„Auf, auf, mein Herz, mit Freuden“ (EG 112)

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„Auf, auf, mein Herz, mit Freuden“ (EG 112)

Predigreihe zu Paul Gerhardt / 2007
„Auf, auf, mein Herz, mit Freuden“ (EG 112),
Predigt verfasst von Martin Laube


Liebe Gemeinde,

mit Ostern und dem Osterfest ist das so eine Sache. Auf der einen Seite gehört Ostern zusammen mit Weihnachten zu den höchsten Festen der Christenheit. Wir feiern die Auferstehung Jesu, die uns zugute geschehene Überwindung von Sünde, Schuld und Tod. Auf der anderen Seite aber hat Ostern bei weitem nicht die Bedeutung von Weihnachten. So richtig stellt sich keine Festtagsfreude ein; manchmal wirkt die fröhliche Stimmung geradezu mühsam-bemüht.

Weihnachten fällt uns das Feiern leicht: Der warme Kerzenschein, die wohlduf­tenden Gerüche und die staunenden Kinderaugen lassen uns sofort warm und festlich ums Herz werden. Dazu die Geschichte vom Kind in der Krippe: Die Geburt Jesu im Stall, das Kommen Gottes in die Welt können wir uns vorstellen. Die Szene ist anschaulich und in ihrer Bedeutung für uns verständlich. Aber Ostern?

Si­cher, es ist das Fest des Frühlings, des jungen und aufblühenden Lebens. Aber ist uns nur halb so festlich zumute wie Weihnachten? Und Hand aufs Herz: Kön­nen wir wirklich etwas anfangen mit dem, was wir da feiern – die Auferstehung Jesu von den Toten? Wir wissen von Kindesbeinen an, daß diese Auferstehung das entscheidende Heilsereignis ist, daß es hier im wahrsten Sinne des Wortes um Le­ben und Tod geht, daß mit der Auferstehung Jesu unser aller Tod überwun­den ist. Doch können wir uns das irgendwie begreiflich machen?

Wie man sich das mit der Auferstehung Jesu denken soll, gehört zu den heikel­sten Fragen über­haupt. Und daß damit auch unser Tod überwunden sein soll, klingt ebenso gewichtig wie rätselhaft – rühren wir damit doch an die schwerste aller Fragen, die nämlich, wie es mit uns weiter­geht, wenn wir irgendwann sterben müssen. Ist es vielleicht gerade diese Bedeu­tungs­schwere des Osterfestes, das so bedrängende Thema Tod und Sterben, das uns nicht ganz so unbeschwert feiern läßt und dem Osterfest eine so eigentümli­che Färbung verleiht?

Es kommt noch etwas hinzu. Manchmal hat man den Eindruck, als sei der Kar­freitag fast wichtiger als der Oster­sonntag. Gerade den Evangelischen wird oft nachgesagt, sie betonten vor al­lem das Leiden und Sterben Christi und ließen die Auferstehung demgegenüber in den Hinter­grund treten. Bei uns sei andauernd von Sünde und Schuld die Rede; Protestanten hätten immer ein schlechtes Gewis­sen. Darum sei uns ge­rade der Tod Jesu so wichtig – die Tatsache, daß Jesus um unserer Sünde willen gelitten und gestorben sei.

Zumindest, wenn man auf die Kirchenmusik blickt, ist da etwas dran: Bachs Matthäus- und Johannespassion gehören zu den wunder­barsten und am meisten gespielten Werken der Kirchenmusik. Überhaupt ist vor allem die Passionszeit die Zeit der Kirchenmusik. Auf vielfältigste und eindring­lichste Weise ist gerade das Leiden und Sterben Jesu musikalisch ausgestaltet worden. Osteroratorien gibt es demgegenüber kaum – jedenfalls nicht von berühmten Komponisten.

Aber es gibt immerhin berühmte Osterlieder. Eines davon ist das Lied von Paul Gerhardt: „Auf, auf, mein Herz, mit Freuden“. Es stammt aus dem Jahre 1647 und ist von Gerhardts Freund, dem Berliner Kantor Johann Crüger, vertont worden. Im Mittelpunkt steht hier nun eine geradezu überbordende Freude über das, was Ostern geschehen ist. Zwar handelt auch dieses Lied von Sterben und Tod, aber das bedrückt oder beeinträchtigt die Freude nicht – im Gegenteil: Gerade weil jetzt der Tod überwunden ist, kann gelacht, gesungen und getanzt werden. Johann Crüger hat seiner Melodie einen italienischen Tanzrhythmus zugrunde gelegt; das Lied erhält so einen beschwingten und leichten Charakter. Vielleicht achten Sie einmal darauf, wenn wir jetzt gemeinsam die ersten beiden Strophen singen.

