Jakobus 4,13-15

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Jakobus 4,13-15

Jakobus 4,13-15: Und nun ihr, die ihr sagt: Heute
oder morgen wollen wir in die oder die Stadt gehen und wollen ein Jahr
dort zubringen und Handel treiben und Gewinn machen -, und wißt nicht, was morgen
sein wird. Was ist euer Leben? Ein Rauch seid ihr, der eine kurze Zeit
bleibt und dann verschwindet. Dagegen solltet ihr sagen: Wenn der Herr
will, werden wir leben und dies oder das tun. Nun aber rühmt ihr
euch in eurem Übermut. All solches Rühmen ist böse.

Der Jahreswechsel ist eine gute Gelegenheit, innezuhalten und nachzudenken.
Gerade die Gottesdienste zum Altjahrabend und zum Neujahr dienen ja solchem
Innehalten und Nachdenken. Was ist mit unserer Zeit? Wie gehen wir mit
ihr um? Vergeuden wir sie unbedacht, oder sind wir gerade im Blick auf
die Zeit besonders sorgfältig, auch in unserem Vorblick auf das
kommende Jahr? Brauchen wir also wirklich die harsche Kritik des Jakobus: “Nun
aber rühmt ihr euch in eurem Übermut. All solches Rühmen
ist böse”
? Es ist doch nicht unsere Selbstherrlichkeit,
die uns nötigt, zu planen. Weil wir mit anderen Menschen zusammen
leben, weil wir nicht allein sind, wenn wir etwas vorhaben, weil wir
aufeinander angewiesen sind, darum müssen wir unsere Zeit einteilen.
Es geht da nicht um ein selbstherrliches Verfügen, wie bei jenen
Handelsherren, die Jakobus anscheinend im Auge hat. Die haben ihr Jahr
samt dem Ertrag, den es ihnen bringen wird, schon fest in der Tasche.
Wir haben zwar auch schon längst den neuen Terminkalender, und da
ist eine Menge von Daten eingetragen: Geschäftliches, der geplante
Urlaub, Besuche, die wir empfangen und die wir machen wollen, eine Freizeit
vielleicht, die Konfirmation des Patenkindes: alles wichtige Termine,
die wir im neuen Jahr wahrnehmen müssen. Anders geht es nun einmal
nicht.

Dagegen ist gewiß nichts zu sagen. Übermut ist das sicher
nicht, sondern eher die blanke Notwendigkeit. Weil wir miteinander leben,
müssen wir miteinander ausmachen, was wir dann auch miteinander
tun wollen. Zeit ist ja nicht einfach meine persönliche Zeit. Für
die werde ich mir klugerweise auch einen Raum freihalten in dem, was
das neue Jahr bringen soll. Aber vor allem ist da doch die gemeinsame
Zeit. Und die braucht nun einmal die rechtzeitige Verabredung. Sonst
kommen wir nicht beizeiten zusammen zu dem, was wir doch nur gemeinsam
tun können. Und dann werden wir die Ziele gewiß nicht erreichen,
die wir uns auch gemeinsam vorgesetzt haben.

Was soll also dieser Vorbehalt, die Klausel des Jakobus: “So
Gott will und wir leben”
? Das ist doch eine Selbstverständlichkeit.
Stillschweigend gilt dieser Vorbehalt bei allen unseren Verabredungen.
Wenn da “höhere Gewalt” dazwischen kommt, kann man niemand vorwerfen,
daß er seinen Verpflichtungen nicht nachgekommen sei. Und auch
wenn wir dabei bleiben können, haben wir es nicht in der Hand,
daß das gemeinsame Vorhaben wirklich gelingt. Glück gehört
dazu. Und wer ein wenig abergläubig ist, oder auch bloß gedankenlos
nachmacht, was er bei anderen gesehen hat, der kann dann noch dreimal
auf Holz klopfen: “Unberufen! Toi toi toi.”

