1. Könige 19,1-13a

1. Könige 19,1-13a

Von einem Helden mit Blut an den Händen | Okuli | 20.03.2022  | 1 Kön 19,1-13a | Sabine Handrick |

Was ist wahr, meine Lieben?

Voller Bestürzung sehen wir in diesen Tagen, wie sich unsere Welt durch den Krieg in der Ukraine verändert. Putin verbrämt seinen Angriffskrieg, indem er von «Spezialoperationen» und «Befreiung» spricht. Doch Millionen Menschen erleben die brutale Realität des Krieges. Frauen, Kinder, Alte fliehen aus ihrer Heimat und retten sich in die Nachbarländer. Wir hören von den Angriffen auf ukrainische Städte, wo Kinderkrankenhäuser beschossen und Wohnhäuser zerstört werden. Wir fragen uns, wie die Menschen das ertragen in Mariupul, Charkiw, Kiew, Mykolajiw, Saporischschja …

Man sagt, dass die Wahrheit zum ersten Opfer des Krieges wird. Sie wird manipuliert, zurechtgebogen und instrumentalisiert, je nach eigenen Interessen.

Doch lange bevor Fäuste fliegen oder Schüsse fallen, beginnt es. Wenn ich davon ausgehe, dass meine Wahrheit die einzig Richtige ist, setze ich einen verhängnisvollen Kreislauf in Gang. Und der dreht sich fester und fester bis es keinen anderen Ausweg mehr gibt als Gewalt. Wer das weiss, wird vorsichtiger und versucht die eigene Wahrheit nicht absolut zu setzen. Denn die Andere, der Gesprächspartner, mein Gegenüber, die Geschäftspartnerin, der Konkurrent, mein Gegner, sogar der Feind könnte ja auch einen Zipfel der Wahrheit in den Händen halten … «Die Wahrheit beginnt zu zweit.» Das ist eine Grunderkenntnis der Kommunikation. (F. Schulz von Thun)

Die biblischen Geschichten über den Propheten Elijah kommen als Heldengeschichten in eindeutigem Schwarz-weiss-Muster daher. Sie zeichnen seinen Gegenspieler Ahab als schlechten König, der den Glauben verraten hätte, damit Elijah, der tapfere Gottesstreiter und fromme Prophet um so heller strahlen kann. Doch das ist eine Interpretation, nur eine Lesart der Geschichte. Ist sie wahr?

Historisch gesehen befinden wir uns im 9. Jahrhundert vor Christus. Ahab herrscht im Nordreich Israel. Wir wissen heute, dass seine Religionspolitik von Toleranz geprägt war. Seinem persönlichen Glauben an den Gott der Väter blieb er aber durchaus treu.

Knapp 300 Jahre später, im 6. vorchristlichen Jahrhundert als die biblischen Autoren diese Geschichten aufschrieben, kam das Narrativ vom Ungehorsam des israelitischen Volkes und seiner Könige auf. Man versuchte so die grausamen Erfahrungen von Krieg, Niederlage, Deportation und Exil theologisch zu deuten.

Doch rückblickend eine spätere Norm vorauszusetzen – das ist, als ob man heute Goethes Werke in gendergerechte Sprache umschreiben würde …

Also, was ist wahr und was ist konstruiert an diesen Texten, die um die Frage kreisen, welcher Gott der wahre Gott ist? Und haben diese uralten Geschichten überhaupt eine Wahrheit für uns?

Ich will es heute mit einer Antiheldengeschichte versuchen:

Seine Augen schmerzen. In der gleissenden Hitze verschwimmt die Landschaft. Er stolpert, fast fällt er. ‘Einen Moment nur’, denkt er und sinkt auf einen Stein. Er greift zum Wasserschlauch, den er auf dem Rücken trägt. Doch aus dem tröpfelt nichts mehr. Den letzten Schluck Wasser hat er vor einem halben Tag getrunken. Seine Zunge kratzt über die wunden Lippen: ‘Was für ein Hohn – der Regen-Meister hat kein Wasser mehr’. Er hustet und würgt, ‘Wie ein Tier jagen sie mich.’ und blickt zurück. ‘Kommen sie jetzt, die Häscher der Königin, um Rache zu nehmen?’ Er blinzelt, es fällt ihm schwer, in der Ferne etwas zu erkennen. Der Wasserschlauch rutscht ihm aus den Händen. Fassungslos schaut er auf seine leeren, kraftlosen Hände. Erinnerungen steigen in ihm auf: wie die anderen Gottespropheten von der Bildfläche verschwanden, sich im Untergrund versteckten und aus ihren Höhlen gar nicht mehr herauskamen. Wie er als Einziger übriggeblieben war, der für Gottes Namen eintrat und sich nicht versteckte. Wahrhaftig, er trägt den Namen Gottes wie ein Schild vor sich her: ELIJAH – «mein Gott ist Jah» – das ist sein Name. Für Gott nahm er alles auf sich, die Jahre des Wartens und Ausharrens, des nicht Aufgebens.

