn setze unter die Fürsten und den
Thron der Ehre erben lasse.“

Liebe Gemeinde,

1.

Hanna singt und Ostern kommt. Eine Frau aus dem frühen
Israel erhebt ihre Stimme und der Ton erreicht unser Ohr. Ein Kind hat sie zur
Welt gebracht, sie, die lange Kinderlose. Sie sah sich schon alt und welk
werden; nichts würde von ihr bleiben, kein Gedanke, kein Wort, kein Name,
kein Nachkomme. Und nun dies Kind. Kaum erwartet, wenn auch eindringlich
erbeten. Nun ist es da, ihr Fleisch und Blut. Sie singt ihre Freude heraus,
betend, womöglich mit geschlossenen Augen, inbrünstig: „Mein Herz ist
fröhlich – mein Haupt erhoben – mein Mund weit geöffnet.“ Mit jeder
Faser ihres Körpers spürt sie Freude, aus jeder Pore dringt Jubel.
Neues Leben ist entstanden, aus ihrem Leib, hautnah gespürt. Das Wunder
der Schöpfung, nie so intensiv empfunden wie bei der Geburt. Ostern ist
das noch nicht. Aber Ursprungserfahrung, die Kraft des sich durchsetzenden
Lebens.

Hanna singt, ein Lied, das ihr in den Mund gelegt wird. Einen
Moment lang könnte man bedauern, daß es nicht ihr ureigenes ist.
Aber wo käme man hin, wenn man nicht bereits Melodien auf der Zunge
hätte und Texte im Kopf, die andere vor einem geschrieben und gesungen
haben? Schön, wenn sie einem in den Sinn schießen, wunderbar, wenn
frau solchermaßen ihre Freude heraussingen kann.

Ein Kind hat sie geschenkt bekommen, doch was sie besingt, ist
Gott. Ihn, den Geber aller Gaben, ihn den Ursprung des Lebens. Auf ihn
führt sie ihre Freude zurück: Sie ist fröhlich „in dem Herrn“.
Ihre Freude verhilft ihr dazu, die Besonderheit dieses Gottes in den Blick zu
nehmen. Seine Heiligkeit – keiner ist so erhaben wie er; seine Einzigkeit –
„außer dir ist keiner“ – seine Verläßlichkeit – er ist ein
Fels in der Brandung: „Wenn alles bricht, Gott verläßt uns nicht“.
Ein Tedeum wird hier angestimmt – das „Großer Gott, wir loben dich“ in
früher Gestalt. Wie Maria später im Magnificat, so macht sie in der
Vorzeit Gott groß. Es ist derselbe Geist, der diese beiden Frauen
beseelt.

Auffällig ist, wie raumgreifend das von Hanna gesungene Lied
ist. Es stellt große Zusammenhänge her. Eine Frau aus vorstaatlicher
Zeit Israels, über 1000 Jahre vor Christi Geburt lebend, stimmt ein Lied
an und die Melodie eilt durch die Zeiten und läßt wie ein
Präludium Ostern bereits anklingen. Um ein neugeborenes Kind geht es, um
eins unter vielen, doch sie greift zur Erklärung ihrer Freude zu den
Sternen – „Dir, dir o Höchster will ich singen..“. Das ganz Kleine und das
ganz Große werden zusammengebracht, das Persönlichste und das
Allgemeinste. Sie hält die Geburt ihres Kindes für so wichtig,
daß es Gott interessieren muß. Sie trifft damit den Herzton des
jüdisch-christlichen Glaubens. Sie läßt ihre Freude zum Himmel
steigen, und die Freude kommt von dort zu ihr zurück: „Mein Herz ist
fröhlich in Gott“. Greift sie nicht zu hoch?

2.

Die nächste Überraschung ist, daß dieses
himmelhoch jauchzende Lied nahe an der Erde bleibt, daß der Schmerz nicht
vergessen wird und das Leid nicht weggedrückt. „Freut euch des Lebens,
weil noch das Lämpchen glüht; pflücket die Rose, eh‘ sie
verblüht“? Naheliegend, ja verführerisch dieser Gedanke: Laßt
uns vergessen, was uns beschwert, laßt uns das Angenehme feiern! Doch in
Hannas Lied der Freude ist das Verblühen und Vergehen nicht ausgeklammert,
es wird einbezogen in den großen Bogen, den sie schlägt. Vom
Erniedrigen ist die Rede, von der Armut, vom Tod. Diese negativen Erfahrungen
werden mit

Gott in Verbindung gebracht. So kommt es zu der Aussage: „Der Herr
macht arm und macht reich; er erniedrigt und erhöht.“ Und noch
stärker der Satz: „Der Herr tötet und macht lebendig, führt
hinab zu den Toten und wieder herauf.“ Dies nachzusprechen fällt schwer.
Da bleiben einem die Worte im Halse stecken. Der Gegensatz von Gut und
Böse nicht verteilt auf Gott und Teufel, sondern in den einen Gott
hineingelegt. Wenn er der Grund aller Dinge ist, dann ist er auch für das
Abgründige zuständig. Also dafür, daß Kinder, Frauen,
Männer in den Fluten Mozambiks umgekommen sind; dafür, daß
Menschen unter den Erbebentrümmern in der Türkei verschüttet
wurden.

