Lukas 2, 1-14

Lukas 2, 1-14

Als der Sohn Gottes auf die Welt kam, registrierte der Evangelist
sorgsam, wann dies geschah: „Und es begab sich zu der Zeit, als ein
Befehl vom Kaiser Augustus ausging, daß alle Welt sich schätzen
ließe“, schrieb er. Damit erzählte Lukas, daß die
Geschichte Gottes eng verbunden ist mit der Geschichte der Menschen, ja
daß die beiden Geschichten miteinander verschmelzen. Aber Lukas erzählte
noch mehr, denn er konnte mit seinem Evangelium zeigen, daß der machtvolle
Kaiser in Rom nicht mehr der Dreh- und Angelpunkt für den Gang der
Geschichte im römischen Reich sein sollte. Der Dreh- und Angelpunkt
war nun ein anderer. Etwas Neues war gekommen, sagte Lukas, und deshalb
erzählte er, wie die Geschichte der Weltmacht in den Hintergrund gedrängt
wird von der Geschichte der Liebe. Und Lukas gestattete es sich sogar, die
Ironie in seine Erzählung einzubauen, daß der mächtige Kaiser
Augustus, der Weltherrscher, der von seinen Untertanen wie ein Gott verehrt
wurde und der nun große Landstriche und Völkerschaften in sein
Reich einverleibt hatte, daß dieser Herrscher nur eine Zeitangabe
in der eigentlichen Geschichte ist. Die Geschichte, die Lukas erzählen
will.

Lukas stellt also der Geschichte der Macht die Geschichte der Liebe
gegenüber. Kaiser Augustus mit seinem gut organisierten Heer gegen
ein neugeborenes, ohnmächtiges Kind in der fernen Provinz Juda. Aber
Lukas erhält in seiner Weise Recht, die Geschichte des Augustus fiel
dem Vergessen anheim. Zwar stehen noch Säulen und Trumphbögen
für ihn und die Siege, die ihm seine Heere errungen haben. Aber für
die Nachwelt schrumpfte er zu etwas, was nur in den Geschichtsbüchern
erscheint.

Aber die Geschichte der Liebe dauerte an, sie war zählebiger als
es unmittelbar den Anschein hatte, und sie hat die Nachwelt geprägt,
sie wurde Teil unseres Denkens.

 

Der Monat Dezember ist eine umtriebige Zeit, viel ist zu erledigen. Es
erfordert große Teile der wachen Zeit und der Aufmerksamkeit eines
Kindes, allein all das wahrzunehmen, was im Fernsehen gezeigt wird an
Weihnachtssendungen und Weihnachtsfilemen, während sich die Erwachsenen
in das Weihnachtsgeschäft werfen, die Weihnachtsfeiern, alle Weihnachtsvorbereitungen
und all das, was sonst noch die Zeit vor Weihnachten füllt. Jedes
Jahr nehmen sich die meisten von uns in dieser Weise die Zeit eines Monats,
allein, um das Weihnachtsfest vorzubereiten. Das allein dürfte zu
denken geben, daß Weihnachten in unserem Bewußtsein einen
so großen Raum einnimmt. Denn wozu das alles eigentlich? Das bedeutet
denn auch, daß jedes Jahr besorgte Stimmen zu hören sind, die
sagen, daß das Weihnachtsfest nun wohl endgültig ertrunken
ist in Geschenkerausch, verlogener Gemütlichkeit und Streß.
Denn wieviel bedeutet Weihnachten eigentlich im Grunde für uns, welchen
Wert hat dieses Fest für uns? Wenn man einmal von den 1½ Milliarden
Euros absieht, die allein die Dänen in einem Jahr für dieses
Fest aufwenden. Vor einigen Jahren mischte sich Nikolaj Cederholm, ein
Theatermann in Dänemark, der wesentlich zur Erneuerung des Theaters
in Dänemark in den letzten Jahren beigetragen hat, in diese Diskussion
ein und behauptete, daß Weihnachten für die meisten Dänen
ein wesentlich größeres Fest sei, als die meisten es sich eingestehen
wollten. Es mag sein, daß die meisten Leute heute nur wenig vom
Christentum wissen und auch kein enges Verhältnis zum Glauben haben,
aber Weihnachten ist zweifellos das größte Fest für die
Dänen, wo wir merkwürdige Dinge tun mit großartigem Symbolwert:
„Wir flechten Herzen ineinander und hängen sie auf. Wir setzen
einen Stern an die Spitze eines Baumes. Wir nehmen unsere Familie an die
Hand, gehen um den Weihnachtsbaum und singen von Erlösung, Vergebung
und Freude über das Leben und mehr als das“. So weit Nikalaj
Cederholm. Und dann kann man sich ja darüber wundern, warum das so
ist.

