Exodus 34, 4-10

Exodus 34, 4-10

 

Göttinger

Predigten im Internet

hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost


19. Sonntag nach Trinitatis,
6. Oktober 2002
Predigt über 2. Mose 34, 4-10, verfaßt von Roland Rosenstock

Heilung durch Versöhnung

Hinführung zum Kyrie
Gott will,
dass wir leben sollen.
Er führt uns heute zusammen,
mit all dem,
was uns noch beschäftigt,
aus den vergangenen Tagen.
Unsere Gedanken
wollen wir jetzt vor Gott bringen:
unsere Sorgen,
die wir uns machen,
und unsere Schuld,
die uns belastet.
Vor Gott dürfen wir loslassen:
Er will uns entlasten.
in der Stille bringen wir jetzt vor Gott,
was uns auf dem Herzen liegt,
und ihn um Vergebung bitten
wo wir ihm etwas verschwiegen haben … (Stille)
Heile du mich, Herr, so werde ich heil;
hilf du mir, so ist mir geholfen, Herr erbarme dich!

Hinführung zum Gloria
Unser Gott ist ein heilender Gott
Gottes Gnade verwandelt
unsere Schuld in einen neuen Anfang
Gottes Geduld verwandelt
unsere Sorgen in Zuversicht
Gottes Treue verwandelt
unsere Ängste in Mut
So spricht er uns zu:
„Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig,
und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich“ (Ex 33,19/
Röm 9,15)

Darum danken wir Gott
und loben seinen Namen

Tagesgebet
Allmächtiger Gott und Vater,
du kommst uns nahe mit deiner Barmherzigkeit.
Wir bitten dich:
Komm mitten unter uns.
Komm mit deiner befreienden Kraft,
die Verschlossenes öffnet.
Komm mit deiner Wärme, die wohl tut und heilt,
dass wir aus uns herausgehen können
und einander offen begegnen.
Dazu hilf uns in Jesus Christus,
durch die Kraft des Heiligen Geistes. Amen

Predigtlied EG 642 (Wir strecken uns nach dir)

Fürbitten mit Vaterunser
Gott,
du willst, dass wir heil werden,
und rufst uns in deine Nachfolge,
dass wir heilen.
Laß unter uns deine Vergebung spürbar werden,
und schenke uns deine Gnade.
Wir bitten dich für die Menschen,
die in unseren Augen halsstarrig,
die starr und verbohrt erscheinen,
die an ihrem Denken festhalten,
unfähig,
ihr Antlitz uns zuzuwenden,
sich zu öffnen
für unsere Gefühle.
Versöhne uns
führe uns zusammen durch deine Gnade. …

 

Predigt
Heilung durch Vergebung;
oder: Versöhnung ist gesund

Liebe Gemeinde!

Versöhnung ist weiblich und gesund! So lautet die frohe Botschaft
der Oktoberausgabe von „Maxi“. „Die Kunst des Verzeihens.
Nicht leicht, aber sinnvoll“, heißt es auf der Titelseite.
„Denn: Wer vergibt, lebt länger.“ Wissenschaftliche Studien
hätten belegt: Frauen sind besser im Versöhnen. Und: Menschen,
die Wut und Ärger bewältigen können, leiden seltener unter
Bluthochdruck, Schweißausbrüchen und Schlafstörungen.
„Auge um Auge, Zahn um Zahn? Der Körper dankt`s auf keinen Fall“,
weiß die Zeitschrift für die junge und modebewußte Frau.
„Eine kleine Rache kann zwar einen seelischen Ausgleich schaffen,
aber Herz und Kreislauf werden extrem belastet. Also los: Verzeihung!“

I.

Nun klappt das mit dem Verzeihen aber nicht so einfach. Auch wenn es
gesünder ist. Dazu gehören ja mindestens zwei. Manchmal braucht
man sogar einen dritten, der unbeteiligt ist, um wieder zueinander zu
finden. Vor dem Vergeben steht ja die Verletzung. Da hat etwas weh getan.
Und die Beziehung ist belastet. Und dann beginnt oft ein Spiel, ein Spiel,
dass es so schwer macht mit dem Versöhnen: das Spiel mit den Schuldzuweisungen,
die Möglichkeit sich selbst und anderen Vorwürfe zu machen.

