Jeremia 23,5-8

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Jeremia 23,5-8

1. Advent

Predigt zu Jeremia 23,5-8

verfasst von Hans Theodor Goebel, Köln


Sieh es kommen Tage – ist der Spruch des HERRN – da werde ich dem David einen gerechten Spross erwecken. Und er wird als König königlich regieren und es wird ihm mit Weisheit gelingen und er wird schaffen Recht und Gerechtigkeit im Land.
In seinen Tagen wird Juda geholfen werden und Israel sicher wohnen. Und dies ist sein Name, bei dem sie ihn rufen werden: Der HERR unsre Gerechtigkeit.
Darum sieh es kommen Tage – ist der Spruch des HERRN – da werden sie nicht mehr sagen: So wahr der HERR lebt, der die Kinder Israel heraufgeführt hat aus dem Land Ägypten.
Sondern: So wahr der HERR lebt, der heraufgeführt und heimgebracht hat den Samen des Hauses Israel aus dem Land des Nordens und aus allen Ländern, wohin ich sie verstoßen hatte. Und sie bleiben wohnen auf ihrem Ackerboden.

1.
Die Worte des Propheten Jeremia reden von kommenden Tagen.
Sie rufen Sehnsüchte wach. Sehnsüchte aus tiefen Brunnen. Nach einem König, der wirklich König wäre und königlich regierte. Der es mit Weisheit anginge. Und dem es gelänge. Recht und Gerechtigkeit aufzurichten im Land. Und dass Israel sicher da wohnte.
Und mit Israel zusammen dann auch seine palästinensischen Nachbarn, von denen heute noch viele in Flüchtlingslagern leben.
Was für eine Sehnsucht für Jerusalem und Tel Aviv, für Gaza, für Bethlehem und Ramallah und die ganze Westbank des Jordan.
Unter der Herrschaft dieses Königs wären die Juden aus allen Ländern der Vertreibung und Zerstreuung heimgebracht.
Wenn der HERR die Gefangenen Zions erlösen wird, dann werden wir sein wie die Träumenden, dann wird unser Mund voll Lachens und unsre Zunge voll Rühmens sein …

Dann würde sich wohl auch die Weissagung früherer Propheten für die anderen Völker erfüllen:
Und zur letzten Zeit werden viele Völker hingehen und sagen: Kommt, lasst uns auf den Berg des HERRN gehen, zum Hause des Gottes Jakobs… Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.

Solche Sehnsüchte können in uns zum Schwingen kommen.
Angesichts dessen, was wir täglich weltweit erfahren und manches auch nah. Unrecht und Ungerechtigkeit. Krieg und Vertreibung, Terroranschläge und Bombenanschläge, die nicht verschwinden von der Tagesordnung unsrer Welt.

Sehnsüchte gerade in diesem grauen November. Mit seinen Gedenktagen:

Vor einer Woche, am Totensonntag, standen manche von uns an den Gräbern lieber Menschen, die von ihnen gegangen sind. Der Verlust tut noch weh.

Vor vierzehn Tagen, am Volkstrauertag, haben wir an die Toten der Kriege gedacht, von denen in manchen Wohnungen noch Bilder hängen und von denen Alte noch zu erzählen haben als von ihrem eigenen Leben.

Noch ein paar Tage früher ist in der Synagoge unsrer Stadt und an anderen Orten unseres Landes öffentlich an den 9. November 1938 erinnert worden. Damals klirrten in Deutschland die Scheiben. Die Judenverfolgung und Ausrottung erreichte einen ersten Höhepunkt – heute dürfen wir nicht übersehen, dass antisemitische Sprüche wieder Gehör finden. Und fremdenfeindliche Parolen. Bis in die letzten Kommunal- und Landtags-Wahlen hinein. Am Samstag vor dem Volkstrauertag sind am Friedhof im brandenburgischen Halbe tausend Neonazis zu einem „Heldengedenktag“ für Tote der SS und der Wehrmacht aufmarschiert und haben in ihren Reden Joseph Goebbels zitiert.

Ach, dass Recht und Gerechtigkeit aufgerichtet würden im Land und es einem weisen König gelänge. Ach dass wir frei würden von aller Todesgewalt. Und die mit Tränen gesät haben, nun mit Freuden ernten könnten.
Ach, dass es so wäre!

