Es kommt alles anders

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Es kommt alles anders

Predigt zu Markus 14,3-9 | verfasst von Suse Günther |

Die Gnade unsers Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch allen. AMEN

Und als Jesus in Bethanien war, im Haus Simons des Aussätzigen und saß zu Tisch, da kam eine Frau, die hatte ein Glas mit unverfälschtem und kostbarem Nardenöl. Sie zerbrach das Glas und goss es auf sein Haupt. Einige wurden unwillig und sprachen untereinander: Was soll die Vergeudung? Man hätte dieses Öl für mehr als 300 Silbergroschen verkaufen können und das Geld den Armen geben. Und sie fuhren die Frau an.

Jesus aber sprach: Lasst sie in Frieden. Was betrübt Ihr sie? Sie hat ein gutes Werk an mir getan. Denn Ihr habt allezeit Arme bei Euch. Und wenn Ihr wollt, könnt Ihr ihnen Gutes tun. Mich aber habt Ihr nicht allezeit. Sie hat getan, was sie konnte. Sie hat meinen Leib im Voraus gesalbt für mein Begräbnis. Wahrlich, ich sage euch: Wo das Evangelium gepredigt wird in aller Welt, da wird man auch das sagen zu ihrem Gedächtnis, was sie jetzt getan hat.

 

Gott, gib uns ein Herz für Dein Wort und nun ein Wort für unser Herz. AMEN

 

Liebe Gemeinde!

Eine seltsame Passionszeit liegt jetzt fast schon wieder hinter uns. Sieben – oder jedenfalls „sechs Wochen ohne“ – für die einen. Ohne Hektik. Ohne Termine. Ohne großartige Pläne. Ohne Machbarkeitswahn. Denn die weltweite Aufregung um das Corona Virus hat vieles von dem, was unser Leben bestimmte, einfach außer Kraft gesetzt. Termine wurden abgesagt und Schulen geschlossen. Unser lang vorbereitetes Chorkonzert konnte nicht stattfinden. Die Arbeit in vielen Werken Zweibrückens ruhte, weil die französischen Arbeiter nicht mehr kommen durften. Autowerkstätten stellten ihre Mitarbeitenden frei, weil die Ersatzteile, die für die Reparaturen gebraucht worden wären, nicht geliefert werden konnten. Klassenfahrten und Urlaube mussten abgesagt werden.

„Sechs Wochen mit“ für die anderen. Mit Arbeit über die Belastbarkeitsgrenze hinaus im medizinischen Bereich und im Einzelhandel. Mit Zukunftsangst für die Betriebe. Ein Schreckensszenarium, das uns vor allen Dingen deshalb so in Panik versetzt, weil wir noch gar nicht abschätzen können, was da alles auf uns zurollt. Wir stehen sprachlos vor einer Welt, die so fest erschien und auf einmal so zerbrechlich geworden ist. Wenn ich in diesen Wochen in meinem Dorf unterwegs war, so begegnete ich Menschen, die sehr vorsichtig und auf Abstand miteinander umgingen. Aus Angst, sie könnten selbst getroffen werden oder andere in Gefahr bringen. Niemand wollte irgendwas provozieren, vielleicht eine Auseinandersetzung vom Zaun brechen vielleicht mit jemandem, der dann schwer krank werden würde und man die bösen Worte erst einmal nicht würde zurücknehmen können.

Das Leben wurde auf einmal sehr wertvoll. Alle waren froh, wenn sie ihr Auskommen hatten und gesund waren. Und so möchte ich diese vergangenen Wochen trotz aller Ängste und Schreckensnachrichten auch in anderer Hinsicht „sechs Wochen mit“ nennen:

Sechs Wochen mit mehr Aufmerksamkeit. Mehr Mitgefühl. Mehr Wertschätzung. Mehr Vorsicht. Mehr Bescheidenheit. Mehr Demut.

Die Tischrunde bei Simon, dem ehemaligen Aussätzigen, befindet sich ebenso wie wir kurz vor einem ihrer größten Feste, zwei Tage vor dem Passahfest, das ja bekanntlich parallel zu unserem Osterfest gefeiert wird, weil Jesus am Vorabend des Passahfestes mit seinen Jüngern das Abendmahl feierte und dann festgenommen und gekreuzigt wurde.

Ein großes Fest steht also für die Juden ins Haus. Ein Fest, auf das man sich gut vorbereitet hat, das Haus gründlich gereinigt hat, allen alten Sauerteig vom Vorjahr weggeworfen hat, gekocht und gebacken hat. Ein Fest, bei dem man alles richtig machen und alle Gebote befolgen möchte.

So war es ja noch im vergangenen Jahr bei uns auch. Wir wollten es richtig machen. Haben uns informiert in Zeitschriften, was am besten gekocht werden soll. Und ob es lieber ein Osterfrühstück oder einen Osterbrunch geben soll. Wir laden die richtigen Leute ein.

