Johannes 3, 1-8

Johannes 3, 1-8

Liebe Gemeinde,

Wir kommen von Pfingsten her, da passt
ein Kanzeltausch gut. Wir kommen von Pfingsten her, und das gibt, so
hoffen
wir, der Ökumene Rückenwind und macht das Kanzelhüpfen fruchtbar.
Pfingsten, das ist ja die Feuertaufe des Christentums, da erinnern wir
uns daran, dass der Geist Gottes nicht auf einigen wenigen jüdischen
Familien und Freunden Jesu blieb, sondern sich ausbreitete über die
Parther, Meder, Elamiter, nach Mesopotamien, Judäa, Kappadozien, Pontus,
Asien, Phrygien, Pamphylien, Ägypten, Kyrene, Lybien, Kreta und Arabien,
ja sogar Rom. – Wie ein Feuer über Landesgrenzen und Sprachbarrieren
hinweggeht, so ging auch der Lauf des Evangeliums in die damals bekannte
Welt. Der Sprung des Hl.Geistes in eine andere Gemeinde, eine andere Kultur,
in eine andere Generation, in eine neue Zeit – das war und ist bis heute
die Feuertaufe des Christentums. Wo das gelingt, ist Gott selbst am Werk,
da ist der Geist von Pfingsten gegenwärtig – Warum hole ich so weit
aus? Die Feuertaufe durch den Hl Geist hat eine Vorgeschichte, Die Neugeburt
der Kirche ist nicht plötzlich geschehen, aus heiterem Himmel. Wie
ja auch die Geburt eines Kindes mindestens eine Vorgeschichte von 9 Monaten
hat. Zur Vorgeschichte für Pfingsten gehört der heutige Predigttext:
Das konspirative Treffen von Nikodemus und Jesus. Es ist eine vorpfingstliche
Begegnung, ein nächtliches Vorbereitungs-Gespräch mit Langzeitwirkung.

Wir hören, was der Ev.Joh im 3.Kap in den Versen 1-8 schreibt: …

O komm, du Geist der Wahrheit und kehre bei uns ein, Amen.

1. „Niemand kommt in das Reich Gottes, es sei denn, dass jemand
aus Wasser und Geist geboren werde“, sagt Jesus. Von wessen Geist
spricht er? Der Geist, den Jesus meint, ist Gott selbst, gegenwärtig
auf dieser Erde in seiner schaffenden Kraft, in seiner bewegenden Lebendigkeit,
wie sie seit Anbeginn der Welt im ganzen Universum wirksam ist und wie
sie nicht nur in Jesus, sondern in allen Menschen wachsen will. Wo der
Geist am Werk ist, da wird der Mensch zu ungewohnten Gedanken fähig,
etwas zu tun, zu dem er sonst keine Kraft hätte. Da gewinnt er eine
Zuversicht, die er sonst nirgends her bekäme. Da wird er sich ändern,
da wird er seine Umwelt ändern – neu anfangen. Was er dann tut,
das ist nicht der Ausdruck seiner irdischen Wünsche, sondern seiner
ewigen Hoffnung. Es ist Ausdruck der Liebe, die er empfangen hat. Er
vermag seinen Glauben in Worte zu fassen und seine Hoffnung in Taten.
– wie Jesus. Er hat die Kraft, zu bewegen, zu steuern, weiterzuführen,
zu heilen und zu versöhnen. Wer etwas tut, das der Geist Gottes
ihm eingibt, der pflanzt etwas in die Welt in dem Vertrauen, dass die
Kraft aus Gott darin weiterwirken wird, wenn auch manchmal sehr langsam,
oft sogar über die eigene Lebenszeit hinaus, nicht aufzuhalten durch
den Tod. Dieser Geist ist es, den Nikodemus bei Jesus sucht. Er trifft
sich mit ihm heimlich – konspirativ, d.h. er vermutet in Jesus einen
Gleichgesinnten im Geist, er vermutet noch mehr, nämlich, dass der
bei Jesus mehr über Gottes Geist erfährt, und dass der Geist
Jesu seinem Geist Auftrieb geben kann, weil er von Gott kommt. So hofft
Nikodemus, dass er gestärkt durch die Gaben des Geistes, irgendwie
weiser, glücklicher und lebendiger durch dieses Zusammentreffen
werden kann.

2. „Der Wind bläst“, sagt Jesus, „und du hörst
sein Sausen wohl, aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin
er geht“. Geist Gottes – Feuer, Wind, Wasser, Bewegung, lebendige
Kraft, etwas Schwebendes, Ungreifbares ist diesen Bildern gemeinsam.
Das hängt damit zusammen, dass mit dem Wort nicht nur Gott bezeichnet
werden soll, sondern auf eine sehr eigentümliche Weise auch der
Mensch. Denn Geist Gottes, das ist das Überschneidungsgebiet zwischen
Gott und Mensch, und die unscharfen, flutenden Bilder vom Geist Gottes
sind immer Bilder von Gott und vom Menschen zugleich. Dort, wo Gott und
Mensch sich treffen, in diesem Überschneidungsgebiet wirkt der Geist. „Der
Wind bläst“, sagt Jesus, „und du hörst sein Sausen
wohl, aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er geht“.
Jesus sagt damit nicht nur: So ist Gott! Sondern so ist es bei jedem,
der aus dem Geist geboren ist. Ungreifbar ist der Wind. Ungreifbar ein
Mensch, der aus dem Geist lebt. Wer vom Menschen spricht und ihn auf
sein erkennbares Maß festlegen will, hat von seinem Geheimnis,
nichts verstanden. Aber unantastbar ist die Würde des Menschen,
sein Geheimnis, wenn er weiß, wes Geistes Kind er ist. Dann können
ihm auch die irdischen Festlegungen und Blockaden nichts anhaben. Auch
Stürme aller Art: Zukunfts-Angst, üble Nachrede, Rückschläge
durch Krankheiten, im Beruf, oder Schläge anderer Art werden ihn
nicht definieren und nicht bestimmen. Er bleibt frei.

