Johannes 7,53-8,11

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Johannes 7,53-8,11

Ich glaube, daß das, was man Zurückgelehntheit nennt, eine
Stellung ist, die die meisten von uns gerne einnehmen. Sich zurücklehnen
kann gut sein: Man hat wohl eine kritische Distanz. Man hat seine Urteilskraft.
Man läßt sich nicht so einfach übertölpeln, sei
es von einer Reklame, sei es durch die Politiker mitten in der sauren
Gurkenzeit, oder von etwas, was sich als einfach so als Kunst ausgibt.
Nein, wir lassen uns nicht imponieren. Nein, wir tanzen nicht nach jeder
munteren Musik. Aber wir melden uns wahrlich auch ab, wenn ein Gerichtsprophet
vom Verderben spricht oder irgendein religiös Verirrter mit einem
Kreuz seine Klagelieder singt, während er alle Moslems aus Kopenhagen
zu vertreiben sucht. Nein, nicht mit uns! Kurz: Wir haben alle gelernt,
uns vorzusehen. Denn seelenblinder Fanatis­mus ist nicht das Wahre,
auch nicht lallender Wahnsinn ist etwas für uns.

Aber Zurückgelehntheit und kritische Distanz können auch
leicht in das übergehen, was man Blasiertheit nennt. Ausdruck für
Blasiertheit sind nicht selten die Paraden. Also: „Rühr mich
nicht an. Komm mir nicht zu nahe. Ob du nun mich berührst und mir
mit deiner Freude zu nahe trittst, die du mir partout aufdrängen
willst; oder ob du mir mit deiner Gerichtsverkündigung auf den
Leib rückst, deinem Zorn, deiner absoluten Wahrheit – scher dich
weg. Wir wollen nicht auf den Gitarre spielenden Komiker hören
– denn seine Witze sind längst hoffnungslos veraltet. Aber wir
wollen auch nicht auf den hören, der von Erwachsenen singt, die
‚auch Angst haben können und lange bange lieder singen‘. Kurz:
Laßt uns doch in Ruhe!“

Diese Einstellung finden wir auch in unserem heutigen Text. Die Leute
hatten weder Lust, auf das Gerede von Johannes dem Täufer vom jüngsten
Gericht zu hören, noch auf die ganz andere frohe Botschaft Jesu.
Also: „Wir haben euch aufgespielt, und ihr wolltet nicht tanzen;
wir haben euch vorgeklagt, und ihr wolltet nicht trauern“. Das
heißt: Ein vielsagendes Bild vom eigenen Volk Gottes, das weder
bereit ist, seine taube Gleichgültigkeit zu bereuen noch sich begeistern
lassen will vom Erfreulichen, daß Gott – trotz ihrer Lauheit –
es ihnen vergeben will. Ein froher Gott? Ein zorniger Gott? Ja, das
ist egal. Laßt uns bloß in Ruhe!

Wie wird Gott dann heute aufgefaßt, wenn man denn überhaupt
eine Auffassung von Gott hat? Einige begreifen Gott grob gesagt als
den strengen fernen Lehrer, immer mit der Rute und dem Stock in Reichweite.
Streng, aber wohl gerecht. Jedenfalls unergründlich in seiner Allmacht.
Er weckt deshalb bestimmt nicht Wärme, sondern erschreckt den,
der weiß, daß er ein Sünder ist. Das ist der alttestamentliche
Vatergott. Von ihm hört man, wo die Verkündigung hardcore
ist, also direkt und hart. Wir haben alle das Bild eines pietistischen
Eiferers vor Augen. Auf die allermeisten wirkt das nicht besonders sympathisch.
Die weitaus meisten Leute wollen nämlich nicht von all dem mit
der Sünde hören und daß Gott ‚alles sieht‘. Denn Sünde
– wird da nicht alles verboten, was Spaß macht? Warum in aller
Welt in Schuld­gefühlen herumwühlen, all dem, was das
Leben vermiest? Warum nicht einfach das Leben leben, so wie es einem
nun einmal gefällt?

Die andere Auffassung von Gott gibt diesen Protesten liebend gerne
Recht. Nein, nein, so ist Gott nicht, überhaupt nicht. Nicht das
Bild des schwarzen Gewissens. Nein, nein, Gott ist überhaupt kein
bißchen zornig. Er ist gar nicht so, wie Johannes der Täufer
behauptete. Er ist vielmehr so, wie Jesus ist, jedenfalls nach den Glanzbildern,
die man in katholischen Kirchen kaufen kann. Hier ist Gott mit anderen
Worten menschlich, ein weicher Mann und überhaupt nicht richtend
– er ist eher als ein unglaublich verständnisvoller Hilfspädagoge
vorzustellen, der immer sagt, daß er gar nicht streng ist, daß
du und ich gerne alles vergessen können über Schuldgefühle
(denn Schuldgefühle sind krankhaft, falsch und unangebracht). Kurz:
Vergiß alles über den fernen Vatergott! Denn Gott ist wie
ein lieber Papa, offen, warm, er unterstützt uns immer darin, daß
wir im Grunde Opfer sind, bedauerliche Opfer.

