Johannes 12, 12-19 (26)

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Johannes 12, 12-19 (26)

Liebe Gemeinde,

wir haben es eben in der Lesung gehört – Jesu großer Auftritt in Jerusalem, unter Jubelrufen hatten sie ihn in Jerusalem empfangen, wie einen König, sie hatten ja viel von ihm gehört, auch gesehen, was er für Wunder tat. Die Auferweckung des Lazarus….. – davon zu hören, ja sogar dabei gewesen zu sein, das hatte die Menge der Leute anschwellen lassen und neugierig, gespannt gemacht auf weitere Taten, wenn wir dem Bericht des Johannes folgen.
So heißt es bei ihm:
Darum ging ihm auch die Menge entgegen, weil sie hörte, er habe dieses Zeichen getan.

Unser Evangelist macht durch die Wahl seiner Worte – so glaube ich -keinen Hehl daraus, dass er skeptisch auf so viel Begeisterungsfähigkeit schaut.
Die Pharisäer – so heißt es bei ihm – sehen ebenso skeptisch und auch ein wenig resigniert auf das Getümmel der Menschen um Jesus:
„Alle Welt läuft ihm nach!“ sagen sie.

Und so verbreitet sich beim Evangelisten Johannes eine ganz andere Atmosphäre beim Einzug Jesu in Jerusalem als bei den anderen Evangelisten.
Johannes malt die Stimmung des Volkes beim Einzug in Jerusalem in den Farben eines in die Stadt einziehenden Zirkusses und Jesus inmitten, ein Zauberer, mit Hut auf, und schon warten die Leute auf das nächste Zeichen, drängen sich als Zuschauer auf die Strasse!

Und nun tauchen im Predigttext für den heutigen Sonntag besondere Leute auf, sogenannte Griechen, die auch zum Passahfest nach Jerusalem gekommen waren, keine Juden, aber doch Menschen, die vom Glauben der Juden angezogen waren, aus welchen Gründen auch immer, sogenannte Gottesfürchtige, Griechen, die am Gottesdienst der Juden teilnehmen wollten.
Die hatten wohl in diesen Tagen von Jesus und seinen Taten gehört und wenden sich nun an einen der Jünger Jesu, an Philippus, und sagen:
„Herr, wir wollen Jesus gerne sehen!“

Und dann beginnt eine ganz seltsame Szene, ich zumindest erlebe sie so.
Keine Rede davon, dass nun Philippus sofort losläuft, um das Interesse der Griechen zu befriedigen, könnte er doch stolz und froh sein, dass auch Fremde seinen Meister sehen wollen,

oder: ist er vielleicht unsicher, ob denn die Menschen aus den Heidenvölkern so einfach vor seinen Herrn treten dürfen?…

oder: traut er vielleicht nicht den redlichen Absichten dieser fremden Herren….?…

Das bleibt im Dunkeln, …. zumindest stellt er sie zunächst ins Wartezimmer und bittet sie, noch etwas Geduld zu haben, läuft dann zum nächsten Jünger, zu Andreas und berichtet dem wohl vom Begehren der Griechen.
Und dann erst, als hätte er sich zunächst mit diesem beraten müssen, ob das Anliegen wohl rechtens und ungefährlich sei, gehen sie beide und bringen das Anliegen der Griechen vor Jesus.

Eine komische Stafette, finde ich? Kann man das nicht leichter haben? Wohl doch nicht in unserer Geschichte. Aber nun werde ich erst recht neugierig. Was verbirgt sich dann hinter so viel Unsicherheit und Verzögerungstaktik. In einem Drama würde man von dem retardierenden Moment einer Geschichte sprechen. Aber dann ist diese Verzögerung des Philippus wirklich wichtig und wir ahnen in ihr vielleicht schon etwas vom Ziel der Geschichte…..??

Und darum ist jetzt natürlich spannend, was Jesus denn nun selbst auf das Begehren der Griechen, in sehen zu wollen, antwortet.

Aber auch Jesu Antwort scheint keine richtige Antwort auf den Wunsch der Griechen zu sein. Schon wieder Unterbrechung, Verzögerung, zumindest weigert sich mein Verstand im ersten Moment, seine Sätze als logische Antwort auf das Begehren der Griechen zu begreifen.

Geht es denn vielleicht im ganzen Verlauf der Geschichte um eine Verhinderung dessen, dass die Griechen Jesus sehen, geht es um die Verhinderung des Sehens???

