Exodus 20

Exodus 20

 

Predigten und Texte zum Dekalog, Februar 2002
Das Erste Gebot und sein Evangelium, Walter Sparn

Das Erste Gebot und sein Evangelium

1. Das Erste Gebot und der Erste Satz. Der Kleine Katechismus
erklärt das erste Gebot eindrucksvoll prägnant und lapidar:
„Wir sollen Gott über alle Ding fürchten, lieben und vertrauen“.
Noch Zweifel? Bei näherem Zusehen: ja. Diese Erklärung plausibel
zu finden, ist ja keineswegs selbstverständlich. Unmittelbar evident
mag sie dem erscheinen, der in einer christlichen Erziehung und Glaubensgeschichte
„Gott“ aus der Bibel und aus den Evangelien kennen und schon
lieben gelernt hat. Den andern (und die meisten Zeitgenossen hören
sie wohl zum ersten Mal) dürfte sie unverständlich sein, wenn
nicht ärgerlich. Als Erklärung des ersten Gebots genommen, das
doch nur sagt: „Du sollt nicht ander Götter haben“, stellt
sie eine Zumutung dar. Und das erst recht, wenn sie die Erklärung
eines Gebotes sein soll. Man merkt das spätestens, wenn man
Kindern sagt, dass sie Gott lieben sollen. Eben den, den sie zuerst
fürchten sollen, den sie vielleicht schon genug fürchten
als Übervater, der alles sieht und alles bestrafen wird. Und dann
sollen sie ihm auch noch vertrauen

Im Großen Katechismus ersetzt Luther die anfängliche Frage,
wie man das Gebot verstehen solle, durch eine andere: „Was heißt
einen Gott haben oder was ist Gott?“ Die Antwort darauf hat nichts
mit so etwas wie einem Gebot oder seinem Befolgen zu tun: „Gott“
heißt das, von dem man das schlechthin Gute erwartet, auf das man
sein tiefstes Vertrauen setzt, zu dem man seine letzte Zuflucht nimmt.
„Also dass ein Gott haben nichts andere ist, denn ihm von Herzen
trauen und gläuben, wie ich oft gesagt habe, dass alleine das Trauen
und Gläuben des Herzens machet beide, Gott und Abegott. Ist der Glaube
und Vertrauen recht, so ist auch Dein Gott recht, und wiederümb,
wo das Vertrauen falsch und unrecht ist, da ist auch der rechte Gott nicht.
Denn die zwei gehören zuhaufe, Glaube und Gott. Worauf Du nu (sage
ich) Dein Herz hängest und verlässest, das ist eigentlich Dein
Gott“ (BSLK 560, 13ff).

Diese Sätze werden oft zitiert, um zu belegen, dass der christliche
Glaube nicht ein angelerntes oder abgenötigtes Fürwahrhalten
meine, sondern ein Gottesvertrauen, in dem das ganze Leben eingeschlossen
ist und das die ganze Person prägt und trägt: fiducia.
Dieser Hinweis ist richtig, genügt aber nicht zur Erklärung
des ersten Gebots. Denn wenn das Herz beide, Gott und Abgott, „macht“,
so nicht deshalb, weil es beide hervorbringen könnte, sondern weil
es das Prädikat „Gott“ einem Gegenstand zuspricht, der
Gott ist oder eben nicht ist. Irrtümlicherweise würde
das Gottsein etwa dem Mammon zugeschrieben, oder der politischen Macht,
der Gelehrsamkeit; immer dort, wo das Herz eines Menschen „Hülfe,
Trost und Seligkeit suchet in eigenen Werken … als wolle es nichts von
ihm (dem wahren Gott) geschenkt nehmen …“ (565,2ff). Im ersten
Gebot geht es also um den wahren Gottesdienst in seinem Gegensatz
zum Götzendienst. Der Katechismus erklärt, wie man dazu kommt:
Das Erste Gebot des wahren Gottesdienstes wird einzig und allein durch
das Vertrauen und Glauben des Herzens erfüllt. Denn nur dieses Glauben
lässt den wahren Gott seinen Gott sein, weil sein „Erfüllen“,
sein Tun in einem Lassen besteht: „… lasse mich alleine
Deinen Gott sein“. Alles kommt daher darauf an, dass es ein vorgängiges
Tun Gottes gibt, das unser Zulassen, Loslassen und Seinlassen möglich
macht („zulässt“). Die Plausibilität des ersten Gebots
begründet sich in diesem Anfangen Gottes, einem Zuspruch seiner selbst:
„ICH, ich will Dir gnug gegen und aus aller Not helfen…“ (560,35ff).