Wir kennen das aus den Familien: Eltern machen ihren Kindern Vorwürfe
weil sie die Tapete vollgemalt, oder weil sie das Studium abgebrochen
haben. Und Kinder machen ihren Eltern Vorwürfe, weil sie zu wenig
Zeit für sie haben, oder den Lebenspartner nicht akzeptieren wollen.
Und dann machen sich wieder die Eltern Vorwürfe: Mütter fragen
sich noch nach dreißig Jahren „Habe ich alles für mein
Kind getan?“. Aber dabei bleibt es nicht: Sie spielen den Ball wieder
an ihre Kindern zurück, „Was hast du uns angetan…“. Auch
Kinder haben ein schlechtes Gewissen, nicht nur weil sie genau wissen,
dass sie eigentlich in Papas Weinkeller nichts zu suchen haben, die Flasche
aber doch zerbrochen ist. Und sie spielen den schwarzen Peter wieder zurück:
„Wenn du nicht damals, dann …“. Ein Kreislauf von Vorwürfen
zwischen den Generationen.

Und Ehepartner beherrschen dieses Spiel mit ausgeklügelter Perfektion.
Die Zahnpastatube ist sicherlich noch eine untere Spielstufe. Und eins
macht dieses Spiel im Unterschied zu anderen Spielen überhaupt nicht:
Spaß! Wenn dann noch der Rosenkrieg beginnt, freuen sich selbst
nicht einmal mehr die Anwälte über das Honorar.

Man kann dieses Spiel auch zwischen Ost- und Westdeutschen spielen, am
Tag der deutschen Einheit! Wir können denen dadrüben wieder
Ihre Nostalgie vorwerfen, die Liebe zu dem, was gewesen ist – als Maßstab
für das, was ist. Und sie werfen uns dann unsere Herablassung vor,
und dass wir den Osten nur als Markt sehen; und: Die Unfähigkeit
die 40 Jahre als gemeinsame Geschichte auf der Wanderung durch die Nachkriegswüste
zu begreifen.
Aber da hat sich scheinbar was verändert, nach dieser großen
Katastrophe, dem Hochwasser. 2,7 Milliarden Euro Spenden. Eine umfassende
Solidarität. War das Hochwasser die zweite Chance zur Wiedervereinigung?
Mußte erst etwas dramatisches geschehen, jenseits des Spieles, damit
sich die Spielregeln ändern?

II.

Liebe Gemeinde! Warum ist das mit der Vergebung so schwer? Weil diesem
Spiel eins fehlt: es fehlt im die Gnade. Das Spiel mit den Vorwürfen
spielt sich ein, wird zu einer Spirale, die sich immer weiter dreht. Irgendwann
spielt der eigentliche Grund gar keine Rolle mehr. Verschwimmt, vernebelt
sich, was eigentlich anliegt. Man wird das Gefühl nicht los: Da kommt
man nicht mehr raus. Da kann man auch daran zerbrechen. Entweder es kommt
zu einer Katastrophe. Und alle reißen sich wieder zusammen, die
Folgen zu beheben. Oder es braucht jemand von außen, der die Spielregeln
ändert. Ist es gut zu hören, dass da einer ist, der uns fühlen
läßt, dass wir die Kränkungen tragen und überstehen
können. Ein neuer Anfang möglich ist.

Auch Mose und das Volk Israel waren ein Teil dieses Spiels. Schon einmal
war Mose mit den Tafeln auf dem Berg, bei der Rückkehr erlebte er
eine böse Überraschung. Sie erinnern sich:

