Johannes 7,28-29

Johannes 7,28-29

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Heiliger Abend
– Christvesper, 24. Dezember 2000

Predigt über Johannes 7,28-29, verfaßt von Hinrich
Buß


Anmerkungen

„Da rief Jesus, der im Tempel lehrte: Ihr kennt mich und
wißt, woher ich bin. Aber nicht von mir selbst aus bin ich gekommen,
sondern es ist ein Wahrhaftiger, der mich gesandt hat, den ihr nicht kennt.

Ich aber kenne ihn; denn ich bin von ihm, und er hat mich gesandt.“

Liebe Gemeinde am Heiligabend,

eine schöne Bescherung ist das, was uns aus der Bibel auf den
Gabentisch gelegt wird. In des Wortes doppelter Bedeutung: Willkommen und
beschwerlich. Da tritt neben das Christkind der erwachsene Jesus.
Selbstverständlich gehört zum Heiligabend das Christkind, die
Geschichte von der Geburt Jesu, von Lukas so erzählt, daß die ganze
Erde davon singt und klingt und wir uns einen Heiligabend in der Kirche ohne
sie nicht vorstellen können. Sie ist der Beginn der Bescherung und
vermutlich ihr schönster Teil. Damit nimmt alles seinen Anfang.

Doch nun kommt zusätzlich der erwachsene Jesus zu Wort, aus
dem Johannes-Evangelium redet er dazwischen, er ruft sogar, laut in die stille
Nacht hinein, in einer Art Unmutsäußerung, als wollte er Einspruch
erheben: Ihr kennt mich, ihr wißt woher ich komme und stamme. „Zu
Bethlehem geboren“,
wie soeben gesungen. Doch ich bin ein anderer, ein
Unbekannter, ein Fremder, ein von weither Gesandter. Ist dies eine Störung
oder macht es das Geheimnis nur noch größer? Lassen Sie uns schauen.

1. Zunächst die Bescherung. Es wird heute wieder viel auf den
Gabentischen liegen, nehme ich an. Schnell gekauft. Oder eher mit Bedacht
ausgesucht. An einem Beispiel illustriert, das mir vor einigen Jahren zu Ohren
kam. Ein Mann um die 4o will ein Geschenk für seine Frau kaufen. Er geht
an den Schaufenstern vorbei und sucht. Das macht er sonst nicht. Er hat zu
arbeiten, und Gefühle zu zeigen ist nicht seine Sache. Er hält sie so
verborgen, daß er am Ende selbst meint, er habe keine. Aber nun will er
seiner Frau etwas zu Weihnachten kaufen. Etwas Schönes; und teuer soll es
auch sein. In einem Schaufenster entdeckt er einen beleuchteten
Wohnzimmer-Springbrunnen. Etwas Ausgefallenes, das seine Frau bestimmt nicht
erwartet. Soll er ihn nehmen, soll er nicht? Der Springbrunnen glitzert so
schön, daß er ihn kauft.

Eingepackt steht das stolze Stück unter dem Weihnachtsbaum.
Die Frau macht sich zögernd darüber her, und als sie die Bescherung
sieht, bricht es aus ihr heraus: „Aber Kai-Uwe, anderes hätten wir viel
dringender gebraucht. Daß du gutes Geld für solche Sachen ausgibst!“
Er knickt leicht ein und blickt verloren an sich herunter. Wieder nichts.

In Basel, habe ich gelesen, liegt auf dem Barfüßerplatz
ein überdimensioniertes Wunschbuch aus für Groß und Klein.
Darin steht u.a. die Eintragung, mit großen Lettern geschrieben: „Ich
will einen neuen Mann.“ Na bitte! Das wäre etwas! Doch wird es mit dem
neuen besser? – In dem geschilderten Fall hätte da auch stehen
können: „Ich will eine andere Frau.“ Eine, die merkt, was der
umständliche Gemahl an Gefühlen in sein großes Paket hinein
gelegt hat.

Ja, in Geschenke ist oft viel an Überlegung und Zuneigung
hinein gewickelt. Das Auspacken wird so zu einer Kunst. Meistens ist
zusätzlich zum Gegenstand etwas Unsichtbares darin, eine Botschaft, die
man entschlüsseln soll. Sie lautet: „Ich mag dich.“ Oder: „Bitte, sieh
mein Geschenk an und finde es gut und mich auch.“

So ist es mit Weihnachten überhaupt: Es lohnt sich behutsam
auszuwickeln. Die Päckchen und erst recht die Geschichten. Damit wir nicht
nur Wörter hören, sondern die Botschaft vernehmen, die darin steckt
und unser Herz erwärmt.

Die Geburtsgeschichte nach Lukas hat eine große Resonanz
gefunden bis in unsere Tage. Sie macht sich in vielen Spielarten bemerkbar.
Erwachsene Männer kaufen einen Weihnachtsbaum und stellen ihn auf und
kriechen auf dem Teppich herum, um mit den Kindern zu spielen. Erwachsene
Frauen backen Plätzchen, auch wenn sie kaum Zeit dafür haben, sie
hetzen sich ab, damit es wirklich ein schöner Heiligabend wird.

