Lukas 11

Lukas 11

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Drittletzter
Sonntag des Kirchenjahres

7. November 1999
Lukas 11,
14-23

Werner Zager


Exegetische Anmerkungen

Ev. Apostelkirche Bochum-Querenburg

Universitätsgottesdienst

Und er trieb einen bösen Geist aus, der
war stumm. Und es geschah, als der Geist ausfuhr, da redete der Stumme. Und die
Menge verwunderte sich.
Einige aber unter ihnen sprachen: Er treibt die
bösen Geister aus durch Beelzebul, ihren Obersten.
Andere aber
versuchten ihn und forderten von ihm ein Zeichen vom Himmel.
Er aber
erkannte ihre Gedanken und sprach zu ihnen: Jedes Reich, das mit sich selbst
uneins ist, wird verwüstet, und ein Haus fällt über das andre.

Ist aber der Satan auch mit sich selbst uneins, wie kann sein Reich
bestehen? Denn ihr sagt, ich treibe die bösen Geister aus durch Beelzebul.

Wenn aber ich die bösen Geister durch Beelzebul austreibe, durch wen
treiben eure Söhne sie aus? Darum werden sie eure Richter sein.
Wenn
ich aber durch Gottes Finger die bösen Geister austreibe, so ist ja das
Reich Gottes zu euch gekommen.
Wenn ein Starker gewappnet seinen Palast
bewacht, so bleibt, was er hat, in Frieden.
Wenn aber ein Stärkerer
über ihn kommt und überwindet ihn, so nimmt er ihm seine
Rüstung, auf die er sich verließ, und verteilt die Beute.
Wer
nicht mit mir ist, der ist gegen mich; und wer nicht mit mir sammelt, der
zerstreut.

Predigt

Einleitung

„ – eine Wundergeschichte, eine
Geschichte voller mythologischer Anschauungen, eine Geschichte geprägt vom
antiken Weltbild. Eigentlich keine Geschichte für uns, uns
aufgeklärte Menschen.“

Liebe Gemeinde, gerade wir Menschen im Zeitalter
des modernen aufgeklärten Denkens, gerade wir haben nur schwer einen
Zugang zu solchen Geschichten und legen sie daher meist recht vorschnell ad
acta.

Zweifellos gehört diese Geschichte der Zeit
des uralten, längst überholten Weltbildes an: hier die finstere Welt
der Dämonen – dort die lautere, befreiende Kraft Gottes.

Zweifellos steht die thematisierte exorzistische
Praxis in Widerspruch zur modernen Medizin: Geistige, psychische oder auch
organische Krankheiten als Besessenheit zu deuten und mit Exorzismen zu heilen
zu versuchen, das gehört – Gott sei Dank! – der Vergangenheit
an.

Zweifellos lässt sich die Genese solcher
Vorstellungen von Satan und dem Dämonenfürsten Beelzebul aus der
antiken Religionsgeschichte ableiten: Satan, im Hiobbuch himmlischer
Ankläger der Menschen, avanciert im Frühjudentum zur
widergöttlichen Macht. Und Beelzebul geht auf den Namen des Gottes von
Ekron Baal-Sebul („Herr der Erhabenheit“) zurück, der im Alten
Testament in Baal-Sebub („Herr der Fliegen“) verballhornt wurde. Wir
wissen das. Allenfalls noch hier und da Gegenstand exegetischer
Erörterung.

Eine Geschichte also nur für die Menschen
damals?
Aber doch keine Geschichte mehr für uns?

Es gibt allerdings auch Theologen, die hier anders
denken. Ernst Käsemann zum Beispiel, der – ohne das Recht und die
Notwendigkeit von Entmythologisierung bestreiten zu wollen – gerade uns
akademischen und aufgeklärten Menschen ins Gewissen redet, wenn er
schreibt: „Die Wohlstandsgesellschaft des weißen Mannes mag
über Dämonen lachen. Sie kann es aber nur, weil sie blind, taub,
gefühllos und dumm über den Schatten ihrer technischen Erfolge, ihrer
brutal verteidigten Privilegien, ihrer traditionellen Vorurteile nicht
hinausschaut. […] Man verdrängt täglich, daß unsere Erde
für die Mehrzahl ihrer Bewohner eine Hölle ist […].“(1)

Er hat Recht. Wir müssen zugeben, dass unser
Urteil über die Dämonengeschichten etwas vorschnell war. Das
Weltbildhafte der Rede von den Dämonen ist nämlich im Grunde nur ein
vordergründiges Problem.

