Deutsche Predigt

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Deutsche Predigt

Was ist daran zu tadeln, dass jede und
jeder einen Platz sucht, weil doch jeder einen Platz braucht? Ist
es zu tadeln, dass
jede und jeder nach einem guten Platz strebt, nach einem „Platz an
der Sonne“, einem Ehrenplatz, einem sicheren und geachteten Platz?
Brauchen wir nicht alle zumindest ein gewisses Maß an Anerkennung
im Leben? Benötigt nicht jedermann zumindest ein kleines Erfolgserlebnis,
so zu sagen als Rast nach steinigen Wegen samt ihren Vergeblichkeiten
und Mühen? Und muss nicht jede oder jeder ein Stückchen Größe haben
und behalten dürfen, trotz aller Defizite und Beulen?

Diese Fragen dürfen nicht vergessen werden, wenn das
Gespräch mit Jesu mit den Jüngern verstanden werden soll; denn möglicherweise
finden sie Antworten, wenn einer aufmerksam hinhört.

Eine erste Beobachtung: Jesus wehrt der Bitte um gute
Plätze nicht ab; er „schmettert“ sie nicht ab. Schon gar nicht mit
dem durchaus grundfalschen Argument, vor Gott seien alle gleich:
Sie sind es nicht, wie sich herausstellt, wenn wir diesem Stück Evangelium
wirklich bis zum Ende zuhören. Jesus „schmettert“ die Bitte um gute
Plätze nicht ab. Im Gegenteil: Bestand nicht überhaupt ein guter
Teils seines Wirkens darin, Plätze zu zurichten und anzuweisen? Hat
er nicht Platz in seiner unmittelbaren Nähe eingeräumt denen, die
sonst keinen hatten, gemieden und ausgestoßen waren? Hat er nicht
Kranken, wenn er sie heilte, eine Platz zugerichtet und angewiesen
im Tempel, so dass sie wieder ganz am Gottesdienst teilnehmen konnten?
Hat er nicht der Sünderin, in dem er sich in unbedingter Güte zu
ihr stellte, einen Platz zugewiesen, so dass sie eben nicht verworfen
blieb, sondern ihr Leben neu in die Hand nehmen konnte? Hat Jesus
nicht der Haltung des Zöllners Zachäus Anerkennung gezollt, als der
sich hatte überwinden lassen von der zuvorkommenden Güte Jesu?

Was also wäre daran zu tadeln, dass die beiden Jünger
ganz dicht neben ihrem Meister sitzen möchten, wenn ´s so richtig
losgeht mit seiner Herrschaft, wenn das verheißene Reich anbricht?
Was ist daran zu tadeln, dass sie schließlich und endlich da sein
wollen, wo Macht ausgeübt und nicht nur erlitten wird? Zumal wenn
wir uns vorzustellen versuchen, wie anschaulich, wie konkret die
Zebedäus-Söhne das kommende Reich der Herrlichkeit vor Augen hatten,
und wenn wir dann erkennen, dass sie eben nicht nur einen „Platz
an der Sonne“ begehren, sondern an der Christus-Sonne, dort also
zu sein bitten, wo Licht das Dunkel des Irrtums und des Zweifels
vertrieben haben wird, wo die Wärme der Gottes-Liebe die Kälte – auch
des eigenen Herzens – endgültig überwunden haben wird, wo Krankheit,
Krieg, Not, Elend nicht mehr hinreichen, sondern alle Tränen getrocknet
sein werden – wer könnte, wenn wir dies alles bedenken, Wunsch und
Bitte der Zebedäus-Söhne tadelnswert finden?

Jesus schmettert ihre Bitte nicht ab. Und doch scheint
das Ansinnen der beiden Jünger, so weit oben einen Platz zu bekommen,
schon früh in der Geschichte des christlichen Glaubens peinlich gewirkt
zu haben. Matthäus lässt, bezeichnend gegenüber Markus, die Mutter
der Zebedaiden bitten! Wenn Mütter für ihre Söhne bitten, dann ist
das nicht gar so peinlich! Und Lukas, der von Jacobus und Johannes
wusste, dass sie starke, tragende Säulen der ersten Gemeinde geworden
waren, lässt diese Bitte in seinem Evangelium ganz weg. Später, sagen
spitze Zungen, hat man in der Kirche auch Herrschaftsvollzüge unter
der Hand zu „Diensten“ erklärt: vom Predigt-Dienst des Pfarrers bis
hin zum Leitungs-Dienst von Bischöfen und Präsiden. Auch die „Fürsten
der Völker und ihre Grossen“ haben diesen Weg gewählt. Auch „in der
Welt“ ist nun alles „Dienst“: Der Herrscher wird „erster Diener des
Staates“; es kommt zum „öffentlichen Dienst“ samt seinen ausspähenden
Geheim-Diensten“!