Natürlich müssen Glaskugeln aufgehängt,
Weihnachtspyramiden aufgestellt und Krippenfiguren aufgebaut werden, am besten
genau so wie im letzten Jahr. Wenn nicht, droht Ungemach. Warum? Diese Figuren
gehören längst zur Lebensgeschichte. Man weiß, welche Tante den
Engel mit dem einen Flügel geschenkt hat, und wann die Krippe ins Haus kam
und welche Figuren nach und nach dazu gekauft wurden. Viele Familien haben eine
Geschichte mit Weihnachten. Die eigene Biographie ist verwoben mit den Hirten
auf dem Felde und den Engeln in der Höhe und den Weisen aus dem
Morgenland. Sie sind Verwandte älteren Datums und höheren Grades, die
sich alle Jahre wieder einfinden. Selbst Ochs und Esel haben ihren Platz in der
guten Stube. Und wenn nicht, dann auf dem Weihnachtsmarkt. Auch die dudelnden
Karussells drehen sich um das Kind in der Krippe. Es ist, wie wir vorhin
gesungen haben: „In seine Lieb versenken will ich mich ganz hinab, mein Herz
will ich ihm schenken und alles, was ich hab.“ Es gibt eine unvergleichlich
schöne weihnachtliche Liebesgeschichte, in die viele Menschen über
Generationen hinweg einbezogen sind.

2. Aber nun gibt es auch Gegenerfahrungen. Ein Single sagt sich:
Diesen Familienrummel tue ich mir nicht an, ich fahre auf die Bahamas. Eine
ältere Frau meint: Heiligabend ist der schrecklichste Tag im ganzen Jahr,
da nehme ich ein Valium und schlafe durch. Es gibt Obdachlose, die
nächtigen draußen, neben dem Schacht eines Kaufhauses z.B., um so
ein bißchen Wärme zu spüren. Menschen auf der Schattenseite des
Lebens.

„Extra Tip“ weiß Rat. Die Zeitung hat dafür geworben,
eine Kleinanzeige aufzugeben, mit dem einladenden Text: „Irgendwo … gibt es
ganz sicher einen lieben Menschen, der die Weihnachtszeit zu einem wirklichen
Fest der Liebe werden läßt“. Ja, es wäre schön. Aber was,
wenn nicht?

An dieser Stelle ist es gut, auf den Einspruch Jesu zu hören.
Er, der so viel von Liebe geredet hat, neigt nicht dazu, die Liebe von Menschen
zu überhöhen, sie gar göttlich zu nennen. Wissend, wie
wankelmütig sie sein kann. Gleich im Anschluß an die verlesenen
Verse heißt es bei Johannes: „Da suchten sie ihn zu ergreifen“. Um ihn
einzusperren. Wer allein auf Menschen setzt, ist bald verloren.

Jesus führt die Liebe, die heiß ersehnte, auf Gott
zurück. Dort hat sie ihren Ursprung. Von ihm her kommt der
Wärmestrom. Aus der Ferne, aus der Fremde, von dem Ganz-Anderen. Von ihm
her komme auch ich, gehöre an seine Seite, gehöre also in eine andere
Welt. Doch ich bin von ihm gesandt, bin gewissermaßen der göttliche
Wärmestrom in Person. Das macht den Impuls, der von Weihnachten ausgeht,
so stark. Er erreicht gerade jene, die auf der Schattenseite des Lebens stehen.

Sie, die Tiefen durchschreiten, gewinnen in ihrem Blick eine
Tiefenschärfe. Sie sehen durch das Dunkel des Kummers und des
Befremdlichen hindurch und entdecken dahinter Gott als Geheimnis und ahnen
seinen Glanz. „Wir sahen seine Herrlichkeit,“ heißt es am Beginn des
Johannes-Evangeliums, „eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater,
voller Gnade und Wahrheit.“ Nicht zu erwarten. Aber nun anzuschauen. Wer nimmt
sie wahr?

Ich fand eine mich überraschende Anzeige einer Lampenfirma.
Sie hätte werben könnten für die Helligkeit der Neonröhren
und die Schärfe der Strahler, sie hätte ein erleuchtetes Fest
wünschen können, doch tatsächlich war zu lesen „Gesegnete
Weihnachten“. Als wüßte sie, die Firma McKnips, daß der Segen
und mit ihm der Glanz von Gott kommt. Hier hat jemand wirklich geschaltet.

„Gott will im Dunkel wohnen und hat es doch erhellt“, hat uns
Jochen Klepper eingeschärft. Da entsteht ein Glanz, der durch Trauer und
Leid hindurch strahlt, der von Einsamkeit und Trübsal nicht aufgehalten
werden kann. Die Hirten auf dem Felde waren die ersten, denen dies Licht
aufging. „Die Klarheit des Herrn leuchtete um sie“, heißt es, sie
blickten durch und fanden ihren Weg.

Wo solcher Glanz erstrahlt, fangen Menschen an zu singen. „Ehre
sei Gott in der Höhe“. Was kann es bringen, wenn man Gottes Lob anstimmt?
Es bringt die Welt über sich hinaus ins Schwingen. Sie ist nicht mehr mit
sich selbst beschäftigt, sie gewinnt Freiheit, sie gewinnt Wahrheit, sie
gewinnt Höhe. Weil Gott zu uns gekommen ist, können Menschen
über sich hinaus wachsen.

Amen

Anmerkungen

Die Fremdheit des Predigttextes wird aufgenommen und mit der
bekannten Geburtsgeschichte (Lk 2,1-20), die zuvor im Gottesdienst gelesen
worden ist, in Beziehung gesetzt.

„Schöne Bescherung“ ist das Stichwort, welches das
Willkommene und Befremdliche thematisiert. Es soll zugleich zum Ausdruck
bringen, daß die Geburt Jesu der Bescherung bester Teil ist.

Das Lied „Zu Bethlehem geboren“, in der Predigt aufgenommen, ist
vorher gesungen worden.

Zur Christvesper um 18.00 Uhr können fast
ausschließlich Erwachsene erwartet werden.

 

Dr. Hinrich Buß
Landessuperintendent für den
Sprengel Göttingen
E-Mail:
Hinrich.Buss@evlka.de


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