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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Johannes Calvin, 2009

Predigt zu Römer 5,1-11 , verfasst von Jürgen Kaiser

Röm 5,1-11: „Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus; durch ihn haben wir auch den Zugang im Glauben zu dieser Gnade, in der wir stehen, und rühmen uns der Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit, die Gott geben wird. Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch der Bedrängnisse, weil wir wissen, dass Bedrängnis Geduld bringt, Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung, Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist. Denn Christus ist schon zu der Zeit, als wir noch schwach waren, für uns Gottlose gestorben. Nun stirbt kaum jemand um eines Gerechten willen; um des Guten willen wagt er vielleicht sein Leben. Gott aber erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren. Um wie viel mehr werden wir nun durch ihn bewahrt werden vor dem Zorn, nachdem wir jetzt durch sein Blut gerecht geworden sind! Denn wenn wir mit Gott versöhnt worden sind durch den Tod seines Sohnes, als wir noch Feinde waren, um wie viel mehr werden wir selig werden durch sein Leben, nachdem wir nun versöhnt sind. Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch Gottes durch unsern Herrn Jesus Christus, durch den wir jetzt die Versöhnung empfangen haben."

 

Liebe Gemeinde,

was wir gerade gehört haben, ist eine wortreiche Verschnaufpause. Wir befinden uns auf hohem Niveau. Der Römerbrief des Apostels Paulus ist nicht nur ein Berg - dieses Glaubensvermächtnis des christlichen Urtheologen ist ein ganzes Gebirge!

Die Expedition in dieses Gebirge hat Kapitel fünf erreicht, ein Basislager auf guter Höhe. Die erste Gipfelkette liegt hinter uns, wir rasten in einem Hochtal und ruhen ein wenig vor dem Anstieg zur nächsten Gipfelkette. Wir setzen uns und lassen den bisherigen Weg Revue passieren: Paulus hat sich uns bekannt gemacht, sich vorgestellt als berufener Apostel und Bergführer, hat uns das Gebirge benannt, das er mit uns besteigen wolle: das Evangelium, die Kraft Gottes, die selig macht[1]. Der Gipfel heißt: die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt und die aus dem Glauben kommt[2].

Mit dabei in der Seilschaft ein Franzose, Johannes Calvin. Er gab sich bald als glaubenskundiger Wanderführer zu erkennen, der Paulus zur Seite steht: „Obwohl die Glaubenden jetzt auf Erden Wandernde sind, steigt ihr Vertrauen doch über alle Himmel empor."[3] Mit diesen guten Aussichten marschierten wir los.

Zunächst führte der Weg durch die Niederungen des Menschlichen und Allzumenschlichen. Paulus kannte den Pfad durchs Unterholz, durch die Dornen, die im Fleische stacheln, durch das Dickicht, das uns den Blick nach oben verstellt hat. Er hat uns, einem akribischen Naturforscher gleich, diese tropisch üppige Vegetation vor Augen geführt und beim Namen genannt; die giftigen Blüten und lauernden Schlingen heißen: Begierden und Unreinheit, Ungerechtigkeit; Schlechtigkeit, Habgier, Bosheit, Neid, Mord, Hader, List Niedertracht und dergleichen mehr[4]. Wir waren nach diesem langen Gang durch die Niederungen ziemlich mitgenommen und hoffnungslos. In Kapitel 2 und 3 legte der Apostel die Unentschuldbarkeit des Menschen dar. Die Juden haben das Gesetz und kennen den Willen Gottes, die Griechen kennen ihn nicht. Doch weder die einen noch die anderen können sich vor Gott entschuldigen. Sie sind alle Sünder und fallen der Verdammnis Gottes dahin. Wir waren an der Grenze der Hoffnungslosigkeit.

Da plötzlich, in all unserer Niedergeschlagenheit nach diesem elenden Marsch durch des Menschen Dickicht und des Sünde Sumpf richtet uns der Bergführer den Blick auf den steilen aber erhebenden Anstieg. Endlich geht es aufwärts! „Nun aber ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, offenbart ... Ich rede aber von der Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den Glauben an Jesus Christus zu allen, die glauben."[5] Rasch hatten wir dann den ersten Gipfel erklommen: „So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben."[6] Auf dem Gipfel sehen wir Christus und sein Kreuz. „Den hat Gott für den Glauben hingestellt als Sühne in seinem Blut zum Erweis seiner Gerechtigkeit, indem er die Sünden vergibt"[7].

Von diesem ersten Gipfel des Glaubens führte uns ein herrlicher Abstieg in Kapitel 4 über den Abrahamsweg zu unserem momentanen Rastplatz. Vater Abraham war es, der diesen Weg der Gerechtigkeit aus Glauben als erster gegangen ist.