Auf, auf, mein Herz, mit Freuden,

nimm wahr, was heut geschicht!

Wie kommt nach großem Leiden

nun so ein großes Licht!

Mein Heiland war gelegt

da, wo man uns hinträgt,

wenn von uns unser Geist

gen Himmel ist gereist.

Er war ins Grab gesenket,

der Feind trieb groß Geschrei;

eh er’s vermeint und denket,

ist Christus wieder frei

und ruft Viktoria,

schwingt fröhlich hier und da

sein Fähnlein als ein Held,

der Feld und Mut behält.

In diesen beiden Strophen beschreibt Gerhardt zunächst, was an Ostern gesche­hen ist. Dabei hat man fast den Eindruck, als habe er ein Ostergemälde aus der christlichen Malerei vor Augen – eines jener Bilder, auf denen Christus mit der Sie­gesfahne in der Hand dargestellt wird, auf dem offenen Grabe stehend, während am Boden die ohnmächtigen Wächter liegen: „ist Christus wie­der frei / und ruft Vik­toria, / schwingt fröhlich hier und da / sein Fähnlein als ein Held, / der Feld und Mut behält“.

Doch zugleich bietet Gerhardt alles andere als eine neutrale, aus sicherer Di­stanz formulierte Beschreibung. „Auf, auf, mein Herz, mit Freu­den“ – Gerhardt setzt mit einer Aufforderung ein, einer Aufforderung, die an sich selbst, an das eigene Herz gerichtet ist. Die Betrachtung der Osterszene erweckt Herz und Sinne. Es geht um das eigene Erleben, das innere Zwiegespräch mit sich selbst, das Auf­merken auf die eigene Seele. Die schwierige Frage, wie man sich das mit der Auf­erstehung soll denken können, ist für Gerhardt gar nicht so wichtig. Seine Anrede hat nicht den Verstand, sondern das Herz zum Adressaten. Er fordert sich selbst, aber zugleich auch uns dazu auf, einfach wahrzunehmen, was da geschehen ist, und sich von ganzem Herzen darüber zu freuen: „Auf, auf, mein Herz, mit Freu­den, / nimm wahr, was heut geschicht!“.

Die Begründung, warum wir uns freuen sollen, folgt auf dem Fuße: „Wie kommt nach großem Leiden nun so ein großes Licht“. Prägnanter kann man kaum zusammenfassen, worum es Ostern geht. Und zugleich wahrt Gerhardt das Ge­heimnis der Osternacht, indem er auf alle weiteren Spekulationen verzichtet und es beim Kommen dieses großen Lichts beläßt. Zwar gestaltet Gerhardt die Szene noch weiter aus; doch wie genau die Auferstehung vor sich gegangen ist, spart er dabei aus: „Er war ins Grab gesenket, / der Feind trieb groß Geschrei; / eh er’s ver­meint und denket, / ist Christus wieder frei“. Die Erzählung wechselt jetzt unvermit­telt von der Vergangenheitsform in die Gegenwart. Christus ist so plötz­lich und unerwartet wieder frei, daß der Feind geradezu überrumpelt ist; mitten in dessen Geschrei hinein ruft Christus sein „Viktoria“ und setzt damit die neue Wirk­lichkeit in Kraft, während das Alte nun vergangen ist.

Was diese neue Wirklichkeit auszeichnet, wird in der ersten Strophe ebenfalls bereits angedeutet: „Mein Heiland war gelegt / da, wo man uns hinträgt, / wenn von uns unser Geist / gen Himmel ist gereist“. Christus ist gestorben und wurde begra­ben. Er hat damit das Schicksal erlitten, das auch uns allen bevorsteht. Gerade das begründet nun zugleich unsere besondere Schicksalsgemeinschaft mit ihm: Indem er sich im Tod mit uns gleichmacht, hat umgekehrt das, was mit ihm nach dem Tode passiert, Folgen auch für uns. In den folgenden Strophen wird ausführlich von diesen Folgen die Rede sein. Hier, in der ersten Strophe, beläßt er es bei einer Andeutung – die aber von der Melodie großartig kommentiert und begleitet wird.

