„Ist Gott für mich, so trete gleich alles wider mich“ (EG 351)

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„Ist Gott für mich, so trete gleich alles wider mich“ (EG 351)

Predigreihe zu Paul Gerhardt / 2007
„Ist Gott für mich, so trete gleich alles wider mich“ (EG 351),
Eine Predigt zu Paul Gerhardt verfasst von Gabriele Hug


1. Ist Gott für mich, so trete gleich alles wider mich;
sooft ich ruf und bete, weicht alles hinter sich.
Hab ich das Haupt zum Freunde und bin geliebt bei Gott,
was kann mir tun der Feinde und Widersacher Rott? (Röm 8,31)
2. Nun weiß und glaub ich feste, ich rühm’s auch ohne Scheu,
daß Gott, der Höchst und Beste, mein Freund und Vater sei
und daß in allen Fällen er mir zur Rechten steh
und dämpfe Sturm und Wellen und was mir bringet Weh.
3. Der Grund, da ich mich gründe, ist Christus und sein Blut;
das machet, daß ich finde das ewge, wahre Gut.
An mir und meinem Leben ist nichts auf dieser Erd;
was Christus mir gegeben, das ist der Liebe wert. (1. Kor 3,11)
4. Mein Jesus ist mein Ehre, mein Glanz und schönes Licht.
Wenn der nicht in mir wäre, so dürft und könnt ich nicht
vor Gottes Augen stehen und vor dem Sternensitz,
ich müßte stracks vergehen wie Wachs in Feuershitz.

Liebe Gemeinde,
Der tapfere und mutige Häuptling der widerständigen Gallier im 1. vorchristlichen Jahrhundert, Majestix, hat vor nichts Angst außer vor dem einen: er fürchtet, dass ihm eines Tages der Himmel auf den Kopf fallen könnte. Warum er sich dann ausgerechnet immer auf einer Art Tablett herum tragen lässt und so dem bedrohlichen Zelt noch nähert, kann ich als ungeübte Asterixleserin nicht beantworten.

1650 Jahre nach Majestix jedenfalls kommt einer eine ganze Strecke weiter nordöstlich zur Welt, der genau diese Befürchtung nicht hat, dass ihm der Himmel auf den Kopf fallen könnte. Am 12. März 1607 (morgen vor 400 Jahren) wurde Paul Gerhardt in Gräfenhainichen geboren. Im dritten Gottesdienst, in dem wir eines seiner Lieder miteinander bedenken, will ich mich mit Hilfe seiner Worte dem Himmel entgegen strecken und darauf vertrauen, dass das eigentlich mehr eine geistliche Dehnübung ist, um nicht einzurosten – denn der Himmel hat sich ja schon längst der Erde entgegen geneigt. Der Himmel ist in Jesus Christus zur Welt gekommen und hat sie gleichermaßen sanft wie leidenschaftlich umfangen.
Und kaum einer hat diese Verbindung von Zärtlichkeit und Kraft so gelingend beschrieben wie Paul Gerhardt, der – bei allem Starrsinn in dogmatischen Fragen – sich selbst darin aufgehoben wusste und von dieser verletzlichen Stärke anderen weiter verschenkte. Himmelwärts geerdet, das ist seine Theologie und sein Glaube: Gott ist ihm der Höchst und Beste, Christus ist ihm Grund geworden, der ihm hilft, sich nicht an der gestirnten Helligkeit Gottes zu verbrennen, wie einst Ikarus, der zu hoch hinaus wollte und dessen Wachs schmolz, dass er rettungslos zu Boden taumelte. Ikarus musste stracks vergehen wie Wachs in Sonnenhitz.
Uns Christen hingegen spricht vieles dafür, sich hoch hinaus auszurichten. Denn, wie Gerhardt formuliert, das Blut Christi, was ich hier einmal als „seine in uns wirkmächtigen Lebenskraft“ wiedergeben möchte, das legt einen Grundstein, den Brückenpfeiler, der das Unten mit dem Oben verbindet. Die Lebenskraft, die uns von ihm geschenkt ist, ist unzerstörbar – das wird Paul Gerhardt nicht müde zu betonen. Und diese Unermüdlichkeit war auch wahrhaftig not-wendend. Er wusste so viel von sich zusammenrottenden Feinden und Widersachern: der Vorgänger wurde 1651 zwei Jahre vor dem Entstehen dieses Liedes in der Kirche zu Mittenwalde beim Feiern des Gottesdienstes am Altar erschossen. Das Land war – im übrigen durch zerstörerische Religionskriege – ausgebrannt und ausgeblutet, noch immer zogen marodierende Banden plündernd über Felder und durch Dörfer, führten Tod und Schrecken mit sich. Auch im Namen ihrer Konfession und des Glaubens (Vgl. Vers 11) Aber der Liederdichter spricht all diesem Grauen ab, das letzte Wort zu behalten. Er weist stattdessen auf seine Vorläufigkeit hin und damit in die Grenzen. Einer hat dem Grauen diese Grenzen gesteckt. Singen wir die folgenden drei Strophen:
5. Der, der hat ausgelöschet, was mit sich führt den Tod;
der ist’s, der mich rein wäschet, macht schneeweiß, was ist rot.
In ihm kann ich mich freuen, hab einen Heldenmut,
darf kein Gerichte scheuen, wie sonst ein Sünder tut. (Jesaja 1, 18)
6. Nichts, nichts kann mich verdammen, nichts nimmt mir meinen Mut:
die Höll und ihre Flammen löscht meines Heilands Blut.

