Deuteronomium 25, 5f.

Deuteronomium 25, 5f.

Es traten zu Jesus die Sadduzäer, die lehren, es gebe keine Auferstehung,
und fragten ihn und sprachen:
MEISTER, MOSE hat gesagt (Dtn 25, 5f): „Wenn einer stirbt und hat
keine Kinder, so soll sein Bruder die Frau heiraten und seinem Bruder
Nachkommen erwecken.“ Nun waren bei uns sieben Brüder. Der
erste heiratete und starb; und weil er keine Nachkommen hatte, hinterließ
er seine Frau seinem Bruder; desgleichen der zweite und der dritte bis
zum siebenten. Zuletzt nach allen starb die Frau. Nun in der Auferstehung:
wessen Frau wird sie sein von diesen sieben? Sie haben sie ja alle gehabt.
Jesus aber antwortete und sprach zu ihnen: Ihr irrt, weil ihr weder
die Schrift kennt noch die Kraft Gottes. Denn in der Auferstehung werden
sie weder heiraten noch sich heiraten lassen, sondern sie sind wie die
Engel im Himmel.
Habt ihr denn nicht gelesen von der Auferstehung der Toten, was euch
gesagt ist von Gott, der da spricht (Ex 3, 6): „Ich bin der Gott
Abrahams und der Gott Isaaks und der Gott Jakobs?“ Gott ist nicht
ein Gott der Toten, sondern der Lebenden.
Und als das Volk das hörte, entsetzten sie sich über seine
Lehre.

Liebe Gemeinde!

Am heutigen Sonntag wandern unsere Gedanken mehr als sonst Wege in
die Vergangenheit zurück. Wir denken an Menschen, mit denen wir
ein Stück unseres Leben geteilt haben, und die nun nicht mehr da
sind. Wir erinnern Tage, an denen wir miteinander glücklich waren,
und Tage, die uns manchmal auch schwer miteinander wurden. Sie sind
vorüber. Und manch einer/manch eine ist noch mitten drin im Prozess
der Trauer. Wir hoffen, dass Gott uns nahe kommt, heute und immer wieder,
damit wir nicht mutlos werden, und die Leere nicht zu groß.

19 Menschen aus unseren beiden Gemeinden mussten wir im vergangenen
Jahr zu ihrer letzten Ruhe geleiten: Darunter waren Menschen im hohen
und bis zum Rand erfüllten Lebensalter, lebenssatt und zufrieden
mit allem, was Gott ihnen auferlegte. Dann ist das Sterben beinahe eine
leichte Sache, so wie ein erwartungsvolles, freudiges Hineingehen in
ein Nachbarzimmer, dessen Schwelle sie noch nie überschritten hatten,
oder wie das Eintreten in einen weiten Raum, der ihnen schon ihr ganzes
Leben lang vor Augen war.

Aber auch Menschen im mittleren Alter waren darunter. Sie starben plötzlich
und unerwartet oder erlagen einer schweren, unheilbaren Krankheit. Sie
wurden herausgerissen aus ihren gewohnten Lebenszusammenhängen.
Zurück blieben erschrockene Angehörige und schmerzlich betroffene
Freunde. So gern hätten sie ihren Verstobenen etwas zurückvergolten
von deren Geschenk an Liebe und Freundschaft. Stattdessen: eine Trennung
ohne Abschiednehmen; ein Ende ohne Wiederkehr. Was den Trauernden bleibt,
sind offene Fragen und offene Wunden: WARUM? Warum musste dies geschehen?
Wie kann der sonst so menschenfreundliche Gott solch eine grausame Trennung,
solch ein Verlorengehen zulassen?
Fragen nach dem Sinn werden gestellt;
Fragen, auf die ich keine Antwort weiß. Die mich verstummen lassen,
weil ich den unsagbar tiefen Schmerz und den berechtigten Zorn dahinter
verspüre.

Bei allem Leiden, das wir in unserem Leben zu tragen haben, ist das
Leiden um einen geliebten Menschen wohl am schwersten. Es bleiben Wunden,
die niemals heilen, sondern nur vernarben.

Am Anfang einer Trauererfahrung ist der oder die Verstorbene noch sehr
nahe. „Mir ist, als ob er gleich durch die Tür hereinkommt,
wie jeden Abend nach der Arbeit.“
Oder „Ich sehe sie
noch vor mir sitzen, höre ihre Worte, spüre ihre Nähe,
ihren warmen Atem auf meiner Hand, die ihre trockenen Lippen befeuchtet.“

Der tote Mensch bleibt unglaublich lebendig, gegenwärtig in unseren
Herzen. Wir sehen, hören, reden manchmal noch mit ihm. Erst wenn
die Zeit weiterläuft und wir Abstand gewinnen vom dem, den wir
zurücklassen mussten, verändert sich auch unsere Vorstellung
davon, wo er/sie nun ist.