Manch eine/r hat den Ostergottesdienst besucht oder einen Osterspaziergang mit der Familie unternommen. Kirchengemeinden überboten sich mit Karfreitagskonzerten, Osternachtsfeiern, Gottesdiensten, Osternachts-Spaziergängen, Osterfrühstücken….

Und dann kommt alles anders.

Es kommt alles anders am Tisch, an dem Jesus eingeladen ist.

Das richtige Essen, die richtigen Leute. Und eine falsche Frau. Eine, die nicht gut angesehen ist. Wo hat sie das viele Geld her für dieses kostbare Nardenöl? 300 Silbergroschen? Ich setze das mal in den Vergleich mit den 30 Silberlingen, die Judas bekam, dafür, dass er Jesus verriet. Judas war mit dem Geld sicher reich belohnt worden, sonst hätte er diesen Verrat nicht auf sich genommen. Nun also Nardenöl, Öl, mit dem normalerweise Könige gesalbt werden, für 10mal so viel Geld. Ja, woher kommt dieses Geld, diese Frage allein gibt Anlass zu Spekulationen. Und zu übler Nachrede.

Auch wir wollten alles richtig machen. Und dann kommt auch bei uns alles anders. Von jetzt auf gleich sind alle die Pläne geplatzt. Und auch das geht. Palmsonntag ohne Konfirmation. Karfreitag und Ostern ohne Terminüberfrachtung.

Es kommt alles anders. Damit können wir Menschen schlecht umgehen. Wenn uns die Initiative aus der Hand genommen wird für etwas, was wir ganz akribisch geplant hatten, dann reagieren wir ärgerlich. Denn dann haben wir nicht nur selbst Angst davor, weniger bedeutungsvoll zu sein. Sondern eben auch ganz schlicht die Angst, dass wir unser Leben nicht mehr im Griff haben.

 

Eine andere Sichtweise wäre die: Diese Frau, die da ins Haus kommt, nicht als Störung und mit Angst zu betrachten. Sondern als Geschenk, als Ressource. Als jemand, die die Feier bereichert. Die etwas Wertvolles beiträgt.

Viele sind es derzeit, die an der Grenze zu Europa ausharren. Die als Störung betrachtet, ängstlich beäugt werden, wenn sie es wagen, mit an den Tisch der Europäer zu kommen.

Ob sie etwas beitragen können, wird gar nicht erst gefragt. Sondern das zu erhalten gesucht, was ursprünglich geplant war.

2015 wurden die Grenzen geöffnet. Nicht alles ist gut gelaufen, aus diesen Erfahrungen kann man lernen. Aber nicht unbedingt dies, dass wir jetzt für sieben Millionen Euro (wo kommt dieses Geld eigentlich her, mag man sich auch hier fragen?) Tränengas und Stacheldraht kaufen.

Viele haben auch 2015 ihre ganz persönlichen Gaben mitgebracht. Schon jetzt ist es so, dass Altenheime und Krankenhäuser auf die zusätzlichen Arbeitskräfte dringend angewiesen sind, gerade jetzt, wo medizinisches Personal sein Äußerstes gibt. Und es mit diesen ursprünglich ungebetenen Flüchtlingen gilt, das Leben deutscher Kranker zu retten.

Und doch, sie machen vielen von uns Angst, diese Fremden.

Und so regierte eine gut christlich eingestellte Frau mir gegenüber auf die Nachricht, dass das Corona Virus nun auch unter den Flüchtlingen an der Grenze grassiere, nicht mit Entsetzen darüber, wie die nun in ihrer Situation auch noch mit der Krankheit fertig werden sollen. Sondern mit Entsetzen darüber, dass die nun die Krankheit zu uns tragen könnten. Dabei ist sie doch längst da.

Und hat sich nicht von Tränengas und Stacheldraht abhalten lassen. Nun ist Europa tatsächlich abgeschottet, unter Quarantäne jedes einzelne Land, jedes Bundesland, jeder Ort. Wir machen genau die Erfahrung zum ersten Mal, die für andere das ganze Leben bestimmt: Eingesperrt und ausgesperrt zu sein.

Ja, unsere christlich-jüdischen Werte werden beschworen in Europa. Und ist nicht einer dieser Werte das „Fremdsein“?

Unterwegs zu sein, auf der Flucht zu sein, bestimmt das Leben unserer Vorfahren seit frühestem Anfang. Ob Abraham oder Ruth, ob das Volk Israel aus Ägypten oder Maria und Josef nach Ägypten, ob Paulus auf dem Weg nach Europa und viele, viele andere. Hätte Lydia damals Paulus nicht aufgenommen in ihr Haus, wer weiß, ob man heute noch eine Ahnung vom Christentum hätte. Unterwegs sein bedeutet auch dies: Über den Tellerrand schauen. Lernen von anderen. Mutig sich in ein fremdes Haus begeben. Und das hineintragen, was einen selbst ausmacht.