Er wusste, wofür! ‘Und sollte es noch so lange dauern, Hunger und Durst machen mir doch nichts aus! – Ich bin erfahren genug, um allein zu überleben, sogar Krähen werden zu meinen Gefährten. Mögen die Leute hungern und darben! Vielleicht bringt sie das endlich zur Vernunft! Soll Ahab mich doch zum Staatsfeind erklären und nach mir suchen lassen, weil er mich verantwortlich macht für Dürre und Hungersnot – sei’s drum, ein Elijah wankt nicht. Ich bin ein Streiter für den Herrn. Meine Kraft kommt vom einzigen Gott, der Himmel und Erde gemacht hat.’

Schliesslich mussten seine Widersacher ihm recht geben. Elijah schnaubt verächtlich, als er an den Tag auf dem Berg Karmel denkt. Es ist erst zwei Nächte her, doch es kommt ihm vor wie eine Ewigkeit.

Erstaunlicherweise war der König ihm sogar entgegengekommen, als er sich aus der Deckung wagte und zu Ahab ging. Der schrie ihn an: «Bist du es wirklich, der ganz Israel ins Unglück gestürzt hat?» so als traute er seinen Augen nicht, ihn nun leibhaftig vor sich zu sehen.

Elijah verzieht den Mund und denkt an den Moment, als er den Spiess umdrehte und zurückschrie. «Du bist für das Unglück des Volkes verantwortlich. Dein Königshaus hat Gottes Gebote missachtet.  Du bist den fremden Göttern hinterhergelaufen und hast zugelassen, dass das Volk sich anderen Göttern zuwandte.»

Das hatte Wirkung. Plötzlich hatte Elijah den König, die Priester und das ganze Volk im Griff. Er liess sie alle antreten und hielt ihnen eine geharnischte Predigt: «Wie lange noch? Wie lange wollt ihr noch auf zwei Hochzeiten tanzen? Der Glauben braucht eine Entscheidung! Vertraut ihr dem Gott Israels oder Baal? Beides zusammen geht nicht.»

Die Brandopfer würden es zeigen. Welcher Gott schickt Feuer vom Himmel, auf dass die Opfertiere brennen?

War doch klar, wer siegen wird.’, Elijah kannte keinen Zweifel. Spöttisch schaute er zu, wie sie um ihren Altar rannten. Zu hunderten riefen sie und beteten, geisselten sich und fielen in Trance, bis das Blut in Strömen von ihren Körpern floss. – Nichts geschah!

«Ist Euer Gott wohl eingeschlafen? Er hört euch nicht! Ach – er ist austreten gegangen – dann kann er wohl auch nicht eingreifen.» Elijah lacht wieder in sich hinein. ‘Die Wassereimer extra drüber zu schütten, das war der Clou!’

Eine Welle der Siegesgewissheit lief durch seinen Körper, als er betete «Du Gott, Abrahams, Isaaks und Israels lass die Menschen hier erkennen, dass Du der Gott Israels bist und ich dein Diener.»

Und als Antwort kam ein gewaltiges Feuer herab. Das frass die Holzstücke, das Opfertier und alles Wasser bis zum letzten Tropfen. Alle, die das sahen, fielen auf die Knie und erkannten: Elijahs Gott ist der wahre Herr.

Elijah kratzt sich den Schmutz von den Fingernägeln. Merkwürdig, vom Triumph seines Sieges ist nichts mehr übrig. Als das Volk im Staub lag und er sah, dass sie es endlich begriffen hatten, überkam ihn ein Taumel. ‘Ihr werdet es nie mehr vergessen, welcher Gott die Macht hat!’

Die kurze Euphorie des Sieges wurde zum Rausch.

Doch er kann sich gar nicht mehr richtig erinnern … Da ist immer noch Blut. Elijah kratzt an seinen rissigen Fingern. Er muss es abkriegen, das Blut, verdammt noch mal, er reibt und reibt. Unter dem Dreck klebt es.

