Johannes 20,1.11-18

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Johannes 20,1.11-18

Mein Name und Sein Name

Maria aber stand draussen am Grab und weinte. Während sie nun weinte,
beugte sie sich vor in das Grab. Und sie sieht zwei Engel in weissen
Gewändern dort sitzen, wo der Leib Jesu gelegen hatte, den einen
beim Haupt, den anderen bei den Füssen. Und die sagen zu ihr: Frau,
was weinst du? Sie sagt zu ihnen: Sie haben meinen Herrn weggenommen,
und ich weiss nicht, wo sie ihn hingelegt haben. Das sagte sie und wandte
sich nach hinten, und sie sieht Jesus dastehen, sie wusste aber nicht,
dass es Jesus war. Jesus spricht zu ihr: Frau, was weinst du? Wen suchst
du? Weil sie meint, es sei der Gärtner, sagt sie zu ihm: Herr, wenn
du ihn weggetragen hast, sag mir, wo du ihn hingelegt hast, und ich will
ihn holen. Jesus spricht zu ihr: Maria! Da wendet sie sich um und sagt
auf hebräisch zu ihm: Rabbuni!, das heisst Meister. Jesus spricht
zu ihr: Rühre mich nicht an! Denn noch bin ich nicht hinaufgegangen
zum Vater. Geh aber zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich gehe hinauf
zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott.
Maria aus Magdala geht und berichtet den Jüngern: Ich habe den Herrn
gesehen, und dass er dies zu ihr gesagt habe.
Johannes 20, 11 – 18

Liebe Gemeinde

In der mittelalterlichen Kirche gab es den Brauch
des Osterlachens: Der Prediger hatte die Aufgabe, die Gemeinde am Ostermorgen
durch eine menschenfreundliche
Predigt, ja oft durch derbe Spässe, zum Lachen zu bringen. Sicher,
da wurde wohl auch allerlei Schabernack getrieben, aber das war gewiss:
Das kräftige, hörbare Lachen gehört zum Ostergottesdienst. „Es
war ein wunderlich Krieg, da Tod und Leben rungen. Das Leben behielt
den Sieg, es hat den Tod verschlungen. Die Schrift hat verkündet
das, wie ein Tod den andern frass; ein Spott der Tod ist worden. Halleluja“ (Reformiertes
Gesangbuch 464,4), so dichtet Martin Luther in kräftigen Bildern
im Osterlied. Tod und Teufel haben nichts zu lachen an Ostern. Ihnen
geht’s an den Kragen.

Aber die Menschen, die dürfen lachen,
befreit und fröhlich
lachen. An Ostern gilt’s: Wer zuletzt lacht, lacht am besten! Und zuletzt
ist nicht das hohle Grinsen des Todes, sondern das österliche Lebenslachen
Gottes. An Ostern darf man darum das, was man sonst nicht darf: Man darf über
den Tod lachen, ja, den Teufel auslachen!

Ostern – Fest der Freude –
Fest des Lebens. Ostern ist darum nicht irgendein Fest im christlichen
Festkreis. Ostern ist die Mitte der christlichen
Verkündigung. Die Ostergeschichten sind im Neuen Testament nicht
einfach am Schluss der Evangelien zu suchen, nach der Passionsgeschichte,
dem Bericht vom Leiden und Sterben Christi. Das ganze Neue Testament
ist eine einzige gewaltige und vielstimmige Ostergeschichte. Jede Zeile
des Evangeliums, jede Aussage der Briefe und Schriften wurde im Licht
von Ostern geschrieben. Die Gleichnisse Jesu sind nicht allgemeine Weisheitsregeln,
sondern das Aufleuchten von Gottes neuer Welt. Die Bergpredigt ist kein
neues ethisches Gesetz, sondern die Grundregel, die Magna Charta, des
von Ostern her aufleuchtenden Gottesreiches.