Ich frage nur, ich will nicht so tun als wäre ich mir meiner Lösung sicher.

Jesus antwortet:
Verse 23-26

Da bitten Menschen, Jesus sehen zu können und dann diese Antwort.
Jesus spricht, ja weist auf seinen Tod hin, vergleicht ihn mit einem Weizenkorn, das in die Erde fällt, aber dann neu und mit viel Frucht aufersteht, er spricht davon, sein Leben zu hassen, aber es doch am Ende zu erhalten zum ewigen Leben….

Es ist auch völlig unsicher, ob denn die Griechen überhaupt etwas von der Rede mitbekommen oder ob er sich mit seinen Worten nur an die jetzt vor ihm stehenden Jünger wendet, um ihnen etwas mitzuteilen über sich.

Irgendwie ist der Wunsch der Griechen im Verlauf der Geschichte seltsam ins Leere gelaufen, so scheint es mir. Aber warum?

Wie steht denn dann die Antwort, die Jesus gibt, mit dem Wunsch der Griechen in Verbindung, wenn denn der Evangelist hier nicht einfach zusammengefügt hat, was nicht zusammengehört?
Welche Verbindung hat beides miteinander?

Ich versuche eine, meine vorläufige, Antwort.

Johannes hatte den Einzug Jesu in Jerusalem wie ein Spektakel gezeichnet, auf dem es den Wundertäter Jesus, den Auferwecker des Lazarus, zu sehen gibt: „alle Welt läuft ihm nach!“ Das klingt nach Sensation, nach Neugierde der Augen,…. was ja alles verständlich ist und wir müssen aufpassen, dass wir die Aufgeregtheit des Volkes nicht nur in dunklen Farben malen.
Aber unser Evangelist Johannes – und das müssen wir ernst nehmen – hat ja nun Blockaden eingearbeitet gegenüber dem ungezügelten Sehen, wie wir eben gemerkt haben.

Vielleicht sollen wir ja bei ihm zwischen den Zeilen eine Kritik des bloßen Sehens hören….

Glaubt nicht, dass ihr Jesus nahe kommt, wenn eure Augen ihn und das, was er tut, anschauen, es kommt darauf an, was eure Herzen aufnehmen, ob Jesus in eure Herzen vordringt und nicht nur an der Oberfläche eures Lebens bleibt, einfach anzuschauen, aber wie aus der Ferne, letztlich unbeteiligt, wie ja bloßes Sehen ist.

Liebe Gemeinde,
das Sehen ist der menschliche Sinn, mit dem ich mir die Wirklichkeit am weitesten vom Leibe! halten kann (vom Leibe!). Über weite Distanz können wir sehen und können doch unbeteiligt bleiben. Beim Hören muss ich schon näher rangehen, beim Riechen noch mehr und beim Fühlen, Berühren, da brauche ich die größt mögliche Nähe.

Darum fürchten wir uns auch nicht selten vor dem Blick anderer Menschen. Weil sie uns dann zwar in den Blick genommen haben, also schon Verbindung mit uns hergestellt haben, aber zugleich können sie dabei in großer Distanz zu uns bleiben, wir befürchten, taxiert, abgeschätzt zu werden. Ja, aus der griechischen Mythologie wissen wir, dass Blicke so mächtig sein können, dass sie Menschen zerstören, töten können.
Der Spruch: „Wenn Blicke töten könnten“, beweist ja nur, was Menschen sich durch ihren Blick antun können. Ein Blick kann heißen: „Du bist für mich gestorben!“ „Ein Blick sagt mehr als 1000 Worte!“

Mit den Augen können wir uns die Wirklichkeit vom Leibe halten, wir können sie aber auch zugleich mit unserem Blick im Griff halten. Wir können weit zurücktreten von dem, was uns zu bedrohen scheint und müssen dann nicht wirklich teilnehmen.

Es wurde ja vor allem im ersten Irakkrieg deutlich, wie sehr unser Sehen durch die Kameras der amerikanischen Satelliten oder Flugzeuge zwar die Zerstörung optisch wahrnimmt aber auf den Leib gerückt ist uns dabei nichts, denn die Augen hören nicht das schrecklich laute Zerbersten von Bunkern, die Augen hören keine Schreie von Menschen und selbst wenn wir das Elend mit den eigenen Augen über die Fernseher sehen, wissen wir auch, dass wir Menschen abstumpfen können über dem Anblick vieler Schreckensbilder.