Aber wird es uns nicht auch auf die Dauer leid werden, auf einen solchen
Gott zu hören? Bildlich gesprochen verliert man die Lust, zur Musik
zu tanzen. Wörtlich gesprochen wird es auf die Dauer leer und langweilig,
keinen Widerstand zu finden. Sich nicht zu etwas verhalten zu müssen,
was feststeht und zu dem man Stellung nehmen kann. Man frage nur das
Kind, dem keine Grenzen gesetzt werden. Die Eltern alles tun, um alle
willkürlichen und impulsiven Bedürfnisse zu befriedigen. Aus
lauter Sorge, daß so etwas Veraltetes und Bürgerliches wie
Verbote dem lieben kleinen Wesen schaden könnten.

 

Aber, meine ich: Merkwürdig, daß wir nicht beides fassen
können, daß Gott sowohl der ist, der zornig werden kann und
wird, als auch der, bei dem auch Barmherzigkeit, Vergebung, Gnade ist.
Wäre es nicht denkbar, daß es so ist, daß die beiden
Auffassungen von Gott einander nicht ausschließen? Daß die
beiden Auffassun­gen mit anderen Worten erst zusammen ein vollständiges
Bild von Gott abgeben?

Ich meine: In unserem gemeinsamen Leben, in der Familie, am Arbeitsplatz,
wer kann es auf die Dauer ertragen, mit jemandem zusammenzuleben, der
das Rückgrat eines Regenwurms hat. Und umgekehrt, wer kann es ertragen,
mit jemandem zu verkehren, der sich immer als Richter über andere
aufführt, unbeugsam, hart, wie ein Elefant?

Nein, ein richtiger Mensch, d.h. ein Mensch, der es wagt, seine Menschlichkeit
zu erkennen und sich zu ihr zu bekennen, hat doch immer zwei Gesichter.
Wer liebt, kann natürlich auch zornig werden; nur wer sich begeistern
kann, kann auch wütend werden. Bei dem, der sich zu seiner Menschlichkeit
bekennt, gibt es also immer zwei Seiten. Nur beide Seiten machen den
Menschen zum Menschen. Mit anderen Worten: Gegensätze brauchen
einander nicht auszuschließen. Mit einem Fremdwort: Gegensätze
können auch komplementär sein, sich ergänzen.

Wäre es nicht auch denkbar, daß Gott beide Seiten in sich
hat? Christlich gesehen gehört der Mensch Gott. Gott ist der Schöpfer,
wie wir es im Glaubensbekenntnis bekennen. Gott hat also immer Anspruch
auf den Menschen, daß wir uns ordentlich betragen und eben darin
Gott ehren. Gott und das, was Gott gehört, nicht zu ehren, muß
notwendig gerechten Zorn herbeifüh­ren. Wir kennen das aus
unserer eigenen Welt: Der, den wir gern haben oder geradezu lieben –
ja, wenn wir erfahren, daß er bzw. sie sich töricht verhalten,
unter Niveau oder platt egoistisch, da werden wir natürlich böse.
Man wird zornig. Und der Zorn kommt ja ausschließlich daher, daß
der andere ja einen etwas angeht. Und ebenso: Kommt der, den man gern
hat, in Schwierigkeiten oder gerät geradezu in Not, dann ist man
natürlich zur Stelle. Denn man kann bekanntlich nicht den, den
man gern hat, aus seinem Leben wegdenken.

In diesem Sinne ist kein Mensch so ohne Weiteres nur das eine oder
das andere. Oder besser: Keiner läßt sich so banalisi­eren,
daß er nur kalt und hart ist, oder nur weich und nach­giebig.

Daß gilt in besonderem Maße Gott. Als wäre Gott nur
eindeutig streng – oder eindeutig weich und nachgiebig! Als wäre
Gott wie ein Wachsklumpen – oder hart wie Stein. Nein, Gott ist der
lebendige Gott, und als der Lebendige gerade mindestens genauso sehr
eine Person wie du und ich. Und weil Gott ein lebendiger Gott ist, kann
Gott bewegt werden, zornig sein, sich ärgern und sich freuen. Das
sehen wir sowohl an der Gerichts­verkündigung von Johannes
dem Täufer wie an der Person Jesu, an seinem Leben, seinen Taten,
seinem Leiden und Tod. Denn Jesus gab und gibt Gott eine sichtbare Gestalt.
Und Jesus konnte selbst zornig werden – gerade über die zurückgelehnte
Haltung, für die alles im Grunde gleichgültig ist. Hauptsache,
es geht mich nichts an. Hauptsache es kommt mir nicht zu nahe. Aber
das tut es für jemanden, der wirklich lebt.

Deshalb die Zornesausbrüche im heutigen Text über die Städte,
die sich weder zu dem einen noch dem anderen bewegen lassen. Deshalb
aber auch bei Christus die Zeichen der Fürsorge und der Liebe,
der Barmherzigkeit, mit der er der Gnade Gottes Gestalt verlieh. Das
ist die Gnade, die dir und mir zuteil wird, immer wieder. Ob dies nun
direkt geschieht, im Wort Gottes, in der Taufe Gottes, beim Abendmahl,
bei dem sich Christus jedem einzelnen gibt, der es wünscht, oder
indirekt, in der Gestalt eines blauen Himmels, der die den Mut zum Leben
erneuert, in dem Leben, das uns ruft – so ist es der lebendige Gott,
der sich eins machte mit Jesus, der gegenwärtig ist. Und Gott sei
dank ist es Gott. Denn Gott ist weder aus Pappe oder Stein, sondern
ein lebendiger Gott. Amen.

Pfarrer Niels Henning Brønnum
Valløvej 19
DK-2700 Brønshøj
Tlf.: ++ 45 – 38 60 50 17
e-mail: nhb@km.dk

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