Ostern – Fest des Lebens,
Ostern – die Freude, das Lachen, das zum Fest des Lebens gehört.
Aber uns droht das Lachen im Halse zu ersticken, wenn wir an Bedrohungen,
Krankheit und Leid denken in so vielen Menschenleben.
Und erst recht vergeht uns das Lachen, wenn wir an Gewalt, Hass und Leid
im Nahen und Mittleren Osten denken. Hilflos, machtlos, vielleicht auch
resigniert kommt uns nur das „Kyrie eleison, Herr erbarme dich“ über
die Lippen.

Ja, wir leben in einer Welt der Angst und auch des Todes.
Das erfuhr auch die erste Christenheit in ihren vielfältigen Bedrohungs-
und Verfolgungssituationen. Ostern verkündet keine eingebildete
fromme Traumwelt. Ostern ist nicht das „Opium des Volkes“,
die billige Tröstung über die leidvolle Welt hinweg. Christliche
Ostererfahrung bewährt sich auch in Schwerem und Dunklem. In den
Osterberichten der Evangelien weist der Auferstandene auf seine Wundmale
hin. Der Auferstandene
ist und bleibt auch der Gekreuzigte. Ostern ist nicht in Abkürzung
zu haben, Ostern ist kein direkter Zugang zum Himmel. Der Osterweg ist
der Weg mit dem gekreuzigten Christus: Der Weg durch Ausweglosigkeit,
Trauer und Schmerz hindurch, Weg der Hoffnung, Weg des Lebens.

Wir haben
es gehört im Osterevangelium (Johannes 20, 11 – 18): Ostern
beginnt an einem Grab. Ostern beginnt mit Weinen, nicht mit Lachen: „Maria
aber stand draussen am Grab und weinte“ (Johannes 20,11). So realistisch,
so irdisch beginnt Ostern. Und es würde bei diesem von Weinen geprägten
Friedhofbesuch bleiben, wenn da nicht eine Stimme wäre, eine anteilnehmende
Frage: „Frau, was weinst du? Wen suchst du?“ (Johannes 20,15).


Was weinst du.“ Eigentlich keine Frage! An Gräbern weinen Menschen
um ihr Liebstes und Kostbarstes, das ihnen der Tod genommen hat. Sie
weinen um ihr eigenes Leben, das traurig und leer geworden ist. So geht
es auch Maria aus Magdala; sie weint um Jesus. Ihm verdankt sie Sinn
und Ziel ihres Lebens. In ihm hatte sie Gottes Nähe und Liebe erfahren.
Aber Hass und Gewalt hatten gesiegt. Jesus ist tot. Maria ist allein,
allein mit ihren Tränen, allein mit ihrem Schmerz, allein mit der
inneren Leere. Aber da ist eine Stimme: „Frau, was weinst du? Wen
suchst du?“ Eine Frage der Anteilnahme. Und Anteilnahme, Verbundensein
in Gedanken und im Gebet, das kann schon viel bedeuten mitten in Leid
und Trauer.

Was weinst du? – das ist für Maria aus Magdala der Anfang
der Ostererfahrung. So begleitet die anteilnehmende Frage des auferstandenen
Christus die
Seinen auch durch alle Jahrtausende: Was weinst du? Der auferstandene
Christus sieht unsere Tränen, unsere Schwierigkeiten, unser Vermissen
und Versagen. Unser verzweifeltes oder stilles Weinen ist ihm nicht verborgen.
Vor ihm brauchen wir nicht zu tun, als könnten wir das Leben jederzeit
meistern. „Alles im Griff auf dem sinkenden Schiff“, wie es
ein alter Schlager herausschreit. Wer Christus begegnet, der kann auch
zu seiner Ausweglosigkeit stehen, zu seiner Angst, zu seinen Zweifeln.
Wer Christus begegnet, der begegnet an der Nahtstelle von Karfreitag
zu Ostern der anteilnehmenden Frage: „Was weinst du?“

Weinen
– da ist das Weinen in Heimen und Spitälern angesichts von
Krankheit, Einsamkeit und Ausweglosigkeit. Da ist das Weinen angesichts
zerbrochener Beziehungen, wohl auch das Weinen darüber, am Arbeitsplatz
nicht wertgeschätzt oder schlicht nicht mehr gebraucht zu werden.
Da ist das Weinen und Schreien der Kinder, Frauen und Männer in
den Kriegen durch alle Jahrhunderte bis heute. Hilflos stehen wir dem
allem gegenüber.