Und nun haben wir uns niedergelassen zu einer kleinen Rast am Anfang von Kapitel 5. Wir verschnaufen, alles strahlt mit einem Mal einen herrlichen Frieden aus: „Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus; durch ihn haben wir auch den Zugang im Glauben zu dieser Gnade, in der wir stehen, und rühmen uns der Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit, die Gott geben wird."[8]

Wir haben den Weg nach oben gefunden, den Zugang zur Gnade, den Weg des Glaubens, den Gott durch seinen Sohn Jesus Christus zu uns ins Tal der Niederungen gebahnt hat. Doch plötzlich waren wir oben. Es war gar nicht anstrengend. Plötzlich auf dem Gipfel. Es war wie ein Geschenk. Da stellt sich für einen Augenblick Friede ein - tiefer Friede.

Bevor wir einnicken und uns wegträumen, bevor wir uns einbilden, wir hätten nun schon alles im Gebirge und im Leben überstanden, alles in der Theologie und im Römerbrief schon hinter uns, mahnt der Bergführer zum erneuten Aufbruch. Er, der lebens- und glaubenserfahrene Apostel, weiß, was uns noch bevorsteht. Die Bewährungen erwarten uns. Der Glaube muss sich erst noch im Leben bewähren. Es wird noch steiler, die Luft wird noch dünner, das Atmen wird noch schwerer.

Der Anweg zur nächsten Gipfelkette ist länger, der Gipfel wird erst in Kapitel 8 erreicht. Auf dem ersten Gipfel in Kapitel 3 haben wir das Kreuz gesehen, auf dem nächsten Gipfel in Kapitel 8werden wir es schmerzlich spüren. Wir werden erschöpft sein, wir werden keuchen. „Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt und sich ängstet"[9], wird Paulus dann sagen. Aber merkwürdig: Gerade dann wird die Euphorie am größten sein. Wir werden dort oben leiden unter großen Schmerzen und wir werden jubeln und im Übermut rufen: „Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn."[10]

Das also steht uns bevor. Unser Bergführer Paulus weiß, dass er uns auf die Strapazen, die uns erwarten, gut vorbereiten muss, damit wir nicht auf halben Weg stehen bleiben. Er trainiert uns mental mitten in Kapitel 5 während unserer Rast auf hohem Niveau mit einem Ausblick auf Kapitel 8, auf die Krone des Römergebirges. Seine Worte sollen wirken wie die Ansprache eines Fußballtrainers in der Kabine vor der noch härteren zweiten Halbzeit des Finales. Doch kein Fußballtrainer hat das rhetorische Talent des Paulus, der uns in seinen Worten mitnimmt, geistig aufsteigen lässt über eine herrlich aufstrebende Leiter großer Gefühlsworte: „Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch der Bedrängnisse, weil wir wissen, dass Bedrängnis Geduld bringt, Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung, Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist."[11]

Liebe Gemeinde, es gibt keine Garantie dafür, dass das Leben derer, die durch ihren Glauben einen Zugang zu Gott gefunden haben, ein Zuckerschlecken sein wird. Es steht nirgendwo geschrieben, dass sich ein Leben im Frieden mit Gott in einer Hängematte abspielen wird, die nur noch von eitlem Sonnenschein beschienen wird. Das Leben ist das Leben. Daran ändert Gott nichts und auch unser Glaube wird daran nichts ändern. Gott hat die Berge geschaffen. Das sind die Höhen und die Tiefen, die Gipfel und das Gestrüpp, das Jubeln und das Seufzen. Das alles ist Gottes Schöpfung. Manchmal wird die Luft dünn und der Atem schwer.

Calvin, mir zur Seite, bemerkt: „Denn gelegentlich bedrängt und bedrückt der Herr die Seinen in der Weise, das sie kaum atmen und sich ihres Trostes entsinnen können. Aber im Nu führt er die ins Leben zurück, die er beinahe in das Dunkel des Todes gestürzt hätte."[12]

Es gibt keine Garantie dafür, dass das Leben im Glauben ein Zuckerschlecken sein wird. Aber der Glauben gibt eine starke Hoffnung, eine Gewissheit, dass wir durch dieses Leben lebend hindurch kommen. Nicht unbeschadet, sondern mit Kratzern, Blasen und Blessuren. Und doch am Ende glücklich, ja selig! Wenn wir den Marsch geschafft haben, werden wir im Rückblick erkennen, dass es gerade die schwierigsten Passagen waren, auf denen wir den klarsten und weitesten Blick für die Gnade hatten. Wo wir kaum mehr atmen konnten, wo wir das Kreuz am schmerzlichsten spürten, schien er uns sehr nahe gekommen zu sein.