„Mein Heiland war gelegt“: Die Melodie setzt unten an, im Bereich des Leidens und des Todes. Die Betonung liegt auf dem langen „gelegt“ – auf dem Leichnam im Grabe. Doch dann nimmt sie plötzlich Fahrt auf, drängt nach vorne, steigt durch eine aufregende Modulation unauf­haltsam aus der Tiefe in die Höhe empor und verwandelt sich von einer Klageme­lodie des Todes in eine Freudenmelodie des Lebens. Durch ihren dichten, zum Ende auf dem hohen „c“ hin drängenden Spannungsbogen nimmt die Melodie bereits vorweg, was der Strophentext erst nach und nach entfaltet. Die Strophen drei bis fünf machen den Anfang.

Das ist mir anzuschauen

ein rechtes Freudenspiel.

Nun soll mir nicht mehr grauen

vor allem, was mir will

entnehmen meinen Mut

zusamt dem edlen Gut,

so mir durch Jesum Christ

aus Lieb erworben ist.

Die Höll und ihre Rotten,

die krümmen mir kein Haar;

der Sünden kann ich spotten,

bleib allzeit ohn Gefahr.

Der Tod mit seiner Macht

wird nichts bei mir geacht‘:

er bleibt ein totes Bild,

und war er noch so wild.

Die Welt ist mir ein Lachen

mit ihrem großen Zorn,

sie zürnt und kann nichts machen,

all Arbeit ist verlorn.

Die Trübsal trübt mir nicht

mein Herz und Angesicht,

das Unglück ist mein Glück,

die Nacht mein Sonnenblick.

Nach der Beschreibung der Osterszene geht Gerhardt nun zu ihrer Ausdeutung über. Im Ich-Stil, als Auslegung der eigenen Frömmigkeit, legt er dar, was sich durch Ostern für uns verändert hat. Die Auferstehung Jesu ist für ihn gerade nicht irgendein wundersames Spektakel und auch nicht nur etwas, das uns irgendwann in ferner Zukunft betrifft, sondern Grund und Beginn einer vollständig neuen Sicht auf unser Leben hier und jetzt. Die siegreiche Befreiung Christi aus den Fängen des Todes bedeutet für uns die Befreiung von den Sorgen und Ängsten, die uns manchmal hintergründig umtreiben, manchmal aber auch drückend und schwer auf uns lasten. Zugegeben, in der dritten Strophe formuliert Gerhardt das noch zurückhaltend und vorsichtig: „Das ist mir anzuschauen / ein rechtes Freudenspiel; / nun soll mir nicht mehr grauen / vor allem, was mir will / entnehmen meinen Mut“.

Doch in den darauffolgenden Strophen wird er deutlicher. Aus der Perspektive der Auferstehung verlieren die Mächte und Gewalten dieser Welt ihre bedrohliche Kraft. Wir leben zwar in der Welt; doch das, was uns hier widerfährt, kann uns nicht mehr wirklich treffen. Der Tod als Inbegriff all‘ dessen, wovor wir uns fürchten und ängsten, ist überwunden. Er ist selbst nur noch ein „totes Bild“ und hat seine drängende Macht verloren: „Der Tod mit seiner Macht / wird nichts bei mir geacht‘: / er bleibt ein totes Bild, / und wär er noch so wild“. Man kann förm­lich spüren, mit welcher Intensität Gerhardt gerade diese Einsicht einzuschärfen sucht. Dabei handelt es sich keineswegs um eine süßliche, weltfremde Frömmelei. Gerhardt weiß vielmehr nur zu gut, wovon er spricht. Als er diese Zeilen schreibt, wütet noch der 30jährige Krieg in Europa. Plünderung und Zerstörung, Hungers­not und Elend bilden den Hintergrund für einen beinahe trotzigen Spott auf die Irrungen und Wirrungen dieser Welt: „Die Welt ist mir ein Lachen / mit ihrem gro­ßen Zorn, / sie zürnt und kann nichts machen, / all Arbeit ist verlorn“.

In dem Bemü­hen, die Freiheit des Christenmenschen gegenüber dem Lauf der Welt deutlich zu machen, versteigt sich Gerhardt schließlich sogar in geradezu pa­radoxe Formulie­rungen. Ihnen können wir vielleicht nicht folgen. Doch sie lassen ahnen, wie radi­kal die von Christus bewirkte Befreiung die bisherigen Verhältnisse umkehrt und die Sicht auf die Welt verändert. Selbst das Unglück erscheint nun als Glück, selbst die Nacht als Sonnenblick: „Die Trübsal trübt mir nicht / mein Herz und Angesicht, / das Unglück ist mein Glück, / die Nacht mein Sonnenblick“.