Jedenfalls: Jesus weist die Bitte der beiden Jünger nicht
zurück; er nimmt sie auf. Zusammen mit ihr nimmt er auch die Peinlichkeit
auf, die an ihr haftet. Mehr noch: er nimmt den Unmut, das Misstrauen,
die Eifersucht auf, die den Jüngerkreis bewegen. Er nimmt sie auf
und hebt sie auf! Jesus – das ist die zweite Beobachtung – rückt
die Bitte um gute Plätze leise und taktvoll und doch deutlich zurecht: „Wisst
ihr eigentlich, worum ihr bittet?“ Es zieht euch in die Nähe dessen,
der den vollen, bitteren Kelch des Leidens wird leeren müssen; des
Leidens, das über die hereinbricht, die den allmächtigen Gott als
den seinen Geschöpfen zugeneigten, bedingungslos liebenden Vater
bezeugen? Es zieht euch in die Nähe dessen, der sich ohnmächtig der
Gewalt seiner Gegner ergeben wird, der nicht himmlische Heerscharen
zu seinem Schutz und zur Durchsetzung seines Willens herbeirufen
wird? Es treibt euch in die Nähe dessen, der zittern und zagen wird
vor der „Taufe in den Tod“, wenn die Fluten gottfeindlicher Mächte über
ihm zusammenschlagen, wie die Psalmen sagen (42;69;Jes.43) ?

Über diese leise zurechtrückenden Gegenfragen hinaus
schließt – dritte Beobachtung – Jesus die Frage nach den oberen Rängen
in der Königsherrschaft Gottes gleichsam kategorisch ab: ich verteile
gar keine Plätze im Gottesreich. Die Zuständigkeit für endgültige
Rangfolgen, für „Plätze an der Sonne“ für Ordensklassen, Ehr-Abstufungen,
Sitz- und Tischordnungen nimmt Jesus nicht für sich in Anspruch.
Sie bleibt dem vorbehalten, dem auch „der Sohn untertan“ ist.

Aber – und das ist die alles entscheidende vierte Beobachtung – Jesus
begründet sehr wohl eine Rangordnung, seine Rangordnung. Da hat nicht
das Recht auf seiner Seite, wer die Macht in Händen hält. Da haben
nicht die einen zu sagen, und die anderen haben zu kuschen. Da müssen
nicht dienen, die herrscherlicher Gewalt unterstehen. Da können,
die „oben“ sind, nicht niederhalten, die „unten“ sind. Da gibt es
nicht „Meinungsführer“, und alle anderen wären Vasallen.

Jesus begründet seine eigene Rangordnung in seiner Person,
in seinem Geschick, in seinem Tun und Leiden und Sterben. In einer
völlig unerwarteten Weise spricht er über Plätze, die die Seinen
einnehmen sollen. Freilich: Er spricht nicht nur über sie, sondern
er spricht sie zu, verspricht sie, weist sie an.

Wir bedenken den Namen dieses Sonntags: „Judica“ – „Richte
mich“. Ich ergänze und verändere ein wenig: „Richte mich zu“ – „Richte
mir einen Platz zu“! Richte mir einen Platz zu, der mir zukommen
kann, auf dem ich sein kann, was ich sein soll, auf dem ich dann
auch bin, was ich sein kann. Dieser Platz – das ist das Evangelium
in diesem Predigttext, seine Frohbotschaft – ist schon zugerichtet.
Und er ist dadurch gekennzeichnet, dass mir dort gedient ist, dass
ich dort der Bediente bin, der in einem fort nehmen kann, für den
das Teuerste aufgewendet ist: „Sein Leben zu einer Erlösung für viele“.
Da soll mein und aller Jüngerinnen und Jünger Platz sein, wo die
ersten Jünger saßen, als Jesus den Schurz umband, sie von aller trennenden
Schuld reinigte und sie in die Gemeinschaft mit sich aufnahm. Wer
diese Zusage hört, beherzigt, gelten lässt, der kann voll dankbaren
Staunensbekennen: Ich habe meinen Platz. Mir ist gedient. Ich bin
gelöst von Fesseln einer Schuld, die mich eigentlich bis in die Unendlichkeit
binden müsste. Ich bin befreit von der Last, mich selbst rechtfertigen
zu müssen; befreit von dem Zwang, meine Wertigkeit selbst herstellen
zu müssen, zur Not auch so, dass ich meinen Nächsten als dunkle Folie
benutzen muss. Ich bin angenommen, gehalten, gewürdigt, geliebt von
einer unvorstellbar tiefen, kraftvollen, verwandelnden, erneuernden
Liebe. Das ist mein Platz schon jetzt und in Ewigkeit. Mir ist gedient:
Ich bin ein Herr; denn der Herr aller Herren hat sich mir hingegeben
als Diener und will es wieder und wieder tun.

