Apostelgeschichte 1,3-11

Apostelgeschichte 1,3-11

Himmelfahrt 2024 | 9. Mai 2024 | Apg 1,3–11 | Bernd Giehl |

Liebe Gemeinde!

Vermutlich wissen Sie, dass es in der Bibel zwei Geschichten von der Himmelfahrt gibt. Die eine steht am Ende des Lukasevangeliums und sie klingt wie eine fast beiläufige Geschichte. Jesus und seine Jünger halten das Mahl, dann gehen sie nach Bethanien wahrscheinlich eine Art Verdauungsspaziergang, sie unterhalten sich und plötzlich ist Jesus in der Dämmerung verschwunden. Nein, ganz so beiläufig ist es nicht. Da steht: während Jesus seine Jünger segnete, schied er von ihnen und fuhr auf gen Himmel. Es erinnert mich an den großen Westernhelden, der in den Sonnenuntergang reitet. Ob wir das verstehen? Zumindest ein Gefühl von Wehmut kommt da auf. Lukas scheint es anders verstanden wissen zu wollen. Kein Gefühl von wachsender Dunkelheit. Im Gegenteil. Die Jünger kehren jubelnd nach Jerusalem zurück. Sollten wir mit Wehmut kämpfen, wird uns das nicht erlaubt.

Ich weiß nicht, warum Lukas seine Geschichte von der Himmelfahrt Jesu noch ein zweites Mal erzählt. Ob er das Gefühl hatte, so sei es noch nicht richtig gewesen? Da fehle noch irgendetwas? Jedenfalls nimmt er in seinem zweiten Buch den Faden noch einmal auf. Er beabsichtigt die Geschichte der frühen christlichen Gemeinde zu schreiben; da kann es wohl nicht schaden, den Beginn beim Abschied Jesu zu setzen.

Aber ich will noch einmal früher beginnen. Und zwar so naiv wie möglich. Warum muss Jesus eigentlich von seinen Freunden Abschied nehmen? Er ist doch auferstanden. Wer soll ihm denn noch etwas anhaben wollen?

Sagen wir es mal so. Lukas, der etwa fünfzig Jahre nach den Ereignissen schreibt, von denen er erzählt, weiß, dass Jesus nicht mehr da ist. Er und alle anderen können ihm nicht mehr die Hand geben. Sie können sich zwar im Gebet an ihn wenden, aber sie können ihn nicht mehr direkt fragen oder bitten.  Das beißt sich mit der Erkenntnis, dass Jesu auferstanden ist und ewig lebt. Also muss seine Abwesenheit erklärt werden. Könnte sein, dass Jesus bei Gott mehr gebraucht wird als bei seiner Gemeinde. Oder dass er dort mehr tun kann für sie, als wenn er bei ihnen auf der Erde ist. Oder der Einzige, der bisher von den Toten auferstanden ist, passt nicht so recht zu denen, die den Tod noch vor sich haben. Schwer vorstellbar, dass er Jahrhundert um Jahrhundert bei den Menschen lebt und ihnen die eigene Botschaft erklärt.

Welche Erklärung Lukas vor sich hat, wissen wir nicht. Vielleicht ist es auch nur die Erkenntnis, dass Jesus jetzt weg ist und er die Erklärung nachträglich liefern muss. Also erzählt er die Geschichte noch einmal. Die meisten Details sind so wie im Evangelium: Es beginnt nach dem abendlichen Mahl. Allerdings ist das Licht nicht mehr so weich, um es in der Sprache der Maler zu sagen, sondern es beginnt mit der Anweisung in Jerusalem zu bleiben und auf die Verleihung des Heiligen Geistes zu warten. Was das ist, ist zu dem Zeitpunkt noch nicht klar, aber die Jünger scheinen zumindest eine Ahnung zu haben, denn sie fragen, wann Gott sein Reich aufrichte und bekommen zur Antwort, das wisse nur Gott. Dann fährt er mithilfe einer Wolke zum Himmel auf. Schließlich stehen zwei Engel da und erklären den verdutzten Jüngern, Jesus sei nicht mehr da, sondern in den Himmel gefahren; er sei nun bei Gott.

So weit, so einfach. Oder auch: So schwer. Oder noch einmal naiv gefragt: Wo ist Jesus denn nun? Auf dem Mond? Dem Mars? Oder dem Pegasus?

Schwierig, nicht wahr?