Kein Urteil mich erschrecket, kein Unheil mich betrübt, (Röm 8, 34)
weil mich mit Flügeln decket mein Heiland, der mich liebt.
7. Sein Geist wohnt mir im Herzen, regiert mir meinen Sinn,
vertreibet Sorg und Schmerzen, nimmt allen Kummer hin;
gibt Segen und Gedeihen dem, was er in mir schafft,
hilft mir das Abba schreien aus aller meiner Kraft. (Röm 8,15 +26)
Gott hat in Christus gehandelt. Dadurch werden die Verhältnisse umgekehrt. Im Leben, im Sterben und in der Auferstehung Jesu Christi bekommen wir einen hermeneutischen Schlüssel, also gewissermaßen eine Lesebrille, um die Welt zu lesen und zu verstehen. Was rot war, wird durch ihn weiß, so zitiert Gerhardt den Propheten Jesaja. Was arm war, wird reich, Hungrige werden satt, die Mächtigen werden vom Thron gestoßen und die gering Geachteten erfahren ihre Würde, so singt Maria es in ihrem Magnifikat. Aber die Umkehrung der Verhältnisse geschieht nicht zum Selbstzweck oder aus Spiel am Rollentausch. Wenn Gott ins Spiel kommt, dann wird das eine befreiende Wirkung haben, weil seine Liebe das Unheil überwindet. Gott gibt seine Geistkraft, die uns stützt und unterbaut. Es sind gewaltige Worte, aber sie haben für mich nichts Großmannsüchtiges. Und auch gar nichts Verkniffenes. Ganz im Gegenteil. Wenn Paul Gerhardt das Gedankengut und die Sprache von Paulus leiht und sich zu eigen zu macht, dann kommt etwas ganz und gar kindlich Vertrauendes in seine Verse. Abba, lieber Vater, so rief Jesus, so schrieb Paulus. Und wir sind da nicht ausgeschlossen, sondern hinein gelockt. Eine geborgene Sicherheit, die sich ganz aufgehoben weiß und gerade darum so zupackend in der Welt sein kann. Erwachsen Kind Gottes sein können.
Kaum zufällig gewann 350 Jahre später Dietrich Bonhoeffer eine ganz intensive Beziehung zu Liedern Paul Gerhardts. In seinen frühen Jahren empfand Bonhoeffer noch eine große Distanz zu dieser vermeintlichen Innerlichkeit und äußerte sich – gelinde ausgedrückt – skeptisch. Später jedoch, als er Gott im Diesseits, finden wollte jenseits aller falschen Religiosität und frömmelnden Gewäsch, später, als er Gott im Beten und im Tun des Gerechten finden konnte, als er sich auf den gefährlichen und mutigen Widerstand gegen Hitler eingelassen hatte und dafür ins Gefängnis musste, später jedoch gaben ihm gerade diese Lieder Kraft, Trost, Hilfe. Beide: Gerhardt und Bonhoeffer, so unterschiedlich sie waren, so verschieden auch die Zeiten, in denen sie ihren Glauben lebten, sie sind mir Beispiele, wie Menschen mit beiden Beinen fest auf der Erde stehen, den Kopf himmelwärts und aufrecht gehend. Da ist auch ein Kreislauf zwischen den beiden Körperenden. Nichts wird auseinander gerissen. Glaube und Handeln, Gestalten und Denken durchdringen sich gegenseitig – und beide wissen sehr genau, dass sie ihre Kraft nicht von sich haben. Noch einmal: Sie kennen die grausamen, zerstörerischen und dummen Kräfte der Macht sehr genau, haben sie auch selbst erlitten, aber sie wissen um die Vorläufigkeit.
Menschen können darauf bauen: selbst das Unsagbare und das Unsägliche sind aufgehoben, wenn Gott ins Spiel kommt. Sie können sich ihm überlassen und gewinnen von diesem wirklich grundsätzlichen Anvertrauen die Fähigkeit und die Freiheit, an der Umkehrung der falschen Verhältnisse mit zuarbeiten. Sie gewinnen auch die Kraft, die daraus oft schmerzlichen Konsequenzen zu bestehen und zu ertragen. Lassen Sie uns singend versuchen, diesen Spuren zu folgen:

