Genesis 28, 10-19a

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Genesis 28, 10-19a

 

Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


 

14. Sonntag nach Trinitatis,
16. September 2001
Predigt über Genesis 28, 10-19a, verfaßt von Karsten Matthis


Liebe Gemeinde,

Jakob hat einen phantastischen Traum: Was für ein unglaubliches
und monumentales Bild! Eine Himmelsleiter steht auf der Erde und ihre
Spitze ragt in den Himmel hinein. Jakob erblickt eine Himmelsleiter
auf der die Engel Gottes auf und absteigen. Gott selbst steht unten
am Ende der Leiter und spricht zum schlafenden Jakob. Nicht nur für
die gottesfürchtigen Erzähler der Genesis wird ein kühnes,
unfassbares Bild entfaltet: Gott steigt herab, sucht Jakob an seiner
Schlafstelle auf und offenbart sich ihm. Der vom heimischen Hof geflohene
und vom Zwillingsbruder Esau verfemte Jakob wird als würdig empfunden,
in das Allerheiligste, in die Himmelswelt des einzigartigen Gottes,
dem Gott der Väter, zu blicken.

Der sich auf der Flucht befindende Jakob ist kein Großer der
Weltgeschichte, weder ist er politisch einflussreich noch moralisch
integer. Der Überlieferung nach ist Jakob ein cleverer, listiger
Hirte, der seinen Bruder Esau zweimal aus Habgier betrügt. Für
ein Linsengericht kauft er ihm das Erstgeburtsrecht ab und erschleicht
sich mit Hilfe seiner Mutter den väterlichen Segen. Später
werden seine Nachfahren von ihm berichten, dass er ein umherirrender
Aramäer gewesen sei.

Ganz selbstverständlich drängen sich Fragen auf: Warum wird
Jakob und nicht Esau erwählt? Esau stände doch nach der Tradition
als dem Erstgeborenen der Segen zu? Warum wird der listige Zwillingsbruder
Jakob Erzvater der zwölf Stämme Israels? Warum wählt
sich Gott nicht einen bedeutenden Herrscher aus, um ihn zum Träger
seiner großen Verheißung zu machen?

Den Gott Israels stört es nicht, menschliche Konventionen gröblich
zu verletzen. Stattdessen wendet sich Gott an Jakob und überbringt
ihm eine großartige Verheißung. Nicht nur einen reichen
Landbesitz, sondern ebenfalls zahlreiche Nachkommenschaft und immerwährender
Schutz spricht er dem Umherirrenden zu. An dieser unglaublichen Verheißung
müsste Jakob irre werden, denn für einen Menschen mit dem
Erfahrungshorizont eines Nomaden waren dies schier unglaubliche Versprechungen.
Zahlreiche Nachkommenschaft, Reichtum und Landbesitz – noch heute sind
dies nicht zu realisierende Träume der Menschen im Nahen Osten.

Als Jakob erwacht, erschrickt er über den Traum zutiefst. Niemals
hat er mit einer unmittelbaren Begegnung mit dem Himmel auf Erden gerechnet.
Dass an dieser Stelle Gott zugegen ist, hatte er nicht vermuten können.
Wie eine Auslegung dieser Jakob – Erzählung mutet der Satz aus
dem Jesaja Buch an: „Ich ließ mich suchen von denen, die
nicht nach mir fragten; ich ließ mich finden von denen, die mich
nicht suchten.“ (Jes. 65,1). Jakob wird von Gott auf dem Schlaflager
überrascht. Nicht Jakob hat ihn gesucht, sondern der Gott der Väter
hat ihn gefunden.

Nach diesem dramatisch, phantastischen Traum handelt Jakob überraschend
nüchtern. Er kann den Traum sofort einordnen und weiß ihn
auszulegen. Für Jakob ist dieser Traum kein Hirngespinst – nein,
er drückt Gottes all umfassenden Segen aus. Dieser Ort der göttlichen
Offenbarung muss gekennzeichnet und die Verheißung der Nachwelt
überliefert werden. Gott hat sich hier an der Pforte des Himmels,
in Bethel, offenbart und die großartige Verheißung, die
bereits an Abraham und Isaak erging, erneuert. Hier an dieser heiligen
Stelle soll nun ein Gotteshaus stehen. Über diesen heiligen Ort,
an dem sich der Himmel öffnete, soll die Nachwelt Kenntnis erhalten.
Ein Mahnmal soll von nun an diese einzigartige Gottesbegegnung erinnern.