I. Dämonen unter uns?

Jedoch sind wir wirklich dumm oder gefühllos,
blind oder taub? Wir sehen es jedenfalls selbst – sofern wir unsere Augen
nicht vor der Wirklichkeit verschließen –, wir wissen es aus eigener
Erfahrung: Es gibt ungute Kräfte, die uns beherrschen.

„Es macht die modernen Dämonien
aus“, so das treffende Urteil von Günter Brakelmann, „dass sie
nicht am Rande des geschichtlichen Geschehens leben, sondern jedermann
sichtbar, von jedermann erfahrbar und von jedermann mitpraktizierbar sind.
Mögen sie nun Imperialismus, Militarismus, Nationalismus, Rassismus oder
wie auch immer heißen […] Sie organisieren den Wahnsinn […].“(2)

Auch er hat Recht. Aber so weit möchte ich
heute einmal nicht gehen, so treffend dies auch beschrieben ist. Wir erfahren
es schon in viel kleinerer, viel persönlicherer Form:

Wir wissen ganz genau, was gut ist und was
Gott von uns fordert, und doch tun wir es nicht. Es gelingt uns nicht,
ernsthaft auf Gottes Wort zu hören, Liebe zu üben, demütig zu
sein vor unserem Gott.

Wir suchen alle den Frieden. Und doch
spüren wir, wie der Neid und die Eifersucht uns gefangennimmt und uns
unfähig macht, dem anderen sein privates Glück von Herzen zu
gönnen oder seinen beruflichen Erfolg.

Wir suchen nach Gerechtigkeit. Und doch
erfahren wir am eigenen Leib, wie schnell uns die Zivilcourage und der Mut
verlassen, wie schnell wir wegsehen und weghören, wenn ein Mensch in Not
gerät und unseren Beistand braucht, weil eine Gedankenlosigkeit oder
Bequemlichkeit in uns steckt, uns lähmt. Vielleicht sogar handfeste Angst.

Wir suchen nach der Wahrheit – manche
von uns sogar von Berufs wegen, aber es schützt uns nicht davor, das
Gegenteil zu tun: Nämlich selbst unlauter zu reden, Fakten zu verdrehen
oder Gehörtes verfälscht wiederzugeben, dann, wenn wir uns einen
persönlichen Vorteil davon versprechen.

Wir nennen uns Christen, wissen uns im
Glauben geborgen und gehalten. Dann kommt die Erfahrung von Krankheit, das
Erleben von Abschied und Trauer, von Misserfolg und unerfüllten
Lebenswünschen. Und wie ein Kartenhaus fällt dann unsere
Glaubenssicherheit zusammen. Wie von unsichtbarer Hand durcheinandergebracht.

Wir suchen das gegenseitige Verstehen, die
Harmonie der Gesellschaft. Und doch erfahren wir am eigenen Leib immer wieder,
wie unsagbar schwer es ist, Rücksicht zu nehmen, Toleranz zu üben,
behutsam mit den Menschen umzugehen, die wir eigentlich liebhaben. Das
Gegenteil „passiert uns“ – passieren heißt ja, „es
geschieht etwas mit mir, ohne dass ich es eigentlich wollte! – es passiert
uns also, dass wir einander weh tun, dass wir aneinander schuldig werden, dass
wir dem anderen Hilfe versagen. Es passiert uns, obwohl wir es eigentlich gar
nicht wollen.

Was ist das, was uns da gefangenhält? Was ist
das, was uns da durcheinanderbringt?

II. Unschuldig schuldig?

Jesus verwendet dafür ein ganz drastisches
Bild:
Ein Palast mit dicken Mauern. Ausgerüstet und bewacht mit
schweren Waffen.

„Wenn ein Starker seinen Palast bewacht, so
bleibt das, was er sich zu eigen gemacht hat, unangetastet“, so beschreibt
Jesus diese Gefangenschaft des Menschen in den Kräften, die nicht gut
sind.

Mauern, in die wir immer wieder hineingeraten.

Mauern, die uns gefangenhalten, uns in unserer
Entscheidungsfreiheit so einschränken, dass wir uns falsch entscheiden.

Mauern der Angst und der Bequemlichkeit, der
Gedankenlosigkeit und der fehlenden Zivilcourage.