Damit ist Luther wieder bei der Frage nach dem Sinn des ersten Gebots.
Eine Antwort darauf, so zeigt sich in der Korrelation von „Glauben“
und „Gott“, ist nur möglich, wenn das erste Gebot nicht
der Anfang der Redens Gottes ist, sondern erst sein zweiter Satz. Das
erste Gebot folgt einem ersten Satz: „Ich bin der Herr dein Gott“.
Am Anfang, ja „im Anfang“ (1.Mose 1,1; Joh 1,1) und vor allem
Tun und Lassen der Welt: der Erste Satz. Seinetwegen ist das erste
Gebot das Erste Gebot. Denn er ist das Gute, aus dem wir immer
schon und noch immer lebe. Er besagt und vollzieht den ersten und letzten
Willen Gottes, weil er von Gott selbst gesprochen wird – längst
bevor wir Gottes Gebote erfüllen und völlig unabhängig
davon, wie gut oder schlecht wir sie dann erfüllen. „So er spricht,
so geschieht’s …“

Auch der Kleine Katechismus unterstellt den „Ich bin“-Satz
Gottes (spätere Drucke haben ihn eigens vorangestellt). Er lässt
die im „du sollst“ gemachte Voraussetzung „ich bin“
im Aufbau erkennen: Credo steht im Mittelpunkt des Katechismus,
und im Credo ist der Zweite Artikel der stets unterstellten Ausgangspunkt.
Dies „ich glaube“ nennt den wahren Gott „Gott“: „…
er heißt Jesus Christ, der Herr Zebaoth, und ist kein andrer Gott
…“, um es mit Luthers Lied zu sagen (EG 362,2; vgl. Jes 51,15 u.ö.).

2. Der Erste Satz als Evangelium. Diese Liedzeile sollte man sich
öfters vergegenwärtigen, damit man die Korrelation von Glaube
und „Gott“ nicht zu einem Abstraktum macht, das dann schnell
der Religionskritik, etwa der Feuerbach’schen Projektionsthese, zum
Opfer fällt. Die christliche Auszeichnung der fiducia als
wahrem Gottesdienst und die reformatorische Pointierung dieses Vertrauensglaubens,
das sola fide, ist keine theoretische Fortentwicklung eines anthropologischen
Datums, das „an sich“ richtig wäre. Ohnehin ist die Annahme,
dass ohne Vertrauen menschliches Handeln nicht möglich ist, jedenfalls
gutes Handeln und Leben ohne Vertrauenkönnen nicht gelingt, eine
kulturell und religiös überaus voraussetzungsreiche Überzeugung.
Christlich ist sie, wenn wir uns in den Glauben haben „locken“
lassen, der die Anrede Vater unser an Gott führt (BSLK 520,20ff);
wenn das Gottesvertrauen, das in unserem Handeln motivierend und
orientierend wirksam ist, sich verlässt auf das mit dem Namen Jesus
Christus zugesprochene „Ich bin“ Gottes. Luthers Liedzeile formuliert
eindrücklich, dass der Erste Satz, der jedem Gebieten Gottes voraus
gesprochen ist, für Christen das Evangelium ist. Jener Satz
ist in Gestalt eines leibhaften Menschen gesprochen worden: als welcher
Mensch Gott selbst da war und in der Kraft des Heiligen Geistes gegenwärtig
geblieben ist.

Das alttestamentliche Erste Gebot setzt einen anderen „Ich bin“-Satz
Gottes voraus. Dessen begründende Kraft liegt in der Erinnerung an
eine spezifische Gotteserfahrung: „… der dich aus Ägypten,
dem Sklavenhaus, geführt hat“. Es ist dies eine Erfahrung Israels.
Die Gotteserfahrung von Christen heißt zuerst und zuletzt: Jesus
Christus
. Was bedeutet dieser Unterschied? Ist er erheblich für
den christlichen Umgang mit Gottes Geboten?