Liebe Gemeinde, „Pforten des Himmels“ könnten wir dies
mit so großer Gewissheit sagen, wo diese sind? Wir wünschen
und sehnen uns nach göttlicher Geborgenheit, aber als aufgeklärte
Menschen, da möchten wir Gott nicht festmachen an einer Kultstätte,
an einem bestimmten Ort. Es gibt viele Kirchen in Deutschland mit großer
Vergangenheit und starker innerer und äußerer Ausstrahlung,
aber diese würden wir nun doch nicht pauschal als Himmelspforten
bezeichnen. Der Hamburger Michel, die St. Lorenz Kirche in Nürnberg,
der Dom zu Speyer, die wiedererbaute Frauenkirche in Dresden oder der
Kölner Dom, um nur einige bedeutende Kirchen zu nennen, sind sicherlich
beeindruckend und prägen ihre Stadt. Ihre Kirchtürme möchten
wir nicht missen und hören gern das Geläut ihrer Glocken.
Nicht nur Christen aller Konfessionen schätzen diese und andere
Kirchen als Denkmäler, Stätten der Einkehr und als Ort von
geistlichen Konzerten, aber „Tore des Himmels“, diese Klassifizierung
wird niemand leichtfertig gebrauchen.

Wo, wann und wie Gott sich offenbart, dies entscheidet er nur ganz
allein. Gott lässt sich nicht zwingen! Sein Wort lässt sich
nicht an einem Ort festmachen. Wo der Himmel über Menschen aufbricht,
und Gott sich offenbart, dass entscheidet der freie, souveräne
Gott. Aber unsere Gedenksteine, unsere Kirchen, Kapellen und Andachtsräume
in Krankenhäusern oder Altenheimen sind und bleiben wichtig: Als
Orte des Dankes, des Trostes und der immer wieder neu geschenkten Zuversicht,
dass Gott Treue hält. Gottesdienste behalten ihren Sinn als feste
Zeiten des Hörens, Lobens und Dankens. Der sonntägliche Gottesdienst
bewahrt uns vor der Vereinzelung im Glauben, da wir dort andere Christen
treffen und erleben, wie diese von Gottes Wort berührt und getragen
werden. Die Predigt schützt uns davor, aus dem christlichen Glauben
eine private Angelegenheit zu machen. Eine gute Predigt rüttelt
wach und reißt uns aus unserer gefälligen Selbstzufriedenheit
heraus, aber Verkündigung soll auch trösten und ermutigen
für den Alltag.

Liebe Gemeinde, kein noch so prächtiger Kirchbau und kein Stein
wird aus sich selbst heraus heilig. Kein noch so festlicher Gottesdienst
und eine noch so rhetorisch ausgefeilte Predigt können für
sich allein glaubwürdig sein, wenn nicht Gottes Wort sie trägt.
Ein Ort wird uns dann bedeutsam, gar heilig, wenn wir dem lebendigen
Gott dort begegnet sind. Gott begegnen wir in seinem Wort und Sakrament,
in welchen wir Vergebung, Segnung und Ermutigung erfahren. Gott schenkt
uns diese Begegnung und wir erahnen, dass Himmel und Erde sich ganz
nahe gekommen sind.

Dass Gott an gewohnten, vertrauten Orten uns nahe kommen will, berichtet
eine alte Legende: Zwei Mönche hatten gelesen, dass es am Ende
der Welt einen Ort gäbe, wo sich Himmel und Erde berührten.
Eine Tür sei dort, es gelte nur anzuklopfen, einzutreten, und schon
sei man am heiligen Ort. Und die Mönche beschlossen ihn zu suchen
und nicht eher umzukehren, bis sie ihn gefunden hätten, Und sie
durchwanderten in vielen Monaten die ganze Welt, bestanden viele Gefahren,
und fanden schließlich, was sie suchten. Sie klopften an, bebenden
Herzens sahen sie, wie sich die Tür öffnete – und standen
zu Hause in ihrer Klosterzelle. Da begriffen sie: Der Ort, wo Gott uns
begegnen will, ist immer an der Stelle, den Gott uns alltäglich
zugewiesen hat.

Durch das Wort Gottes wird Bethel zum heiligem Ort, nicht durch das
Aufstellen des Gedenksteins. Unsere Kirchen und Gemeindehäuser
werden nur zu Stätten Gottes, weil seine Verheißung über
ihnen liegt. Getragen von seinem Wort wird Kirche zur wahren Kirche,
zum Haus Gottes. Sein Segen liegt auf unseren Gottesdiensten und auf
sein Wort dürfen wir trauen, welches er vor Tausenden von Jahren
zu Jakob gesprochen hat: „Ich bin mit dir und will dich behüten,
wo du hinziehst, und will dich wieder herbringen in dies Land. Denn
ich will dich nicht verlassen, bis ich alles tue, was ich dir zugesagt
habe.“ (Gen. 28, 15)

Amen

 

 

Literatur:
Dietrich Hombeck: 14. Sonntag nach Trinitatis, Deutsches Pfarrerblatt,
Heft 8/ 2001
Dieter Walter: 14. Sonntag post Trinitatis, Homiletisch – Liturgisches
Korrespondenzblatt – Neue Folge, Nr. 70/ 2001

Karsten Matthis, Dipl. Theol.
Hochheimer Weg 11 a
53343 Wachtberg
E-mail: karsten.matthis@t-online.de

 

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