Und dennoch sind da Mauern zwischen Menschen,
und nur durch Gitter sehen wir uns an. Unser versklavtes Ich ist ein
Gefängnis, und ist gebaut aus Steinen unsrer Angst.(3)

Dieses Bild, liebe Gemeinde, ist treffend. Es
spricht uns geradezu aus dem Herzen! Nicht umsonst ist gerade dieses Lied
„Herr, deine Liebe ist wie Gras und Ufer“, aus dem diese Liedstrophe
von den Mauern unserer Angst genommen ist, das Lieblingslied vieler
Konfirmanden und Jugendlichen unserer Tage. Ja, es ist ein treffendes Bild und
doch birgt es eine große Gefahr.

Die Gefahr nämlich, dass wir uns hinter
unserem armen, schwachen und unfreien Willen verstecken und uns aus der
Verantwortung stehlen für das, was wir tun, denken oder sagen. Wenn es
irgendwelche unguten und unkontrollierbaren Kräfte sind, die in mir
wirken, wie kann ich mich denn dann überhaupt dagegen wehren? Bin ich dann
nicht schuldlos schuldig?

Dann machen wir es uns zu leicht, so wie Martin
Luther, der in seiner Schrift „Vom unfreien Willen“ den Menschen
darstellt wie ein willenloses Objekt des Kampfes zwischen Gott und dem Satan.
Er schreibt: „So ist der menschliche Wille in die Mitte gestellt (zwischen
Gott und den Satan) wie ein Zugtier. Wenn Gott sich darauf gesetzt hat, will er
und geht, wohin Gott will. […] Wenn Satan sich darauf gesetzt hat, will und
geht er, wohin Satan will. Und es steht nicht in seiner freien Entscheidung, zu
einem von beiden Reitern zu laufen oder ihn sich zu verschaffen zu suchen,
sondern die Reiter selbst kämpfen miteinander, ihn zu erlangen und zu
besitzen.“(4)

Und nicht unproblematisch erscheint es mir, wenn
Ulrich Schnabel in seinem kürzlich erschienenen ZEIT-Artikel ein
gänzlich neues Menschenbild der Zukunft heraufbeschwört, wo den
einzelnen Menschen kaum noch eine Schuld an ihrem Fehlverhalten gegeben werden
könne. Schließlich habe das amerikanische Neurologen-Team um Antonio
Damasio herausgefunden, dass Nächstenliebe und Verantwortungsbewusstsein
ihren neurologischen und damit (fast ausschließlich!) anatomischen Ort im
Stirnhirn haben. Und wenn da oben eben etwas nicht stimmt, würde der
Mensch völlig unschuldig schuldig(5).

„Wenn aber,“ so sagt Jesus, „ein
Stärkerer über ihn kommt und überwindet ihn, so nimmt er ihm
seine Rüstung, auf die er sich verlieߓ, und freut sich seines
Sieges.

Sind wir also tatsächlich willenlose
Spielbälle moralischer bzw. amoralischer Kräfte oder gar
neurologischer Körperfunktionen?

Wie geschieht Befreiung? Muss da einer kommen, um
die Mauern unserer Angst niederzureißen, uns die Fesseln der
Bequemlichkeit und Gedankenlosigkeit abzunehmen und uns in die Freiheit zu
führen?

III. Befreit werden

In erster Linie, ganz sicher, liebe Gemeinde, ist
diese Befreiung ein Befreit-Werden. Wenn Sie so wollen, ein passiver Akt. Es
geschieht etwas mit uns. Es wird uns ein neuer Anfang geschenkt. Die Schuld,
die uns von Gott getrennt hat, die Schuld, die sich zwischen uns Menschen
aufgehäuft hat, wird uns verziehen. So wie einem Zöllner
Zachäus, so wie einer Ehebrecherin umringt von ihren Richtern, so wie
einem Gelähmten, der auf festgewordenen Knien seine zusammengerollte Matte
unter dem Arm davonträgt. Ein neuer Anfang. Ein Geschenk.

Herr, du bist Richter! Du nur kannst befreien,
wenn du uns freisprichst, dann ist Freiheit da. Freiheit, sie gilt für
Menschen, Völker, Rassen, so weit, wie deine Liebe uns ergreift.(6)

„Wenn ich aber durch Gottes Finger die
bösen Geister austreibe, so ist ja das Reich Gottes zu euch
gekommen.“, sagt Jesus. Reich Gottes wird da spürbar, wo etwas Neues
beginnt. Eine neue Chance besteht, das Leben anders zu führen. Jesus
spricht von Gottes Sieg über die Macht des Bösen. Ungerührt
lassen ihn die Verdächtigungen seiner Gegner, die die Heilung dieses
gequälten, zerrissenen, vielleicht unsagbar traurigen, stummen Menschen
nicht als Anlass zum Jubel nehmen, zur Mitfreude oder des Dankes, sondern die
dieses Zeichen des Wirklichkeit werdenden Gottesreiches sofort in bösem
Licht, im Zwielicht sehen und in herabsetzenden, schmutzigen Gedanken.
Völlig unbeeindruckt widerlegt er die widersinnigen Spekulationen von zwei
rivalisierenden dämonischen Mächten. „Wenn ich aber durch Gottes
Finger die bösen Geister austreibe, so ist ja das Reich Gottes zu euch
gekommen.“, sagt Jesus.

