Apostelgeschichte 9, 1-20

Apostelgeschichte 9, 1-20

Göttinger
Predigten im Internet,
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Sonntag: 12. S. nach Trinitatis
Datum: 30.8.1998
Text: Apostelgeschichte 9, 1-20
Verfasser: Hans Joachim Schliep


Predigt am 30.08.1998 in der Ev.-luth. Neustädter Hof- und Stadtkirche
St. Johannis Hannover

Predigttext

Saulus schnaubte noch mit Drohen und Morden gegen die Jünger des Herrn
/ und ging zum Hohenpriester / und bat ihn um Briefe nach Damaskus an die
Synagogen, / damit er Anhänger des neuen Weges, / Männer und Frauen, /
wenn er sie dort fände, / gefesselt nach Jerusalem führe. Als er aber
auf dem Wege war / und in die Nähe von Damaskus kam, / umleuchtete ihn plötzlich
ein Licht vom Himmel; und er fiel auf die Erde / und hörte eine Stimme, /
die sprach zu ihm: „Saul, Saul, was verfolgst du mich?“ Er aber
sprach: „Herr, wer bist du?“ Der sprach: „Ich bin Jesus, den du
verfolgst. Steh auf und geh in die Stadt; da wird man dir sagen, was du tun
sollst.“ Die Männer aber, die seine Gefährten waren, / standen
sprachlos da; denn sie hörten zwar die Stimme, / aber sahen niemanden.
Saulus aber richtete sich auf von der Erde; und als er seine Augen aufschlug, /
sah er nichts. Sie nahmen ihn aber bei der Hand / und führten ihn nach
Damaskus; und er konnte drei Tage nicht sehen / und aß nicht und trank
nicht.

Es war aber ein Jünger in Damaskus mit Namen Hananias; dem erschien der
Herr und sprach: „Hananias!“ Und er sprach: „Hier bin ich, Herr.“
Der Herr sprach zu ihm: „Steh auf / und geh in die Straße, die die
Gerade heißt, und frage in dem Haus des Judas nach einem Mann mit Namen
Saulus von Tarsus. Denn siehe, er betet / und hat in einer Erscheinung einen
Mann gesehen / mit Namen Hananias, / der zu ihm hereinkam / und die Hand auf ihn
legte, / damit er wieder sehend werde.“ Hananias aber antwortete: „Herr,
ich habe von vielen gehört über diesen Mann, / wieviel Böses er
deinen Heiligen in Jerusalem angetan hat; und hier hat er Vollmacht von den
Hohenpriestern, / alle gefangenzunehmen, die deinen Namen anrufen.“ Doch
der Herr sprach zu ihm: „Geh nur hin; denn dieser ist mein auserwähltes
Werkzeug, / daß er meinen Namen trage vor Heiden und vor Könige / und
vor das Volk Israel. Ich will ihm zeigen, / wieviel er leiden muß um
meines Namen willen.“ Und Hananias ging hin / und kam in das Haus / und
legte die Hände auf ihn und sprach: „Lieber Bruder Saul, der Herr hat
mich gesandt, / Jesus, / der dir auf dem Wege hierher erschienen ist, / daß
du wieder sehend und mit dem heiligen Geist erfüllt werdest.“ Und
sogleich fiel es von seinen Augen wie Schuppen, / und er wurde wieder sehend;
und er stand auf, / ließ sich taufen / und nahm Speise zu sich / und stärkte
sich.

Saulus blieb aber einige Tage bei den Jüngern in Damaskus. Und alsbald
predigte er in den Synagogen von Jesus, / daß dieser Gottes Sohn sei.
(Apostelgeschichte 9,1-20)

Predigt:

> Der neue Weg ist das Leben im Glauben, das
Christus immer wieder erneuert.
> Christus ist da mit seinem Licht, wo ich nur Blindheit vermute.
> Christus bittet um meine segnende Hand.
> Christus schenkt mir den Freimut, seinen Namen öffentlich
auszusprechen.

Liebe Gemeinde!