Ganz zweifellos – das gesamte Neue Testament spiegelt die oft mühevolle
Arbeit an dieser Frage. Doch wird sie nicht in der Weise beantwortet,
dass man sie vergessen und sich die weitere Arbeit daran ersparen könnte.
Das ist nicht einmal bei der so endgültig klingenden paulinischen
Antwort der Fall, wonach Jesus Christus das Telos des Gesetzes
ist (Rö 10,4) – das Ende oder das Ziel, in dem das Gesetz „aufgehoben“
wäre auch im Sinne des Bewahrens? Sagt doch Jesus Christus, dem Evangelisten
Matthäus zufolge, dass er gekommen sei, das Gesetz und die Propheten
nicht etwa aufzulösen, sondern zu erfüllen (Mt 5,17ff). Aber
besagt der Begriff des Gesetzes dasselbe wie der Begriff des Gebotes,
der doch eine Rangordnung zwischen kleineren und wichtigeren Geboten zulässt
(Mt. 5,19)? Überdies gibt Jesus Christus, gefragt nach dem größten
Gebot, eine völlig klare, bejahende Antwort – mit Rekurs auf
die „Schrift“, d.h. auf diejenigen Gebote, die das „Ich
bin“ des Bundesgottes Israels unterstellen. „Das höchste
Gebot ist das: ‚Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der
Herr allein, und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen,
von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und von allen deinen Kräften’.
Das andre ist dies: ‚Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich
selbst’“ (Mk 12,29f parr; mit 5. Mose 6,4f und 3. Mose 19,18).

Unsere christliche Behauptung eines Ersten Gebotes hat nicht in allen,
wohl aber in elementaren Aspekten keine andere Begründung als die
des alttestamentlichen Dekalogs. Die Person, als die der Erste Satz Gottes
dem christlichen Glauben gewiss ist, steht, schon als frommer Jude, für
diesen Zusammenhang. Und das Neue des Verhältnisses Jesu zum „Vater“
und die endzeitliche Nähe des „Reiches Gottes“ in diesem
Verhältnis trat und tritt immer noch in Erscheinung gerade in der
Gültigkeit des alten Selbstzuspruches Gottes. Denn schon in der alten,
dem Volk Israels geltenden promissio war die menschliche Weise,
etwas als „Gott“ zu bezeichnen, durch die Selbstbennennung Gottes
mit Namen und Art aufgehoben worden: „Ich bin Jahwe, dein Gott, der
dich herausgeführt hat …“ Nur deshalb dürfen wir den
Zuspruch „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst;
ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein!“ (Jes 43,1)
bei der christlichen Taufe als Wort Gottes an uns, das Bundesvolk aus
Juden und Heiden, zitieren. „Du aber, Herr, bist unser Vater und
unser Erlöser; von alters her ist das dein Name“ (Jes 63,16):
Das ist auch sein christlicher, durch Jesus Christus uns vom wahren Gott
gegebener Name, auch wenn die Art Gottes sich durch das Kreuz Christi
noch einmal neu offenbart hat.

Ein christlicher Umgang mit dem Ersten Gebot ist derjenige, der Jesus
Christus als Ersten Satz Gottes gehört hat und beständig hört.
Dies schließt ein, dass der jüdische Erste Satz seine Gültigkeit
behält: Die Tora ist, was sie ist, im Vorgang des Selbstzuspruches
des wahren Gottes; sie ist daher, längst bevor sie fordert, gar „gesetzlich“
fordert, anklagt und verurteilt, Anleitung zum guten Handeln und zum gelingenden
Leben. Ein christliches Verständnis des Dekalogs wird unmöglich,
wenn man, in der Annahme, dass „Gesetz“ und „Evangelium“
sich gegenseitig ausschließen, den analog evangelischen Charakter
auch des Dekalogs abblendet.

3. Das Erste Gebot als „Gesetz“? Die Annahme, dass „Evangelium“
und „Gesetz“ sich ausschließen, ist eine wesentliche Einsicht
der Theologie, die dem Katechismus zugrunde liegt. Nur muss man sie konkret
verstehen: als soteriologisch-hermeneutische Unterscheidung im Reden und
Handeln Gottes. Durch sie werden Gottes Werk und unser menschliches Können
und Sollen gesondert, also auch unser Glaube und unsere Werke – sie
zu vermischen ist nicht nur einigen Synergisten, sondern allen alten Adams
und Evas bekanntlich ein Herzensbedürfnis. Ihre sowohl fürs
Glauben als auch fürs Handeln schlechthin wichtige Unterscheidung
wird aber verdorben, wenn man davon absieht, dass sie erst im Glauben
aufgemacht wird und wahrgenommen werden kann; dass sie also eine aposteriorische
und asymmetrische Unterscheidung ist.