Es ist ein neuer Anfang. Fast wie eine neue
Schöpfung. Fast wie eine neue Schöpfung, eine neue Geburt.
Unweigerlich erinnert das Bild vom Finger Gottes an das Deckengemälde
Michelangelos in der Sixtinischen Kapelle, wo der Schöpfergott der Welt,
in dem Fall dem Adam, den Finger entegenstreckt, um ihm Leben zu schenken.
„Wer es mit Jesus zu tun bekommt, bekommt es nach seinem eigenen Anspruch
mit der praesentia dei [der Gegenwart Gottes] auf Erden und bis in die
Leiblichkeit hinein zu tun. In Jesu Tun streckt Gott seinen Finger der Welt
entgegen […], freilich diesmal, um die neue Schöpfung ans Licht zu
führen.“(7)

IV. Sich frei machen

Zweifellos also ein Geschenk. Aber ein Geschenk,
das auch angenommen werden will.

So ist, liebe Gemeinde, die Befreiung in zweiter,
aber auch entscheidender Linie ein Sich-frei-Machen. Wenn Sie so wollen ein
aktiver Akt. Es geschieht nicht nur etwas mit uns, sondern auch unser Mittun
ist gefragt. Unser aktiver Anteil am Neubeginn. Die Schuld, die uns von Gott
getrennt hat, die Schuld, die sich zwischen uns Menschen aufgehäuft hat,
ist zwar vergeben, aber der Freispruch verpflichtet zum Umdenken, zur Umkehr.

So wie ein Zöllner Zachäus, der seinen
illegal erworbenen Profit zurückzuzahlen bereit wird,

so wie eine vom Tode errettete Ehebrecherin, die
heimkehrt, um ihre Verhältnisse mit ihrem Mann und ihrem Geliebten in
Ordnung zu bringen,

so wie ein Gelähmter, der nicht nur auf
festgewordenen Knien seine zusammengerollte Matte unter dem Arm
davonträgt, sondern nach Hause läuft, Gott preist und den Menschen
vom glücklichen Beginn seines neuen Lebens erzählt.

Wir haben einen freien Willen – wohl manchmal
arg gebeutelt von unguten Einflüssen und eigensüchtigen Kräften.
Also:

Wir wissen ganz genau, was gut ist und was
Gott von uns fordert, und können es tun: ernsthaft auf Gottes Wort
hören, Liebe üben, demütig sein vor unserem Gott.

Wir suchen den Frieden. Und wir können
ihn verwirklichen, im Kleinen bei uns zu Hause, unter Kollegen, in der
Hausgemeinschaft oder im Kreis unserer Freunde.

Wir suchen nach Gerechtigkeit. Und wir
können aktiv für Gerechtigkeit eintreten, indem wir uns informieren,
indem wir unser eigenes Handeln, unser Verbrauchen, unser Vergnügen unter
die Lupe nehmen, kritisch hinterfragen und gegebenenfalls ändern. Und
indem wir Zivilcourage und Mut zeigen, wenn es um das Wohl und Wehe eines
anderen geht.

Wir suchen nach der Wahrheit und oft kennen
wir sie auch. Wir werden für sie eintreten, auch auf die Gefahr hin, dass
wir Schwierigkeiten bekommen.

Wir nennen uns Christen, und bekennen uns
auch dazu, nicht nur in klaren Worten, sondern auch in hellen,
glaubwürdigen Taten der Liebe.

Noch einmal im Bild gesprochen, liebe Gemeinde,
wenn Jesus durch Gottes Finger die bösen Geister austreibt, wenn er in das
Haus des Starken einbricht, um uns Menschen als die Gefangenen zu befreien, so
ist das Reich Gottes zu uns gelangt. Jesus ist gekommen, die Mauern unserer
Angst niederzureißen, uns die Fesseln der Bequemlichkeit und
Gedankenlosigkeit abzunehmen und uns den Weg in die Freiheit zu zeigen.