Das bloße Sehen nützt nichts. Die Gefahr ist groß, dabei außen vorzubleiben.

Liebe Gemeinde,
auf das Begehren, Jesus zu sehen, antwortet Jesus mit dem Weizenkorn, das in die Erde fällt und stirbt…, er spricht vom dienen in der Nachfolge, da, wo er ist.
Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.

Wer mir dienen will, der folge mir nach; und wo ich bin, da soll mein Diener auch sein. V.24f

Für Jesus spricht sich hier wohl ein anderer Umgang mit der Wirklichkeit aus, auch und vor allem ein anderen Umgang mit ihm als der des bloßen Sehens oder Zuschauens.
Dieser Vers spricht ja vom Ein-lassen auf und in die Wirklichkeit. Das Weizenkorn kommt erst in der Berührung mit der Erde, ja eingelassen in sie, am Ende dazu, Frucht zu bringen.
Einlassen auf die Wirklichkeit heißt aber dann: sich berühren lassen von dem Elend, das man sieht, wie Jesus, den das Schicksal derer, die er traf, nicht kalt gelassen hat, sondern, der auf Tuchfühlung ging, den Menschen leiblich nahe kam, dem die Not der Menschen unter die Haut ging und es brannte ihm unter den Nägeln, Hand anzulegen, wo das nötig war.
Das sind leibliche Begriffe für eine Lebenshaltung, die sich eingelassen hat und nicht nur sah, nicht nur hinschaute, sondern Jesu Sehen, sein Blick war immer einer, der zugleich ein Tun war. (Wie in einem Atemzug heißt es wunderschön und sehr deutlich bei Matthäus: Und als Jesus das Volk sah, da jammerte es ihn. Ein beteiligter Blick, ein engagierter! Ein Sehen mit innerer Beteiligung, keines, das mich von der Wirklichkeit trennt, sondern in sie eingeht, wie das Weizenkorn und sich verändern lässt.)

Ja, das hat auch etwas mit Selbstverzicht zu tun, mit Hin-gabe in diesem Moment, mit Selbstvergessenheit, mit Loslassen vom eigenen Standpunkt, der eigenen Existenz, wenn ich so sehe in die Wirklichkeit.

Und dann wird uns vielleicht auch der nächste Vers verständlicher, wie der denn jetzt gemeint ist, wenn dort vom Hassen des eigenen Lebens geredet wird.

Das meint natürlich nicht, dass wir Menschen unser Leben grundsätzlich hassen sollen. Das würde quer gehen gegen alles, was ich über den Gott der Bibel und sein Verhältnis zum Leben, zu unserem Leben, bisher glaubte verstanden zu haben.

Nein, das ist kein Aufruf zum Lebensverdruss, dazu, das eigen Leben zu hassen.
Aber ich kann der Wirklichkeit, meinen Nächsten und vor allem dem Leiden in der Welt nur begegnen, wenn ich mich einlasse und dafür auch loslassen kann, ja vielleicht sogar muss.

Anders ist z.B. das Engagement der Vielen, die sich freiwillig als Helfer in die Katastrophengebiete der Tsunami-Welle gemeldet haben, nicht zu verstehen. Hier konnten wir und können wir sehen wie viel Solidarität, wie viel Selbstvergessenheit und Einlassen, wie viel Weizenkorn-Mentalität hier Früchte bringt…

Anders ist das ganze Leben Jesu nicht zu verstehen.
Er ist nicht gestorben, weil er sein Leben gehasst hat, er ist gestorben, weil er sich so sehr aufs Leben, auf die Notleidenden, auf die Gerechtigkeit und den Frieden für die Welt und die Menschen eingelassen hat.

Für den Johannesevangelisten endet diese Lebenshaltung nicht im Tod, im Leiden, sie bringt viel Frucht.
Die Auferstehung Jesu ist das Zeichen, das für diese Wirklichkeit einsteht und Mut dazu macht, mein Leben nicht in der Distanz zum Leben und den Menschen zu halten.

Das Johannesevangelium kämpft um ein Verhältnis zur Wirklichkeit, das nicht durch Distanz und damit immer auch durch ein zerstörerisches Verhältnis zur Wirklichkeit bestimmt ist, sondern es kämpft um ein Verhältnis der Nähe, der Beteiligung, des Berührens und der Anteilnahme.

