Jeremia 23,16-29

Home / Kasus / 1. So. n. Trinitatis / Jeremia 23,16-29
Jeremia 23,16-29

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


1. Sonntag nach
Trinitatis

25.6.2000
Jeremia 23,16-29

Heinz Janssen


Vom wahren Wort Gottes oder: Wider das
Gottesgeschwätz

Predigttext (Übersetzung nach Martin Luther, Rev.
1984):

16 So spricht der HERR Zebaoth: Hört nicht auf die Worte der
Propheten, die euch weissagen! Sie betrügen euch; denn sie verkünden
euch Gesichte aus ihrem Herzen und nicht aus dem Mund des HERRN.
17 Sie
sagen denen, die des HERRN Wort verachten: Es wird euch wohlgehen -, und allen,
die nach ihrem verstockten Herzen wandeln, sagen sie: Es wird kein Unheil
über euch kommen.
18 Aber wer hat im Rat des HERRN gestanden,
daß er sein Wort gesehen und gehört hätte? Wer hat sein Wort
vernommen und gehört?
19 Siehe, es wird ein Wetter des HERRN kommen
voll Grimm und ein schreckliches Ungewitter auf den Kopf der Gottlosen
niedergehen.
20 Und des HERRN Zorn wird nicht ablassen, bis er tue und
ausrichte, was er im Sinn hat; zur letzten Zeit werdet ihr es klar erkennen.

21 Ich sandte die Propheten nicht, und doch laufen sie; ich redete nicht zu
ihnen, und doch weissagen sie.
22 Denn wenn sie in meinem Rat gestanden
hätten, so hätten sie meine Worte meinem Volk gepredigt, um es von
seinem bösen Wandel und von seinem bösen Tun zu bekehren.
23 Bin
ich nur ein Gott, der nahe ist, spricht der HERR, und nicht auch ein Gott, der
ferne ist?
24 Meinst du, daß sich jemand so heimlich verbergen
könne, daß ich ihn nicht sehe? spricht der HERR. Bin ich es nicht,
der Himmel und Erde erfüllt? spricht der HERR.
25 Ich höre es
wohl, was die Propheten reden, die Lüge weissagen in meinem Namen und
sprechen: Mir hat geträumt, mir hat geträumt.
26 Wann wollen doch
die Propheten aufhören, die Lüge weissagen und ihres Herzens Trug
weissagen
27 und wollen, daß mein Volk meinen Namen vergesse
über ihren Träumen, die einer dem andern erzählt, wie auch ihre
Väter meinen Namen vergaßen über dem Baal?
28 Ein Prophet,
der Träume hat, der erzähle Träume; wer aber mein Wort hat, der
predige mein Wort recht. Wie reimen sich Stroh und Weizen zusammen? spricht der
HERR.
29 Ist mein Wort nicht wie ein Feuer, spricht der HERR, und wie ein
Hammer, der Felsen zerschmeißt?

Predigt

Liebe Gemeinde!

Warnung vor den Propheten! – So könnte die Überschrift
über den heutigen Predigttext lauten. Möglich wäre auch diese:
Vom wahren Wort Gottes oder: Wider das Gottesgeschwätz. -Jeremia, selbst
ein Prophet, musste sein Volk im Namen Gottes vor den falschen Propheten warnen
– zugunsten des wahren Wortes Gottes, das wegweisend ist, auch wenn es wehtun
kann, und wider das Gottesgeschwätz, das in die Irre führt, nicht
wehtut, aber die Hörenden leer ausgehen läßt. Er, Jeremia, war
zum Außenseiter geworden, weil er im Gegensatz zu den vielen anderen
Propheten seinem Volk nichts Angenehmes ankündigte, nicht Wohlergehen,
sondern schwere Zeiten in Aussicht stellte.