Nur aufstehen, um die Mauern auch tatsächlich
zu verlassen und den Weg in die Freiheit zu gehen, das müssen wir selbst.

In seinem Gedicht „Stationen auf dem Wege zur
Freiheit“ schreibt Dietrich Bonhoeffer:

„Nicht das Beliebige, sondern das Rechte tun
und wagen,
nicht in Möglichem schweben, das Wirkliche tapfer
ergreifen,
nicht in der Flucht der Gedanken, allein in der Tat ist die
Freiheit.
Tritt aus ängstlichem Zögern heraus in den Sturm des
Geschehens
nur von Gottes Gebot und deinem Glauben getragen,
und die
Freiheit wird deinen Geist jauchzend umfangen.“(8)

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle
Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn.
Amen.

Zur Exegese

In
unserem Text stehen Satansherrschaft und Gottesherrschaft einander konträr
gegenüber. Hier gibt es nur ein Entweder – Oder. Angesichts eines
erfolgreich durchgeführten Exorzismus erheben Jesu Gegner den Vorwurf,
dass er durch den Herrscher der Dämonen den Exorzismus vollzogen habe.
Dabei gelten Dämonen als Urheber geistiger, psychischer, aber auch
organischer Krankheiten.

Jesus entkräftet diesen Vorwurf in dreierlei
Hinsicht:

1. Es ist widersinnig, dass sich Beelzebul als
Anführer der Dämonen von Jesus gebrauchen lässt, da er damit die
Entmachtung Satans und damit auch seine eigene betreiben würde. (Beelzebul
geht auf den Namen des philistäischen Gottes von Ekron Baal-Sebul
[„Herr der Erhabenheit“] zurück, der wiederum in II Kön
1,2-16 polemisch in Baal-Sebub [„Herr der Fliegen“] verballhornt
wurde.)

2. Selbst wenn man rein hypothetisch die
Behauptung der Kontrahenten Jesu gelten lassen würde, müsste dann
nicht derselbe Vorwurf auch die Exorzisten aus den eigenen Reihen treffen? Aber
dies werden sie wohl kaum behaupten wollen!

3. Es bleibt nur die eine Möglichkeit
übrig, dass Jesus durch den „Finger Gottes“, d.h. mit der
machtvollen Hilfe Gottes, die Dämonen austreibt.

Voraussetzung für Jesu Heilungserfolge ist
die Überwindung des Starken (= Satan) durch den Stärkeren (= Gott).
Gottes Sieg über den Satan bedeutet, dass die Gottesherrschaft definitiv
anfängt, sich auf Erden zu realisieren. Angesichts der eschatologischen
Kampfsituation gibt es keine Neutralität: Ein Mensch kann bzw. muss
entweder Jesu Sammlung des endzeitlichen Gottesvolkes unterstützen oder
dessen Zerstreuung betreiben.

Anmerkungen:

(1) Ernst Käsemann, Die
endzeitliche Königsherrschaft Gottes (1980), in: ders., Kirchliche
Konflikte, Bd. 1, Göttingen 1982, S. (214-225) 218 f.

(2) Günter Brakelmann,
in: Assoziationen. Gedanken zu biblischen Texten, hg. v. Walter Jens, Bd. 3,
Stuttgart 31980, S. (213-215) 214.

(3)EG 610,3.

(4) Martin Luther, Vom
unfreien Willen (1525), in: Luther Deutsch, hg. v. Kurt Aland, Bd. 3: Der neue
Glaube, Stuttgart / Göttingen 1961, S. (151-334) 196.

(5)Vgl. Ulrich Schnabel, Die
Neuronen der Moral. Wie Hirnschäden zum Ausfall von Nächstenliebe und
Verantwortungsbewusstsein führen, in: DIE ZEIT, Nr. 43/1999, S. 41 f.

(6)EG 610,4.

(7) Ernst Käsemann,
Lukas 11,14-28 (1955), in: ders., Exegetische Versuche und Besinnungen, Bd. I,
Göttingen 61970, S. (242-248) 244.

(8)Dietrich Bonhoeffer,
Gedicht „Stationen auf dem Wege zur Freiheit“ (21. Juli 1944), in:
ders., Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichungen aus der Haft, hg. v.
Christian Gremmels, Eberhard Bethge u. Renate Bethge in Zusammenarbeit mit Ilse
Tödt (DBW 8), Gütersloh 1998, S. (570-572) 571.


Doz. Dr. Werner Zager

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