In diesen vier Sätzen fasse ich zusammen, was mir die >Berufung
des Paulus< sagt.

Diese Erzählung ist eine der Geschichten, auf die sich die Christenheit
gründet. Sie gehört zu den >großen Geschichten< unserer
Kultur – ja, sie ist sprichwörtlich geworden: Da hat eine ihr „Damaskus-Erlebnis“;
da ist einer vom „Saulus zum Paulus“ geworden; da „fällt es
dir wie Schuppen von den Augen“.

Wie ist diese Erzählung entstanden? „Wir leben unser Leben vorwärts,
aber wir verstehen es rückwärts.“ Diese Einsicht Sören
Kierkegaards ist das Webmuster, nach dem Lukas 20, 30 Jahre später aus
seiner Sicht von einer Lebenswende deutend erzählt, die für die frühe
Christenheit schlechthin bedeutend war. Mit den Sprachbildern, in denen sich die
Christinnen und Christen in den griechischsprechenden Gemeinden verständigten,
setzt er sie gleichsam noch einmal in Szene: die überraschende Lebenswende
des Saulus aus Tarsus, von Beruf Zeltmacher, aus Passion Christenverfolger, zur
Christusnachfolge, die sein Leben zur Mission und zur Passion im Namen Christi führt.

Vorwärts leben und rückwärts verstehen. In diesem Sinn will
ich die Geschichte, soweit wir sie als Epistel und anstelle des Evangeliums gehört
haben, von rückwärts erzählen, von ihrem Ausgang her.

Berufen, Jesus beim Namen zu nennen:

Saulus blieb aber einige Tage bei den Jüngern in
Damaskus. Und alsbald predigte er in den Synagogen von Jesus, daß dieser
Gottes Sohn sei.

Wem Christus das Herz öffnet, liebe Gemeinde, kann den Mund nicht
halten. Wo Christus Platz greift in ihnen, da legen Menschen „Zeugnis ab
bis zum Letzten“ (Victor Klemperer). Sie geben Zeugnis davon, daß
Jesus der Christus ist. Und das heißt: in ihm begegnet uns Gott, er
vertritt Gott bei uns und vertritt uns bei Gott.

Wird in der Bibel jemand „Gottes Sohn“ genannt, ist das
symbolisch, nicht biologisch gemeint. Vom Ja Gottes zu einem Menschen ist die
Rede. „Dieser ist Gottes Sohn“, Jesus, heißt: Gott ist da in
diesem Menschen. Nun darf auch das verletzte und das verschmutzte, das beschämte
und das beschädigte, das hinfällige und das für Schuld so anfällige
Leben Gottes Namen tragen. Gott übereignet seinen Namen diesem Menschen –
und dieser Mensch verleiht seinen Namen anderen Menschen. Das geschieht in der
Taufe, mit der Saulus getauft wurde – und mit der wir getauft sind. Jenseits
unserer Taten, mit denen wir, wenn es gut geht, unsere Freiheit und Würde
zwar bewähren, aber doch nicht begründen können, nehmen wir Teil
an Gottes Dasein. So führen wir unser Leben nicht nur auf eigenen Namen und
eigene Rechnung.

Wird damit Gott noch größer und der Mensch noch kleiner gemacht?
Hören Sie einmal, was da mit Saulus geschieht anläßlich seiner
Taufe: „und er stand auf … und nahm Speise zu sich und stärkte sich.“
Da kommt also jemand wieder auf die Beine, ißt und stärkt sich –
seine Lebenskräfte wachsen wieder, und er nimmt Lebenssäfte zu sich.
Da fließen wieder Lebensenergien! Es ist eine alte biblische Vorstellung:
Wem der Name einer anderen Person oder Wesenheit übertragen wird, der/dem
wird etwas von der Lebenskraft und Lebensmacht übereignet, für die
dieser Name steht.

