Genesis 1

Genesis 1

Die heilsame Zerstreung

Gnade sei mit Euch und Frieden – von Dem, Der Da ist, und Der Da war
und Der Da kommen wird – und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei
mit uns allen. AMEN

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder!
Da kann man ja viel sagen – aber man muss es nicht.
Muss also sehen, ob es uns hilft.
Wo also soll man anfangen in diesen ganzen Geschichten, womit beginnen?!
Denn wir wissen es: jedes Heute hat ein Gestern und Vorgestern und Ehegestern,
ein Tag ist auch das Ergebnis der Tage zuvor – unsere Geschichte fällt
nicht vom Himmel – so plötzlich. Aber sie beginnt dort. Immer.
Also: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.“ Das ist bekannt
– und notwendig, denn der Himmel ist die Voraussetzung für die Erde,
die Zerstörbare. Den Himmel aber zerstört keiner. Das ist uns
Hoffnung.
Damit beginnt alle und auch unsere Geschichte: Der Abend tritt ins Paradies
wie ein guter Freund, der Geschichten weiß. Die Sonne bettet sich
im Horizont, ein Duft von Flieder, Wein, Honig und Jasmin liegt in der
Luft … Und ER, Gott, Hochgelobt sei ER, was tut ER? Den ganzen Tag hat
Gott mit Farben die Welt gemalt und auch Sein Maltopf ist alle und auch
ER will sich ausruhen von des Tages Müh, Seinen Garten genießen
und auf einer Bank sitzen. Die Bank hält – und ER ist sehr glücklich
darüber, denn diese Bank ist Sein Werk. Die Welt schaffen – das ist
für IHN keine Kunst – aber eine Bank schon. Die also trägt,
und Gott erfreut sich an Seinem Paradies – und träumt …
Aber plötzlich fährt ER auf, schlägt sich die Hand vor
den Kopf und spricht: „Bei Gott“ (ER soll wirklich „bei
Gott“ gesagt haben) „- wer soll das alles pflegen!?“
Nach langem, himmlischem Schweigen spricht ER: „Lasst uns den Menschen
machen!“ Den Satz kennen wir. So schnell aber geht das nicht. Jetzt
treten zu IHM die vier großen und gewaltigen Engel, die Erzengel
Gottes und sprechen zu IHM einmütig im Chor: „Lass es sein,
Herr, lass es sein, es (d.h. doch wohl er: der Mensch!) wird Dir nicht
gelingen!“
Der Herr schaut Seine Engel fragend an: Nun? Habt ihr noch mehr zu sagen?
Da tritt Michael vor: Ich bin Herr, aber Du weißt es ja, ein „großer
Streiter“ – aber ich werd‘ es nicht verhindern können: Die Menschen,
die Du schaffen willst, die werden Kriege führen, die Du nicht kennst!
Sie werden Häuser verbrennen und Felder, Kinder morden und Männer,
Frauen werden sie schänden … ich rate Dir ab, Herr, lass es sein.
Lange schwieg da der Herr und es war ganz still im himmlischen Garten.
Da tritt nun Raphael hervor: Ich bin, Herr, ein „großer Heiler“
für alle Wunden: aber die Menschen werden ihre Herzen brechen und
ihre Seelen verkrüppeln und ihre Meinung verraten und ihre Vernunft
zerstören – und ich kann’s nicht mindern. Ich rate Dir ab, Herr,
tu es nicht.
Lange schwieg da der Herr und es war ganz still im himmlischen Garten.
Da trat Uriel hervor und sprach: Nicht rat ich Dir zu Herr, aber auch
nicht ab.
Solche diplomatische Rede verdross den Herrn. ER verlangte Deutlichkeit.
Nun gut, Herr, wenn es denn so sein muss: Gib den Menschen das Licht der
Erinnerung, er wird’s Vernunft dann nennen, dass sie nicht vergessen,
was sie verlieren werden: Deinen schönen Garten.
Wieder schwieg der Herr.
Nun sprach Gabriel – und seine Rede klingt immer weihnachtlich: Ich Herr,
rate Dir zu: Mach es, schaff den Menschen, obwohl auch ich weiß,
es geht schief. Aber gib ihnen, o Herr, zweierlei mit auf ihren Weg in
die Welt: die Musik und die Liebe. So behalten sie die Sehnsucht nach
Deinem Garten … ab und zu, wenigstens.