2.
Aber ach, die Tage, die nach der Prophezeiung kommen sollten, sind nicht gekommen.
„…heile mich, HERR, – ruft der Beter des sechsten Psalms – denn meine Gebeine sind erschrocken und meine Seele ist sehr erschrocken. Ach du, HERR, wie lange?

Die Tage, die der Prophet Jeremia selbst erlebt, sind anders als die, die kommen sollen. Könige, die im Land regieren, sind alles andere als weise. Einem von ihnen hält er vor: Dein Vater „half dem Elenden und Armen zu seinem Recht. Aber deine Augen und dein Herz sind auf nichts anderes aus als auf ungerechten Gewinn und darauf, unschuldiges Blut zu vergießen, zu freveln, zu unterdrücken.
Wie wenig hat sich geändert in unserer Weltgeschichte.

Und was ruft Jeremia über die Herrschenden in seinem Volk aus:
Hoj – weh euch Hirten, die ihr die Herde meiner Weide umkommen lasst und zerstreut, ist der Spruch des HERRN.

Keine Zweifel. Den Gott, der da rein schlägt, richtet, verstößt, hat Jeremia angekündigt. Eine Zeit lang wohl noch mit der Hoffnung, es möge Umkehr geben bei denen, die herrschen über das Volk. Aber zuletzt sind die nicht umgekehrt und kehren nicht um.

Und da nun klingen in der Botschaft, die Gott den Propheten ausrichten lässt, diese Töne der Verheißung auf. Töne, die Sehnsüchte aufwecken. Die reden von kommenden Tagen. Wo Gott, der Gott Israels selbst, nicht weiter dreinschlägt und verstößt, sondern den weisen König erweckt, der Recht und Gerechtigkeit aufrichtet im Land und wo Gott heimbringt und ohne Schrecken im Lande bleiben lässt, die er selbst verstoßen hatte.

3.
Wer ist der König der kommenden Tage – dieser Davidsspross? Wir wissen nicht, wen der Prophet Jeremia gemeint hat. Vielleicht wusste er selbst nicht, wen konkret er da im Auftrag Gottes ankündigte.

Wir sehen auch keinen in der Geschichte Israels und der Völker, auf den diese Weissagungen passten und der sie erfüllt hätte. Keiner von allen, die bisher gekommen sind, füllt den weiten Mantel dieser Verheißungen ganz aus. Angesichts von Gewalt und Tod und Unterdrückung schreien Israel und die Völker noch immer und immer wieder nach Gerechtigkeit. Auch wenn es unter allen, die geherrscht haben, nicht gleich schlecht war und Jeremia früher auch einen mehr gerechten König erlebt hat.

Es hat doch bisher kein Heilskönig soziale Gerechtigkeit für alle geschaffen und Krieg und Vertreibung gebannt für immer.
Vielmehr – manche, die den Himmel auf Erden wollten, brachten die Hölle. So ist es dann geschehen in der Geschichte des Christentums.

Ist das alles, was wir zu sagen haben in dunkler Zeit?
Es ist daran nichts abzustreichen. Wir können unsre Welt nicht schön reden.
Jeremia ist in der Katastrophe, die er angekündigt hat, selbst verloren gegangen. Aber die Worte vom Heil, die Gott durch seinen Propheten gesprochen hat, die sind aufbewahrt worden. Menschen haben sie aufbewahrt bis auf den heutigen Tag als einen Schatz. In der Bibel Israels und der christlichen Kirche. In diesen Worten haben sie das Versprechen Gottes aufbewahrt, ein Versprechen auf Zukunft.

Jeremia gibt in diesen Worten einen Hinweis, der weiterführen kann.
Sie werden, so sagt er, den König der kommenden Tage bei seinem Namen rufen. Und der heißt:
Der HERR unsre Gerechtigkeit.

Dieser Name bezeichnet eine Umkehrung. Mit dem verheißenen König kommt die Gerechtigkeit. Aber sie kommt jetzt von Israels Gott selbst. Die Gerechtigkeit, die er vergebens beim Volk und seinen bisherigen Königen gesucht hatte und hatte sie verstoßen wegen ihrer Ungerechtigkeit – diese Gerechtigkeit kommt bei dem kommenden König von Gott selbst.
Er ist unsre Gerechtigkeit. Das geschieht, wenn dieser König regiert. Dieser König maßt sich das nicht selbst an. Sondern von sich aus ist Gott Bestandteil dieses Königsnamens: Gott ist unsere Gerechtigkeit.
Und noch etwas kommt dazu: Auch wir sind Bestandteil dieses Königsnamens: Gott unsere Gerechtigkeit. So kommen Gott und wir hier in diesem Namen zusammen. Gott unsere Gerechtigkeit. Er unser Friede. Wir von ihm und bei ihm aufgehoben.
Das ist der Namen, bei dem sie diesen König rufen werden.