Dies besingt Hanna in ihrem Lied. Man kann sich ihre Töne nur
dissonant vorstellen, um nicht zu sagen: schräg. In diese Reihe der
Mißtöne gehört auch Jesus am Kreuz. Gott läßt ihn
sterben, elendiglich zugrundegehen. „O große Not, Gott selbst ist tot“.
Gott und Tod geraten so an- und ineinander, daß das Nichts und das Sein,
das Böse und das Gute kaum noch zu unterscheiden sind. Dies ist die
dunkle, die unerklärliche Seite Gottes, abgründig, schwindelerregend.
Von Luther als deus absconditus benannt, als die abgewandte, die verdunkelte
und nicht aufzuhellende Seite Gottes.

Luther gibt den Rat, sich an die zugewandte Seite zu halten, an
den offenbaren Gott. Und da ist offensichtlich, daß er schöpferisch
ist und Leben schafft, daß er Retter ist und Leben erhält, daß
er gnädig ist und Sünde vergibt. Dies ist sein gültiger Wille
und sein letztes Wort. In Hannas Lied kommt dies schön zum Ausdruck. Am
Ende jeder Zeile steht die positive Aussage: Wenn Gott denn tötet, so
macht er erst recht lebendig; wenn er denn hinabführt zu den Toten, so
bringt er erst recht wieder herauf. Wenn er denn erniedrigt, so steht am Ende
das Erhöhen. Wenn denn Menschen auf der Schattenseite des Lebens stehen,
so werden, so sollen sie doch einen Ehrenplatz bekommen.

Das Drama des Lebens hat im Lied der Hanna Ausdruck gefunden. Sie
singt sich durch Tiefen und Höhen, durch schreckliche Dissonanzen und
wunderschöne Obertöne. Hanna singt und Ostern kommt. Daß die
Dramatik des Lebens mit Gott in Verbindung gebracht wird, intoniert Ostern. Ja,
Jesus ist gestorben, das ist sicher. Dafür steht Karfreitag. Doch auch,
nein wichtiger noch: Jesus lebt, das ist ewig ausgemacht. Dafür steht
Ostern. Wenn der Tod auch furchterregend stark ist, so kann er doch Gott nicht
besiegen und Jesus nicht im Tod festhalten. Nicht der Tod hat das Sagen, wie es
immer wieder den Anschein hat, Gott hat das letzte Wort. Leben ist sein Name
Gottes, Leben ist seine Eigenart, Leben ist sein Wesen. „In ihm leben, weben
und sind wir.“ Wer mit Gott zu tun bekommt, gerät in den Bann des Lebens.
Dies singt uns Hanna vor, und so intoniert sie ein Osterlied, weit vor diesem
Ereignis. Hanna singt und Ostern kommt.

3.

Ein abschließender Gedanke. Ich kenne eine Frau, die
singt beim Staubsaugen. Der Motor heult und rauscht, so daß man ihn in
der ganzen Wohnung hört. Er macht auf sich aufmerksam, als wollte er
sagen: Staub ist überall, unter den Betten und auf den Regalen, unter dem
Teppich und auf den Lampen. Auf nichts kann man sich so verlassen, wie auf den
wiederkehrenden Staub. Der Staubsauger wird nicht arbeitslos, er kann heulen
und sein altes Lied singen. Welches? „Erde zur Erde, Asche zur Asche, Staube
zum Staube.“ Tausendfach wiederholt. Es ist eine Beerdigungsformel. Du bist
Erde und sollst zur Erde werden, du Pflanze, du Tier, du Mensch. Der
Staubsauger heult diese Wahrheit in die Ohren.

Wie gesagt, eine Frau, die ich kenne, singt beim Staubsaugen,
mindestens eine, wahrscheinlich mehrere. Zu dem unablässigen Brummen kommt
fröhlicher Gesang. Es ist ein seltsames Duett, das da ertönt, die
Stimmen kämpfen miteinander. Was kann man bei dieser Tätigkeit
singen? Staubsaugerlieder gibt es meines Wissens nicht. Doch
Frühlingslieder würden passen. Oder jetzt zu Karfreitag und Ostern:
„Ich weiß, daß mein Erlöser lebt“.Darf man diesen schönen
Händel-Gesang so mißbrauchen? Hier ist in der Tat eine Gegenmelodie
gefunden: „Ich weiß, daß mein Erlöser lebt, und als der letzte
wird er sich aus dem Staub erheben“. Auch Hanna singt ihr Lied gegen den Staub:
„Gott hebt den Dürftigen aus dem Staub und erhöht den Armen aus der
Asche, daß er ihn setze unter die Fürsten“ und sie so einen
Ehrenplatz bekommen.

Dieser Gesang pflanzt sich fort in den Osterliedern. Er – der
Auferstandene – „reißet durch den Tod, durch Welt, durch Sünd, durch
Not, er reißet durch die Höll, ich bin stets sein Gesell“. Der
Brummton des Staubsaugers bleibt uns erhalten. Doch darüber erheben sich
die schönen Melodien, als jubilierende Oberstimme über dem dumpfen
Gebrumm. Eine gottvolle Situation, ein treffliches Gleichnis: Der Ton der
Vergänglichkeit wird durchdrungen, wenn nicht übertönt vom
Gesang gefeierten Lebens. Ich kann nur raten: Singen Sie beim Staubsaugen, ob
Frauen, ob Männer, und Sie begehen Auferstehung im Alltag.

Amen

Dr. Hinrich Buß, Landessuperintendent für den
Sprengel Göttingen
Von-Bar-Strasse 6
37075 Goettingen
Tel.
0551 / 56361, Fax 0551 / 56012
E-Mail: lasup.goettingen@evlka.de

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