Vielleicht darum auch am Ende des Evangeliums die Geschichte von Thomas, dem Berührer, den Jesus seine Wunden berühren lässt. Wir müssten dieses Evangelium endlich so predigen, dass Thomas nicht mehr als Zweifler dabei wegkommt (vom Zweifel und vom Unglauben steht nämlich in dieser Geschichte kein Wort), sondern als jemand, der eine besondere Nähe zu Jesus will und braucht.

Ja, es gibt auch Zeiten, in denen es Distanz braucht, Entfernung zu einem Gegenstand meines Lebens oder zu Menschen, um sich zu befreien. Davon kann man auch immer wieder hören in der Bibel. (Maria)

Aber hier und heute geht es um Berührung und berührt werden, um eine Nähe zu Jesus, in der ich mich wirklich einlasse auf sein Leben und seine Worte, wo sie mir ins Herz gehen und ich sie mir zu Herzen gehen lasse.

Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt bringt es viel Frucht.

Ich höre hier nicht nur Tod, ich höre hier geradezu ein erotisches Verhältnis zum Leben raus. In der Liebe verlieren sich Menschen und gewinnen sich neu. Liebe ohne die Dimension des Selbstverlustes ist nicht zu haben.

Wir müssen sehr auf der Hut sein vor allem, was uns diese Nähe zum Leben nehmen will, vor den reinen Analytikern, die uns alles erklären können aber nicht sagen können, zu was ihre Analyse nutzt, vor den reinen Wissenschaftlern, die nicht mehr sagen können, wem diese oder jene Errungenschaft dient.

Ich weiß nicht, ob ich den Griechen in unserem Text heute Unrecht getan habe.
Es war ein, mein Versuch, die Zurückhaltung, die Verzögerungen, Verhinderungen zu verstehen, die sich in unserer Geschichte zwischen das Bedürfnis, Jesus zu sehen und einer wirklichen Begegnung mit ihm gestellt haben.

Und nun will ich doch einen letzten Vorbehalt gegenüber meiner eigenen Idee formulieren. Denn es geht ja auch auf der anderen Seite im ganzen Johannesevangelium immer wieder um das Sehen, es ist eigentlich und auch das große Augenevangelium. Schon am Anfang heißt es über Jesus: Und das Wort ward Fleisch … und wir sahen seine Herrlichkeit.
Immer wieder hören wir von der Einladung, auch aus dem Munde Jesu: Kommt und sehet, immer wieder heißt es: Siehe!
Passt dann nicht der Wunsch der Griechen, Jesus zu sehen, gut in dieses Evangelium.
Trotzdem bleibt mein Gefühl, dass unsere Geschichte bei Johannes die vom Evangelisten selbst erzählte Kritik gegen das Sehen ist, weil er weiß, welche Gefahren das menschliche Sehen birgt, vor allem dann, wenn wir an das biblische Bilderverbot denken. Du sollst dir kein Bildnis machen.

Vielleicht münden alle: Kommt und sehet, Siehe – Stelle im Johannesevangelium in die Begegnung zwischen Pilatus und Jesus:
Dort steht Jesus vor Pilatus, mit Dornenkrone auf dem Haupt, bespuckt und geschlagen und gegeißelt von dessen Soldaten. Im Anblick des leidenden Jesus spricht Pilatus: Seht, den Menschen!

Die Augen, die sich auf diesen leidenden Menschen richten, können nicht mehr unbeteiligt sehen. Johannes versucht alles, um unseren Blick mit Anteilnahme und Solidarität zu verwickeln, damit wir nicht kalt schauen, sondern mit warmen Blick auf Jesus, den leidenden Menschen und damit auf unsere ganze Wirklichkeit: Seht, den Menschen.

Auf dieses beteiligte, angerührte Sehen zielt – so glaube ich – das ganze Evangelium!

Es geht um diesen liebevollen Blick auf uns Menschen, den Gott selbst hat. Gott will uns die Gabe dieses Blicks schenken, damit wir immer wieder aus der selbst gewählten Distanz zur Welt und zu den Menschen und zu uns selbst, zu einer liebevollen, bewahrenden, beteiligten Haltung im Blick auf die Welt und uns selbst gelangen.

Das Johannesevangelium, Gott kämpft bei uns um diesen Blick. Amen

Jörg Heimbach
Heimbach@Kirche-Koeln.de

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