Lange schwieg der Herr und es war ganz still im himmlischen Garten.
Dann sprach ER: Lasst uns Menschen machen!
Und ER, Hochgelobt sei ER, tat es, was ER nicht lassen konnte …
Wir wissen, wie es weitergeht – bis auf diesen Tag bis heute.
Aber dazwischen – da war doch noch was?
Ja, unsere Geschichte, der Predigttext zu Pfingsten, der noch.
Die Menschen sollten sich sondern in Völker und verteilen all überall
auf der Erde. So hat es sich ER gedacht, aber die Menschen, was wollen
die?
So beginnt unsere Geschichte:
„Es war auf der Erde eine Sprache und wenige Worte.“ (Gen 11,1)
Das ist nicht die Sehnsucht nach einer Sprache, das ist der Schmerz um
den Verlust des Himmels. Es ist nunmehr ein Abstand, ein Riss geworden:
der Himmel ist nicht mehr so selbstverständlich auf Erden: wir leben
nach der Flut, der großen Zeitenwende. Es hätte alles zerstört
sein können. Wir wissen es. Aber die Menschen, wir also, leben weiter
und immer weiter aus seiner, unseres Gottes Gnade.
Nun also sollen sie hin gehen in alle Welt, Verantwortung tragen für
sie und Sorge. Aber die Menschen, was tun die?
„Und es geschah, als sie von Morgen her zogen (hinaus aus dem Garten,
den sie verloren), da fanden sie ein Tal im Lande Schinear (das ist: Mesopotamien,
heute sagen wir: Iraq!) und blieben da sitzen.“ (Gen 11,2)
Die Menschen wollen nicht weitergehen, nicht sich ausbreiten über
die ganze Erde. Was geht uns die Welt an, sagen sie und blinzeln. Hier
wollen wir bleiben. Hier ist es schön. Gott hat zwar gesagt: Ihr
sein verantwortlich für die Erde. Die Menschen aber suchen nicht,
was Gottes ist, sondern das Ihre. Das Eigene. Was geht uns das Fremde
an!? So bleiben sie da – und lassen die Erde die Erde sein, fremdes Land:
„Und sprachen zueinander: Wohlan, lasset uns Ziegel streichen und
brennen zu Brand. Und es war ihnen der Ziegel zum Stein, und das Erdharz
war ihnen Mörtel. Und weiter sprachen sie: Wohlan, lasset uns eine
Stadt bauen und einen Turm, der bis in den Himmel reicht – und wir wollen
uns einen Namen machen, dass wir uns ja nicht ausbreiten auf der ganzen
Erde!“ (Gen 11,3+4)
Das haben wir schon gewusst: sie wollen bleiben, nicht verantwortlich
sein für die Welt, nicht sorgen für die Erde und das Leben auf
ihr. Sie haben mit sich und an sich genug. Sie verweigern sich der Mitwelt,
sie verweigern sich Gott. Wer bleiben will, muss bauen, wer Sicherheit
will, muss hoch bauen und gewaltig. Und wer das tut, der wird überleben
im Werk, denn Mauern bleiben und mit diesen auch unsere Namen. So denken
die Menschen – und tun alles für ihren Ruhm. Sie tun es durchaus
eindrücklich, mit bewundernswerten technischen Fähigkeiten:
Fortschritt durch Technik. Technik vermag auch Kunst zu sein, aber nicht
alles zu tun ist dem Menschen, ist uns erlaubt.
Noch aber haben wir eine Chance: Umkehr ist jederzeit möglich. Aber
die Menschen tun das nicht.
„Da kam ER herab, um zu sehen die Stadt und den Turm, die die Menschen
gemacht.“ (Gen 11,5)
Auch jetzt gibt es noch die Möglichkeit, Gott zu begegnen. ER kommt.
ER kommt in Seine Welt, um der Menschen Werk zu betrachten. ER will sehen
die Stadt, vielleicht sogar bestaunen den Turm, vielleicht sogar prüfen
und sagen: das habt ihr gut gemacht, ihr Menschen. Ich freue mich an Eurem
Tun und sehe: meiner Hände Werk ist mir doch nicht misslungen.
Vielleicht war es das, was Gott sehen wollte – aber ER nahm es ganz anders
wahr:
„Da sprach ER: Ja – ein Volk ist es – und eine Sprache sprechen sie
alle. Und das ist der Anfang ihres Tuns. Nichts wird ihnen nunmehr unmöglich
sein.“ (Gen 11,6)
Gott sieht also etwas ganz anderes: die Menschen sind ein Einheitsvolk