„Wir brauchen, um bestehen zu können, einen Vorrat
unbezweifelbarer Namen.“ (Elias Canetti) Wir brauchen sie, um uns in Zeiten
der Lebensgefahr an Zeug/inn/en für den Frieden, das Recht und das Leben
selbst zu orientieren. Wie schrecklich besudelt ist der Name von Menschen! Daran
sind wir ja mitbeteiligt – zumindest lassen wir es zu, wie menschliche Macht,
indem auf andere Übermacht ausgeübt wird, mißbraucht und so entmächtigt
wird. Und wieviele von uns kommen sich ganz einfach ohnmächtig vor!? So
brauchen wir mit dem unbezweifelbaren Namen auch den Namen, durch den wir wieder
ermächtigt werden, von dessen Träger uns dieses zuwächst: Macht,
die Maß hält, und Mut, für den Schutz des Lebens alles zu tun –
in dem Wissen und Vertrauen, nicht das Letzte tun, nicht die Welt retten zu müssen.

Nach Lukas hat Saulus in der gesamten Erzählung noch gar nicht den
neuen Namen; erst viel später in der Apostelgeschichte – und dann fast beiläufig
– wird der Apostelname >Paulus< erwähnt (Apg 13,9). Es geht also um
den Namen eines anderen, größeren.

>Jesus Christus< – gibt es einen Namen, der unbezweifelbarer wäre?
In diesem Namen legt Gott selbst Zeugnis ab für den Menschen, Zeugnis bis
zum Letzten. >Jesus Christus< – das ist der Name, in dessen Kraft uns
wahrer Mut zum Sein zuwächst. Der Name Jesu ist so unbezweifelbar, daß
ich ihm seinen Gott glauben will. Machen wir es also wie Saulus: Nennen wir in
Freimut und Klarheit diesen Namen! Bezeugen wir Jesus als den Christus! Stellen
wir die Machtfrage: Wofür wollen wir leben – für einen Sinn und eine Würde,
die unter dem Zwang zur Effektivität in die Brüche gehen, oder für
einen Sinn und eine Würde, die sich orientieren an der unverbrüchlichen
Humanität Gottes?

> Christus schenkt Euch den Freimut, seinen Namen öffentlich
auszusprechen.

Berufen zum Segnen:

„Lieber Bruder Saul, der Herr hat mich gesandt, Jesus, der dir auf dem
Wege hierher erschienen ist, daß du wieder sehend und mit dem heiligen
Geist erfüllt werdest.“

Von wievielen Lebenswenden spricht unsere Erzählung eigentlich? Auch
Hananias erlebt eine Lebenswende: er wird beauftragt, sich um Saulus zu kümmern.
Darin entdecke ich etwas Hilfreiches: Du kannst schon Christ sein – und erfährst
doch immer wieder eine Lebenswende. Es muß nicht das ganz große
Ereignis, das dramatische Damaskus-Erlebnis sein. Auch im Alltag des Christseins
wird die Berufung immer wieder erneuert – wie Christus sich dir stetig zuwendet
und wie du dich hinwendest zu anderen.

Freilich, auch das ist eine Wende, zu der der Anstoß von außen
kommen muß. Das Wort, das mir weiterhilft, sage ich mir nicht selbst, es
kommt von außen. Das ist das Wort Jesu – bei Hananias der Auftrag, zu
Saulus zu gehen. Wirklich eine Kehrtwende! Hananias soll einen Christenfresser
annehmen als Christenfreund und aufnehmem in die Gemeinde! Er soll jemanden
segnen, der ihn bis dahin verflucht hat (Mt 5,44)! Darüber muß
Hananias, das ist doch völlig klar, mit Jesus sprechen. Ja, wir können,
wir müssen mit Jesus sprechen. Uns wird oft Ungewöhnliches zugetraut
und Ungemütliches zugemutet! Hören wir aber auf die Stimme Christi,
dann bestätigt sich, was die Stimmen von Christenmenschen sagen: Die
Lasten, die Gott uns auferlegt, sind nicht größer als die Kraft, die
uns zum Tragen zuwächst.