I.
Jeremia kann das Volk nur noch warnen vor
jenen Heilspropheten: ‘Sie betrügen euch; denn was sie
verkündigen, sind ihre Wunschgedanken und entspricht nicht dem, was Gott
euch sagen will. Sie sagen denen, die Gottes Wort verachten: Es wird euch
wohlgehen-, und allen, die sich versteifen auf ihre eigene Sicht der Dinge,
sagen sie: Es wird kein Unheil über euch kommen…sie lügen in Gottes
Namen und – um ihren Worten göttliche Autorität zu verleihen –
behaupten sie: Mir hat geträumt, mir hat geträumt.’ Jeremia sind
diese Worte, die Gott ihm, seinem Boten aufgetragen hatte, nicht leicht
gefallen. Er war überhaupt nicht der Mensch, dem das Wort GOTT und sein
Wort leicht über die Lippen gingen. Schon bei seiner Berufung zum
Propheten sträubte er sich: ‘Ach, mein Gott, ich bin doch völlig
untauglich, um zu predigen; denn ich bin noch zu jung’ (1,6). Wie kein
anderer litt er unter der Last dessen, was ihm als Prophet offenbar wurde:
‘Wie ist mir so weh! Wie klopft mein Herz, und ich finde keine Ruhe…Denn
ich sehe Unglück über das ganze Land kommen…Aber mein Volk ist toll
und glaubt mir nicht. Dumm sind sie und merken nichts; große Könner
sind sie jedoch darin, Übles zu tun, aber rechttun wollen sie nicht
lernen.’ (4,19-22) Jeremias erste Schriftrolle war voller
Unheilsankündigungen, die das Volk aber zur Besinnung rufen sollten. Der
judäische König Jojakim hatte diese Schriftrolle im Jahre 605 v.Chr.
verbrannt. Bestimmt hätte Jeremia lieber von einem
„Schönwettergott“ als von dem des „zornigen Unwetters und
Gewitters“ geredet (23,19f.). Was brachte ihm seine Botschaft ein? –
Ablehnung und Verachtung, Schläge und Gefängnis. So geschehen, als
Jeremia die Zerstörung Jerusalems ankündigen musste: Als Paschhur,
der Priester, die Worte Jeremias hörte, schlug er den Propheten Jeremia
und schloß ihn in den Block am oberen Benjamintor beim Tempel. (20,1f.)
In seinem Heimatort Anatot musste er von seinen eigenen Mitbürgern
Morddrohungen entgegennehmen: ‘Hör auf, so im Namen Gottes zu
predigen, sonst bringen wir dich um!’ (11,21) Nein, Jeremia war kein
Erfolgsprediger im herkömmlichen Sinn, viele erklärten ihn für
„meschugge“ und verspotteten ihn. Es gelang, ihn auszuschalten und
zuletzt nach Ägypten zu verschleppen. Ja, Jeremia hat seine prophetische
Existenz oft als Last, zuweilen sogar als Verführung durch Gott empfunden
(20,7). Er hat so darunter gelitten, daß ihn Christen später mit
Jesus verglichen. Jeremia, der sich mit seinem Volk innigst verbunden
fühlte, konnte es von der Wahrheit des Wortes Gottes nicht überzeugen
und ihm vermitteln, daß Gottes Wort für die Menschen ist und
nicht gegen sie. Für Jeremias gegnerische Propheten wird sich erst noch
zeigen müssen, ob ihre Predigten wirklich Gottesgeschwätz und damit
leeres Gerede waren. Bis dahin mußte Jeremia damit leben, selbst für
einen Schwätzer und Schwarzseher gehalten zu werden.

II.
Wenn doch die wahren von den falschen
Propheten so einfach zu unterscheiden wären! Aber die Unterscheidung
zwischen dem wahren Wort Gottes und der Geschwätzigkeit im Namen Gottes
ist – wie wir am Beispiel Jeremias, aber auch heute und nicht zuletzt in
unserer Kirche sehen – keineswegs leicht und eindeutig. Habe ich, wenn ich das
Wort Gottes, das Evangelium zu hören meinte, vielleicht nur gehört,
was ich schon immer gern hören wollte? Habe ich meine eigenen
Wunschgedanken und Träume verwechselt mit dem, was Gott mir sagen
möchte? Und wenn ich in Gottes Namen jemanden etwas sagen wollte, habe ich
ihm nur meine Sicht der Dinge, meine ganz private Meinung mitgeteilt? –
Es ist gut und ganz im Sinne Jeremias, wenn wir so kritisch uns selbst und auch
andere fragen. Hat nicht der zeitgenössische Schriftsteller Arnim Juhre
recht, wenn er mahnt: „Sing nicht so schnell dein Glaubenslied, sing nicht
so laut, so grell. Der Glaube trägt ein schweres Kleid aus
Gnadenglück und Sterbeleid. Vielleicht kommt er dir nahe, vielleicht
bleibt er dir fern…“ Und bei Jeremia hören wir: „Bin ich nur
ein Gott, der nahe ist, und nicht auch ein Gott, der ferne ist?“ (23,23)
Seinen Gegnern muss Jeremia vorhalten: „Aber wer hat im Rat des HERRN
gestanden, daß er sein Wort gesehen und gehört hätte? Wer hat
sein Wort vernommen und gehört?“ (23,18) Hätten sie im Rat
Gottes gestanden – so argumentiert Jeremia weiter – hätten sie den Leuten
nicht nach dem Mund geredet, hätten sie das Volk im Namen Gottes zur
Besinnung, zur Umkehr aufgerufen (23,32). Welch schlimme Folgen heute sich
politisch oder religiös gebende Verhaltensweisen haben, wenn sie sich
nicht von Wahrheit, sondern vom Beifall der Menge leiten lassen, können
wir von daher nur ahnen. Der Prophet Jeremia war seinen Zeitgenossen unbequem,
weil er trotz eines blühenden wirtschaftlichen Lebens und eines
üppigen religiösen Kultes seinem Volk ankündigte, dass es so
nicht weitergehen kann. Das Volk wird Gottes Gericht im feindlichen Ansturm des
babylonischen Königs Nebukadnezar erleben, wenn weiterhin die Gebote
Gottes verachtet und das darin gewiesene Recht gegenüber den Armen mit
Füßen getreten wird. Dem Armen zu seinem Recht verhelfen und Gottes
Thora halten sind für Jeremia und für die in seiner Tradition
stehenden Propheten ein und dasselbe (vgl. 22,16).