Freilich bleibt Gerhard bei dieser spannungsvollen Dramatik nicht stehen. Die melodische und inhaltliche Bewegung seines Liedes weist über den irdischen Tru­bel hinaus auf eine zur Ruhe kommende Vollendung. Die dunklen Gewalten wer­den jetzt zurückgelassen und verschwinden in der Ferne.

Ich hang und bleib auch hangen

an Christus als ein Glied;

wo mein Haupt durch ist gangen,

da nimmt er mich auch mit.

Er reißet durch den Tod,

durch Welt, durch Sünd, durch Not,

er reißet durch die Höll,

ich bin stets sein Gesell.

Er dringt zum Saal der Ehren,

ich folg ihm immer nach

und darf mich gar nicht kehren

an einzig Ungemach..

Es tobe, was da kann,

mein Haupt nimmt sich mein an,

mein Heiland ist mein Schild,

der alles Toben stillt,

Er bringt mit an die Pforten,

die in den Himmel führt,

daran mit güldnen Worten

der Reim gelesen wird:

„Wer dort wird mit verhöhnt,

wird hier auch mit gekrönt;

wer dort mit sterben geht,

wird hier auch mit erhöht.“

Die starke Ausrichtung auf das ewige Leben, die alle Lieder Paul Gerhardts durch­zieht, ist uns Heutigen fremd geworden. Wir leben hier und heute – und wollen, daß wir in diesem Leben von Gott geführt und geleitet werden. Der Verweis auf einen Ausgleich für alles Schlechte im Jenseits erscheint uns da schnell als billige Vertröstung, die die harte Realität von Leid und Schmerz nicht ernst nimmt.

Vielleicht aber kann man die drei letzten Strophen von Gerhardts Lied auch an­ders verstehen. Entscheidend ist zunächst, daß der christliche Glaube die Hoffnung auf eine umfassende Vollendung einschließt. Der Weg allein ist eben nicht das Ziel, und unser Leben hier auf Erden ist ein Leben im Vorletzten, ein Leben, das von Höhen und Tiefen geprägt bleibt – ein Leben, durch das man sich manchmal durchkämpfen muß, das uns nicht nur schöne, sondern auch schwere Stunden bietet. Wir sind stets darum bemüht, dieses Leben in den Griff zu bekommen – Herr zu sein über unsere Entscheidungen, alles richtig zu machen, unsere Vorstel­lungen und Pläne zu verwirklichen. Oft aber haben wir das Gefühl, wir werden wie in einem reißenden Strom mitgerissen und müssen uns anstrengen, damit wir zu­mindest den Kopf über Wasser halten.

Gerhardt nimmt dieses Lebensgefühl auf, gibt dem Bild aber eine ganz andere Wendung. Im Glauben an Christus sind wir mit Christus verbunden; an ihm „hän­gen“ wir, und er ist es, der uns durch den reißenden Strom, durch die tosenden Gewalten hindurch emporzieht: „Ich hang und bleib auch hangen / an Christus als ein Glied; / wo mein Haupt durch ist gangen, / da nimmt er mich auch mit. / Er reißet durch den Tod, / durch Welt, durch Sünd, durch Not, / er reißet durch die Höll, / ich bin stets sein Gesell“.

Für Gerhardt ist es die Bindung an Christus, die uns durch unser Leben hin­durchträgt – nicht irgendeine spirituelle Selbsterfahrung oder ein scheinbar so wohltuendes religiöses Innewerden. So etwas kann uns den Halt nicht bieten, auf den es Gerhardt ankommt. Ihn finden wir allein in Christus – er ist es, der uns mit­ten im Leben und über das Leben hinaus Schutz und Schirm bietet: „Es tobe, was da kann: / mein Haupt nimmt sich mein an; / mein Heiland ist mein Schild, / der alles Toben stillt“. Damit hat Gerhardt schließlich sein Ziel erreicht: Im Auge des Sturms herrscht völlige Ruhe, unter dem Schild Christi finden wir unseren Frieden. Das kann die Pforte sein, „die in den Himmel führt“; es kann aber auch der Frieden sein, aus dem wir immer wieder neu die Kraft schöpfen, um gestärkt in das Brausen und die lebendige Fülle unseres Lebens zurückzukehren.

Amen.

 

PD Dr. Martin Laube
Studienleitung Theologie, Ethik und Geschichte
Evangelische Akademie Loccum
Münchehäger Straße 6, 31547 Rehburg-Loccum

E-Mail: Martin.Laube@evlka.de


 

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