Der Bach Kishon war rot vom Blut der Baalspriester. Keiner überlebte das Gemetzel.

Die Schreie der Abgeschlachteten gellen durch seinen Kopf. Den Gestank der Wunden wird er auch nicht los. Er sieht sie vor sich, hinter sich, neben sich, überall die toten Leiber.

Elijah rafft sich auf und stolpert weiter – nur noch fort, so weit die Füsse ihn tragen. Unbändiger Durst quält ihn. Hinter jedem Stein sieht er seine Verfolger. Weiter, weiter, bis es nicht mehr weitergeht. Elijah bricht zusammen und bleibt erschöpft unter einem Ginsterstrauch liegen, dem einzigen Gewächs, das ein wenig Schatten spendet.

Es ist genug. Er kann nicht mehr. ‘Ich bin nicht besser als meine Väter. Gott nimm meine Seele.’ Mit Gedanken ans Sterben fällt er in einen tiefen Schlaf.

Als er wieder erwacht, dringt eine Stimme an sein Ohr: «Steh auf, iss!» Der Geschmack frisch gerösteten Brotes steigt ihm in die Nase. Elijah öffnet die Augen und sieht tatsächlich Brot und einen Krug mit Wasser neben seinem Kopf stehen. Nachdem er gegessen und getrunken hat, ist die Müdigkeit so gross, dass er sich wieder hinlegt und weiterschläft.

Ein weiteres Mal versorgt ihn die fürsorgliche Hilfe mit Brot und Wasser.

Elijah kommt wieder zu Kräften und bricht zu seiner ganz persönlichen Wüstenwanderung auf, die ihn bis zum Berg Gottes führt.

Sein Exodus bringt das Gebäude seiner Glaubenssätze zum Wanken.

«Komm heraus!» antwortet Gott auf Elijahs trotzigen Selbstbehauptungsversuch «Ich hab doch alles für dich getan…!». ((SCHWEIG!))

Komm raus, stell dich der Wahrheit. Gott wird nicht sein, wie du’s gern hättest.

Gott bringt keine Gewalt, die du gegen deine Feinde einsetzen kannst.

Gott wird nicht sein in Stürmen, nicht im Regen und nicht im Gewitter.

Gott wird nicht sein im Chaos und der Zerstörung, wenn die Erde bebt.

Gott wird nicht sein im Feuer, das vom Himmel fällt.

Was du zu wissen glaubtest, Elijah, lass es hinter dir, komm heraus.

All die Risse und Widersprüche in deiner Seele, lass sie hinter dir, komm heraus.

Das Verdrängte, was dich quält und beschämt, lass es hinter dir, komm heraus.

Dein Selbstmitleid und deine Angst lass hinter dir und komm heraus.

Und als etwas ertönt wie eine „Stimme verschwebenden Schweigens“ (M. Buber), tritt Elijah heraus aus jener Höhle und weiss: Das ist Gott. Das ist der wahre, wirkliche Gott, nicht der erträumte, nicht der ausgedachte, sondern der, der mich berührt mit seinem leisen, eindringlichen Wort.

Liebe Gemeinde, Gott ruft uns heraus.

Wir sind Ekklesia, wie ‚Kirche‘ auf Griechisch heisst. Wir sind die Herausgerufenen im wahrsten Sinne des Wortes. Also kommen wir heraus aus den Höhlen der Selbstgerechtigkeit, der Phantasielosigkeit und Gleichgültigkeit.

Stehen wir auf mit dem, der von sich sagte: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben“ (Joh.14,6) Und stehen wir denen bei, die heute leiden. Amen

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Zur Liturgie: Psalm 34,15-23, Ref. Gesangbuch 117

Liedvorschläge zur Auswahl:

Komm in unsre stolze Welt, Ref. Gesangbuch 833

Ukrainisch-orthodoxes Kyrie, Ref. Gesangbuch 195

Du bist mein Zufluchtsort, Durch Hohes und Tiefes 299

Holz auf Jesu Schulter, Ref. Gesangbuch 451

Gib Frieden Herr, gib Frieden, Ref. Gesangbuch 827

Herr, wir bitten: Komm und segne uns, Ev. Gesangbuch 610

Bewahre uns Gott, Ref. Gesangbuch 346

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Pfarrerin Sabine Handrick

Jahrgang 1965, seit 2010 Pfarrerin der Reformierten Kirchgemeinde Düdingen, Kanton Fribourg

pfarramt@refdue.ch

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