So überwindet Hananias seine verständlichen Berührungsängste,
so läßt er sich gegenüber dem Feind schon einmal entfeinden, so
spricht er, der Gejagte, den Jäger mit Bruder an. Im Namen Jesu tut er es –
im Namen dessen, der diese Bruderschaft auf seine verborgene Weise schon
gestiftet hat; wie es im Bild des Traums festgehalten ist. Im Licht Christi
gewinnt Hananias eine andere Sicht, die sich nicht von alten Erfahrungen und überholten
Gewohnheiten her den Blick für die neue Wirklichkeit verstellen läßt.
Der Name Jesu ermächtigt ihn dazu, Saulus mit den Augen Jesu, als erwählten,
als zu Christus gehörenden Menschen, als Menschen mit Würde und
Auftrag von Christus her, anzusehen und anzunehmen.

Die Annahme kommt zuerst – noch vor dem Namen: Hananias legt Saulus die Hand
auf. Christsein hat auch eine körperliche Seite. Wer mit Jesus zu tun
bekommt, befindet sich in der Nähe Gottes und in der Nähe von
Menschen. Beistand ist nicht nur eine Sache von Worten, zur Seelsorge gehört
Leibsorge. Manchmal reicht eine Umarmung, eine Berührung, ein Wink- und oft
genug bleibt nichts anderes übrig. Ein Lob den Gesten und Gebärden des
Glaubens!

In dem Film >Jenseits der Stille<, der von einer jungen Klarinettistin
mit taubstummen Eltern handelt, hat mich eine Szene besonders berührt: Wie
eine Gemeinde von Taubstummen „Lobe den Herren…“ singt – ohne einen
Ton, ohne ein Wort, einzig mit ihren Gebärden! – Und was sollte ich machen
mit der Frau, die einfach nicht beten konnte, die aber, weil sie eine
leidenschaftliche Raucherin war, mich, einen Nichtraucher, inständig darum
bat, mit ihr eine Zigarette, die letzte vielleicht, zu rauchen?! Was sollte ich
machen?! Daß ich mit ihr „eine qualmte“, empfinde ich noch heute
wie ein Gebet.

Zwischen Hananias und Saulus jedenfalls spielt sich ab, was sich unter
Menschen, zumal unter Christenmenschen, allermeist so abspielt: Ein Gotteskind öffnet
einem anderen Gotteskind die Augen!

Ebenso ist die Stummheit der Gefährten des Saulus, die vor Damaskus mit
dabei sind, zwar eine Stimme hören, aber das Licht nicht sehen, mehr als
ein Ausdruck ängstlicher Fassungslosigkeit, der den Eindruck des ganz Außergewöhnlichen
verstärkt. Dieses Schweigen dient – wie bei Zacharias, als ihm die Geburt
des Johannes angekündigt wird – dazu, im Angesicht des Hereinbrechens des
Unverfügbar-Heiligen einem Menschen die Zeit zu lassen, in der Christus
wirklich in ihm Platz nehmen und wachsen kann – kurzum: sein Geheimnis mit Gott
und Gottes Geheimnis mit ihm zu achten.

> Christus nimmt Eure segnenden Hände. Jesu Nähe führt in
menschliche Nähe.

Berufen in die Gemeinde:

„Steh auf und geh in die Stadt; da wird man dir sagen, was du tun
sollst.“ … Sie nahmen |Saulus| aber bei der Hand und führten ihn
nach Damaskus; und er konnte drei Tage nicht sehen und aß nicht und trank
nicht.

Nun bin ich ganz bei Saulus, ohne Hananias schon ganz verlassen zu haben.
Erst nur mittelbar gesagt, ist es doch schon unmittelbar klar: Saulus wird in
die Gemeinde berufen. Das Christsein wird ausdrücklich in der Taufe. Dazu
braucht es die Gemeinde – die vor Ort und die weltweite Christenheit. Denn mit
der Taufe ist es wie mit dem Leben: Das Leben kann ich mir nicht selbst geben –
ich kann mich auch nicht selbst taufen. Glauben kommt aus dem Gegenüber,
dem Zuspruch, der Zueignung – eben des Namens und des Segens. Desgleichen – wir
sehen es an Saulus – ist ein bergender und beherbergender Lebensraum nötig
zum Schlafen, zum Beten, zum Essen, zum Gesegnetwerden und zum neuen Sehen: die
Gemeinde. Schließlich ist keiner allein Täter seiner
Lebensgeschichte.