geworden: eine Sprache – eine Idee – eine Meinung – ein Tun. Der Traum
aller Diktatoren. Welch‘ Katastrophe! O, wenn die Welt nur eine Sprache
hätte, welche Armut an Schönheit, Geist und Freude: jede Sprache
ist eine Welt, aber jede Sprache ist auch ein Gefängnis. Gott will
die Vielfalt und das vielstimmige Lob. ER will, dass der Glaube denkt
und singt, verschiedene Lieder, verschiedenes Denken. Das ist die Gefahr
der Menschheit; immer wieder: ein Volk – ein Staat – eine Meinung.
Dies will und kann ER nicht zulassen. Das nicht. Und auch nicht die verkehrte
Welt: Nicht soll Gott sagen zum Menschentun, sondern vielmehr der Mensch
zu Gottes Handeln: IHM allein ist nichts unmöglich! Es bleibe der
Mensch ein Mensch – und handle auch so. Das Göttliche ist uns nicht
gegeben und nicht erlaubt. Der Mensch ist ein Wesen der Grenze und der
Begrenzung. Nicht alles zu tun ist uns erlaubt.
Stattdessen sollen wir fragen und tun, was ER von uns fordert. In diesem
Tun greift Gott nun ein:
„Wohlan, lasst uns hinabsteigen und dort ihre Sprachen vermischen,
dass nicht einer des anderen Rede verstehe. Und ER verbreitete sie von
dort aus über die ganze Erde. Da hörten sie auf, die Stadt zu
bauen.“ (Gen 11,8)
Gott greift ein in der Menschen Geschichte – und führt sie zu Seinem
Ziel. Das ist uns ein Satz der Hoffnung: am Ende wird unsere Geschichte
Gottes sein.
Nun haben die Menschen ihre je eigene Sprache gefunden – und müssen
sich mühen und von einander lernen, wenn sie sich verstehen und begegnen
wollen. So sind die Menschen aneinander gewiesen: alle Völker sind
in ihren Sprachen unmittelbar zu Gott – all überall auf der Erde.
Wir sind für das Ganze verantwortlich. Die Erde ist des Herrn. Das
bleibt – aber sie ist uns geliehen. Wir sind Gäste des „großen
Gastgebers“ – und sollen uns auch wie Gäste benehmen.
Haben Sie es gemerkt, liebe Gemeinde? Gott straft nicht: der Turm wird
nicht zerstört, die Stadt nicht abgebaut, dem „großen
Namen“ nicht gewehrt! Das können die Menschen alles tun: sie,
d.h. wir!, dürfen sich nur Gottes Auftrag nicht verweigern: Bleibt
der Erde treu und erhaltet die Welt, denn sie ist Gottes. Die Menschen
haben eine Sorgepflicht. Dahin führt uns Gottes Tun: zum Prinzip
Verantwortung: Liebt diese Welt zu Gott hin. Denn Leben in der (ganzen)
Welt ist in der Tat: Leben in Gott. Die Welt ist in IHM.
Aber der Mensch, was tut er – nun, wir wissen es, er ist vergesslich und
tut das nicht. Darum hat Gott dieser Geschichte einen Namen gegeben und
einen Ort – gegen das Vergessen.
„Darum nannte man ihren Namen Babel, weil dort ER vermischt hat alle
Sprachen auf Erden und von dort ausgebreitet die Menschen auf der ganzen
Welt.“ (Gen 11,9)
Diesen Namen wollen wir uns merken: Babel, Babylon! Dieser Name, diese
Stadt steht nicht für Leiden und Krieg, für Zerstörung
und Barbarei, weder gestern noch heute – sondern für die eine große
Hoffnung Gottes und der Menschen: dass es genügt, ein Mensch zu sein,
nichts als ein Mensch: Sein Ebenbild all überall auf Erden. Wir sind
alle „Gottes-Kinder“, eigen dem Großen König. In
allen Sprachen ist ER, nicht ewig auszuloben. Mögen wir in allen
Sprachen Sein Wort hören. Und, Mensch, vergiss nicht.
Vergiss nicht, was du verloren: des großen Königs Garten.
Vergiss nicht, wohin du dereinst gehst: in des großen Königs
Thronsaal.
Und vergiss nicht, wo du lebst: in der Vorhalle des großen Königs.
Wir leben also in Seiner Gegenwart.
Vielleicht behalten die Engel nicht recht – und es gelingt.
Wir dürfen das Leben wagen.
In Jesu Namen. AMEN

Dr. Gerhard Begrich

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