Wenn es nur um diese stillschweigenden Selbstverständlichkeiten
ginge, dann brauchten wir uns nicht lange mit diesen Worten des Jakobus
zu befassen. All unser Planen, das persönliche wie das gemeinsame,
steht unter dem Vorbehalt, daß da nichts dazwischen kommt. Was
so dazwischen kommen kann, das brauche ich nicht lange auszuführen.
Persönliche Probleme können das genauso sein wie Geschehnisse,
die uns alle miteinander betreffen. Wenn ich krank werde, oder ein Todesfall
in meinem nächsten Umkreis bewältigt werden muß, dann
wird anderes zurückzustehen haben. Wenn eine Naturkatastrophe uns
alle betrifft, oder ein Terroranschlag die Gemeinschaft erschüttert,
dann kann das gemeinsames Handeln unmöglich machen oder wenigstens
die Ziele, die wir uns gesetzt haben, in Frage stellen. Das haben wir
an anderen und an uns selbst zur Genüge erfahren. Und können
darum nur hoffen und wünschen, daß uns das im kommenden Jahr
möglichst erspart bleibt. Darum wünschen wir uns ja heute gegenseitig “ein
gutes neues Jahr”.

Wäre es nur diese Selbstverständlichkeit, an die uns die Worte
des Jakobus erinnern wollen, dann brauchten wir uns also nicht lange
bei ihnen aufzuhalten. Doch wenn wir genauer zusehen, merken wir: Was
uns da gesagt wird, das nötigt uns zu einem viel grundlegenderen
Bedenken unseres Umgangs mit der Zeit, als es jener selbstverständliche
Vorbehalt ist, der die Möglichkeit höherer Gewalt in unser
Planen einbezieht. Wir sind es gewohnt, solche höhere Gewalt als
das zu sehen, was uns dazwischen kommen kann; dazwischen kommen bei der
Ausführung unserer Pläne, auch für das kommende Jahr.
In solcher Gewohnheit ist die Zeit dieses kommenden Jahres so etwas wie
ein leerer Terminkalender, den wir mit unseren Vorhaben nach und nach
füllen können – wenn uns nichts dazwischen kommt. Was uns Jakobus
klar machen will, ist aber dies: Ihr selbst seid doch nur dazwischen
gekommen; nur kurze Zeit seid ihr da, um dann wieder weg zu gehen. “Was
ist euer Leben? Ein Rauch seid ihr, der eine kleine Zeit bleibt und dann
verschwindet.”

Das nötigt uns, wenn wir es denn ernst nehmen wollen, zu einer
grundlegenden Revision unserer gängigen Anschauung. Danach haben
wir Zeit; unser Terminkalender, den wir mit uns herumtragen, ist der
Repräsentant dieser Zeit. Fragt mich jemand, ob ich zu einem bestimmten
Zeitpunkt mich mit ihm verabreden kann, dann sage ich: Einen Moment,
ich muß erst in meinem Kalender nachschauen. Wenn ich nicht schon
einen Termin habe, werde ich gerne kommen. Aber das ist, wenn wir Jakobus
folgen, nur eine sehr oberflächliche Anschauung. Sehen wir genauer
zu, dann muß sich unser Verhältnis zur Zeit umkehren. Sie
hat uns, die Zeit. Und wir selbst sind in dieser Zeit nur dieser kurze
Zwischenfall, ein Rauch, ein Nebelwölkchen, von dem man absehen
kann, wann es die aufsteigende Sonne verschwinden läßt. Es
ist also nicht so, daß wir selbst der feste Punkt sind, von dem
aus dann die verfließende Zeit wahrgenommen und durch unser Tun
gefüllt werden kann. Diese verfließende Zeit nimmt uns mit
und läßt uns dann irgendwann – nicht lange wird das dauern
– zurück. Wir können uns zwar auch so denken: Ich überblicke
die kommende Zeit und kann sie nach meinem Belieben und meinen Bedürfnissen
füllen: Morgen bin ich dort, und übermorgen werde ich das tun,
und in einem Jahr werde ich es geschafft haben, wie die Handelsherren
des Jakobus. In solchem Denken ist die Zeit außer uns und wir verfügen über
sie wie über unseren Terminkalender. Aber in Wahrheit ist es die
Zeit, die über uns verfügt. Als leibhafte Menschen sind wir
eingebunden in diese Zeit. Mit jedem Atemzug, mit jedem Pulsschlag können
wir es fühlen, wie uns die Zeit mitnimmt.