Auf die Gemeinde kommt es an! Aber wie!? Es darf keine Gemeinde sein, die
sich in sich einhaust. Die Wende, die an Hananias, dem Vertreter der Gemeinde in
Damaskus, sich vollzieht, ist auch diese: Christus begegnet Menschen, wo und
wann er will. Die Macht seines Namens, die Reichweite des Gottesgeistes ist
umgreifender als die Reichweite der Gemeinde und der Kirche. Wandlungen und
Verwandlungen des Christus spielen sich an ganz ungewöhnlichen Orten und
bei ganz sonderbaren Menschen ab. So höre ich ineins mit dem Berufensein in
die Gemeinde das Berufensein der Gemeinde:

Seid wach, aufmerksam und aufgeschlossen – bereit, auch Christusfremde nicht
nur zu achten, sondern ihnen Raum zu gewähren, sie am Schatz des Glaubens
teilhaben zu lassen. Die Fragenden und Suchenden um uns herum sind angewiesen
auf den Schatz und den Schutz derer, die vor ihnen gefragt und gesucht haben
nach einem unverbrauchten Gott, nach einem unverfälschten Lebenssinn, nach
einem segnenden und schonenden Umgang mit dem Leben, nach einer heilenden
Gemeinschaft.

Aus der >Stadt ohne Gott<, von der vor Jahren einmal die Rede war, ist
inzwischen die >Stadt der vielen Götter< geworden. Heute gibt es
wieder eine – wenn auch oft verquere und ver-POP-te – Sehnsucht nach >heiligen
Stätten<, in denen bergende und zugleich aufschließende
Erfahrungen gemacht werden können. Die Trommeln Gottes tönen weiter.
An uns ist es, manche Schwundgefühle beiseite zu lassen und einladend zu
sein für Anderes, Fremdes, Neues – da kann sich in guter Weise
Schwindelerregendes abspielen, wenn Menschen den Glauben neu oder
wiederentdecken. Glaube will heute wieder ausprobiert werden! Dazu – eben dazu –
brauchen wir offene Kirchen als Halte-, Erlebnis- und Stützpunkte. In
unserer Erzählung, gleich zu Beginn, werden die Christinnen und Christen
bezeichnet als Anhänger des neuen Weges!

> Nehmt das Licht Christi auch dort wahr, wo ihr nur Blindheit vermutet!
Laßt Euch ein auf neue Wege!

Berufen zu Christus:

Als |Saulus| aber auf dem Wege war und in die Nähe
von Damaskus kam, umleuchtete ihn plötzlich ein Licht vom Himmel; und er
fiel auf die Erde und hörte eine Stimme, die sprach zu ihm: „Saul,
Saul, was verfolgst du mich?“ Er aber sprach: „Herr, wer bist du?“
Der sprach: „Ich bin Jesus…“.

Zum Schluß – heute – der Anfang. Wie in Jerusalem wollte Saulus auch
in Damaskus die Christinnen und Christen der Macht Christi mit Gewalt entziehen.
Doch da wird er – in überwältigender Weise – in die Machtsphäre
Christi hineingezogen. Der sein Leben ließ an einem unwirtlichen Ort, draußen
vor dem Tor, auf der Schädelstätte Golgatha, begegnet seinem Verfolger
mit seiner ganzen Macht und seinem ganzen Erbarmen an einem ebenso unwirtlichen
Ort, wieder draußen vor dem Tor, in der Wüste. Die Jagd des Saulus
auf Christus war im Grunde eine Flucht vor Gott. Wie bei Jona. Jona und Saulus –
auf der Flucht vor Gott werden sie von Gott eingeholt. Ja, Gott liebt das aufgewühlte
Meer und die ausgedörrten Wüsten. Gerade an solchen unfeierlichen
Orten sucht Gott Menschen – und findet sie.