Calvin sieht das auch so. Er sagt es nur etwas nüchterner: „Wir werden durch Bedrängnisse zur Geduld angespornt, und Geduld verschafft uns die Erfahrung der göttlichen Hilfe, die uns noch stärker zur Hoffnung ermutigt. Denn auf welche Weise wir auch immer dem Anschein nach bedrängt und schon zerrieben werden, lassen wir dennoch nicht davon ab, empfindsam zu sein für die göttliche Güte uns gegenüber, die der reichhaltigste Trost und viel größer ist, als wenn sich alles glücklich fügen würde."[13]

Paulus lässt sich in seiner Mutmachrede in Kapitel 5 nun aufs Argumentieren ein. Einigen ist offensichtlich bei dem steilen Gefühlsanstieg schon schwindelig geworden: Bedrängnis, Geduld und Bewährung. Sie fangen an, an sich zu zweifeln. Unser Bergführer und Rhetoriker greift auf ein bewährtes Muster zurück: Wenn andere das geschafft haben, dann schafft ihr das erst recht! „Gott aber erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren. Um wie viel mehr werden wir nun durch ihn bewahrt werden vor dem Zorn, nachdem wir jetzt durch sein Blut gerecht geworden sind! Denn wenn wir mit Gott versöhnt worden sind durch den Tod seines Sohnes, als wir noch Feinde waren, um wie viel mehr werden wir selig werden durch sein Leben, nachdem wir nun versöhnt sind."[14]

Paulus argumentiert: Ihr habt die erste Gipfelkette geschafft, ihr habt das Gipfelkreuz gesehen, ihr glaubt und seid gerecht vor Gott. Das, was vor euch liegt, haben andere geschafft, ohne dass sie erst die Gipfel erreicht haben, die ihr schon bestanden habt. Gott hat auch die durch das Leben geführt, die das Gipfelkreuz nicht gesehen haben. Um wie viel mehr wird er euch durch alle Höhen und Tiefen des Lebens führen, die ihr das Gipfelkreuz gesehen habt und glaubt.

Calvin sekundiert: „Wenn sich Christus der Ungläubigen erbarmt hat, wenn er die Feinde mit dem Vater versöhnt hat, wenn er dies durch die Kraft seines Todes geleistet hat, um wie viel leichter wird er jetzt die Gerechtfertigten bewahren und die in seiner Gnade erhalten, die er in Gnaden angenommen hat."[15]

Wir fühlen uns ermutigt, wieder aufzubrechen. Wir stehen auf, spannen uns die Rucksäcke wieder auf den Buckel, wir rüsten und wir gürten uns und tragen unsere Lasten. Wir kommen wieder in Gang. Folgende Stationen bietet der weitere Anweg zum Gipfel in Kapitel 8: Wir kommen noch in Kapitel 5 an Adams Fall vorbei, den Christus überbrückt hat, und passieren dann im 6. Kapitel die Wasser der Taufe. Allein die Erinnerung daran erfrischt und wir fühlen uns wie neu geboren. Bald aber kommen die ersten Beschwerden, wir spüren unsere Knochen, der Körper will nicht, wie wir wollen. Wir sind doch immer noch Fleisch, wie wir in Kapitel 7 leidvoll zu spüren bekommen werden. Und dann erreichen wir das steile 8.Kapitel mit seinem ängstlichen Harren, mit seinem unaussprechlichen Seufzen ebenso wie mit seiner Euphorie und dem Triumph: „Denen, die Gott lieben, werden alle Dinge zum Besten dienen." - „Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein?" - „Wer will uns scheiden von der Liebe Christi? Angst oder Hunger oder Blöße oder Gefahr? [...] Aber in dem allen überwinden wir weit durch den, der uns geliebt hat."

Liebe Gemeinde! Der Römerbrief des Apostels Paulus ist wie ein Gebirge. Auch das Leben ist wie ein Gebirge. In beidem gibt es Höhen und Tiefen, Gipfel mit wunderbaren Ausblicken, aber auch steile Pfade und schwierigste Passagen. Allein, wir glauben, dass Gott uns anerkennt trotz all unserer Schwächen und in all unserer Schwachheit. Auf der Höhe dieses Glaubens werden wir jedes Tief und jedes Hoch des Lebens begehen und bestehen.

Am Ende wird alles gut sein. Unser Bergkamerad Calvin drückt das viel gelehrter aus: „Obwohl die Glaubenden jetzt auf Erden Wandernde sind, steigt ihr Vertrauen doch über alle Himmel empor, so dass sie sich das künftige Erbe in ihrem Innersten getrost warm halten."[16]

Stärke Gott uns das Vertrauen, das über alle Himmel emporsteigt und uns warm hält bei den Wanderungen durch die Höhen und Tiefen des Lebens! Amen.

[1] Röm 1,16

[2] Röm 1,17

[3] CStA 5.1,263,33-35

[4] Röm 1,29

[5] Röm 3,21f

[6] Röm 3,28

[7] Röm 3,25

[8] Röm 5,1-2

[9] Röm 8,22

[10] Röm 8,38-39

[11] Röm 5,3-5

[12] CStA 5.1,265,43-267,3

[13] CStA 5.1,269,1-7

[14] Röm 5,8-10

[15] CStA 5.1,271,10-15

[16] CStA 5.1,263,33-36



Pfarrer Dr. Jürgen Kaiser
Französische Kirche zu Berlin
E-Mail: kaiser@franzoesische-kirche.de

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