Deuteronomium 6, 4-9

Deuteronomium 6, 4-9

 

Göttinger

Predigten im Internet

hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


1. Sonntag nach Trinitatis,
2. Juni 2002
Predigt über 5. Mose 6, 4-9, verfaßt von Christian Tegtmeier


Liebe Gemeinde!

Bei einer der letzten Abendeinladungen wurde an mich als Pastor die Frage
gerichtet, inwieweit ich denn auch das tue, was ich sonntags und anderswo
predige oder lehre. Ehe ich mich auf die Beantwortung der pikanten Frage
näher einlassen konnte, erfolgte eine Eingrenzung auf das Gebot der
Nächstenliebe: inwieweit ich also freigiebig sei im Geben von Almosen,
Unterstützungen, Opfern, Kollekten und Spenden. Und hier nur ganz
gewiß ohne den gesellschaftlichen Kick der Spendenquittung, denn
dies sei nicht eines Pastors würdig. Was sonst in allen gesellschaftlich
bedeutenden und einflußreichen Kreisen und Clubs zum Know-how des
sozial engagierten Zeitgenossen gehöre, zieme sich eines Religionsdieners
nicht. So gesehen gebe es doch feine Unterschiede. Ich möchte Sie,
liebe Zuhörer, nicht mit der längeren Diskussion über Höhe
und Anteile am Einkommen beschweren, ich möchte Ihnen nur davon berichten,
woraus nach christlicher Überzeugung sich Nächstenliebe und
Barmherzigkeit ergeben. In dem Sinne durchaus aktuell und nachahmenswert,
insofern mich dieser Weg vor Eigenlob, Unglaubwürdigkeit und mangelnder
Seriosität im Umgang mit Spenden bewahrt: also den Menschen, der
mich als Nächsten benötigt, im Auge hat, sich ihm zuwendet und
zugleich einer Forderung Jesu folgt, die uns als Christen selbstverständlich
ist.

* Verlesen des Predigttextes *

Es bedarf hier keiner langen Diskussion darüber, liebe Gemeinde,
ob denn die Liebe zum Nächsten überhaupt ein Thema sei; insofern
dürften wir uns, liebe Gemeinde, gerade darin einig sein, daß
wir als moderne Menschen eine soziale Verantwortung für andere tragen,
in nächster Nähe wie weit weg; entscheidend werden die Motive
der Tat, und darüber gibt uns der Abschnitt aus dem fünften
Buch Mose hinreichend Auskunft. Die Liebe zum Nächsten, läßt
Jesus wissen, begründet sich in der Liebe zu Gott, die hier in den
berühmten Worten des jüdischen Glaubens ihre Wurzeln hat. Die
Sch’ma Jsrael – wie man diesen Abschnitt nennt – ist das Zentrum jüdischer
Gottesverehrung, gleichsam das Herzstück der Frömmigkeit und
ermutigt, ja fordert den Beter auf, in aller Tiefe und Weite seines Herzens
Gott treu und verbunden zu sein in Liebe und Ehrfurcht. Von ihm im Laufe
des Tages, im Gottesdienst der Synagoge gesprochen, gebetet, beschreibt
sie den Kern seiner Hinwendung zu Gott, eröffnet gleichsam die Brücke
zu dem, der Schöpfer dieser Welt, ihrer Religion und der besonderen
Verbundenheit zu seinem auserwählten Volk ist. Das fordert von uns
Christen vorab und unabhängig von dem, wie wir die Worte lesen, hören
oder sprechen, Achtung, Respekt, ja Vorsicht vor all zu schneller Vereinnahmung;
eher einen Mut in der Demut, ein Besinnen auf die Wurzeln, die mich als
Christ tragen und zu meinem Glauben an Jesus Christus kommen lassen. Sie
geben mir eine Antwort, wer denn mein Gott sei und in wessen Kraftfeld
von Güte und Liebe ich leben darf und leben kann. Sie beschreiben
die Nähe des kommenden Gottes und seiner Herrschaft, benennen in
meinem Bekenntnis seine Einzigartigkeit, seine Einmaligkeit und Einheit,
die Klarheit meines Gottes und seiner wie meiner Verbundenheit, den Bund,
der sich für mich als Christen durch die Taufe ergibt. Er fordert
mich von ganzem Herzen, von ganzer Seele, mit all meinen Kräften
zur Treue, Liebe, Hingabe heraus, daß ich als ganzer Mensch, mit
Leib und Geist, Haut und Haaren, Körper und Seele ihm folge und diene.
Das meint „Gott lieben“, ist Gebot und Verpflichtung, Gesetz
und uns auferlegt.