*

An dieser Stelle muss ich wohl einen Gang zurückschalten.  Die Frage an die Geschichte zu stellen, macht keinen Sinn, weil ihr Bild von der Welt ein anderes ist. Dass der Weltraum nicht mehr identisch ist mit dem Ort, wo Gott wohnt, hat mit den unterschiedlichen Bildern von der Welt zu tun, die uns von der Himmelfahrtsgeschichte trennt. Dort wird vorausgesetzt, was wir als Kinder erleben: dass die Welt flach und der Himmel über uns ist. Aber wir wissen, dass das nicht so ist. Seit Kolumbus setzen wir voraus, dass die Erde eine Kugel ist und der Weltraum uns von allen Seiten umgibt. Insofern macht das Bild von der Himmelfahrt keinen wirklichen Sinn mehr.

Bevor jetzt jemand allerdings verzweifelt, möchte ich sagen: diese Geschichte kann man übersetzen. Man darf sie nicht wörtlich nehmen. Das scheint auch Lukas so zu sehen. Es scheint, als suche er nach Worten für das, was nach der Auferstehung geschehen ist. Oder um es mit den Worten von Max Frisch zu sagen: Menschen haben eine Erfahrung gemacht und nun suchen sie nach der Geschichte ihrer Erfahrung. Als Kind habe ich angenommen, Jesus sei die gesamte Zeit nach seiner Auferstehung über bei seinen Jüngern geblieben. So wie wir Menschen eben miteinander leben. Wir unterhalten uns miteinander. Essen miteinander und gehen zur Arbeit. Und abends kommen wir wieder zusammen und erzählen vom Tag.  So wie es im Leben eben ist. Nur das Lukas von einer Form von Leben erzählt, die wir allenfalls erahnen können. Wenn man genauer hinsieht, redet Lukas von Zeichen, die Jesus tat, um sich als der Lebendige zu erweisen.  Wörtlich heißt es: Er ließ sich sehen. Also sind die Jünger auch nicht vierzig Tage ununterbrochen mit ihm zusammen, sondern sie sehen ihn zu bestimmten Zeiten in Visionen. Irgendwie muss man Auferstehung von den Toten ja abgrenzen von dem, was wir „Leben“ nennen. Es ist nicht einfach Rückkehr ins Leben. Schon gar nicht in dieses begrenzte Leben, das wir kennen. Insofern kann es auch nur kurze zeitliche Berührungen zwischen Jüngern und Auferstandenem geben.

Jesus ist also auch in der Zeit zwischen Ostern und Himmelfahrt nicht mehr anwesend. Er ist nicht verfügbar; noch weniger als Menschen es ohnehin sind. Der einzige Unterschied ist: er erscheint seinen Jüngern in Visionen. Bis auch die schließlich aufhören.

Braucht man also die Geschichte von der Himmelfahrt? Man kann es so oder so sehen. Wenn man Jesus als Auferstandenen über die Erde wandeln sieht, braucht man sie. Weil ja klar ist: er kann nicht bleiben.

Anders steht es, wenn man Jesu Auftritte als Auferstandener nicht als permanenten Aufenthalt auf der Erde ansieht. Dann ist die Geschichte nichts weiter als ein beiläufiger Schlusspunkt. Von jetzt an wird es keine weiteren Erscheinungen des Auferstandenen geben. Schließlich gilt es auch ein Missverständnis zu klären: Jesus lebt nicht mehr hier. Er gehört zu einer anderen Sphäre.

*

Himmelfahrt vereint also beide Erkenntnisse. Jesus ist nicht mehr hier. Er ist in der Sphäre, in die er hingehört: Er ist jetzt bei Gott. Aber das ist nur die eine Seite. Denn eigentlich müsste man auch noch Pfingsten hinzunehmen. Jesus als der Heilige Geist ist bei uns. Der Heilige Geist gehört unbedingt dazu. Es ist kein anderer als der Geist Jesu, der uns vorangeht und uns begleitet auf unseren Wegen. Er sorgt dafür, dass wir in der Liebe Jesu leben. Und zwar als die, die die Liebe Jesu erfahren als auch die, die sie weitergeben. Eins geht nicht ohne das andere. Wer Liebe weitergeben will, muss die erst erfahren haben. Anders kann er oder sie nichts weiterschenken. Aber auch umgekehrt: Wer keine Liebe weitergibt, kann eigentlich auch keine bekommen haben. Weil es ihn sonst drängen würde, diese Liebe weiterzugeben, sie nicht einfach nur zu behalten.

So gesehen, leben wir als Christen immer noch in einem Zwischenzustand. Das Reich Gottes ist immer noch nicht vollendet.  Der ewige Frieden ist noch nicht ausgebrochen. Es ist noch lange nicht alles gut zwischen uns. Darum sollten wir bitten, dass Gottes Herrschaft sich unter uns ausbreite.


Bernd Giehl

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