Das ist eine Erfahrung, die Jede und Jeder machen kann. Unbestreitbar
ist das, daß uns als leibhafte Menschen die Zeit mitnimmt. Und
gerade so werden wir nicht nur bestimmt, sondern auch verändert
durch diese Zeit. Wir brauchen uns das nicht erst einzureden; daß es
so ist, das sehen wir. Und noch so verlockende Antiaging-Programme können
das nicht zudecken. Auch das gehört zu den Denkanstößen
des Jahreswechsels, diese Erfahrung ins Auge zu fassen. Jakobus hilft
uns dazu, wenn er auf das Rauchwölkchen hinzeigt, das wir sind.
Nicht ich, der ich mich als einen denke, der Zeit hat und über diese
Zeit verfügt, bin der feste Punkt, von dem aus die Zeit in ihrem
Verfließen wahrgenommen werden kann. Ich werde mitgenommen, und
die Zeit bestimmt über mich und bringt mich nicht nur den Zielen
entgegen, die ich mir gesetzt habe – wenn denn nichts dazwischen kommt.
Sie bringt mich auch dem Zeitpunkt näher und näher, wo meine
Zeit ihr Ende findet.

Der Zeit hat im vollen Sinne des Wortes, das ist Gott selbst. Er ist
der Herr der Zeit, der diese Zeit füllt mit dem, was er will und
schafft. Darum die Mahnung: “Dagegen solltet ihr sagen: Wenn
der Herr will, werden wir leben und dies oder das tun.”
Unser
Leben, eingebunden in die verfließende Zeit, ist bestimmt durch
Gottes Willen, der diesem Leben Anfang, Verlauf und Ende gesetzt hat,
wie das sein Wille ist. Oberflächlich geredet wäre es, wenn
ich sagte: “Ich führe mein Leben so, wie ich das für richtig
halte. Ich habe meinen Lebensplan bis hin zur Alterssicherung ausgearbeitet,
und wenn mir nichts dazwischen kommt – toi toi toi – wird es auch so
laufen.” Vielmehr sollte ich sagen: “Mein Leben wird geführt durch
den Herrn, der mir dieses Leben gegeben hat, der es bestimmt und ihm
nach seinem gnädigen Willen ein Ende setzen wird.”

Daß es so ist, erfahren wir auf Schritt und Tritt. Ich habe mir
nicht ausgesucht, daß ich überhaupt lebe. Ich habe mir meine
Eltern nicht ausgesucht und nicht den Ort und die Zeit meiner Geburt.
Mein Lebensweg wurde sicher auch immer wieder durch meine Entschlüsse
und Entscheidungen bestimmt. Aber die mußten sich doch zwangsläufig
nach den Umständen richten, in denen ich mich vorgefunden habe.
Und diese Umstände habe nicht ich mir ausgedacht und gestaltet.
Sondern seit ich mich selbst als lebendigen Menschen wahrgenommen habe,
bin ich in diesen ganz bestimmten Umständen gewesen und bin von
ihnen mitgenommen worden. Gute Zeiten waren das und schlimme Zeiten,
Zeiten des Glücks wie Zeiten des Schmerzes. Manchmal ist es wie
von selbst gelaufen. Schritt für Schritt konnte ich weiter kommen,
ohne daß das Mühe machte. Ich habe es kaum bemerkt. Aber dann
habe ich mich auch gestoßen, bin gestolpert, bin gefallen. Und
konnte auch wieder aufstehen und weiter machen. Ein Glück ist es,
daß ich nicht allein gehen mußte, daß liebe Menschen
mich begleitet, mir geholfen, mich gestützt haben. War das mein
Wille, mein Entschluß, daß es gerade diese und diese Menschen
gewesen sind? Sicher nicht; sie sind mir begegnet. Ich bin dankbar, daß ich
mit ihnen zusammengeführt wurde, eine kleinere oder auch eine große
Strecke meines Weges in der Zeit mit ihnen teilen kann. Töricht
wäre es und bloße Einbildung, wenn ich sagte: “So habe ich
es gewollt und darum ist es auch so gelaufen.” Das wäre jenes übermütige
Rühmen, das Jakobus an seinen Handelsherren tadelt, die er uns als
ein Beispiel dafür vorstellt, wie wir es gewiß nicht machen
sollten. Nein! Daß es so gekommen ist, das verdanke ich dem, der
mein Leben geführt hat in all den Zeiten, die ich erlebte, an die
ich mich erinnere, oder die ich vergessen und vielleicht sogar verdrängt
habe, weil ich da nicht die Rolle gespielt habe, in der ich mich gerne
sehe. Auch da war er dabei, und nichts ist vor ihm verborgen.