Nun also die fremde Frau am Tisch Simons, der einmal aussätzig gewesen ist, dem dieser Makel immer noch anhängt, und der nicht wirklich dazu gehört.

Diese Frau kommt nicht, um den Leuten etwas wegzunehmen. Sie kommt, um etwas zu geben. Kostbares Nardenöl, Salböl für Könige. Jesus wird damit gesalbt. Der Messias, der Gesalbte. Der König von unten. Der König mitten unter uns. Der König auch für die, die am Rand stehen. Nicht in einer großen Zeremonie inthronisiert. Sondern am Tisch mit seinesgleichen.

Auch für diesen Gesalbten kommt alles anders. Kein fröhliches Passahfest, sondern die Kreuzigung. Das Ende. Und der neue Anfang, die Auferstehung.

Es ist dieser Gesalbte, der uns bis heute bewegt, der unsere Grenzen überschreitet, der uns verbindet, der uns Mut macht. Auch die Grenzen, die uns in diesen Tagen gesetzt sind.

Papst Franziskus schreibt in seiner Enzyklika „Laudato Si“:

„Wie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit fordert uns unser gemeinsames Schicksal dazu auf, einen neuen Anfang zu wagen.“ Es könnte uns als Christinnen und Christen auszeichnen, dass wir unterwegs sind. Und damit auch in der Lage, uns auf neue Situationen einzustellen.

Gemeinsam. Wir alle an einem Tisch. Simon der Aussätzige, der Außenseiter hat eingeladen. Die, die alles richtig machen wollen, sind gekommen. Jesus, immer unterwegs unter den Menschen, ist gekommen. Die Frau, die nicht gut angesehen ist, aber so viel geben möchte, kommt überraschend. Andere werden dabei gewesen sein und sind heute dabei:

Unsichere und Selbstsichere, Menschen mit einer bewegten Geschichte. Menschen, die unterwegs sind und solche, die angekommen sind. Reiche und Arme. Menschen, die Gott auf verschiedene Weise verehren. Und solche, die nicht glauben können. Ängstliche Menschen und Menschen mit einem weiten Herzen. Menschen, die sich lieber zurückhalten und solche, die vorpreschen. Wir alle. Und Jesus mittendrin. Unser Messias. Unser Gesalbter. Unser König.

Gemeinsam an einem Tisch? Auch das muss in diesen Tagen, wo es Leben retten kann, für sich zu bleiben, ganz neu definiert werden. Auch hier sind wir unterwegs. Unterwegs zu einer neuen Kultur des Miteinanders. Wie können wir uns begegnen, ohne uns und andere in Gefahr zu bringen? Mit Nachbarschaftshilfe, mit telefonischer Nachfrage, wie es einem bestimmten Menschen geht. Mit aufmerksamem Zuhören und mitgebrachten Einkäufen.

Ich selbst spiele abends gerne Klavier. Die Nachbarschaft hat mich gebeten, das doch bei geöffneter Balkontür zu tun, damit andere auch etwas davon haben. Mach ich doch gerne. Jeder und jede hat da sicherlich eigene Ideen.

Gemeinsam an einem Tisch? Das heißt für mich in diesen Tagen auch: Füreinander im Gebet einstehen. Für andere die sechste Strophe aus von Matthias Claudius‘ Lied singen, das als das bekannteste deutsche Lied gilt:

„So legt Euch denn Ihr Brüder (und Schwestern), in Gottes Namen nieder, kalt ist der Abendhauch. Verschon uns Gott mit Strafen und lass uns ruhig schlafen, und unseren kranken Nachbarn auch.“

Gemeinsam an einem Tisch in dieser Welt und in dieser Passionszeit. Im Gebet verbunden mit den Menschen weltweit. Und unser Messias mitten unter uns. Ihn brauchen wir in diesen Tagen. Es ist alles anders gekommen und es wird immer wieder einmal alles anders gekommen. Jesus aber bleibt mitten unter uns.

 

So kann das Passahfest gefeiert werden, das Fest der Befreiung. Und so soll es Ostern werden für uns, wir sehnen uns danach: Auferstehung für alle. AMEN

 

 

Liedvorschlag: Lied 9

Textvorschlag: Ermutigung (Anton Rozetter)

 

Tritt herzu

Steh nicht abseits

Tritt herbei

Bleib nicht allein

Tritt vor

Bleib nicht zurück

 

Bürger bist Du

Bürgerin

In der Friedensstadt

 

Beschwingt bist Du

Unter Engelsschwingen

Und lebendig

Bei den Erstgeborenen

 

Von Gott gerichtet

Aufgerichtet

Ausgerichtet

 

Geist- und liebesbegabt

Wie alle, die zu Jesus gehören

 

So komm heraus

Aus dem Abseits,

Tritt hinzu

 

Reiß die Mauern nieder,

Tritt bei

 

Lass das Vergangene zurück

Tritt vor

In alle Zukunft hinein

de_DEDeutsch