[Die Mosegestalt tritt auf, mit Tafeln in seiner Hand:]
Der Gott unserer Väter hat das Volk aus Ägypten befreit! Jetzt
sind wir in der Wüste, vor dem Berg Sinai. Und das Volk macht mir
Vorwürfe:
„Hungrig sind wir, nach Brot; durstig nach Leben; ausgezehrt von
der Hitze, heimatlos! Wo ist denn nun Dein Gott, Mose? Vielleicht dort
auf dem Berg? Warum ist er nicht mitten unter uns? Hat uns wohl vergessen!“
Und ich, Mose, sage: „Ihr werdet schon sehen, wer Recht behält,
ihr störrischen Böcke. Halsstarrig seid ihr und Dumm! Ich geh
jetzt da hoch, und dann komme ich wieder und bringe die Tafeln mit. Und
da steht dann drauf, wie ihr euch verhalten sollt. Und wehe einer tanzt
aus der Reihe!“
Na ja, das Tänzchen haben sie dann ja gewagt, ein erbärmliches
Tänzchen. Kaum bin ich nach oben, auf den Berg, sammeln sie ihren
Schmuck ein, gießen einen goldenen Stier daraus. Haben ihren Gott
schön gemacht. Wie konnten sie mich so enttäuschen. Na, die
können etwas erleben! Sie sind es überhaupt nicht wert, Gottes
Gesetze zu empfangen. Das sollt ihr mir büßen! [Mose zerschmettert
die Tafeln] Das Tischtuch zwischen uns ist zerschnitten. Gottes Zorn sollen
sie spüren …

Ein grimmiges Spiel! Der Mann ist wirklich wütend, auf sein Volk.
Er will das Beste für sie, aber die wollen das gar nicht. Halsstarrig
sind sie, wie kleine Kinder, die genau das tun, was ihre Eltern nicht
wollen. Das kann einen bis zur Weißglut reizen. Sich dann wieder
zu fangen …, ein Neuanfang ist gar nicht mehr einfach. Und das Volk
in einer Ecke, wo es nicht mehr rauskommt, halsstarrig sind sie.

Man kann sich aufreiben in diesem Spiel! Es gibt sogar Opfer, weil er
die Menschen in Gute und Böse aufteilt, die Achse des Bösen
deutlich vor sich sieht. Obwohl es Mose gut meint, zerstört er, nicht
nur die Tafeln. Die meisten von den Israeliten werden zwar verschont,
fürchten sich aber, dass sie die Strafe Gottes doch noch ereilen
wird. Um Buße zu tun, müssen sie das Gold trinken, woraus sie
den Stier gefertigt hatten. Fein zerstoßen, Goldstaub mit Wasser.
Alle Schmuckstücke, die sie noch besessen, legen sie ab. Schmucklos
und schutzlos sehen sie sich Mose und seinem Gott ausgeliefert. Und dann
wurde es gefährlich, lebensgefährlich: 3000 sollen damals umgekommen
sein. Mose scharrte die Seinen um sich, bestrafte die, die er für
schuld hielt, allesamt Brüder, Freunde, Nächste. Ohne Gnade!
Nach seiner Vorstellungen von Gerechtigkeit und mit himmlischen Beistand,
das stand für ihn außer Frage.

III.

Doch stand Gott im Spiel mit der Schuld wirklich auf seiner Seite? Gott
bittet Mose erneut auf den Berg. Wieder soll er zwei Steintafeln ausmeißeln.
Es kommt zu einer atemberaubenden Begegnung: Mose sieht Gott von Angesicht
zu Angesicht. Und Gott spricht zu Mose. Und sagt: Ich bin Gott. Und: Ich
heiße so wie ich bin. Und das sind meine Namen:

[Stimme aus dem Off:]

Ich bin Gott,
voll von Erbarmen
und Gnade.
Ich habe Geduld,
bin reich an Güte
und Treue.

Ich bewahre Treue bis ins tausendste Geschlecht.
Ich vergebe
Schuld
Verbrechen
und Sünde.
Doch gedenke ich
der Schuld der Väter
bis sie wieder gut gemacht ist,
von den Kindern oder Enkel.

Der Name Gottes verändert die Spielregeln. Nicht mehr: Wie muss
ich Buße tun, das er mich wieder akzeptiert. Sondern: Ich habe einen
gnädigen Gott. Und der war schon immer gnädig. So hat sich Gott
bekannt gemacht, nach dem Tanz um das goldene Kalb. Und Gottes Worte fahren
Mose durch die Glieder. Er wirft sich nieder.
„Wenn das dein Wesen ist, Gott, dann komm in unsere Mitte! Und vergib
uns! Auch wenn wir halsstarrig sind, wir wollen ganz Dir gehören.“
Und Gott antwortet: „Ich lebe in einer tiefen Verbundenheit mit euch.
Von Anfang an! Wenn ihr an die Kraft der Vergebung glaubt, dann können
wunderbare Dinge geschehen und ihr, eure Kinder und Enkel werdet eine
Zukunft haben!“

IV.