Erinnern wir uns an die Begebenheit, die ich anfangs erwähnte? Im
Kreis der Abendgesellschaft stellte niemand die Frage, wer denn mein Gott
sei, sondern es galt zu klären und zu gewichten, was ich als Pastor
im Umfeld sozialen Engagements tue oder lasse. Obwohl doch beides eng
zusammengehört, sich nicht nur durch Jesu Mahnung, sondern von der
Sache her schon nahe legt, ob ich mich aus eigenem Interesse und zur Klärung
meiner Gewissensruhe einem anderen gütig oder freigiebig zuwende
– nicht ohne eigenen Vorteil; oder ob ich es tue, unabhängig von
eigenem Kalkül, weil ich selbst erst aus Gottes Liebe und Zuwendung
als Mensch glücklich leben und selig sterben kann. Dann wäre
es Aufgabe und Herausforderung an jeden aufgeschlossenen und modernen
Menschen, vorab zu klären, aus welcher Kraft, aus welchen Wurzeln
ich leben, schaffen, arbeiten, helfen, unterstützen möchte.
Geschieht es zum eigenen Vorteil, wird es mit mir und meiner Einstellung
insofern begrenzt sein, als daß ich Vorbehalte oder Einschränkungen
schnell benenne, wo gesellschaftliche Verpflichtung oder Opportunität
andere Rahmenbedingungen vorgeben. Ich könnte ja gerade diejenigen
fördern, die mir wohl gesonnen sind, die mich begünstigen, die
mich in meinem persönlichen, wie gesellschaftlichen Aufstieg wichtig
wären, auf daß ich Punkte sammle. Dann wäre der Mensch
als bedürftiger Nächster nur Mittel zum Zweck, und ich spräche
ihm seine Würde in aller Gründlichkeit ab. Oder aber, ich kann
von eigenem Vorteil absehen, erinnere mich der Kraft und dem Grund meines
Lebens und meiner Person, die mich ohne Ansehen der Person gelten lassen,
mir helfen und ihre Liebe schenken, auf daß ich glücklich werde.
Läge die Wurzel meines Handelns in seiner Liebe zu uns Menschen,
unüberbietbar und einmalig in seinem Sohn Jesus Christus bezeugt
auch für mich begrenzten, heillosen Menschen, dann wäre ich
jemand, der sein Geschenk Gottes mit anderen teilt, eben auch ohne Ansehen
der Person.

Für das geschilderte Verhalten kennen wir, liebe Gemeinde, unzählige
Beispiele, nicht nur das des Hl. Martins oder das selbstlose Wirken von
Mutter Teresa in Kalkutta. Wenn wir von ihnen sprechen oder hören,
ist uns dann auch die Wurzel bewußt, bekannt und zum Nachahmen wichtig,
daß wir über ihren Glauben, ihre Gottesbeziehung, ihre Treue
zu Jesus Christus berichten? Informieren wir uns dann auch umfassend und
ausführlich über das, was sie zu solchem Einsatz motiviert hat?
Was sie veranlaßte, unter Zurückstellung eigener Interessen
ganz dem Nächsten zu dienen? Im christlichen Leben spricht man dann
gern von Opferbereitschaft und verweist wiederum auf Jesus Christus.

Die frohe Botschaft unseres Tages, liebe Gemeinde, bewegt mich weniger
darin, das Richtige zu tun und das Unangemessene zu lassen im Blick auf
mein soziales Engagement; die frohe Botschaft fragt vielmehr nach meinen
Beweggründen, nach den Motiven, die mich zu solch beispiellosen Einsätzen
oder Lebenseinstellung veranlaßt haben. Widme ich mich meiner Wurzeln
im Herkommen, Denken, Fühlen, Wollen – um die Botschaft mit Worten
unserer Geistesgeschichte zu beschreiben – dann werde ich unter Umständen
weit hinabtauchen zu den Quellen auch meiner eigenen Identität. Und
ganz unabhängig davon, wo sie denn entspringen, wo sich der Baum
meiner Lebensgeschichte gründet, wie seine Wurzeln Fuß gefaßt
haben, in allem bleibt die Frage, ob ich es aus eigenem Kalkül heraus
tue oder meinen Grund in Jesus Christus habe. Ich brauche mich dabei nicht
zu scheuen, dies auch in einer Abendgesellschaft zu bekennen, die vermutlich
darüber verwundert sein dürfte, was mich bewegt, sowohl in meiner
sozialen Verantwortung als auch vor allem in meiner Grundüberzeugung.
Wer Christ werden möchte, wer es ist und bleiben will, hat in Jesus
Christus den sicheren Grund und wird frei und fröhlich sagen:
„Ich will Gott, meinen Herrn, lieben von ganzem Herzen, von ganzer
Seele und von ganzer Kraft. Und es sollen diese Worte in meinem Herzen
sein.“

Amen

 

Christian Tegtmeier
Alte Dorfstr. 4
38723 Kirchberg über Seesen
Tel.: 05381-8602

 

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