Nach den Sinnfragen kommen weiterführende Fragen: Was wird
aus den Menschen, die von uns gegangen sind? Wohin gehen sie? Sehen
wir sie wieder? Und wenn ja, wie wird das sein?
Eine zentrale Glaubensfrage
steht dahinter: AUFERSTEHUNG – was soll/kann man sich darunter vorstellen?
Wie kann das aussehen? Bilder sind gefragt; Bilder für ein
neues Leben nach dem Tod. Für manche Menschen mögen solche
Bilder reine Phantasie sein; für andere sind sie lebensdienliche
Brücken zu dem jenseitigen letzten Heimatort.

Einmal kamen Sadduzäer zu Jesus und stellten ihn mit einer raffinierten
Frage zu diesem Thema auf die Probe. Hören wir eine Abschnitt aus
dem Ev. nach Mt, Kap. 22: (TEXT)

Die Sadduzäer waren Anhänger einer konservativen jüdischen
Gruppe; hochgebildete, traditionsbewusste, wohl sehr realistisch und
vernünftig denkende Zeitgenossen Jesu. Von AUFERSTEHUNG hielten
sie nichts; auch nicht vom Glauben an Engel. Für sie galt einzig
und allein die Botschaft der 5 Bücher Mose und keinerlei weitere
mündliche Tradition. So kommen sie also mit ihrer festgefügten
Überzeugung und denken sich einen ziemlich abstrusen, weit hergeholten,
nach ihrem Denken unlösbaren Fall aus, über den sie mit Jesus
diskutieren wollen. Sie greifen dabei auf vertraute Mose-Worte zurück;
auf ein uraltes Gesetz, das dazu diente, familienlose Witwen zu versorgen
und ihnen – zumindest in den Augen der Männer – einen neuen Lebensinhalt
geben sollte. Provokativ treiben sie ihre Situationsbeschreibung auf
die Spitze: 7 Brüder sterben nacheinander – und sie haben alle
ein-und-dieselbe Ehefrau gehabt. Zu wem wird sie gehören bei
ihrer Auferstehung?

Mal abgesehen von dieser (historisch bedingten) frauenverachtenden
Denkweise, in der Frauen nur als Besitz eines Mannes erscheinen, dem
sie zugeordnet werden. Ich kann mir gut vorstellen, wie diese klugen
Köpfe mit scheinheiligem Gesicht ihre kaum ernst gemeinte Frage
stellen und hinter vorgehaltener Hand feixend auf eine un-mögliche
Antwort warten. Aber Jesus lässt sich nicht vorführen oder
lächerlich machen; er hat sie längst durchschaut und nimmt
dennoch – oder vielleicht gerade deshalb – ihre Frage durchaus ernst.
Wie ist das mit der sogenannten „Auferstehung“?

Bilder sind notwendig, um etwas zu beschreiben, für das wir keine
Worte haben. Der Apostel PAULUS versuchte es im 1. Korintherbrief mit
einem natürlichen Bild: Der irdische Körper wird zu einem
Samenkorn für den neuen, geistlichen Leib und dieser wird ganz
anders sein, als alles, was wir kennen: unverweslich, herrlich, kraftvoll.
Auch JESUS benutzt für seine Antwort ein Bild: in der Auferstehung
werden sie sein wie die ENGEL im Himmel.

„Nachher weiß ich gar nicht, wie das funktioniert, wenn
ich als ENGEL durch die Gegend schwebe.“ – beschrieb eine junge
Frau ihre Anfrage an das Leben nach dem Tod. Engel – Boten Gottes, Geistwesen,
Beschützer und unsichtbare Begleiter der Lebenden. Vielfach bezweifelt
und dennoch immer wieder ernst genommen. Bilder für eine unzertrennbare
Nähe, die man anders nicht besser beschreiben kann.