Wir Christen denken bei diesem Namen an den, der gerufen hat: Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken. So rufen wir ihn dann auch: Jehoschua – Jesus – der HERR ist Hilfe.

Von ihm heißt es: Als er das Volk sah, jammerte es ihn; denn sie waren verschmachtet und zerstreut wie die Schafe, die keinen Hirten haben.
In seinem Namen – so glauben wir – umgreift Gottes Verheißung an das Volk Israel uns mit.
Und als eine Gemeinde warten wir Christen mit Israel zusammen auf den, der kommt und kommt uns selbst entgegen im Wort der Verheißung.

4.
Der da kommt. In dessen Gesicht, wie wir glauben, Gott sein Gesicht schon unter uns Menschen gezeigt hat. Wie erfüllt er unsre Sehnsüchte?
Nicht erfüllt er sie als ein Märchen- und Wunderkönig. So wollten sie Jesus schon damals zu einem König machen, bei dem sie wunderhaft Brot zu essen bekämen für alle Zeit. Aber Jesus entzog sich ihnen. Er lief ihnen davon, wie das Johannes-Evangelium erzählt.

Er erfüllt auch nicht die Sehnsüchte nach einem starken Mann, der in Zeiten der Not alles nach dem Maßstab seiner Macht in Ordnung bringt. Es sind politische Verführer und Verführte, die nach dem starken Mann rufen.

Jesus ist dieser starke Mann nicht, viel eher der schwache Mensch. Das Schild „König der Juden“ hängt über seinem Kreuz. Da, wo er am schwächsten war. Da ist er ist unser Friede. Der König auf dem Esel. Und in ihm Gott unsre Gerechtigkeit. So lässt er uns leben.

5.
Und wir schreien doch: Wo bleibst du Trost der ganzen Welt? Die Zeit der Ungerechtigkeit und des Todes zieht sich hin. Wann, HERR, erweckst du den gerechten Spross Davids?
Vielleicht hilft uns das Bild zum Verstehen:
Bleibt nicht manchmal der Spross lange dunkle Zeit in der Erde und wir sehen keine Spitze, die Leben verrät. Und es lebt doch und kommt ans Licht, was Gott sprossen lassen will.
Gott will aber in dieser Zeit des Wartens auch uns wachsen lassen. Wie denn? Indem wir uns ausstrecken zu ihm hin. Seinem Kommen entgegen. Indem wir beten, schreien nach der Gerechtigkeit und selbst das Gerechte tun. Empfindlicher werden für das, worunter Menschen leiden im gemeinsamen Leben, und aufmerksamer gegenüber Unrecht und Ungerechtigkeit.

Er kommt, um Recht und Gerechtigkeit auf unsrer Erde zu schaffen. Wir warten. Aber er zieht uns schon hinein in sein Kommen. Amen.


Hans Theodor Goebel, Köln
HTheo_Goebel@web.de


Verwendete Literatur:
Gerhard von Rad, Theologie des Alten Testaments. Bd. II. Die Theologie der prophetischen Überlieferungen Israels, München 1960.
Wilhelm Rudolph, Jeremia, Handbuch zum AT, Tübingen 21958.
Artur Weiser, Das Buch des Propheten Jeremia, ATD, Göttingen 41960.
Siegfried Herrmann, (Predigtmeditation) 1. Advent – 29.11.1992, Jeremia 23,5-8, in: GPM 47, 1992, 2-7.
Lothar Vosberg, (Predigtmeditation) 1. Advent – 29.11.1998, Jeremia 23,5-8, in: GPM 47, 1998 8-13.
Roland Gradwohl,“Gott ist unsere Gerechtigkeit“ Jer 23,5-8, in: Ders., Bibelauslegung aus jüdischen Quellen. Band 1: Die alttestamentlichen Predigttexte des 3. Jahrgangs, Stuttgart 1986, 197-207.

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