Weinen – es begleitet uns vom ersten Lebensschrei
bis zum letzten Seufzer. Aber es ist Einer, der es hört, der Anteil
nimmt, einer der selber durch Leid und Not gegangen ist. Christus, der
am Kreuz seine Verzweiflung
herausgeschrien hat: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Markus
15,34). Er ist es, der nicht aufhört nachzufragen: Was weinst du?

Wer
sich mit der Geschichte der Sklaverei auseinandersetzt, dieser Geissel
der Menschheit, an welcher auch die Christenheit Anteil hat, der begegnet
auch immer wieder denen, die aus christlicher Überzeugung und eigener
Betroffenheit sich gegen diese Erniedrigung von Menschen gestellt haben.
Zu ihnen gehört eine schwarze Frau, die in der ersten Hälfte
des 19. Jahrhunderts in den USA lebte, Sojourner Truth. Als ehemalige
Sklavin kämpfte sie gegen die Sklaverei. Von ihr ist ein Wort überliefert,
welches für mich die kürzeste und ergreifendste Karfreitagspredigt
und Osterpredigt ist. Sie sagte: „Ich gebar dreizehn Kinder und
musste mitansehen, wie sie in die Sklaverei verkauft wurden, und als
ich in meinem Schmerz schrie, hörte mich niemand, nur Jesus“.

Einer hört: Jesus: Das ist der Anfang von Ostern, ja, das ist Ostern.
Das ist die Erfahrung von Maria am Grab mitten in ihrem Weinen. Und wie
sie nun mit der anteilnehmenden Stimme ins Gespräch kommen möchte,
da hört sie nur ein einziges Wort, welches alles verändert:
Sie hört ihren Namen. „Jesus spricht zu ihr: Maria! (Johannes
20,16)“. Das ist Ostern: Dass ich vom auferstandenen Christus her
meinen Namen höre – und dies in Zeit und Ewigkeit als Wahrheit des
Lebens, die mich hält und trägt. Mit Maria sind und bleiben
wir alle vom Auferstandenen mit unserem Namen angesprochen.

Tief beeindruckt
hat mich dieser Tage die Osterbotschaft des Rats der christlichen Kirchen
im Mittleren Osten. Diese Kirchen, die von Leid
und Not des Palästinakonfliktes und des Irakkrieges unmittelbar
betroffen sind, reden zu uns von Hoffnung und Leben. Hören wir auf
sie und bleiben wir auch mit ihnen verbunden im Glauben, in der Hoffnung
und in der Liebe:

„Dies ist vielleicht der Moment, in dem wir einer deutlichen
Osterbotschaft bedürfen. Die Fastenzeit macht uns in besonderer
Weise offenbar, dass das menschliche Wesen nicht vor der Sünde gefeit
ist und eine innere Neigung besitzt, anderen Leid zuzufügen. In
der Karwoche haben wir uns zum Kreuz Christi hin bewegt. Wie ein anbrechender
Tag
erhebt sich daraus der Neubeginn von Ostern. Unsere Ängste klingen
ab, weil Gott dem Leben den Sieg gegeben hat, indem er seinen Sohn von
den Toten auferstehen liess. Ja, der Tod wird keine Herrschaft mehr über
die Menschen haben.
Solange der ganze Leib Christi in seiner umfassenden
Dimension diesem seinem ursprünglichen Erbe treu bleibt, gibt es
Hoffnung in der Welt, die mit keinen Mitteln verdrängt werden kann.
Wir stellen uns den Herausforderungen von Tod und Zerstörung im
Irak und lassen uns von der Gewissheit leiten, dass Christus durch uns
wirkt – die Verherrlichung
Gottes und der Menschheit Trost werden gewiss sein.“

Amen

Ruedi Reich
Kirchenratspräsident der Evangelisch-reformierten
Landeskirche des Kantons
Zürich
E-Mail (Sekretariat): verena.schumacher@zh.ref.ch

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