3. Konspirative und öffentliche Treffen mit Gott stärken uns
diesen Geist der Freiheit und halten uns lebendig. Wir geben damit Gott
eine Möglichkeit, uns vom scheinbar Unmöglichen zu überzeugen:
wir können auch im Alter neu geboren werden, wir können teilhaben
am Geist der Hoffnung über den Tod hinaus. Wir können aus Gottes
Gegenwart leben. Aber wie kommt es zur Gegenwart des Geistes Gottes in
uns? Wie kommt der Mensch dazu in Gott zu sein? Jesus antwortet: So dass
du, Mensch, von neuem geboren wirst, aus Gott geboren wirst. Es ist zu
wenig, wenn du sagst: Ich bin von Gott geschaffen. Nein, du bist mehr,
du bist aus Gott geboren. Ein Bäcker macht Brötchen. Er schafft
sie, er formt sie, sie sind das Werk seiner Hände, seine Schöpfung,
und am Ende verkauft er sie über den Ladentisch. Derselbe Mann hat
Kinder. Die wird er nicht verkaufen. Sie sind durch ihn, aber nicht von
ihm, sie gehören ihm nicht, sie sind ihm ähnlich und verwandt,
sie sind frei wie er. Geschaffen und geboren zu sein ist nicht dasselbe.
Egal, wer deine Eltern sind, ob du zu einer christlichen Sippe gehörst
oder nicht, ob du deinen irdischen Eltern ähnlich bist oder nicht,
egal aus welchem Gen-pool du stammst: Du bist, halte das fest, du bist
unverkäuflich, du bist vom Geist Gottes geboren, du bist ein Sohn,
eine Tochter, ein freies Kind Gottes: „Die an ihn glaubten, denen
gab er Macht Gottes Kinder zu werden, also Menschen, die nicht durch
den Willen eines Mannes, sondern aus Gott geboren wurden.“ (Johannes
1,13)

Liebe Pfingstgemeinde, wir haben heute sozusagen den Heiligen Geist
belauscht, wie er bei dem konspirativen Treffen zwischen Nikodemus und
Jesus gewirkt hat. Wie er sich an der Person Jesu und an seiner Herkunft
entzündet hat. Denn so fing ja das Treffen für Nikodemus an: „Meister,
wir wissen, dass du von Gott gekommen bist.“ Was hat Nikodemus gelernt?
1. Der Geist Gottes ist der Geist Jesu, der Hoffnung gibt und langen
Atem, selbst über unsere eigene Lebenszeit hinaus. 2. Geist ist
das Überschneidungsgebiet von Gott und Mensch, dort wo Gott und
Mensch konspirieren, wo wir Menschen uns auf ein Treffen mit Gott einlassen,
da werden wir freigemacht von irdischen Zwängen. 3. Aus Geist geborene
sind und bleiben freie und unverkäufliche Söhne und Töchter
Gottes.

Was ist für Nikodemus aus dem konspirativen Treffen geworden? Wir
hören nur noch zwei mal im Johannesevangelium von ihm: Die erste
Frucht des Geistes wird nicht nur die Juristen unter uns interessieren,
sie hört sich sehr modern an. Da erhebt Nikodemus seine Stimme gegen
den Aufruhr und Zwiespalt des Volkes für ein ordentliches Gesetz: „Richtet
denn unser Gesetz einen Menschen, ehe man ihn verhört und erkannt
hat, was er tut?“ fragt er in einer Sitzung der Gegner Jesu. Und
damit nimmt er eindeutig in Kauf, dass man ihn als seinen Anhänger
und als Galliläer abstempelt. Aus dem heimlichen konspirativen Treffen
ist ein öffentliches, freies Bekenntnis geworden! Das zweite mal,
und das ist eine für uns etwas fremdartigere Episode, wird uns erzählt,
dass Nikodemus sich mit einem nicht unbeträchtlichen Vermögen
an der Grablegung Jesu beteiligt. Damit verstößt er in aller
Freiheit gegen alle Regeln der Konvention: Jesus, der gerade als Verbrecher
sterben musste, bekommt ein riesiges Geschenk: „er brachte Myrrhe
gemischt mit Aloe, etwa hundert Pfund!“ Das ist so viel, das hätte
einen ganzen Friedhof zum Duften gebracht! Zwei ganz verschiedene Formen
des Bekenntnisses, zwei ganz verschiedene Aktionen der Freiheit, zwei
Früchte des Geistes, gewachsen aus der Geistgabe Jesu! Man könnte
die Folgen der Neugeburt des Nikodemus so zusammenfassen: er legt sein
Zeugnis für Jesus ab in Wort und in Geld und in Tat, – er lebt für
Gerechtigkeit und Freiheit im Volk, und er hofft auf Barmherzigkeit im
Tod. Gebe Gott, dass auch bei uns solche Früchte des Geistes wachsen
und gedeihen allen Widerständen zum trotz, – und durch die Generationen
hindurch. Und der Friede Gottes… Amen.

Dorothee Löhr
E-Mail:
loehr@erk-hamburg.de

 

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