III.

So mahnt der Prophet Jeremia, auf das
Wort Gottes zu hören – in wacher Zeitgenossenschaft, den Geboten Gottes
nachzudenken und einander dabei nicht aufzugeben, sie wie Maria im Herzen
bewegen. Vom Wort Gottes hören wir bei Jeremia, dass es wie ein Feuer ist
und wie ein Hammer die Kraft hat, sogar Felsen zu zerschmeißen. Also kann
es doch auch mich aus der Kälte herausholen und aus jeglicher
Versteinerung befreien und zur Lebendigkeit verhelfen! Lernen möchte ich
von Jeremia: Geschichte im Großen wie im Kleinen ist nicht nur Schicksal
und von vornherein planmäßig festgelegt, sondern veränderbar.
Ja, Besinnung und Umdenken sind möglich. Kritik, und sei sie noch so
unbequem, hieß für Jeremia nicht: die Kritisierten festzulegen. Und
trösten bedeutete für ihn nicht: billigen Optimismus zu
versprühen im Sinne von: „Es wird euch wohlgehen“ und: „Es
wird kein Unheil über euch kommen“, es wird schon nicht alles so
schlimm sein, wie jene falschen Propheten immer wieder betonten (23,17). Die
Wahrheit der prophetischen Botschaft entscheidet sich eben nicht an der
Stärke des Beifalls und dem Zustrom des Publikums. Falsch ist es und
Geschwätz, zuweilen auch frommes Geschwätz, wenn uns jemand nach dem
Mund redet und damit uns im Grunde ja gar nicht wirklich meint, es ihm um uns
gar nicht zu tun ist. Und wenn wir keine unmittelbaren Weisungen von Gott
erhalten, keine „Stimme aus den Wolken“ hören, und Gott durch
unsere Gefühle oder in unseren Träumen nicht zu uns gesprochen hat?-
In solchem Hin- und Hergerissensein laßt es uns mit Jeremia halten, als
er sich auf den Ton des Lobes Gottes einstimmen und aussprechen konnte:
„dein Wort ist meines Herzens Freude und Trost“ (15,16). Der
angefochtene, bedrängte Mensch des 73.Psalmes scheint sich an diese Worte
Jeremias erinnert zu haben, als er betete: „Aber das ist meine Freude,
daß ich mich zu Gott halte und meine Zuversicht setze auf Gott…“
(V.28). Gott kann unverständlich und rätselhaft für uns werden,
aber er engt uns nicht ein. Gott gibt uns viel Spielraum und Handlungsfreiraum.
„Es ist kaum auszudenken“, schrieb einmal Jörg Zink, „was es für
die Menschheit, auch für die Menschen in unserem Land, bedeuten
könnte, wenn die Christen die Probleme dieser Zeit mit neuen, offenen
Augen anschauten und dann sagten: Im Namen Gottes. Wir gehen einen anderen,
einen neuen Weg. Wir lassen unsere Gewohnheiten, unsere Ansprüche und
unsere Gedankenlosigkeit hinter uns und gehen, ärmer, aber von Hoffnung
getragen und vom Geist Gottes geführt, in eine offene Zukunft.“
Jeremia, jener Außenseiter unter den Propheten, macht uns Mut, angesichts
unserer vielfältigen, oft bedrängenden und unsicheren
Lebenssituationen auf Gottes Wort immer wieder neu zu hören und seiner
Wahrheit auch für unser Leben – im persönlichen und öffentlichen
Bereich – zu vertrauen.

Amen.

Pfarrer Heinz Janssen
Lehrbeauftragter für Altes
Testament
Anschrift: Karl-Ludwig-Str. 8a
69117 Heidelberg
e-mail: providenz@aol.com

de_DEDeutsch