Alles, wirklich alles, was dann sonst noch denkbar und
erstrebenswert ist im „Ranking“ um Plätze oder auch zu befürchten:
Machtstellungen oder Ohnmacht, Herrscher-Möglichkeiten oder Dauerverpflichtungen – das
alles Nicht-Platz, Irrweg, Irrwitz. Mit feiner Ironie – folgt man
einer Übersetzung (Wilckens) – ist das in diesem Jesus-Wort mit einem
Satz gesagt: „Die als Herrscher der Völker gelten“, also zu herrschen
scheinen, „schalten und walten über sie, und ihre Großen nutzen ihre
Macht über sie aus…“.

Mir ist gedient. Dieser Platz ist mir zugerichtet. Ihn
kann ich verlieren, wenn ich nicht wahrer Herr und das heißt Diener
sein kann. Jesus begründet ja seine Rangordnung so: Wahrer Herr sein
meint: geben, hüten, bewahren und nicht ausbeuten und Gewalt üben.
Mir ist gedient; das ist mein Platz. Ich verliere ihn, wenn ich von
da aus „von oben herab herrschen“ und nicht „von unten heraufdienen“ und
zu bauen bereit bin. Da können dann auch Tricks und List nicht zum
Zuge kommen, mit ihrer Hilfe etwa, unter der Maske des Dienens, zu
herrschen, unter einer Demuts-Maske sich umso mehr ins Licht zu setzen;
denn dienen heißt immer: sich riskieren, heißt: wach bleiben für
andere; da sein für solche, die allein sind. Dienen heißt: Da sein
für die, die böse, bösartig geworden sind in Enttäuschungen, in Rückschlägen,
in Vergeblichkeiten; deren Bösesein erst einmal aufladen und ertragen.
Dienen heißt: stützen, die müde sind; verbinden, die wundgeschlagen
und wundgerieben sind; wachsen helfen, größer werden helfen denen,
die klein geblieben oder klein geworden sind auf der Jagd nach dem,
was als „guter Platz“ gilt.

Dienst baut Brücken, wohingegen die Herrschenden Mauern
um sich her hochziehen, sich abgrenzen müssen. In der Haltung des
Dienens erkannt man deshalb die Menschen um sich herum ganz neu.
Die Augen dessen, der dient, der frei dient, weil ihm gedient ist,
– diese Augen sind schärfer – nicht stechender! – : Sie erkennen
Schwächen und wie ihnen abzuhelfen ist, sie erkennen Stärken und
wie sie dienstbar zu machen sind, ohne dass der Starke ausbeutet.
Die Augen des Dienenden haben einen barmherzigen Blick: Sie entdecken
heimlichen Schmerz, unausgesprochene Sehnsucht, unbewusste Ängste
und leise Leiden.

Die Jesu Zuspruch hören, beherzigen, für sich gelten
lassen können, denen ist gedient, die haben ihren guten Platz. Sie
haben Leben. Wahrhaftig leben aber heißt: Dem Leben dienen zu wollen.
Nur der Tod will alles für sich. Leben, das diesen Namen zu Recht
trägt, weil es geschenktes, verdanktes, begnadetes, erlöstes Leben
ist – , – Leben will geben und dienen.

Gott schenke uns allen, dass wir immer neu einweisen
lassen auf diesen Platz, an dem uns gedient ist und von dem aus wir
dienen können, – leben können.

Dr. Dankwart Arndt
Pastor i. R.

Auf dem Breckels 1
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