Vielleicht waren es die Namen Gottes, die Mose aufgeschrieben hat – für
sein Volk. Damit klar war, was das für ein Gott ist, der hier seine
tiefe Verbindung zu den Seinen mitgeteilt hat. 10 Worte auf zwei Tafeln.
Schauen wir sie uns noch einmal an.

Auf der ersten das Wesen Gottes. Wie können diese Worte uns entlasten?

(1. Tafel)
Gott Ich heiße so, wie ich bin
1. erbarmend bin voll Mutterliebe: Versöhnung ist weiblich!
2. gnädig bin in Christus: In ihm siehst du mein Antlitz
3. geduldig zögere, zornig zu werden: Du kannst umkehren
4. reich an Güte Ich halte an dir fest, auch wenn du mich verletzt
hast
5. und Treue bin zuverlässig und verbindlich

Und was verändern diese Worte der ersten Tafel? Was folgt daraus
für das Spiel mit der Schuld? Es geht weiter, aber es geht nicht
mehr um die Würde. Nicht mehr um Bestehen und Vergehen. Das Grimmige,
das Tödliche ist heraus aus dem Spiel. Von jetzt an spielt die Gnade
mit, als unsichtbare Hand.

Auf der zweiten Tafel Worte, die für unsere Beziehungen wichtig
sind:

(2. Tafel)
6. bewahrt Treue In der Solidarität mit anderen bewährt sich
der Glaube
7. trägt Schuld Die Welt in Gut und Böse zu teilen, führt
nicht weiter
8. Verbrechen Evangelium und Vergeltung schließen einander aus
9. Sünde Liebe, die nur mir Spaß macht, muß überprüft
werden
10. gedenkt der Schuld der Väter Was für eine Entlastung, dass
unserem Volk vergeben worden ist.

 

V.

Gottes hat den Bund der Entlastung geschlossen, mit zehn Worten, die
das Spiel der Schuld entlasten sollen, die Spielregeln verändern.
Denn so ein Spiel kann auch sein Gutes haben. Wenn es ehrlich gemeint
ist und nicht zur Bestrafung verkommt. Wenn es wirklich um den Streitpunkt
geht und nicht mehr nur um den Streit. Dann können wunderbare Dinge
geschehen, dass Menschen sich wieder verstehen. Von nun an spielt die
Gnade mit, mitten unter den Menschen. Menschen versöhnen sich nach
langer Zeit wieder, wenn der Grund für die Schuld geklärt ist.
Und: Man kann persönlich bei diesem Spiel reifen. Das Spiel spielen
als einer, der selbst geliebt ist und sich mit seinen Schwächen akzeptiert;
weil er weiß: Gott hält zu mir!

Dann braucht man auch eigene Schuld nicht von sich selbst wegzuschieben,
auf die anderen, begreift, dass wir Kränkungen tragen und ertragen
können. Verletzungen – mit Gottes Hilfe – auch überstehen. Rache
ist dann passe. Wir setzen unsere Kraft daran, den wirklichen Konflikt
zu lösen, zu vergeben.

Liebe Gemeinde, Vergebung ist weiblich und gesund! So lautet die frohe
Botschaft von Maxi. Und ich stimme ihr zu!: „Die Kunst des Verzeihens.
Nicht leicht, aber sinnvoll“. „Denn: „Wer vergibt, lebt
länger.“ Und die Tafeln mit den Worten der Entlastung machen
Hoffnung darauf, dass das möglich ist: Versöhnung, Neuanfang,
Verbundenheit durch die Verletzung hindurch. Ob Frauen darin wirklich
besser sind? Wir Männer sollten ihnen jedenfalls darin nicht nachstehen.
Und nicht vergessen: Menschen, die Wut und Ärger bewältigen
können, leiden seltener unter Bluthochdruck, Schweißausbrüchen
und Schlafstörungen. „Auge um Auge, Zahn um Zahn?“ Nicht
mit dem Gott, der so heißt wie er ist: Erbarmend und gnädig!
Also los: Verzeihen wir, Versöhnung ist gesund! Amen.

Dr. Roland Rosenstock, Pucheim bei München
R.Rosenstock@evtheol.uni-muenchen.de


 

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