Eine Zeitlang galt es als Ausweis besonderen Luthertums, „Gesetz
und Evangelium“ zum apriorischen und symmetrischen Prinzip der Dogmatik
zu erheben (und gar noch eine „natürliche Offenbarung“
damit zu begründen). Das war eine Sackgasse (wie Nachgeborene leichthin
sagen), die auch die Gegenformel „Evangelium und Gesetz“ ein
Stück weit in Mitleidenschaft zog (auch hier ist hinterher leicht
zu sehen, dass das Schema von „Form“ und „Inhalt“
dabei uzureichend war). Als Ausweg bot sich an, das „Gebot“
Gottes aus der Gegenstellung von „Gesetz“ und „Evangelium“
auszunehmen. Nur scheinbar konnte das anknüpfen an die alte Formel
des „dritten Brauchs des Gesetzes“ im „neuen Gehorsam“
(alle drei Gestalten des „Gesetzes“ waren auch „Gebote“
gewesen). Wer den kontradiktorischen Gegensatz von Glauben und Unglaube,
wie er in der elenchtischen Funktion des Gesetzes aufgerissen wwird, auf
den konträren Gegensatz von Glaube und Werke übertrug, hatte
denn auch Mühe zu erklären: Wann und warum ist ein und dieselbe
Forderung des Dekalogs tötendes „Gesetz“, wann und inwiefern
lebenserhaltendes „Gebot“?

Das hierin angesprochene Problem wird meist nicht zureichend erkannt.
Es ist der im Kern klare, im einzelnen allerdings komplexe Tatbestand,
dass unser moderner Begriff „Gesetz“ in wichtigen Aspekten nicht
dasselbe besagt wie der reformatorische (und überhaupt vorneuzeitliche)
Begriff. Der wichtigste Unterschied: Der moderne Gesetzesbegriff ist durchweg
auf die Souveränität eines Gesetzgebers zugeschnitten
(was, zugegeben, auch im reformatorischen „überführenden
Brauch des Gesetzes“ eine, aber nur eine Wurzel hat). Der Grund hierfür
ist die Ablösung vom alteuropäischen Naturrecht, dem zufolge
jegliche Regulierung menschlicher Verhältnisse und menschlichen Verhalten
letztlich einen göttlichen Gesetzgeber voraussetzt; an seine Stelle
trat im Zeitalter der religiösen Bürgerkriege das die Bedürfnisse
des Überlebens und des friedlichen Zusammenlebens sichernde und an
der Vernunftnatur des Menschen orientierte Vertragsrecht. Dieses Vernunftrecht
überträgt Gesetzgebung einem irdischen, aber letztinstanzlichen
Souverän: Säkulare Politik tritt an die Stelle der politia
Christiana
, moralische „Autonomie“ an die Stelle des fremdbestimmten
Gehorsams gegen Gebote. Die Folge dieses Vorgangs ist bis heute, dass
die Verbindlichkeit von Gesetzen kraft ihres als sinnvoll einsehbaren
Inhalts und ihre Verbindlichkeit kraft des souveränen Willens
des Gesetzgebers immer weiter auseinander traten. Genau dies ist
der blinde Fleck des neueren theologischen Gesetzesbegriffs, der durchweg
und betont auf die Souveränität Gottes rekurriert; daher die
antinomistische oder aber umgekehrt nomistische Schlagseite der neueren
evangelischen Theologie.

Der Antinomismus beruft sich gern auf Luthers Relativierung des alttestamentlichen
Gesetzes als „der Juden Sachsenspiegel“ bzw. auf die These,
die Christen könnten und sollten „neue Dekaloge machen“.
Doch sah Luther den Dekalog nicht bloß als positives göttliches
Gesetz (lex divina) an, das Gott auf dem Berg Sinai für das
Volk Israel aufgerichtet hatte, sondern zugleich als dasjenige Gesetz,
das Gott allen Menschengeschöpfen ins Herz eingeschrieben hatte,
als „Naturrecht“ (lex naturalis): Jedem Verständigen,
sofern er sich nicht durch die Affekte des Eigeninteresses hinreißen
ließ, musste der gute Sinn dieser Grund- und Grenzregeln lebens-
und gemeinschaftsgemäßen Verhaltens aus Erfahrung und Vernunft
einleuchten. Sodann folgt so etwas wie „neue Dekaloge aufstellen“
dem biblischen, von Jesus Christus in Person bewahrheiteten Liebesgebot.
Dieses aber hat seinen Charakter als Gebot nicht trotz, sondern wegen
der Erfüllung des Ersten Gebots im rechten Gottesvertrauen; eine
Erfüllung, die im Sich-Verlassen auf das zugesprochene „Ich
bin“ Gottes besteht. Kurz, der richtige, dem Liebesgebot folgende
Gebrauch des Dekalogs in der christlichen Lebensführung hängt
an der Erfüllung des Ersten Gebots im Glauben.