Die Erklärung, die Nikolaj Cederholm gibt, und darin hat er meines
Erachtens Recht, ist die, daß wir in einem solchen Maße von
der Weihnachtsgeschichte ergriffen sind, von der Geschichte der Liebe,
daß es uns schwer fällt, uns selbst ohne sie zu verstehen.
Sie ist so grundlegend für uns, behauptet er, daß wir nicht
einmal etwas so Einfaches wie einen gewöhnlichen amerikanischen Film
verstehen könnten, wenn wir nicht die christliche Geschichte kennten
und uns in sie eingelebt hätten. Denn in solchen Filmen wird gerade
die Geschichte lebendig vom Sieg der Liebe und des Guten über die
bösen und lebensbedrohenden Mächte.

„Weihnachten ist“, schließt Nikolaj Cederholm, „vor
allem das Fest, an dem wir feiern, daß die Liebe in der Welt ist.
Sie wird als ein Kind geboren, und die Liebe nimmt trotz aller Widrigkeiten
den Kampf auf gegen die Kräfte, die das Leben bedrohen. Es gibt deshalb
nicht nur gemütliche und sentimentale Gründe dafür, daß
wir Weihnachten feiern. Wir feiern das Weihnachtsfest auch, weil die Geschichte
der Liebe ihre eigene Macht über uns gewonnen hat. Sie hat uns geprägt,
in unserer Auffassung von uns selbst und in unserem Verhältnis zu
anderen Menschen.“

Das ist sicher wahr, aber man könnte auch einwenden, daß
man unterscheiden muß zwischen der Geschichte auf der einen Seite
und der Liebe selbst auf der anderen Seite – die hat es schwer in der
Welt, wo die Macht sich immer bedrohlich breit macht und wo menschliche
Hoffnungslosigkeit oft bis zur Selbstaufgabe zu wachsen scheint. Der Gegensatz
zwischen der Weltmacht und dem Kind in der Krippe ist denn auch menschliche
gesehen genauso hoffnungslos, wie er aussieht. Es endet ja auch in den
Evangelien mit Verrat, einer furchtbaren Niederlage und bitterer Verzweiflung
am Karfreitag. Aber das Weihnachtsevangelium erzählt ja mit dem Bericht
von Maria, Joseph und dem Kind im Stall von Bethlehem und dem ganzen Aufgebot
von Engeln und armen Hirten auf dem Felde seinen Teil der Geschichte der
Liebe: Dort, wo die Hoffnungslosigkeit am größten ist, wo menschlich
gesehen nichts zu erwarten ist als die Macht, die das Leben zerstört,
gerade dort spricht Gott in unsere Herzen von seiner Liebe, die keine
unmenschliche Weltmacht aus der Welt schaffen kann, weil sie die Liebe
Gottes ist, ja, weil sie Gott selbst ist.

Deshalb konnte Lukas eine neue Geschichte schreiben, und wir können
diese Geschichte zu der unsrigen machen. Denn mit dem, was in der Heiligen
Nacht in einem ansonsten von der Macht und der Ehre übersehen alltäglichen
Ereignis geschehen ist, beginnt eine neue Geschichte, die nach Lukas eigentliche
Geschichte, und dies ist nicht die Geschichte der Macht, es ist die Geschichte
der Liebe. Es ist die göttliche Geschichte von einem Licht, das angezündet
wurde. Ein Licht, mit dem eine Hoffnung in die Welt gesetzt wurde und
eine Freude in jedes – menschlich gesehen – hoffnungslose Leben hineingeboren
wurde, mitten in einer der Macht verfallenen Welt. Das ist unsere Freude,
das ist die Freude der Weihnacht. Das ist die frohe Geschichte, an der
wir alle teilhaben – und das ist wohl wert gefeiert zu werden. Frohe Weihnachen!

 

Asta Gyldenkærne
Skoven
DK-Jærgerspris
Tel: ++ 45 – 47 53 00 33
E-mail: agy@km.dk

 

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