Jetzt will ich nicht spekulieren, was da wirklich geschah. Es ist kein
Vorgang, der psychologisch zu erklären wäre. Es ist ein spirituelles,
geistliches Geschehen. Das Licht vom Himmel, in das Saulus da getaucht wird, das
ihn zu Boden wirft, ihn blendet und erst einmal erblinden läßt,
dieser göttliche Glanz steht für beides: für die machtvollen
Eingriffe, mit denen Gott sich in manchem Leben querstellt, und gleichermaßen
für die erbarmende Liebe Gottes, die Menschen im Antlitz Christi
wahrnehmen. Saulus selbst hat – als Paulus – seine Lebenswende in seinen
Schriften mit folgendem Tenor beschrieben: >Ich bin mit Christus gestorben
und mit Christus auferstanden, jetzt lebt Christus in mir, und ich lebe durch
Christus.< Für Saulus/Paulus war es das Wunder neuen Lebens, ein >Neues
Sein< (Paul Tillich), eine neue Schöpfung – in dem sich das Wunder des
Lebens überhaupt, die Schöpfung gleichsam für ihn persönlich
wiederholt. Jedenfalls ist Glaube ein Widerfahrnis.

Martin Luther hat Paulus richtig verstanden, wenn er den Glauben als fremdes
Werk beschreibt – als Werk, das Christus in einem Menschen beginnt und
vollendet. Und dieses ist kein einmaliges Ereignis, sondern eine wiederkehrende
Erneuerung des Lebens in der Kraft des Glaubens – über meinen Lebenstag
hinaus. In solchem Glauben werden Menschen wachsam für das, was durch
Handeln unerreichbar ist, und empfänglich für das, worauf es am Ende
ankommt: auf die Liebe und das Erbarmen.

So ist Saulus berufen zu Christus – durch Christus selbst. Das geschieht in
einer Begegnung, in der die Stimme von weither sich als Mensch zu erkennen gibt:
„Ich bin Jesus…“. Glauben heißt: eine persönliche
Beziehung zu Jesus Christus haben.

Jetzt, liebe Gemeinde, will ich noch einmal persönlich sagen, was sich
mir an dieser Lebenswende des Saulus/Paulus erschlossen hat:

An jedem Ort, auch dort, wo von Christus nichts zu sehen und zu hören
ist, kann er sich ein- und dazwischenstellen. Ja, je stärker Saulus gegen
Christus anrennt, ankämpft – um so stärker wird er von Christus
angesteckt; er holt sich einen Christus-Infekt. So ist Christus, selbst wenn ich
mit ihm fertig bin, mit mir nicht am Ende. Gerade in der Gottesferne ist mir
Christus nahe. Selbst im tiefsten Zweifel, noch in der scharfen Anfrage und
Anklage bleibt Gott in Christus an mir dran. Die Rechtfertigung des Zweiflers,
die Rechtfertigung des Gottlosen! Jesus Christus sorgt für meinen Glauben.

> Der neue Weg ist das Leben in der Kraft des Glaubens, den Christus
immer wieder erneuert. Glaube ist da, wenn du Jesus Christus begegnest. Und Gott
wird für dich dort wahr, wohin Jesus Christus dich ruft.

Amen.

>Und der Friede Gottes,
der höher ist als alle menschliche Vernunft,
bewahre eure Herzen und Sinne
in Christus Jesus, unserm Herrn.

Amen.<

Hans Joachim Schliep
Amt für Gemeindedienst der
Ev.-luth. Landeskirche Hannovers
Archivstr. 3 – 30169 Hannover
Tel. 0511-1241 415/416
E-Mail: Hans-Joachim.Schliep@evlka.de

Es gilt das gesprochene Wort!

 

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