8. Und wenn an meinem Orte sich Furcht und Schrecken find’t,
so seufzt und spricht er Worte, die unaussprechlich sind
mir zwar und meinem Munde, Gott aber wohl bewußt,
der an des Herzens Grunde ersiehet seine Lust. (Röm 8,2 / 2. Kor 12, 4)
9. Sein Geist spricht meinem Geiste manch süßes Trostwort zu:
wie Gott dem Hilfe leiste, der bei ihm suchet Ruh,
und wie er hab erbauet ein edle neue Stadt,
da Aug und Herze schauet, was es geglaubet hat. Offenbarung 22, 14
10. Da ist mein Teil und Erbe mir prächtig zugericht‘;

wenn ich gleich fall und sterbe, fällt doch mein Himmel nicht.
Muß ich auch gleich hier feuchten mit Tränen meine Zeit,
mein Jesus und sein Leuchten durchsüßet alles Leid. (Röm 8, 35)
Selbst das Unsagbare und das Unsägliche sind aufgehoben, wenn Gott ins Spiel kommt, habe ich eben gesagt. Aufgehoben meine ich damit im doppelten Sinn. Es ist überwunden, wie ein falsches Urteil aufgehoben wird. Und es ist geborgen, wie ich etwas aufbewahre, was ich nicht verlieren will – aus welchen Gründen auch immer. Der Dreißigjährige Krieg bei Paul Gerhardt, das Naziregime bei Bonhoeffer – es gibt ja so viel anderes, was nur mit unaussprechlichem Seufzen anzudeuten ist. Ich denke an die Männer, die 50 und 60 Jahre nach Kriegsende immer noch nicht darüber sprachen, was sie als Jugendliche „an der Front“ erlebten. Ich denke an die Frauen, die auf der Flucht bestialischer Gewalt ausgesetzt waren und keine Menschenseele hatten, die auch nur bereit war, sie anzuhören geschweige denn sie zu unterstützen. Ich denke an die Kinder in den Kriegen unserer Tage, was sie zu sehen bekommen, was sie erleiden müssen, wie sie als Soldaten seelisch und körperlich verstümmelt werden. Bilder kommen mir in den Sinn von Wartestationen in Krankenhäusern und Elendsvierteln großer Städte, in denen gebangt und geweint, gehofft und verzweifelt wird. Die meisten unter uns kennen solche Erfahrungen, als eigene, als die von Menschen, die uns nah stehen. Wo wir sprachlos werden, wo die Bitternis uns die Stimme verschlägt und wir keine Worte mehr finden, um auszudrücken, was alles Reden sprengt.
Muß ich auch gleich hier feuchten mit Tränen meine Zeit, mein Jesus und sein Leuchten durchsüßet alles Leid. Paul Gerhardt wollte bestimmt nicht das Leiden schön reden. Er verlor Frau und vier seiner fünf Kinder – da wurde gewiss manche Stunde von Tränen durchfeuchtet. Die Süße, von der er in den beiden Strophen erzählt, ist mit Sicherheit auch nicht ein nachträglicher Zuckerguss, der alles gar nicht so schlimm erscheinen lässt. Die Süße ist die Hoffnung und die schon erwähnte Vorläufigkeit dessen, was einem widerfahren kann. Die Gewissheit, dass wir etwas Besseres zu erwarten haben.