“Wenn der Herr will, werden wir leben und dies oder das tun.” Was
für die Zeit bisher gilt, das abgelaufene Jahr 2003 und all die
Jahre vorher, an die ich mich erinnere, das gilt auch für das kommende
Jahr und all die Jahre, die ihm folgen werden: Zeit ist das, die Gott
gewollt hat, auch für mich gewollt hat. Zeit wird es sein, die Gott
will, auch für mich will, solange es ihm gefällt, mein Leben
zu erhalten und zu führen. Weil ich das erfahren habe, ist dann
auch klar und eigentlich selbstverständlich: Dies oder das, was
wir uns vornehmen, für heute und morgen und dieses kommende Jahr
2004, das können dann nicht einfach beliebige Ziele und Vorhaben
sein. Ich werde mich natürlich bereden mit denen, die mir nahe stehen,
mit denen, die mit dabei sein sollen bei dem, was ich vorhabe. Aber erst
recht werde ich mich mit dem bereden, der mein Leben führt. Wie
ich ihm danken kann für die lange Strecke Weges, die er mich bis
hierher gebracht hat, so werde ich ihn bitten für den Weg, der vor
mir liegt. Wenn es ein gutes neues Jahr werden soll, dieses Jahr 2004,
das vor uns liegt, dann doch so, daß dies oder das, was wir tun
werden, nach seinem Willen getan wird. Das heißt dann nicht nur,
daß wir uns gewiß nicht vorsetzen wollen, was er verabscheut
und verbietet. Es heißt auch, daß wir uns gerne auf das einlassen,
was von ihm kommt.

Als Buben haben wir in dem kleinen Dorf auf der Schwäbischen Alb,
in dem ich meine ersten Lebensjahre verbrachte, “Neujahr” gewünscht.
Wir haben mit unseren Käpseles-Pistolen vor der Haustür oder
auf der Treppe geknallt und dann den Leuten, die herauskamen, gesagt
: “Ich wünsch Dir ein gutes Neues Jahr, Gesundheit, den Frieden
und den Heiligen Geist.” Dafür haben wir ein paar Süßigkeiten
oder auch Pfennige gekriegt. Verstanden habe ich diesen Wunsch damals
sicher nicht. Aber die Worte sind mir geblieben. “Wenn der Herr will
und wir leben, werden wir dies oder das tun”: das ist eine Umschreibung
für diesen Wunsch. Gesundheit und Frieden sind die persönliche
und die gemeinsame Voraussetzung für all das, was wir uns vornehmen
können. Die Gabe des Heiligen Geistes aber soll das, was da als
das Neue Jahr kommt, auf Gott beziehen und von ihm her durchsichtig machen.
Sicher ist das dann noch sehr allgemein geredet; das tut Jakobus ja auch.
Aber wenn uns Gottes Geist das erhellt, was auf uns zukommt, dann wird
er uns dieses kommende Jahr von dem her sehen lassen, der alle Zeit bestimmt.
Wir zählen unsere Jahre ja immer noch nach Christi Geburt, und reden
darum auch vom Jahr des Herrn 2004. Soll das nicht nur eine unverbindliche
Floskel sein, dann wirft diese Bezeichnung ein Licht auf all das, was
dieses Jahr bringt. Allerhand Zeiten und Umstände können wir
voraussehen und uns in dem, was wir vorhaben, darauf einstellen. Aber
weil auch das kommende Jahr ein Jahr des Herrn ist, gilt da nicht nur
der Vorbehalt unseres Planens, daß uns nicht höhere Gewalt
dazwischen kommt. Vielmehr wissen wir uns samt der verfließenden
Zeit dieses Jahres durch ihn bestimmt, getragen und geführt. Er
erleuchte uns durch seinen Geist, daß wir das nicht nur allgemein
sagen können, sondern es auch von Zeit zu Zeit erfahren, daß unsere
Zeit in seiner Zeit geborgen ist.

Amen

Prof. Dr.Friedrich Mildenberger
Rehweiherstraße 7 91056 Erlangen
eMail: mildenberger-kosbach@t-online.de

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