Ist dies klar, dann muss dem Evangelium, dem „Gesetz des Geistes“
(Rö 8,2) ein analoger Gesetzesbegriff zugeordnet werden. Richtig
ist es dann, wie das die finnische Lutherforschung (in Kritik der deutschen,
neukantianisch und existentialistisch belasteten Sicht) tut, vom „Gesetz
der Liebe“
zu sprechen, wie es im „größten Gebot“
oder auch in der „Goldenen Regel“ (Mt 7,12par) formuliert ist,
ohne dass dies „gesetzlich“ wäre oder der römischen
Auffassung vom Evangelium als nova lex folgte. Denn das „Gesetz
der Liebe“ steht nicht „unter dem Gesetz“, sondern bezeichnet
den im Ersten Satz immer liegenden Anspruch Gottes auf den (im Glauben
nun dazu freien) Mitarbeiter Gottes, auf den cooperator Dei.
Richtig ist es dann auch (aber nur dann!) zu sagen, dass der Dekalog einen
christlichen Wertekanon enthalte, der in den aktuellen ethischen
Debatten christlich zu orientieren vermöge. Denn die Erfüllung
des Ersten Gebotes stellt eine persönliche und gemeinschaftliche
Lebensform dar, in der unsere Lebensführung überformt wird durch
die Gestaltung unseres Lebens durch Gott: Rechter Gottesdienst (nicht
schon, kommunitaristisch, die fromme Gemeinschaft) ist zugleich Ort christlicher
Werteerziehung.

Kehren wir zur Erklärung des Ersten Gebots im Kleinen Katechismus
zurück: „Wir sollen Gott über alle Ding fürchten …“
– nicht die Zumutung knechtischer Unterwürfigkeit also, sondern:
Ehrfurcht. Sie kann man allerdings nur aufbringen, wo die Angst
vor unserer Endlichkeit mit ihrer Möglichkeit, in der Lebensführung
zu scheitern, überwunden ist. Genau dies ist im Glauben der Fall.
Er löst jene Angst – die Wurzel aller Sünde, des misstrauischen
Unglaubens Gott gegenüber, „als wolle man sich nichts von ihm
schenken lassen“ – in nichts auf. Denn der Glaube ist kein Mittel
unserer Lebensführung, sondern das Element christlicher Frömmigkeit,
das in der Gestaltung und Führung unseres Lebens durch Gott am Maß
Jesu Christi besteht. Das Erste Gebot im Glauben zu erfüllen ist,
im Blick aufs Handeln gesehen, nicht zuletzt klug, denn „Gottesfurcht
ist aller Weisheit Anfang“ (Spr 1,7). Doch lange vorher ist es, als
Vergebung des Unglaubens, lebensrettend: „Denn bei dir ist die Vergebung,
dass man dich fürchte“ (Ps 130,4). Nur wer den Abba-Glauben
als Kumpanei missversteht, könnte etwas gegen die Ehrfurcht haben,
die doch einem Gott gegenüber selbstverständlich ist, der es
sich leisten kann, ohne Berechnung zu vergeben.

Angesichts des Ersten Satzes Gottes ist das Problem „Gesetz“
keine letzte, sondern eine vorletzte Problematik. Sogar diesseits der
Unterscheidung von Gesetz und Evangelium gilt nach Luther: „Wo also
und mit wem Gott redet, es sei im Zorn oder in Gnaden, der ist gewiss
unsterblich“. Ein wenig überspitzt durfte Luther bei Tisch sogar
sagen: „Es ist kein größeres Ding, als wenn wir glauben
können, dass Gott mit uns redet. Wenn wir das glaubten, so wären
wir schon selig“.

Prof. Dr. Walter Sparn, Erlangen
E-Mail: Walter.Sparn@t-online.de

 

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