Paul Gerhardts Lieder wirken immer noch in Menschen, die sich manchmal an seine Worte regelrecht klammern und sie singen, vermutlich gar nicht selten gegen den Augenschein und mit zitternder Stimme. Wir haben seit alttestamentlicher Zeit einen Glaubensfaden geschenkt, der durch gereicht und durch gereicht, von Generation zu Generation weiter gegeben wird. Wo Menschen mit einer trotzigen Empfindsamkeit Trost und Kraft empfangen, so wie Gerhardt es aus der biblischen Sprache und seinem Glauben empfangen haben muss. Menschen, die ihre Schritte eher stolpernd und strauchelnd in die vorgezeichneten Fußabdrücke setzen, aber sich in dieser Verschränkung von himmelwärts – geerdet getragen wissen und daran fest halten:
Der Himmel fällt eben nicht, weder auf den Kopf noch sonst wohin. Der Himmel steht und an ihm lacht, selbst wenn aller Tage Abend geworden ist, uns die Sonne Christi durch den Tod ins Leben hinein.
Ich möchte schließen mit einem Auszug aus dem Testament, das Paul Gerhardt hinterlassen hat:
„Nachdem ich nunmehr des 70. Jahr meines Alters erreicht, auch dabei die fröhliche Hoffnung habe, daß mein lieber frommer Gott mich in kurzem aus dieser Welt erlösen und in ein besseres Leben führen werde, als ich bisher auf Erden gehabt habe: so danke ich ihm zuvörderst für alle seine Güte und Treue, die er mir von meiner Mutter Leibe an bis auf jetzige Stunde an Leib und Seele und an allem, was er mir gegeben, erwiesen hat.

Daneben bitte ich von Grund meines Herzens, er wolle mir, wenn mein Stündlein kommt, eine fröhliche Abfahrt verleihen, meine Seele in seine väterlichen Hände nehmen, und dem Leibe eine sanfte Ruhe in der Erde bis zu dem lieben jüngsten Tage bescheren, da ich mit allen Meinigen, die nur vor mir gewesen und auch künftig nach mir bleiben möchten, wieder erwachen und meinen lieben Herrn Jesum Christum, an welchen ich bisher geglaubet und ihn doch nie gesehen habe, von Angesicht zu Angesicht schauen werde.“ Amen
11. Die Welt, die mag zerbrechen, du stehst mir ewiglich;
kein Brennen, Hauen, Stechen soll trennen mich und dich;
kein Hunger und kein Dürsten, kein Armut, keine Pein,
kein Zorn der großen Fürsten soll mir ein Hindrung sein.
12. Kein Engel, keine Freuden, kein Thron, kein Herrlichkeit,
kein Lieben und kein Leiden, kein Angst und Fährlichkeit,
was man nur kann erdenken, es sei klein oder groß:
der keines soll mich lenken aus deinem Arm und Schoß.

13. Mein Herze geht in Sprüngen und kann nicht traurig sein,
ist voller Freud und Singen, sieht lauter Sonnenschein.
Die Sonne, die mir lachet, ist mein Herr Jesus Christ;
das, was mich singen machet, ist, was im Himmel ist. Römer 8, 38+39


Pfn. Gabriele Hug
Christuskirche-Südpfarrei
76133 Karlsruhe
E-Mail: gabriele.hug@web.de

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