Am vergangenen Sonntag Abend lief ein Fernsehfilm, der dieses Bildwort
JESU zum Thema Auferstehung auf ungewöhnliche Weise aufgreift:
In der „Stadt der Engel“ begleitet ein schwarz gekleideter,
mit einem langen Mantel umhüllter Mann eine junge, engagierte Ärztin
bei ihrer Berufsausübung. Sie kämpft um das Leben eines ihrer
Patienten und will ihn nicht mit dem Todesengel gehen lassen, der gekommen
ist, ihn zu holen. Der dunkle Bote Gottes (mit dem Namen Seth) ist fasziniert
von ihrem vehementen Widerstand gegen den Tod, von ihrer aufopferungsvollen
Hingabe für das irdische Leben, das ihm bisher keineswegs besonders
reizvoll erschien. Er verliebt sich in Maggie und gewinnt ihr Herz.
Nach anfänglicher Angst und vielen Turbulenzen wagt er einen unumkehrbaren
Schritt. Er ist bereit, um ihrer gemeinsamen Liebe willen, das Himmelreich
zu verlassen und damit alles Wunderbare seines bisherigen Lebens aufzugeben:
z.B. seine Unverwundbarkeit, seine unbezwingbare Stärke, die Freiheit
von aller irdischen Gebundenheit an Raum und Zeit, den Klang jener Sphärenmusik,
die er bei jedem Sonnenaufgang vernimmt. So lässt er sich von einem
hohen Dach herabfallen und landet leicht angeschlagen, mit – zum ersten
mal – blutenden Wunden auf dem harten Boden. Überraschend glücklich
nimmt er zur Kenntnis, dass die anderen Mitmenschen ihn als ihresgleichen
sehen, wahrnehmen können. Er erfährt alsbald auch die Nachteile
seines allzu irdischen Daseins: überfallen, angegriffen erleidet
er schmerzhafte Wunden; er kann nicht mehr fliegen und muss zusehen,
wie er im triefenden Regen und ohne Geld den weiten Weg bis zur Wohnung
seiner Geliebten bewältigt. Ein mitleidiger LKW-Fahrer nimmt ihn
mit. Bei Maggie angekommen spürt er zum ersten mal körperliche,
leibhaftige Berührungen; er fühlt die Zärtlichkeit und
den Schmerz der Liebe. Sie verbringen eine Nacht miteinander. Am nächsten
Morgen radelt Maggie glückselig und mit geschlossenen Augen auf
ihrem Fahrrad die Straße entlang – und in ihren Unfalltod! Seth,
der einstige Engel, spürt, was geschehen ist, rennt ihr hinterher,
um sie aufzuhalten und muss sie dennoch loslassen. „Neben dir
steht jemand!“
flüstert die Sterbende. „Schau
nicht hin; schau ihm nicht in die Augen!“
bittet Seth. „Ist
das so?“
fragt sie zurück, „Wenn jemand stirbt,
schaut er dann einem Engel in die Augen?“

Unfassbare Trauer, ein schier unerträglicher Schmerz verbrennt
Seth`s Herz, als sie in seinen Armen stirbt, aber auch Zorn und Verlassenheitsgefühl
erfüllen ihn. Obwohl er doch weiß, dass sie ein Engel sein
wird, so wie er einer war. Verzweifelt rennt er durch die Stadt, nimmt
nicht mehr wahr, was um ihn herum geschieht. Heftig klagt er seinen
Freund, einen schwarzen Engel, an: „Warst du es? Hast du sie
geholt?“
Der antwortet ihm: „Nein, aber sag mir: Tut
es dir leid, dass du ein Mensch geworden bist?“

Nach einigem Überlegen kommt die Antwort: „Nein! Einmal
wirklich ihre Hand zu halten; einmal den Duft ihres Haares zu riechen;
einmal ihren warmen Lippen zu küssen – das war es mir wert, die
Ewigkeit zu verlassen.“
Wie einen unendlich kostbaren Schatz
trägt er seine Liebe in sich; er lässt sie nicht mitbegraben
mit der äußeren Hülle von Maggie in ihrem Sarg. Langsam
lernt er, mit seiner Trauer zu leben. Am Ende steht er wieder am Strand.
Eine unübersehbare Menge schwarz gekleideter Engel-Gestalten steht
neben ihm, unbeweglich, weit über den Strand verteilt. Sie spüren
weder die feinen Sandkörner, noch den strömenden Sog des Wassers.
Aber er fühlt, wie die sanften Wellen seine Füße
zärtlich umhüllen. Und wirft sich freudig entschlossen ins
Wasser, taucht unter und wieder auf. Er fühlt sich vom Wasser getragen,
er spürt, was er als Engel nie gefühlt hat: LEBENDIGKEIT am
ganzen Leib! Seine Trauer wird nicht weggespült, aber seine Lebensbejahung,
seine Lebensfreude wird stärker!

Was wir davon lernen können?? Das Leben zu spüren – hier
und heute, mitsamt seiner Traurigkeit, mit seinem Schmerz und entgegen
aller Todesstarre, die uns manchmal ergreifen will.

Auferstehung geschieht nicht nur am Ende aller Zeiten, es geschieht
manchmal mittendrin – dort, wo wir an brennenden Wunden spüren,
dass wir lebendig sind. Wo wir das Leben in seiner ganzen Kostbarkeit
wertschätzen und es darum auch genießen. Denn: So Gott will
– Engel werden wir noch früh genug!

AMEN

Pastorin Karin Klement
Lange Straße 42
37077 Göttingen
email: karin.klement.@evlka.de

 

de_DEDeutsch